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Sowohl der gefeierte Sockelsturz, dessen Ziel letztlich in der kollektiven Amnesie besteht, als auch sein Schatten, die undifferenzierte Romantisierung der Vergangenheit in Form einer inhaltlich entleerten Ostalgie, verstellen allzu leicht den Blick auf die soziokulturellen Dimensionen der künstlerischen Repräsentationen der zentralen Gründergestalt Lenin. Bleibt Lenin nicht auf seine Symbolhaftigkeit im Sinne des gestürzten Heros oder Tyrannen reduziert, so zeigt sich ein Leninbild, das – nicht nur in der Sowjetunion – stets ein facettenreiches war und das es in jeder Ära neu zu konstituieren galt. So sind es gerade Literatur, Film und Kunst, die weniger die Frage "Wer war Lenin?" zu beantworten versuchen, sondern die darum bemüht sind, eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Gründungsfigur zu ermöglichen, die nicht allein der Vergangenheit, sondern vor allem der jeweiligen Gegenwart verpflichtet bleibt. Der Versuch einer jeden Ära, beginnend mit den frühen Jahren des nachrevolutionären Russlands bis hinein in unsere Zeit, eine Antwort nach dem "Was bedeutet uns Lenin?" zu geben, schuf eine Fülle von Filmen, die teils den kinematografischen Kanon der Sowjetunion bildeten, teils aber in ihrer zeitlichen Wirkung auf das politische Klima der Epoche beschränkt bleiben mussten, oder, in der Zeit nach der Perestrojka, eben diesen Kanon in Frage zu stellen begannen. Indem einer jeden Epoche der Sowjetunion die Aufgabe zuteil wurde, ihr Leninbild neu zu definieren, bildete sich ab den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts bis in unsere Zeit eine Ikonografie heraus, die alles andere als statisch ist: Lenin als Inkarnation der Revolution, des Systems, aber auch des Vergangenen wie des Zukünftigen, wird immer wieder neu generiert, (re-)aktualisiert und unterschiedlich akzentuiert. Dabei treten die jeweils neuen Bilder in Konkurrenz zu den bereits bestehenden und haben sich an ihnen ebenso abzuarbeiten wie am historischen "Vater der Revolution" selbst. Vor diesem Hintergrund präsentiert das Kino Arsenal in Kooperation mit dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin sieben Filme, deren Gegenstand und Held Lenin ist. Die Filmreihe, die einen Vergleich der Lenins von den 30er Jahren bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts ermöglicht, wird gerahmt durch Einführungen und Vorträge von Historikern, Filmwissenschaftlern, Slawisten und Kunsthistorikern, die Lenin im jeweiligen kulturellen und epochalen Kontext verorten und somit eine Zeit als auch Disziplinen übergreifende Durchleuchtung dieser vielgesichtigen Ikone des 20. Jahrhunderts ermöglichen. Während so eine Vielzahl von Einzelaspekten eines sich immer wieder neu ausdifferenzierenden Leninbildes hinterfragt wird, spannt die Filmreihe als Ganzes eben jene Bögen, die in der symbolischen Repräsentation Lenins selbst bereits angelegt sind: vom Urbild (Lenin selbst) zum Abbild (Lenin-Darsteller), vom sakralisierten Quasi-Heiligen zum profanierten "Lenin als Mensch", vom Kultobjekt zur demontierten Witzfigur oder vom Faktum zur Fiktion. Dabei stehen nicht nur die Leninbilder der verschiedenen Jahrzehnte zur Diskussion, sondern auch ihre spezifische Ausformulierung in unterschiedlichen filmischen Genres wie Dokumentarfilm, Historienfilm, Dokudrama, Spielfilm oder filmische Satire. Wir eröffnen die Filmreihe am 10. Januar mit einem Vortrag des Tübinger Osteuropahistorikers Benno Ennker, dessen 1997 erschienenes