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In Smiths Filmen tauchen immer wieder bekannte Bilder auf, die an die exotische Atmosphäre in seinen Lieblingsfilmen erinnern (Busby Berkeley-Musicals, Josef-von-Sternberg-Filme und die Filme seiner Muse, Maria Montez). Smiths erster Film SCOTCH TAPE (1959–62) wurde nach dem Klebeband benannt, das am Zelluloid haften geblieben ist. THE YELLOW SEQUENCE (NORMAL LOVE ADDENDUM REEL) (1963) besteht aus Aufnahmen mit dem späteren Kult-Entertainer Tiny Tim und dem Drag-Performer Francis Francine. Angeblich als Teil von NORMAL LOVE gedacht, bleibt diese schillernde Sequenz aus der rekonstruierten Fassung des Filmes übrig. NORMAL LOVE (1963, 28. & 30.11.) ist der Titel des Films, den Smith als "kommerziellen" Nachfolger zu FLAMING CREATURES konzipiert hat. Nach Smiths Aufzeichnungen sollte das Werk aus sechs Sequenzen bestehen, die zum Teil von einer von Mario Montez gespielten Meerjungfrau inspiriert sind. Höhepunkt ist die berühmte "Cake Scene" – ein Ensemble halbnackter Chorschönheiten, darunter Andy Warhol, windet sich auf einem riesigen, weißrosa gefärbten Baumkuchen. RESPECTABLE CREATURES (50er Jahre/1966) zeigt einen frühen Versuch, Smiths Verehrung von Maria Montez filmisch umzusetzen. OVERSTIMULATED (1959–63) zeigt ihn mit dem Filmemacher Bob Fleischner beim Hüpfen vor dem Fernseher. Die Entstehung des Farbfilms JUNGLE ISLAND/REEFERS OF TECHNICOLOR ISLAND (1967) bleibt immer noch im Dunkeln. Sicher ist, dass der Film als Teil von Smiths Präsentation "Horror and Fantasy at Midnight" 1967 beim New Cinema Playhouse an der 42. Straße uraufgeführt wurde. In SONG FOR RENT (1968/69) sehen wir Smith in Drag als Rose Courtyard, die im Rollstuhl sitzt, während sie Kate Smiths Hymne "God Bless America" zuhört. NO PRESIDENT (1967–70) ist aus einer Midnight Performance von 1967 heraus entstanden. Die rekonstruierte Version ist ein Hybrid aus fantasie-vollen Sequenzen, die in Smiths Studio u.a. mit Mario Montez, Irving Rosenthal und Tally Brown gefilmt wurden, und gefundenem Material. I WAS A MALE YVONNE DE CARLO (1970) entstammt einer Reihe von Filmen und Diashows, in denen Smith sich als "Mock Celebrity" inszeniert und seinen Selbstekel und die ständige Angst vor der Ausbeutung durch die Kulturindustrie als Travestie gestaltet. HOT AIR SPECIALISTS (70er Jahre) zeigt Smith in Drag bei einem erfolglosen Rendezvous mit einem Unbekannten. Der Super-8-Film SINBAD OF BAGDAD (1978) dokumentiert eine Performance auf dem "exotischen" Strand in Coney Island, New York. Smiths bohemistische Film- und Kunstszene wurde schnell zum Vorbild für Andy Warhols Factory, wo Smith, Mario Montez und der Schriftsteller Ronald Tavel zu den ersten Superstars gehörten. Smiths Ästhetik beeinflusste eine Generation von Theaterleuten und -gruppen (Robert Wilson, Richard Foreman, Charles Ludlam, Living Theater, Wooster Group), sowie eine jüngere Generation von Künstlern in den 1970er und 1980er Jahren, darunter Laurie Anderson, Penny Arcade, John Zorn oder die Filmemacher Nick Zedd und Ela Troyano. Der Musiker und Filmemacher Tony Conrad begann erst durch seine Zusammenarbeit mit Smith zu komponieren. In den 70er Jahren arbeitete Smith während einiger Aufenthalte in Deutschland u.a. mit den Filmemachern Wilhelm und Birgit Hein und der Künstlerin Katharina Sieverding zusammen. Smiths Oeuvre bewegte sich stets an der Schnittstelle von Mode, Fotografie, Performance, Theater, Musik, Film und bildender Kunst. Dank seiner innovativen Darstellung von Körpern, Geschlecht