schafft für den Zuschauer ein Identifikationsangebot. Romms Absicht war es, den "lebendigen, zornigen, gütigen, hartnäckigen, weichen, genial voraussehenden und kindlich offenen" Lenin zu zeigen, ein Subjekt anstelle eines Objekts. Das komplexe Porträt, das dem Heldenbild der 30er Jahre angepasst wurde, und das Drehbuch, von dem sein Autor A. Kapler sagt, er habe es als eine Mischung aus Geschichte, Fantasie und Erinnerungen der Teilnehmer der Revolution zusammengestellt, machten Lenin schlagartig zu einem Filmmythos. Maja Turowskaja, die Grande Dame der sowjetischen Filmgeschichte, die selbst noch gemeinsam mit Michail Romm arbeitete, wird in ihrem Vortrag nicht nur auf den Film selbst, sondern auch auf die spannende "Kriminalgeschichte" seiner Retuschen, Umarbeitungen und Beschneidungen, seiner stalinistischen als auch poststalinistischen Rezeption eingehen. (14.1.) Auch Michail Romms LENIN W 1918 GODU (Lenin im Jahr 1918, UdSSR 1939) ist ein Film, der entsprechend der sich wandelnden Zeiten in verschiedenen Fassungen vorliegt und dessen bereinigte Version von 1965 um gut 600 Filmmeter kürzer ist als die ursprüngliche aus dem Jahr 1939. Die Ursache dafür liegt nicht zuletzt darin, dass es sich beim zweiten Leninfilm Romms eigentlich um einen Stalinfilm handelte. Die drei Hauptmotive, die refrainartig LENIN W 1918 GODU durchziehen und einen eher objekthaften, statischen Lenin präsentieren, sind dessen Bejahung der Gewalt, seine Agrarpolitik sowie die immanente Warnung vor Verschwörung, Verrat und Attentat. Die Einleitung der Slawistin und Kulturwissenschaftlerin Anke Hennig (FU Berlin) wird die Grenzen und Bruchstellen filmischer Genres ausleuchten und deren Rückwirkungen auf die Leninrepräsentationen der 30er Jahre hinterfragen. (17.1.) In den RASSKASY O LENINE (Erzählungen über Lenin) von Sergei Jutkewitsch aus dem Jahr 1957, tritt uns ein neuer, ein Tauwetter- Lenin entgegen, der vom zweiten großen Lenindarsteller, Maxim Schtrauch – dieser hatte den Lenin bereits in den früheren Lenin-Filmen Jutkewitschs, Ende der 30er, Anfang der 40er Jahre gegeben – verkörpert wird. Die "Rettung der revolutionären Hagiografie" (Oksana Bulgakova) durch "Intimisierung historischer Erfahrung" generiert einen Lenin mit menschlichem Antlitz und damit eine Figur, die zwar psychologisch nachvollziehbar bleibt, aber vielleicht gerade deshalb recht bald an Publikumswirksamkeit, wenn auch nicht an Popularität – was sich wohl der Beliebtheit Schtrauchs verdankt – verlor. Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Kathrin Becker (Neuer Berliner Kunstverein NBK) zeichnet in ihrem Vortrag "Lenin – Heiliger und Mensch" die "Erzählungen" bzw. Viten nach, die genau zwischen den Heroisierungen in der Ikonografie der 30er und 40er Jahre und den "Vermenschlichungen Lenins" in der beginnenden Tauwetterzeit changieren. (21.1.) Der Film des Drehbuchautors M. Schatrow und des Regisseurs Juli Karasik ist in mehrfacher Hinsicht der interessanteste 'Tauwetterfilm', schreibt Sheila Och über SCHESTOJE IJULJA (Der 6. Juli, UdSSR 1968). Ein Grund hierfür liegt sicherlich im Genre selbst, dem an Romms LENIN W OKTJABRJE orientierten Dokudrama, bei dem das Dokumentarische kameratechnisch nur simuliert wird. Ein weiterer Grund besteht darin, dass der Film auf die bis dahin üblichen schablonenhaften Negativklischees bei der Darstellung von Lenins Gegnern verzichtet – ein Umstand, der bei der politischen Führung so viel Misstrauen weckte, dass der Film bald nach seiner Premiere abgesetzt und erst 20 Jahre später im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Die Slawistin, Filmwissenschaftlerin und Kuratorin des Leipziger DOK Festivals Barbara Wurm (IFK Wien) führt in den Film ein. (24.1.) Den Auftakt zum Lenin-Bild der postsowjetischen Ära bildet ein Vortrag des Slawisten Tom Jürgens (Osteuropa-Institut der FUBerlin) zum "literarischen Lenin" sowie die filmische Farce MINU LENINID (All My Lenins, Hardi Volmer, Estland 1997). Der junge Este Alexander Kesküla lässt an einer Lenin-Schule Lenin-Doppelgänger ausbilden, die der bolschewistischen Partei – unterstützt mit deutschem Geld – den Weg zur Macht in Russland ebnen sollen. Ein Double erweist sich als so geeignet, dass es auch im privaten Leben die Rolle Lenins einnimmt. Im Gegensatz zu Lenin, der als egozentrischer Fanatiker beschrieben wird, ist dieser ein sympathischer Charakter, der auch bei den Frauen bald das Original ersetzt. (28.1.) Alexander Sokurows TELETS (Taurus, Russland 2002) bildet den Abschluss der Reihe: eine filmische Vision der letzten Tage Lenins, die er zurückgezogen, um nicht zu sagen als Gefangener, in einer wunderschönen, einsam gelegenen Villa auf dem Lande verbringt. Grübelnd, an Bett und Rollstuhl gefesselt, wartet er auf seinen Tod. Er versucht, die Bilanz seines Lebens zu ziehen, doch mit jedem Tag verliert sein Denken ein Stück mehr seiner Klarheit. Die Villa wird zur Bühne, die Wachen zu Komparsen, Lenin zur Theaterfigur, pathetisch und absurd. Bettina Lange, Komparatistin und Filmwissenschaftlerin an der FU Berlin, gibt eine Einführung. (31.1.) (Tom Jürgens) Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin. Unser Dank gilt Tom Jürgens, der die Reihe initiierte und sachkundig betreute.