Buch zum Leninkult in der Sowjetunion einen Meilenstein in der kult- und kulturhistorischen Leninforschung setzte. Unter dem Titel "'Lenin lebt!' – Die Stiftung eines modernen Führerkultes in der Sowjetunion" wird er nicht nur die politische, sondern vor allem die symbolische Funktionalisierung Lenins in der Sowjetunion behandeln und ihre historischen Dimensionen erörtern. Der Eintritt zum Vortrag ist frei. Die filmische Eröffnung bildet dann im Anschluss Dsiga Wertows dreiteiliger Film TRI PESNI O LENINE (Drei Lieder über Lenin, UdSSR 1934), dessen Symbiose von dokumentarischem Material, extremen Kameraperspektiven, ekstatischen Gesängen und pathetischen Zwischentiteln einen der Höhepunkte der stark religiös-mystisch angehauchten Lenin-Apotheose der 30er Jahre darstellt. Wertows Ziel, den Dokumentarfilm nur durch das "Pathos der Fakten" sprechen zu lassen, findet hier seinen poetischen Ausdruck in der Verfremdung filmischer Verfahren und markiert nicht nur die Etablierung einer neuen Ästhetik der angebrochenen Tonfilmzeit, sondern auch die filmischen Gattungsgrenzen selbst. Die renommierte Filmhistorikerin Oksana Bulgakova, Autorin und Mitherausgeberin der "Geschichte des sowjetischen und russischen Films" wird eine Einführung in den Film geben. (10.1.) LENIN W OKTJABRJE (Lenin im Oktober, UdSSR 1937) von Michail Romm über die Ereignisse der Oktoberrevolution 1917 stellt den Auftakt und zugleich einen der Höhepunkte des filmischen Leninporträts dar und beantwortet mit dem Auftreten des ersten Lenindarstellers Boris Schtschukin die lang diskutierte Frage nach der "Darstellbarkeit" Lenins. Lenin, der uns hier als optimistischer und aktiver Erbauer eines neuen Lebens entgegentritt,
schafft für den Zuschauer ein Identifikationsangebot. Romms Absicht war es, den "lebendigen, zornigen, gütigen, hartnäckigen, weichen, genial voraussehenden und kindlich offenen" Lenin zu zeigen, ein Subjekt anstelle eines Objekts. Das komplexe Porträt, das dem Heldenbild der 30er Jahre angepasst wurde, und das Drehbuch, von dem sein Autor A. Kapler sagt, er habe es als eine Mischung aus Geschichte, Fantasie und Erinnerungen der Teilnehmer der Revolution zusammengestellt, machten Lenin schlagartig zu einem Filmmythos. Maja Turowskaja, die Grande Dame der sowjetischen Filmgeschichte, die selbst noch gemeinsam mit Michail Romm arbeitete, wird in ihrem Vortrag nicht nur auf den Film selbst, sondern auch auf die spannende "Kriminalgeschichte" seiner Retuschen, Umarbeitungen und Beschneidungen, seiner stalinistischen als auch poststalinistischen Rezeption eingehen. (14.1.) Auch Michail Romms LENIN W 1918 GODU (Lenin im Jahr 1918, UdSSR 1939) ist ein Film, der entsprechend der sich wandelnden Zeiten in verschiedenen Fassungen vorliegt und dessen bereinigte Version von 1965 um gut 600 Filmmeter kürzer ist als die ursprüngliche aus dem Jahr 1939. Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt darin, dass es sich beim zweiten Leninfilm Romms eigentlich um einen Stalinfilm handelte. Die drei Hauptmotive, die refrainartig LENIN W 1918 GODU durchziehen und einen eher objekthaften, statischen Lenin präsentieren, sind dessen Bejahung der Gewalt, seine Agrarpolitik sowie die immanente Warnung vor Verschwörung, Verrat und Attentat. Die Einleitung der Slawistin und Kulturwissenschaftlerin Anke Hennig (FU Berlin) wird die Grenzen und Bruchstellen filmischer Genres ausleuchten und deren Rückwirkungen auf die Leninrepräsentationen der 30er Jahre hinterfragen. (17.1.) In den RASSKASY O