und Sexualität bleibt Smiths Arbeit im Kontext der Gender Studies von großer Bedeutung. Nach Smiths Tod an den Folgen von AIDS im Jahre 1989 gründeten Jim Hoberman und Penny Arcade die "Plaster Foundation", die Jerry Tartaglia mit der Restaurierung seiner Filme beauftragte. Im Zusammenhang mit Aufführungen der Filme über Jahre hinweg im Arsenal entschied Tartaglia, die Kopien dem Institut zu übergeben. Wie geht man mit einem filmischen Erbe um, das untrennbar mit den Live Performances des verstorbenen Künstlers verbunden ist? Ein Kuratorenteam (Susanne Sachsse, Marc Siegel, Stefanie Schulte Strathaus) lud im März 2009 mehr als 50 internationale KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen nach Berlin ein, um die Filme gemeinsam zu sichten und darüber zu diskutieren. Sie entwickelten neue Filme, Texte und Performances, die jetzt zusammen mit Smiths filmischem Gesamtwerk dem Publikum LIVE präsentiert werden. Die Kurzfilme und Videos von Tim Blue, Pauline Boudry & Renate Lorenz, Werner Hirsch & Jakob Lena Knebl, Marie Losier, Guy Maddin, Ulrike Ottinger, Evelyn Rüsseler und Isabell Spengler, sowie ein Langfilm von Christophe Chemin und eine Filmperformance von Oliver Husain werden einzeln vorgestellt und bleiben anschließend im Programm von arsenal distribution.
Karola Gramann (Kinothek Asta Nielsen) und die Filmwissenschaftlerin Heide Schlüpmann, die ein Folgeprojekt in Frankfurt planen, präsentieren als Reaktion auf die Filme von Jack Smith zwei Programme (31.10.). Eines setzt sich aus Diven-Assoziationen zusammen und enthält Filme von Carmine Gallone, Ron Rice, Jack Smith, und Frans Zwartjes (1916–1968). Das zweite präsentiert BAND OF ANGELS (Raoul Walsh, USA 1957) mit Yvonne de Carlo. Beim Tod eines Plantagenbesitzers in New Orleans kurz vor Ausbruch der Sezessionskriege erfährt dessen Tochter, dass ihre Mutter eine Schwarze war. Sie wird von einem geläuterten Sklavenhändler (Clark Gable) gekauft. Die Südstaatenszenerie wird zum exotischen Schauplatz erotischer Leidenschaften zwischen Aggression und Hingabe. Als schillernderes Beispiel der Leinwand-Präsenz von Smiths Muse zeigen wir COBRA WOMAN (Robert Siodmak, USA 1944, 31.10.), in dem Maria Montez in einer Doppelrolle erscheint. COBRA WOMAN ist ein Südsee-Melodram in exotischem (Studio-)Setting und in loderndem Technicolor – es geht um archaische Bräuche und eine lange zurückliegende Geschichte um zwei Zwillingsschwestern. Zur Ehrung von Mario Montez zeigen wir drei Warhol-Filme: b> mit Montez und einer Banane; SCREEN TEST #2 (Drehbuch/Off-Stimme von Ronald Tavel), in dem er 67 Minuten lang posiert (1964/65, 30.10., HAU 1); CAMP (1965, 29.10.), in dem er ein Lied singt und Jack Smith Warhol zwingt, seine Kamera dramatisch zu bewegen. Außerdem dabei: Gerard Malanga, Paul Swan, Jane Holzer und Tally Brown. Filmemacher Ken Jacobs lernte Smith durch Bob Fleischner kennen, als alle drei an der CUNY Night School Kameratechnik studierten. Fleischner und Smith starben 1989 im Abstand von nur einer Woche. Jacobs' Film TWO WRENCHING DEPARTURES (2006, 30. & 31.10.) ist seine Reaktion auf den Tod der beiden Freunde. In BLONDE COBRA (1963, 1.11.) bearbeitet Jacobs die Überreste einer unvollendeten "Lower East Side Monster Comedy" von Fleischer, in deren Zentrum eine Performance von Smith steht. Dazu zeigen wir Jacobs' LITTLE STABS AT HAPPINESS (1959–62), eine weitere Zusammenarbeit mit Smith, sowie Jacobs' neuere Arbeit THE WHIRLED (mit altem Material von Smith) und führen ein Gespräch mit dem Filmemacher über Skype.
