James Bennings Werk umspannt eine umfassende, persönliche Geschichte seines Landes, eine filmische Durchquerung und Vermessung von Landschaft, Kultur und Politik der USA. Bevor er sich dem Film zuwandte, absolvierte der aus Milwaukee stammende Benning ein Mathematik-Studium. Seine Filme folgen strengen Ordnungssystemen, die gewissermaßen den Rahmen für seine gemäldehaften Bilder schaffen. Landschaft wird von ihm immer auch als sozialer und politischer Ort wahrgenommen. Mit seinen strukturellen Untersuchungen der Verbindungen zwischen Bild, Ton und Erzählung entwirft er ein komplexes Bild der amerikanischen Kultur, Politik und Geschichte. Sein rigoroser Formalismus wird dabei nie zum Selbstzweck, sondern dient dazu, neue Wahrnehmungsfelder zu eröffnen. Das Kurzfilmprogramm 1 macht Bennings Annäherung an den strukturalistischen Film und seine narrativen Muster sichtbar. Die mit Bette Gordon gedrehten MICHIGAN AVENUE (USA 1973) und I-94 (USA 1974) sind fragmentarische Reflexionen über die kinematografische Wahrnehmung. 9-1-75 (USA 1975) besteht aus einer 22-minütigen Einstellung und zeigt einen Campingplatz in Wisconsin, während CHICAGO LOOP (USA 1976) die Wahrnehmung von Zeit, Raum und Bewegung untersucht. Eine Durchquerung des Kontinents von New York nach Kalifornien und zugleich eine Erkundung der politischen Landschaft der USA ist der wiederum gemeinsam mit Bette Gordon gedrehte THE UNITED STATES OF AMERICA (USA 1975). A TO B (USA 1976) ist eine kurze Animation über die Buchstaben, die zusammengesetzt "America the Beautiful" oder etwas ganz anderes ergeben. (1. & 3.2.) Das Kurzfilmprogramm 2 enthält einige von Bennings frühesten, zum Teil während des Studiums entstandenen Arbeiten, die das Medium Film erkunden: In DID YOU EVER HEAR THAT CRICKET SOUND? (USA 1971), Bennings erstem Film, entstehen mittels formaler Experimente unergründliche Traumbilder. TIME AND A HALF (USA 1972) ist der Versuch einer experimentellen Antwort auf Hollywoods Erzählkino. ART HIST. 101 (USA 1972) ist ein Porträt der künstlerischen Arbeit seines Freundes Mike Milligan. ODE TO MUZAK (USA 1972) ist eine Hommage an Henri Mancini, eine Auftragsarbeit für eine TV-Station, die jedoch nie ausgestrahlt wurde. HONEYLANE ROAD (USA 1973) dekonstruiert eine Erzählung durch Perspektivwechsel und das Auseinanderdriften von Bild und Ton. SATURDAY NIGHT (USA 1975) ist eine kurze traumgleiche Performance. 3 MINUTES ON THE DANGERS OF FILM RECORDING (USA 1975) zeigt Benning als Universitätslehrer beim Beantworten von Fragen. 8 1/2 x 11 (USA 1974) verwebt in 28 Szenen zwei Erzählstränge, die erst im Schlussbild zusammentreffen und zeigt Bennings Interesse an Perspektive, Komposition und Ton. (4. & 5.2.) AMERICAN DREAMS (LOST AND FOUND) (USA 1984) ist "ein absoluter Höhepunkt von Bennings Experimenten mit der Kombination von Schrift, Bild und Ton. AMERICAN DREAMS spannt einen historischen Bogen von 1954 bis 1976: Zu sehen sind die Vorder- und Rückenansichten von Memorabilia der Baseballlegende Hank Aaron; gleichzeitig läuft am unteren Bildrand eine Handschrift über die Leinwand – die Transkription des Tagebuches von Arthur Bremner, des Attentäters von US-Präsidentschaftskandidat Wallace. Begleitet werden diese Bilder von zahllosen Tonaufnahmen und musikalischen Highlights der Zeit. AMERICAN DREAMS ist ein formal komplexer, überwältigender Film, den Benning selbst als eine Hommage an die Zeit des Erwachsenwerdens und als seine persönlichste Arbeit beschreibt. Er verbindet die Liebe zum Baseball, sein Interesse an amerikanischer Geschichte und seine Faszination für Populärkultur in einer Erzählung über den amerikanischen Traum – und dessen Scheitern." (Barbara Pichler) (6. & 7.2.) LANDSCAPE SUICIDE (USA 1986) ist eine kühl-sachliche Untersuchung über Geografie und Mord anhand zweier Fälle, die sich 1984 bzw. 1957 ereigneten: die Ermordung einer kalifornischen Schülerin und die berühmt-berüchtigte Saga des Mörders Edward Gein, der seine Opfer zerstückelte und die Leichenteile präparierte (und Hitchcock zu Psycho inspiriert haben soll). Der Film erzeugt durch seine zurückhaltende Lesart der Verhör- und Gerichtsprotokolle und durch seine verblüffenden Bilder von den Orten, an denen diese Menschen lebten und starben, kein blutrünstiges Schaudern, sondern vielmehr eine Atmosphäre von gespenstisch anmutender Nüchternheit. Die Struktur des Films entspricht dem Inhalt: Die Monotonie der Gesten, der Sprache, des Lebens und der Umgebung erzeugt ein Gefühl für die Unausweichlichkeit der zufälligen Situation, in denen die Morde geschahen. „Mich interessiert das Leben, der Tod und der Ort, aber aus einer gewissen Distanz heraus. Und nur fragmentarisch, so dass der Betrachter den Rest hinzufügen muss. Damit Bedeutung entsteht. Um Erinnerungen wachzurufen. Manchmal in der realen Zeit und für einige Dauer, als Denkanstoß oder im Nachvollzug einer Erinnerung." (James Benning) (18. & 19.2.) 