LENINE (Erzählungen über Lenin) von Sergei Jutkewitsch aus dem Jahr 1957, tritt uns ein neuer, ein Tauwetter- Lenin entgegen, der vom zweiten großen Lenindarsteller, Maxim Schtrauch – dieser hatte den Lenin bereits in den früheren Lenin-Filmen Jutkewitschs, Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre gegeben – verkörpert wird. Die "Rettung der revolutionären Hagiografie" (Oksana Bulgakova) durch "Intimisierung historischer Erfahrung" generiert einen Lenin mit menschlichem Antlitz und damit eine Figur, die zwar psychologisch nachvollziehbar bleibt, aber vielleicht gerade deshalb recht bald an Publikumswirksamkeit, wenn auch nicht an Popularität – was sich wohl der Beliebtheit Schtrauchs verdankt – verlor. Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Kathrin Becker (Neuer Berliner Kunstverein NBK) zeichnet in ihrem Vortrag "Lenin – Heiliger und Mensch" die "Erzählungen" bzw. Viten nach, die genau zwischen den Heroisierungen in der Ikonografie der 30er und 40er Jahre und den "Vermenschlichungen Lenins" in der beginnenden Tauwetterzeit changieren. (21.1.) Der Film des Drehbuchautors M. Schatrow und des Regisseurs Juli Karasik ist in mehrfacher Hinsicht der interessanteste 'Tauwetterfilm', schreibt Sheila Och über SCHESTOJE IJULJA (Der 6. Juli, UdSSR 1968). Ein Grund hierfür liegt sicherlich im Genre selbst, dem an Romms LENIN W OKTJABRJE orientierten Dokudrama, bei dem das Dokumentarische kameratechnisch nur simuliert wird. Ein weiterer Grund besteht darin, dass der Film auf die bis dahin üblichen schablonenhaften Negativklischees bei der Darstellung von Lenins Gegnern verzichtet – ein Umstand, der bei der politischen Führung so viel Misstrauen weckte, dass der Film bald nach seiner Premiere abgesetzt und erst 20 Jahre später im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Slawistin, Filmwissenschaftlerin und Kuratorin des Leipziger DOK Festivals Barbara Wurm (IFK Wien) führt in den Film ein. (24.1.) Den Auftakt zum Lenin-Bild der postsowjetischen Ära bildet ein Vortrag des Slawisten Tom Jürgens (Osteuropa-Institut der FUBerlin) zum "literarischen Lenin" sowie die filmische Farce MINU LENINID (All My Lenins, Hardi Volmer, Estland 1997). Der junge Este Alexander Kesküla lässt an einer Lenin-Schule Lenin-Doppelgänger ausbilden, die der bolschewistischen Partei – unterstützt mit deutschem Geld – den Weg zur Macht in Russland ebnen sollen. Ein Double erweist sich als so geeignet, dass es auch im privaten Leben die Rolle Lenins einnimmt. Im Gegensatz zu Lenin, der als egozentrischer Fanatiker beschrieben wird, ist dieser ein sympathischer Charakter, der auch bei den Frauen bald das Original ersetzt. (28.1.) Alexander Sokurows TELETS (Taurus, Russland 2002) bildet den Abschluss der Reihe: eine filmische Vision der letzten Tage Lenins, die er zurückgezogen, um nicht zu sagen als Gefangener, in einer wunderschönen, einsam gelegenen Villa auf dem Lande verbringt. Grübelnd, an Bett und Rollstuhl gefesselt, wartet er auf seinen Tod. Er versucht, die Bilanz seines Lebens zu ziehen, doch mit jedem Tag verliert sein Denken ein Stück mehr seiner Klarheit. Die Villa wird zur Bühne, die Wachen zu Komparsen, Lenin zur Theaterfigur, pathetisch und absurd. Bettina Lange, Komparatistin und Filmwissenschaftlerin an der FU Berlin, gibt eine Einführung. (31.1.) (Tom Jürgens) Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Unser Dank gilt Tom Jürgens, der die Reihe initiierte und sachkundig betreute.

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