Im Oktober 1984 fand eine Jack-Smith-Performance in Toronto im Experimentalfilmkino Funnel statt. 1992 machte Midi Onodera aus Aufnahmen davon einen Film, den wir zusammen mit einer weiteren Performance-Aufzeichnung aus der Plaster Foundation zeigen und mit Smiths Weggefährten diskutieren (29.10.). Jill Godmilows Film ROY COHN/JACK SMITH (USA 1994, 30. & 31.10.) basierte auf einem der wichtigsten Theaterereignisse der 90er Jahre in New York und Berlin: Ron Vawter spielte zwei gegensätzliche Charak-tere, die nur zwei Gemeinsamkeiten hatten: Beide waren homosexuell, beide starben an den Folgen von AIDS. Godmilows Film, in dem die New Yorker Inszenierung zu sehen ist, war Alf Bold gewidmet, dem damaligen Kinoleiter des Arsenal: "Bis zu seinem Tod", so Ron Vawter, "war es ihm gelungen, die Gestaltung von Filmprogrammen neu zu definieren." Kurz bevor beide im gleichen Jahr verstarben, wohnte Alf Bold einer Aufführung im Hebbel-Theater bei.
In einer starbesetzten Inszenierung des Stücks THE LIFE OF JUANITA CASTRO von Ronald Tavel ehren wir im gleichen Hebbel-Theater, HAU 1, den Warhol-Drehbuchautor, der eng mit Smith und Montez zusammenarbeitete und kurz nach der ersten Zusammenkunft in Berlin im März unerwartet starb. Mit dabei: Rainald Goetz, Mario Montez, Bruce LaBruce, Katharina Sieverding, Diedrich Diederichsen, Susanne Sachsse u.a. (30.10.) Im HAU 1 präsentieren wir außerdem Konzerte von Kinky Justice (30.10.) und Phantom/Ghost (31.10.) und im HAU 2 in Zusammenarbeit mit der Galerie Daniel Buchholz ein "Minimalist Retro-Exotica Happening Event" von Tony Conrad mit Gordon W. (29.10.). Klaus Walter verfolgt eine Poptradition von Smith bis Antony and the Johnsons (31.10). Auch im HAU 1 (30. & 31.10.): Live Performances von Penny Arcade, Nao Bustamante, Beatrice Cordua, Vaginal Davis, und Andrew Kerton, Musik von Professor €ric D. Clark und eine Installation von Christophe Chemin. Im Arsenal zeigen wir neben den Filmprogrammen Dia-Shows von Uzi Parnes & Ela Troyano, eine Super-8-Performance von Theatre of 8 (Chloe Griffin & Gwenaël Rattke), eine Präsentation der Super-8-Filmarbeit von Ursula Pürrer und Hans Scheirl, Ausstellungen von Wilhelm Hein, John Edward Heys, Michael Krebber, Klaus Mettig, Uzi Parnes, Kristian Petersen, Jerry Tartaglia & Sean Kirk und Performancevideos von Deirdre Logue. In beiden Häusern gibt es Vorträge und Diskussionen von und mit Bini Adamczak, Callie Angell, Tony Conrad, Douglas Crimp, Diedrich Diedrichsen, Jennifer Doyle, Dominic Johnson, Petra Korink, Thomas Meinecke, Mario Montez, José Muñoz, Tim Stüttgen, Juan Suárez, Jerry Tartaglia, Chris Tedjasukmana, José Teunissen sowie allen Teilnehmern. In der Exile Gallery läuft vom 10.10.–1.11. die Ausstellung "Jack Smith, Cologne 1974"mit Fotografien von Gwenn Thomas und einem Film von Birgit Hein. Am 1.11. findet hier eine Diskussion über Jack Smith in Deutschland statt.
Die Galerie Daniel Buchholz präsentiert die Ausstellung: "Tony Conrad – Re-Framing Creatures" (Eröffnung am 29.10.). "LIVE FILM! JACK SMITH!" wird kuratiert von Susanne Sachsse, Marc Siegel, und Stefanie Schulte Strathaus. Die Veranstaltung wird realisiert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds. Special thanks to Jerry Tartaglia.

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Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds