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Die syrischen Filmemacher der älteren Generation wie Oussama Mohammad, Mohammad Malas und Omar Amiralay haben in Moskau und/oder Paris studiert, und entsprechende Einflüsse sind im syrischen Kino nicht zu übersehen. Doch trotz des unbestritten hohen künstlerischen Werts der syrischen Filme, die auf internationalen Festivals vielfach Preise gewonnen haben, werden sie nur äußerst selten gezeigt – und im eigenen Land gar nicht. Es ist bezeichnend für die syrische Kulturpolitik, die Produktion kritischer Kunst zwar zuzulassen, gleichzeitig aber dafür zu sorgen, dass diese der Öffentlichkeit verwehrt bleibt. Die meisten Filme landen nach einer kurzen Festival-Karriere in den Archiven der Nationalen Filmorganisation in Damaskus und sind nur schwer zugänglich. Die Genehmigungs- und Ausfuhrprozedur ist aufwendig und kompliziert, die konservatorischen Bedingungen sind unzureichend, so dass die Filme Schaden nehmen und zunehmend in Vergessenheit geraten – sehr zur Frustration der Filmemacher, die meistens viele Jahre warten müssen, bevor sie ein Projekt realisieren können. Umso erfreulicher ist es, dass wir in diesem Programm einige Meilensteine des syrischen Kinos von den 70er Jahren bis heute neben neueren, unabhängigen Produktionen zeigen können – eine rare Gelegenheit, sich anhand von Dokumentar-, Spiel- und Experimentalfilmen ein Bild von einem unbekannten Filmland zu machen.
Die Filmreihe wird am 8. Oktober mit einem Vortrag der Kuratorin des Programms, Charlotte Bank, und einer Auswahl neuerer Kurzfilme eröffnet, die alle von jungen Filmemachern stammen. Der erleichterte Zugang zur digitalen Video-Technik hat seit der Jahrtausendwende im gesamten Nahen Osten einen Boom im Bereich experimenteller Videoproduktion ausgelöst, der sich auch in Syrien bemerkbar macht. Die Filme sind sehr unterschiedlich in Stil und Thematik und zeichnen das Bild einer jungen, engagierten Künstlergeneration, die sich einerseits in die Tradition des syrischen Autorenkinos einschreibt, andererseits den zeitgenössischen Strömungen des Experimentalfilms folgt.
A SILENT CINEMA (Meyar Al-Roumi, Syrien/Frankreich 2001) erzählt die Geschichte des syrischen Ki-nos, eine Geschichte der gescheiterten Träume und Hoffnungen. Al-Roumi selbst kommt nach dem Film-Studium in Paris in seine syrische Heimat zurück, erhält aber die für sein Projekt notwendigen Drehgenehmigungen nicht und beschließt deshalb, einen Film zu drehen über die Unmöglichkeit, in Syrien Filme zu machen.
POSTER (Samir Barkawi, Syrien 2004) ist ein kurzer ironischer Kommentar zur Bedeutung der traditionellen Verschleierung in der heutigen Welt visueller Repräsentationen.
In BEFORE VANISHING (Joude Gorani, Syrien/Frankreich 2005) folgt eine junge Filmemacherin dem Verlauf des Barada-Flusses, früher die Grundlage des Reichtums der Oase von Damaskus, jetzt ein verschmutztes, vom Austrocknen bedrohtes Rinnsal und reflektiert über das Verhältnis von Ideal und Wirklichkeit.
POINT (Rami Farah, Syrien 2004) ist eine düstere Parabel über Hoffnung und Scheitern, die sowohl politisch als auch existenziell gedeutet werden kann.
In THE POT (Diana El-Jeiroudi, Syrien 2005) setzt sich El-Jeiroudi in einem an Home-Videos erinnernden Stil kritisch mit der traditionellen Rolle der Frau als Mutter und Gebärende auseinander.
SPRING (Nisrine Boukhari, Syrien 2008) ist eine sensible Hommage an eine früh an Krebs verstorbene Freundin der Künstlerin und wirft gleichzeitig die Frage nach der Unsichtbarkeit der Lebensbedingungen von Frauen auf. Das Kurzfilmprogramm schließt mit JERUSALEM HD (Ammar Al-Beik, Syrien 2007) ab, der Geschichte einer jungen Frau, die zusammen mit ihrer Großmutter die einzige Überlebende einer großen Jerusalemer Familie ist. Am Rande eines alten Friedhofs lebend, gehört sie eher der Welt der Toten als der der Lebenden an. Ihre ruhelosen Wanderungen durch die Stadt und deren Umgebung, ihre Flucht vor den Geistern der Vergangenheit und die Suche nach einem Ort der Ruhe führen zu keinem Ziel – eine sensible Parabel für den Zustand des Exils und die palästinensische Situation.
