In Christoph Hochhäuslers MILCHWALD (D 2003) ist das Motiv des Waldes, der sich die Kinder einverleibt, schon im Titel enthalten. Zwei Kinder werden von ihrer genervten Stiefmutter auf einer Landstraße im polnisch-deutschen Grenzgebiet aus dem Auto geworfen. Als diese sich besinnt und die beiden wieder einladen will, sind sie im Wald verschwunden. Während die Stiefmutter in das Retorten-Fertighaus zurückkehrt und dem Vater gegenüber so tut, als sei nichts geschehen, schlagen sich die Kinder mit einem polnischen Lieferwagenfahrer durch. MILCHWALD erzählt ästhetisch sehr konsequent von Sprachlosigkeit und Verlorengehen. (1. & 3.5.) Ein "albtraumhaftes Märchen" nannte Regisseur Charles Laughton seine einzige Regiearbeit THE NIGHT OF THE HUNTER (USA 1955). Vom deutschen Expressionismus beeinflusst, arbeitet der Film mit suggestiven Licht- und Toneffekten und schafft so eine irreale, beklemmende Atmosphäre. Der Wanderprediger Harry Powell weiß, dass im Haus der Witwe Wilma Harper 10.000 Dollar versteckt sind und wirbt um sie. Ihre Kinder sind von Beginn an misstrauisch und müssen fliehen, nachdem Harry Powell die Mutter auf der vergeblichen Suche nach dem Schatz umgebracht hat. Eine Odyssee auf dem Floß den Fluss hinab beginnt. Nur wenigen Erwachsenen können sie trauen, unter anderem einer märchenhaften alten Frau, die in ihrem Haus verstoßene Kinder um sich schart. (4. & 7.5.) WHOEVER SLEW AUNTIE ROO? (Wer hat Tante Ruth angezündet?, Curtis Harrington, GB/USA 1972) verwandelt das Märchen in eine Horrorkomödie, mit Shelley Winters als schrullige Auntie Roo. In ihrer großen, halb verfallenen Villa – ein richtiges Spukhaus – nimmt sie das Waisenkind Katy auf. Deren Bruder Christopher hält Auntie Roo jedoch für eine Hexe und versucht seine Schwester zu befreien. (5. & 12.5.) Die jugendlichen Protagonisten in LES AMANTS CRIMINELS (François Ozon, F 1999) begehen eine Mordtat im Wald und finden danach nicht mehr aus ihm heraus. Alice überredet ihren Freund Luc, den gleichaltrigen Said, mit dem sie ebenfalls eine sexuelle Beziehung hat, umzubringen. Nachdem sie ihn im Wald verscharrt haben, merken sie, dass jemand sie beobachtet hat. François Ozons Film, der nie in die deutschen Kinos kam, ist eine Mischung aus Krimi und kannibalistischem Märchen, das neben Motiven von "Hänsel und Gretel" auch The Blair Witch Project und Bonnie and Clyde zitiert. (6. & 13.5.) In BRAND UPON THE BRAIN! (Kanada 2006) erkundet Guy Maddin die düsteren Geheimnisse seiner Familiengeschichte, verkleidet als Stummfilm mit expressionistischem Pathos. Der Protagonist namens Guy und seine Schwester wachsen auf einer Insel auf. Die herrschsüchtige Mutter überwacht alles von der Spitze des Leuchtturms, der skurrile Vater experimentiert im Kellerlabor. Zudem beherbergt man Waisenkinder, an deren Köpfen die späteren Adoptiveltern rätselhafte Wunden entdecken. Eine Geschichte von zwei Kindern, denen ihre Eltern zutiefst rätselhaft und fremd sind und an deren guten Willen gegenüber ihren Kindern man mehr als zweifeln kann. (8.5.) HOTARU NO HAKA (Die letzten Glühwürmchen, Isao Takahata, Japan 1988) ist ein Anime aus dem Zeichentrickstudio Ghibli, das auch für Chihiros Reise ins Zauberland verantwortlich ist. Die Geschichte erzählt von Seita und seiner kleinen Schwester Seisuko, die kurz vor Ende des 2. Weltkrieges ihre Mutter bei der Bombardierung der Stadt Kobe verlieren. Für die Kinder beginnt eine albtraumhafte Odyssee durch ein vom Krieg zerstörtes Land. Zuerst finden sie bei einer Tante Unterschlupf, die aber bald keine Lust mehr hat, zwei zusätzliche hungrige Mäuler zu stopfen. Sie flüchten in eine Höhle und versuchen verzweifelt, in einer durch und durch feindlichen Umwelt zu überleben. Mit beklemmender Intensität schildert der Film den Horror vor Krieg und Zerstörung und die unendliche Angst vor dem Verlassenwerden. (9. & 10.5.) Zum Abschluss eine dreiteilige experimentelle Abstraktion des "Hänsel-und-Gretel"-Motivs: REISE ZUM WALD (Jörn Staeger, D 2008) ist eine tranceartige Erforschung des deutschen Mythos Wald. In Maike Mia Höhnes PETIT VOYAGE (1997) reisen Bruder und Schwester zum Begräbnis der Großmutter nach Paris. Unterwegs verirren sie sich im Beziehungsgeflecht, in ihrem Haus stoßen sie auf Spuren deutscher Geschichte, und am Ende sind sie zu spät. VERTIGO RUSH (Johann Lurf, A 2007) lässt im Zusammenspiel von Natur und (optischer) Maschine Verborgenes sichtbar werden. Bilder aus dem Wald üben eine sogartige Wirkung auf den Betrachter aus und erregen bei zunehmender Abstraktion körperlichen Schwindel. (12. & 15.5.)