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In der Auftakt-Session (6.10.) wird Joanne Richardson mit der Carte Blanche beginnen. Nicht nur für sie ist Jean-Luc Godards und Anne-Marie Miévilles ICI ET AILLEURS (F 1970/74) eine zentrale Referenz in der eigenen filmischen Arbeit. Aus dieser zeigt die gebürtige Rumänin anschließend zwei Videos, die uns in einen kritischen Dialog mit den Hinterlassenschaften und Neuschöpfungen in der Bildlandschaft des ehemaligen "Ostblocks" verwickeln. LETTER FROM MOLDOVA (Rumänien 2009) ist ein in Briefform erzählter, persönlich geprägter Travelogue. RED TOURS (D 2010, gemeinsam mit David Rych) wurde in Budapest, Prag, Vilnius und Berlin gedreht, in post-kommunistischen Themenparks und Geisterbahnen, denen im Umgang mit der Geschichte das Feld überlassen wird. Beide Arbeiten nehmen assoziativ Bezug auf Filme von Chris Marker.
Von diesem wird auch in der zweiten Session (13.10.) die Rede sein, wenn sich Charles Heller mit Propaganda und Bildpolitik beschäftigt. Seine Carte Blanche löst der Schweizer mit LE TOMBEAU D'ALEXANDRE (F 1993) ein, Markers Hommage an den letzten Bolschewiken" Alexander Medwedkin. Zuvor jedoch wird sich Heller selbstkritisch mit den Zwickmühlen emanzipatorischer Kampagnenarbeit auseinandersetzen. Sein Video CROSSROADS AT THE EDGE OF THE WORLDS (CH 2007) folgt den klandestinen Routen subsaharischer Migrant/innen nach Europa. Die Fragen zur politischen Funktionalisierung von Bildern, die darin bereits aufgeworfen werden, haben sich für Charles Heller zu einem Dilemma verdichtet, das eine Denkpause in der eigenen Bildproduktion notwendig machte. Sein Videovortrag zu den Medienkampagnen der International Organization for Migration (IOM) thematisiert die ungemütliche Nähe zwischen Aufklärung und Propaganda.
In Elke Marhöfers Arbeit (20.10.) geht es immer wieder um die problematische Rolle der Künstlerin als Beobachterin. In ihren jüngsten Videos interessiert sie sich für das Leben von Bauern, das mit der Globalisierung zunehmenden Zerreißproben ausgesetzt ist. In BAUERN! (Burkina Faso 2007) wohnen wir einer Gruppe Männer und Frauen bei der Baumwollernte bei. In dem Video PERMEABLE SUPER REAL (China 2010) spielt Marhöfer mit Abstraktion und Diskontinuität als Möglichkeiten, den eigenen Standpunkt von einem Korsett aus Prämissen zu befreien. Ähnlich wie in dem von ihr als Carte Blanche ausgewählten ZU FRÜH, ZU SPÄT (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, F / Ägypten 1981) geht es ihr nicht nur um eine empathische Wahrnehmung der Landbevölkerung, sondern auch um die Bedingungen dieser Wahrnehmung: Blick und Gehör fügen die Bedeutungselemente zu einem Film zusammen und damit immer auch zu einer Weise, die Welt zu sehen.
In den Filmen der Belgierin Sarah Vanagt (28.10.) spielen Geschichtsschreibung und Geschichtenerzählen eine zentrale Rolle. Nachdem sie längere Zeit im Bürgerkriegsgebiet zwischen Kongo und Ruanda recherchiert und gearbeitet hat, brauchte sie für BOULEVARD D'YPRES (Belgien 2010) lediglich einen Schritt vor die Haustür zu tun. Der Film ist der Straße gewidmet, in der Sarah Vanagt in Brüssel lebt, und lässt deren Bewohner ihre Geschichten erzählen. Viele davon handeln von Exil und Flucht und führen zurück in ein Jahrhundert der Kriege. Von einem Zeugen dieses Jahrhunderts, der flüchtig zurückkehrt aus dem Exil, handelt Jonas Mekas' autobiografischer REMINISCENCES OF A JOURNEY TO LITHUANIA (GB / BRD 1972), den Sarah Vanagt als Carte Blanche ausgewählt hat.
"Der Standpunkt der Aufnahme" wird fortgesetzt mit den Gästen bankleer (Christoph Leitner und Karin Kasböck, 3.11.), Brigitta Kuster (10.11.), Raphaël Cuomo und Maria Iorio (17.11.), Bärbel Schönafinger / kanalB (24.11.) sowie Merle Kröger und Philip Scheffner (2.12.). Sie werden u. a. Filme von Jean Rouch, Christoph Schlingensief, Paul Carpita und Pier Paolo Pasolini zeigen.
"Der Standpunkt der Aufnahme" wird ermöglicht durch Fördermittel des Hauptstadtkulturfonds und der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt sowie unterstützt durch Culturesfrance und Pro Helvetia, Schweizer Kulturstiftung. (Tobias Hering)

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