Oussama Mohammad gehört zu den bekanntesten syrischen Filmemachern. Seine Filme liefen auf zahlreichen internationalen Festivals, sind im eigenen Land aber verboten. Die Analyse gesellschaftlicher Machtstrukturen und die davon ausgehende Gewalt spielt in ihnen eine zentrale Rolle. STEP BY STEP (Oussama Mohammad, Syrien 1977, 9.10., Einführung: Charlotte Bank) thematisiert die Armut auf dem Land und die Zukunftswünsche der Kinder. Jeden Tag gehen sie einen schlammigen Weg entlang, um in die Schule zu gelangen und träumen davon, eines Tages Arzt, Ingenieur oder LehrerIn zu werden. Oft aber bietet der Militärdienst den einzigen Weg aus der dörflichen Armut. Oussama Mohammads Abschluss-Projekt an der Moskauer Filmschule gibt schon die gesellschaftskritische Richtung seiner späteren Werke vor.
In STARS IN BROAD DAYLIGHT (Oussama Mohammad, Syrien 1988, 9.10., Einführung: Charlotte Bank) kommen die unterdrückten Konflikte einer Familie an die Oberfläche, als bei einer Doppelhochzeit die eine Braut flüchtet und die andere sich weigert, die Hochzeit zu vollziehen. Der erfolgreiche, korrupte und tyrannische ältere Sohn versucht vergeblich, seinen Willen durchzusetzen. Der Film ist eine bissige Abrechnung mit der Brutalität patriarchalischer Strukturen, die das Gefüge einer Familie prägen und gehört wegen seiner politischen Parallelen zu den umstrittensten und auch bekanntesten syrischen Filmen überhaupt.
In einer symbolträchtigen visuellen Sprache bietet SACRIFICES (Oussama Mohammad, Syrien 2002, 11.10.) eine Reflexion darüber, wie Gewalt und Macht sich selbst legitimieren. Der Film porträtiert eine ländliche Großfamilie, deren Existenz ganz von dem ihr vorstehenden Patriarchen abhängt. Durch dessen Tod, mit dem die Erzählung beginnt, werden die übrigen Familienmitglieder in eine Unsicherheit gestürzt, in der sich allmählich neue Machtstrukturen entwickeln.
Der "Vater des syrischen Dokumentarfilms", Omar Amiralay, ist einer der bedeutendsten Dokumentarfilmer der arabischen Welt. Seine Filme wurden international mehrfach ausgezeichnet, bleiben in Syrien aber verboten. Seit den 80er Jahren lebt und arbeitet Amiralay größtenteils in Frankreich.
EVERYDAY LIFE IN A SYRIAN VILLAGE (Syrien 1974, 13.10.) war der erste Film Amiralays, der sich kritisch mit den Reformprogrammen der Baath-Partei zur Verbesserung der Lebenssituation der syrischen Bauern auseinandersetzte. Amiralay lässt neben dem staatlichen Gesundheitsper-sonal und der Polizei auch die Bauern selbst zu Wort kommen und beleuchtet so die Unterschiede zwischen dem Selbstverständnis der syrischen Bauern und dem, wie die staatlichen Instanzen über sie denken.
In A FLOOD IN BAATH COUNTRY (Omar Amiralay, Syrien/Frankreich 2003, 13.10.) kehrt Amiralay desillusioniert und ernüchtert zurück an den Ort eines seiner frühen Filme über die Leistungen der Baath-Partei beim Bau des Euphrat-Staudammes. Er rechnet mit den Propaganda-Parolen der Partei ab, die – von Schülern, Lehrern und Beamten gleichermaßen rezitiert – zu einer Erstarrung der syrischen Gesellschaft geführt haben.
Der Film THERE ARE SO MANY THINGS LEFT I WOULD LIKE TO SAY (Omar Amiralay, Syrien/Frankreich 1997, 10.10.) ist eine scho-nungslose Selbstreflexion des bekannten Theater-Autors Sa'adallah Wan-nus, Freund, Kollege und Weggefährte von Amiralay. Kurz vor seinem Tod spricht Wannous mit dem Filmemacher über die Enttäuschungen ihrer Generation, von den zerplatzten Träumen des sozialistischen Panarabismus, vom arabisch-israelischen Konflikt, einer ständigen Quelle für politische Frustrationen, und von der Notwendigkeit einer Geschichtsrevision jenseits von abgenutzten Parolen.
