Am 19. Dezember 2007 verstarb unser Freund und Weggefährte, der Stummfilmpianist und Kapellmeister Willy Sommerfeld, im Alter von 103 Jahren. Damit geht eine Epoche zu Ende, die gleichbedeutend ist mit der Wiederentdeckung und Neubewertung der Stummfilmmusik, eines musikalischen Genres, das aus der Verbindung von stummem Film und Musik seine Substanz bezieht, sich von den bewegten Bildern inspirieren lässt und diesen gleichzeitig neue Faszinationskraft und Magie verleiht. Willy Sommerfeld ist aus der Geschichte des Kinos Arsenal nicht wegzudenken. Wir haben mit ihm zusammen viele unvergessliche Stunden und Momente erlebt, angefangen von dem Augenblick, als er uns in unseren Räumen in der Welserstraße, über dem alten Arsenal-Kino gelegen, zum ersten Mal besuchte, es war 1970, mit dem Vorschlag, stumme Filme, die im Programm des Arsenals häufig vorkamen, durch ihn begleiten zu lassen. Denn er habe bereits früher, in der Zeit des Stummfilms bis 1929, Filme am Klavier begleitet. Auf diesen Vorschlag gingen wir mit Freude ein, und die Auftritte Willy Sommerfelds im Arsenal wurden zu einem sofortigen Erfolg. Seine Musik begeisterte die Zuschauer. Sein Ruhm als Stummfilmpianist verbreitete sich rasch über Schöneberg, Berlin und Deutschland hinaus. Willy Sommerfeld wurde zu zahllosen Auftritten in die ganze Welt eingeladen. Er erhielt Preise und Auszeichnungen (so den Deutschen Filmpreis und die Berlinale-Kamera). Er bildete sich ein eigenes Publikum heran, das kam, um seine Musik zu hören. Noch heute werden wir gefragt, wann Willy Sommerfeld denn wieder bei uns spielen werde.
Zu seinem Prinzip gehörte es, aus der Inspiration des Augenblicks heraus zu spielen, ohne Vorbereitung, und den Duktus des Films, den er vom Klavier oder Flügel aus sehen konnte, aus seinem reichhaltigen Repertoire in temperamentvolle, fantasiereiche musikalische Formen zu übersetzen, zu kontrastieren oder zu kommentieren. Dabei besaß er wie kein anderer die Fähigkeit, einen Film zu "erschließen" und seine Zuhörer/Zuschauer auf besondere Weise zu packen. Ein Stummfilm in der Begleitung von Willy Sommerfeld war ein Erlebnis, das die künstlerische Eigenart und die Sprache des frühen Kinos ins Bewusstsein rief. Er brachte eine geheimnisvolle Symbiose von Bild und Ton zustande, die alle faszinierte und verzauberte. Verschiedentlich haben wir im Arsenal Willy Sommerfelds Geburtstag gefeiert, den 90., dann den 99. und den 100. Im Februar 2004 verlieh ihm Dieter Kosslick eine Goldene Berlinale-Kamera. Am 14.7.2005 spielte er, nunmehr schon 101, im Arsenal zu Lubitschs Austernprinzessin (1919) und am 4. Dezember 2005, zum letzten Mal, zur Begleitung von Lubitschs Schuhpalast Pinkus (1916).
Zur Erinnerung an Willy Sommerfeld zeigen wir in unserer Gedenkveranstaltung zunächst Ausschnitte aus Filmen mit der Original-Begleitmusik von Willy Sommerfeld, die 1999 im Arsenal in der Welserstraße aufgenommen wurden: AUFRUHR DES BLUTES (Victor Trivas, 1929), THE CAT AND THE CANARY (Paul Leni, 1927), und SCHLOSS VOGELÖD (F. W. Murnau, 1921). Darauf folgt THE SOUNDS OF SILENCE – DER STUMMFILMPIANIST von Ilona Ziok (2005). Willy Sommerfeld war der letzte Stummfilmpianist seiner Generation. Der Stummfilm mit musikalischer Begleitung aber wird weiterleben, beflügelt durch die Erinnerung an die reichen Stunden des Willy Sommerfeld. (28.2.)