1976 drehte Benning mit 11 x 14 seinen ersten abendfüllenden Film, eine Landschaftsstudie des Mittleren Westens. Zu sehen sind die Bilder einer unerklärten Reise durchs Land und der Aufenthalte unterwegs, darunter eine minutenlange Hochbahnfahrt durch die Vorstadtslums von Chicago mit dem höchsten Wolkenkratzer der Welt als fernem Fluchtpunkt. "Ich wollte einen erzählenden Film machen, der sich vor allem mit den Elementen von Form und Struktur beschäftigt; d.h., die Komposition, Farbe, Stofflichkeit der Bilder, der Raum im Bild und außerhalb des Bildes sollten die eigentliche Erzählung ergeben und gleichzeitig die Geschichte in den Hintergrund drängen. Die zugrunde liegende Geschichte versucht nicht, Realität abzubilden, sondern einen Kontext herzustellen, innerhalb dessen jede Person mit den formalen und metaphorischen Elementen des Films in eine Beziehung treten kann. Die Erzählung ist absichtlich offen und mit einem offenen Ende versehen, um zu betonen, dass die Realität des Films nicht allein aus dem Film selbst, sondern aus der Erfahrung jedes Einzelnen kommen sollte, der den Film sieht; jeder Zuschauer sollte aus dem Film seine eigenen Metaphern entwickeln. Der Stil des Films – die Verwendung realer Zeit und einer dokumentarischen, stationären Kamera – widerspricht jedoch der Idee einer Metapher." (James Benning) (21. & 22.2.) DESERET (USA 1995) ist Bennings Erkundung des Mormonenstaates Utah und erzählt von Geschichte, die sich in Landschaft eingeschrieben hat. Monumentale Naturlandschaften, Industriezonen und Gebäude sind in ruhigen Einstellungen ins Bild gesetzt, während auf der Tonspur anhand von Zeitungsartikeln der "New York Times" die Geschichte Utahs von 1852 bis 1992 nachvollzogen wird. "Ich habe in Utah DESERET gedreht, weil das ein Ort war, wo ich hinwollte. Und ich wollte herausfinden, wer ich bin und wie die Weißen sind. Ich dachte damals, es gibt keinen besseren Ort dafür als Utah, denn die Kultur der Mormonen erschien mir wie die Quintessenz des weißen Mannes. Utah war der spektakulärste Ort, an dem ich je gewesen bin. Die Landschaften waren atemberaubend. Damals habe ich beschlossen, dass es nur noch zwei Kriterien für mich gibt, Filme zu machen. Erstens – einen Ort aufzusuchen, an dem ich sein wollte, diesen Ort wirklich zu verstehen und seine Bedeutung festzuhalten. Und zweitens – diesen Ort so zu sehen, dass er etwas über mein eigenes Leben erzählt und dieses vielleicht klarer macht." (James Benning) (23. & 24.2.) CASTING A GLANCE (USA 2007) erlebte im Filmprogramm der letztjährigen documenta in Kassel seine Uraufführung. Darin beschäftigt sich Benning mit dem Werk des Künstlers Robert Smithson: seine 1970 im Salzsee von Utah realisierte "Spiral Jetty", ein kilometerlanger, spiralförmig angelegter Erdwall aus Gestein, Salzkrusten, Erde, Algen und Überresten der Zivilisation. 16 Mal besuchte James Benning die "Spiral Jetty" zwischen 2005 und 2007. „Um die Jetty erfahren zu können, muss man öfters hinfahren. Sie ist ein Barometer für tägliche wie jährliche Zyklen. Zwischen Morgen und Nacht kann ihre vielfältige, radikal oder subtil sich wandelnde Erscheinung das Ergebnis einer vorbeiziehenden Wetterlage oder einfach des wechselnden Sonnenstands sein. Das Wasser kann blau, rot, purpurn, grün, braun, silbrig oder golden erscheinen. Der Klang kommt von einem Militärjet, von vorüberfliegenden Gänsen, Gewittern, die sich zusammenbrauen, einigen wenigen Grillen oder er ist ein Schweigen, so still, dass man das Blut in den Ohren zirkulieren hört." (James Benning) ( 27. & 29.2.) Unser Dank geht an das Österreichische Filmmuseum Wien, an Klaus Volkmer (Filmmuseum München) und James Benning. Die Reihe wird im März fortgeführt.