Auch in THE NIGHT (Mohammad Malas, Syrien 1992, 10.10.) steht die syrische Geschichte im Mittelpunkt der Handlung. Malas stammt aus Quneitra, der größten Stadt im besetzten Golan, die 1967 im Krieg zerstört wurde. Malas erzählt die Geschichte seines Vaters, der 1936 an der Revolte gegen die britische Kolonialmacht in Palästina teilgenommen hatte, getragen von revolutionärem, anti-kolonialen Idealismus. Es ist auch die Geschichte einer Liebe zwischen zwei Menschen, die im Strudel der Geschichte untergehen und die bittere Geschichte eines Volkes, das zum Spielball der Großmächte und der Herrschenden wurde.
NIGHTS OF THE JACKALS (Abdellatif Abdul-Hamid, Syrien 1989, 14.10.) erzählt die Geschichte eines Familienvaters, der seine Familie mit eiserner Hand regiert. Seine Frau und Kinder ertragen mit verwunderter Distanz seine cholerischen Wutausbrüche und drakonischen Erziehungsmaßnahmen. Aber trotz seiner vermeintlich absoluten Macht kann er nicht verhindern, dass das Familiengefüge auseinander bricht und er am Ende allein dasteht, machtlos gegenüber dem Lauf des Lebens und den wilden Schakalen, die sich jede Nacht in der Gegend herumtreiben, und die nur seine Frau vom Haus fernzuhalten vermochte.
I AM THE ONE WHO BRINGS FLOWERS TO HER GRAVE (Hala A-labdallah, Ammar Al-Beik, Syrien/Frankreich 2006, 14.10.) zeichnet ein kaleidoskopartiges Bild der Heimat der beiden Filmemacher. In den Wor-ten von Hala Alabdallah ist der Film eine Zusammenfassung ihrer seit 30 Jahren anhaltenden Bemühungen, den politischen Kampf mit einer poetisch-künstlerischen Sprache zu vereinen. Alabdallah lebt seit den 80er Jahren im Exil in Frankreich, nachdem sie als 20-jährige wegen ihrer politischen Aktivitäten im Gefängnis saß. Der Film erzählt von einer Liebe, die unter schwierigen Bedingungen aufrecht erhalten wird, von Heimweh und geplatzten Jugendträumen, aber auch von den Freuden der Rückkehr und der Verbundenheit unter Freundinnen.
Am 12.10. zeigen wir ein Dokumentarfilmprogramm der zwei jungen Filmemacher Ammar Al-Beik und Rami Farah, in deren Werken es um die Dekonstruktion nationaler und kultureller Mythen geht. Der Konflikt zwischen Israel und Syrien um den seit 1967 besetzten Golan dient oft als Begründung für die Verzögerung und Nicht-Durchführung überfälliger Reformen in Syrien. In der offiziellen Rhetorik des Staates nimmt der Konflikt eine zentrale Rolle ein, allerdings werden die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Menschen des Golans leben müssen, nie benannt. In SILENCE (Rami Farah, Syrien 2006. 12.10.) wird die Frage nach Schuld und Sinn in diesem Konflikt gestellt. Farah, dessen Familie aus dem Golan stammt, lässt zwei frühere Einwohner zu Wort kommen, darunter den eigenen Vater. Die Trauer um die verlorene Heimat und die Verzweiflung über geteilte Familien, die nur eine rudimentäre Kommunikation aufrechterhalten können, machen den Film, der in Syrien verboten ist, zu einem berührenden Zeugnis menschlicher Verlorenheit. CLAPPER (Ammar Al-Beik, Syrien 2003, 12.10.) folgt mit kritischer Distanz einer Gemeinschaft von Mönchen, die sich im Kloster Deir Mar Musa unter der Leitung des Italieners Bruder Paolo um einen interreligiösen Dialog bemühen. Al-Beik spielt mit seiner eigenen Inszenierung, die die Inszenierung der Mönche durch den Abt widerspiegelt und lädt zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Fragen um Manipulation und Selbstwahrnehmung ein. Deir Mar Musa wird oft als Beispiel für die religiöse Toleranz Syriens genannt, besonders im Tourismus, einem wichtigen Wirtschaftszweig des Landes. Allerdings ist diese Hervorhebung verzerrend, hat Syrien doch eine lange gelebte Tradition religiöser Ko-Existenz. (Charlotte Bank)
Eine Veranstaltung mit Unterstützung von ArteEast.

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