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Doch nicht nur mit der Dauer seiner Filme überschreitet Lav Diaz die Grenzen der üblichen filmischen Konventionen, sondern auch mit ihrer vielschichtigen, komplexen Erzählstruktur zwischen Fiktion und Dokument, filmischer Erfindung und politischer und sozialer Realität. Die Filme von Lav Diaz bieten kinematografische Erfahrungen besonderer Art – da sie den Standards der Filmindustrie und des Kinobetriebs u.a. aufgrund ihrer Laufzeit nicht entsprechen, sind sie allerdings nur im Rahmen von internationalen Festivals zu sehen. Umso mehr freuen wir uns, in Kooperation mit der dffb und dem "Asian hot shots"-Festival Ende Oktober eine Retrospektive der Filme von Lav Diaz im Kino Arsenal und im Kino der dffb präsentieren zu können. Lav Diaz, der mit seiner digitalen Kamera Mentor und Vorbild der neuen, sehr jungen Generation von unabhängigen philippinischen Filmemachern ist, die im diesjährigen Forum der Berlinale in einem Schwerpunkt vorgestellt wurden, wird in Berlin zu Gast sein und an der dffb unterrichten. Zur Eröffnung der Retrospektive zeigen wir als Deutschlandpremiere Lav Diaz' faszinierenden neuen Film MELANCHOLIA (2008). MELANCHOLIA ist ein digital gedrehter Schwarz-Weiß-Film von siebeneinhalb Stunden Länge, der aus drei großen Erzählabschnitten besteht. Zunächst linear-narrativ angelegt, ist die Handlung im Norden der Philippinen angesiedelt. In einem Dorf begegnet eine zugereiste Prostituierte einem Zuhälter und einer Nonne. In langen Einstellungen wechseln die Figuren überraschend ihre Rollen und verschwimmen zu einem vielschichtigen Identitätenkomplex. Die Handlung lotet die Grenzen zwischen Religion, Kriminalität und Prostitution aus. Danach treiben Rhythmus und Sound den Film an, nichtnarrativ, fragmentarisch, erratisch. Schließlich dominieren lange Einstellungen im nächtlichen Regenwald. Mittels eines poetisch angelegten Voice-Overs werden die Aufzeichnungen eines Rebellen wiedergegeben. (25.10., in Anwesenheit von Lav Diaz) In singulärer Form erzählt die nahezu elfstündige Familienchronik EBOLUSYON NG ISANG PAMILYANG PILIPINO (Evolution of a Filipino Family, PH 2004) vom Leben und Überleben einer philippinischen Bauernfamilie in den 15 Jahren des Marcos-Regimes (die erzählte Zeit reicht von 1971 bis 1987) – jedoch nicht chronologisch, sondern nonlinear in einer komplex verwobenen Struktur von verschiedenden Zeit- und Realitätsebenen, die einander kommentieren, ohne kausal verbunden zu sein. "Verdichtet wird die Erfahrung des Leidens an der Geschichte, das sich zunächst am Regime von Marcos entzündet und sich später aus der Enttäuschung über Corazón Aquino speist." (Olaf Möller) Im Wohnviertel der Familie Gallardo geht die Auferlegung des Kriegsrechts mit einer Welle an Guerilla-Aktivitäten sowie der Zunahme von Kriminalität und genereller Gesetzlosigkeit einher. Das Einkommen der Familie sinkt, und sie beginnt auseinander zu fallen. Im Laufe des langen Entstehungszeitraums des Films (seit 1994) wuchs der Hauptdarsteller tatsächlich zum Jugendlichen heran. (26.10.) Lav Diaz' erster Film mit nicht-kommerzieller Laufzeit war der fünfstündige BATANG WEST SIDE (West Side Avenue, PH 2001) – und sein bislang letzter auf Film und in Farbe gedrehter. Es ist ein Werk des Exils und der Exilanten, in New Jersey entstanden, wo Lav Diaz in den 90er Jahren lebte. Bei den Ermittlungen zum gewaltsamen Tod eines philippinischen Einwanderers in Jersey City deckt der aus Manila stammende Kriminalbeamte dessen tragische Familiengeschichte auf, die sowohl Einblicke in die philippinische Gesellschaft als auch in die der Diaspora gewährt. Anhand seiner Geschichte entfaltet sich ein Panorama des Lebens seiner Landsleute in den USA. Der Polizist legt im Zuge seiner Untersuchungen ein ganzes Netz von Abhängigkeiten und Ausbeutungen frei. (27.10.) Im Jahr 2006 hat ein Taifun die philippinische Provinz Bicol heimgesucht, furchtbare Verwüstungen und Tausende Tote hinterlassen. In seinem neunstündigen Film KAGADANAN SA BANWAAN NING MGA ENGKANTO (Death in the Land of Encantos, PH 2007) geht Lav Diaz mit dieser Realität um, indem er aus ihr heraus eine Narration entwickelt. Ein Dichter kehrt aus dem russischen Exil in sein Heimatdorf in der von den Schäden durch den Taifun gezeichneten Gegend zurück. Er will wissen, ob seine Familie überlebt hat. Die Landschaft ist apokalyptisch, doch eine Bildhauerin und ein Dichter versuchen dennoch, weiter dort zu leben und zu arbeiten. Auch hier: sehr lange Plansequenzen, oft geschieht fast nichts darin – bis eine Figur in der Ferne auftaucht. Wie schlafwandlerisch wird über die Existenz eines Gottes, Erinnerungen, Schönheit, den Zustand des Landes, die Alchemie von Natur und Kunst und über Geister sinniert. Das letzte Wort hat die Kunst. (28.10.) Am 29. Oktober haben wir eine Veranstaltung aus der Reihe REVOLVER LIVE! im Arsenal zu Gast. Saskia Walker und Franz Müller sprechen mit Lav Diaz über seine Filme, seine Arbeitsweise, seine Ästhetik. (29.10., in englischer Sprache) Weitere vier Filme von Lav Diaz sind tagsüber in für alle Interessierten offenen Seminarveranstaltungen im dffb-Kino in der neunten Etage des Filmhauses zu sehen. Das ausführliche Gesamtprogramm findet sich in einem ab Anfang Oktober ausliegenden Flyer. Hier in Kürze das Programm im dffb-Kino:
24.10., 15 Uhr: ANG KRIMINAL NG BARYO CONCEPCION (The Criminal of Barrio Concepcion, Lav Diaz, PH 1998, OmE, 140 min)
27.10., 16 Uhr: HUBAD SA ILALIM NG BUWAN (Naked Under the Moon, Lav Diaz, PH 1999, OmU, 110 min)
31.10., 15 Uhr: HESUS REBOLUSYUNARYO (Jesus Revolutionary, Lav Diaz, PH 2001), OmE , 140 min)
1.11., 15 Uhr: HEREMIAS, UNANG AKLAT ANG ALAMAT NG PRINSESANG BAYAWAK (Heremias, Book One: The Legend of the Lizad Princess, Lav Diaz, PH 2006, OmE, 540 min) Eine Kooperation der Freunde der Deutschen Kinemathek /Kino Arsenal, der dffb und dem Festival "asian hot shots berlin". Mit Unterstützung der Botschaft der Republik Philippinen. PROGRAMMÄNDERUNG am 27.10. um 19 Uhr:
BATANG WEST SIDE muss leider ausfallen. Stattdessen wird HESUS REBOLUSYONARYO/JESUS REVOLUTIONARY (2002, 140 min, Video, OmE) gezeigt.

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Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds