Ein wichtiger Bezugspunkt für das Cinema Novo war die brasilianische Modernismo-Bewegung der 20er Jahre. Im zentralen Text der Bewegung, dem von Oswald de Andrade geschriebenen "Anthropophagischen Manifest" wurde gefordert, sich die verschiedensten Einflüsse europäischer wie auch indigener Herkunft einzuverleiben, um dadurch zu einem eigenen unreinen, wilden und freien Ausdruck zu kommen.
Joaquim Pedro de Andrades Filmen ist ein vitaler, übermütiger und ausschweifender Stil eigen. Dennoch ist jeder seiner Filme singulär in seinem Thema und seiner Erzählweise. Seine Karriere wies keine gradlinige Entwicklung auf, verlief vielmehr in Sprüngen und Bewegungen in alle Richtungen. So verschieden die Filme Andrades in Inhalt und Form auch sind, ein Grundthema haben sie alle gemeinsam: Brasilien. Alle seine Filme sind im höchsten Maße auf die brasilianische Kultur und Gesellschaft bezogen. Bis zu seinem frühen Tod 1988 konnte er nur fünf Spielfilme realisieren, nebst einem langen Dokumentarfilm und acht Kurzfilmen.
Anfang 2000 wurden auf die Initiative von Alice de Andrade, Joaquim Pedro de Andrades Tochter, sämtliche Filme Andrades digital restauriert. Eine Arbeit, die dringend nötig war: Von zahlreichen Filmen existierten überhaupt keine vorführbaren Kopien mehr und viele der noch verfügbaren Negative waren stark beschädigt. Durch die Restaurierung wieder sichtbar geworden, wurde Andrades Werk in den letzten Jahren auf zahlreichen Festivals neu entdeckt. Wir zeigen alle Filme Andrades in digitalen Kopien mit englischen Untertiteln.
Wir freuen uns, Alice de Andrade am Eröffnungswochenende im Arsenal begrüßen zu dürfen, wo sie über die Filme ihres Vaters und über die Restaurierungsarbeit sprechen wird.
O POETA DO CASTELO (The Poet of Castelo, Brasilien 1959, 4. & 11.6.) Andrades erster kurzer Film beobachtet einen Tag im Leben des Dichters Manuel Bandeira (der Andrades Patenonkel war) in seiner kleinen Wohnung in Rio de Janeiro. Ein so einfacher wie schöner Film, der weit über das schlicht Dargestellte hinausweist – die Morgenroutine eines alten und vielleicht einsamen Mannes, der im Laden frische Milch holt, sich Kaffee kocht, einen Toast macht, sich zum Frühstü-cken ans Fenster und später mit der Schreibmaschine im Pyjama ins Bett setzt, zu schreiben beginnt und einen Anruf erhält. Andrade zeigt die banalen Dinge des Alltags voller Respekt und mit einer zärtlichen Hingabe an die Melancholie des Lebens.
Wir zeigen den Film zusammen mit MACUNAÍMA (Brasilien 1969, 4.6. in Anwesenheit von Alice de Andrade & 11.6.), "die Geschichte eines Brasilianers, der von Brasilien gefressen wird." (Andrade) Der titelgebende Macunaíma kommt als Erwachsener mit schwarzer Hautfarbe auf die Welt. Durch eine Wunderquelle wird er Jahre später hellhäutig und zieht vom Dschungel in die Stadt. Dort lernt er eine bombenlegende Revolutionärin kennen, sucht und findet bei einem reichen Riesen, der in seiner Villa kannibalistische Orgien feiert, einen magischen Stein der Macht und kehrt am Ende wieder in den Busch zurück, wo er in einem See von einer Amazone verschlungen wird. MACUNAÍMA basiert auf Mario de Andrades gleichnamigem 1928 entstandenen Roman, einem Schlüsselwerk des brasilianischen Modernismo. In grotesker Opulenz und wilder Ver-schmelzung von Dschungel und Zivilisation entwirft er ein dichtes Bezugssystem zwischen all den Einflüssen, die das moderne Brasilien ausmachen. Der Film wurde zu An-drades größtem Erfolg und dem einzigen Kassenschlager des Cinema Novo. Ein Kurzfilmprogramm fasst einige von Andrades kurzen Filmen, die im Laufe seines Schaffens entstanden, zusammen (5.6. in Anwesenheit von Alice de Andrade & 13.6.): CINEMA NOVO (Improvisiert und zielbewusst, BRD/Brasilien 1967) entstand für das deutsche Fernsehen. Es ist ein intimer Einblick in die Arbeitsweise der Cinema-Novo-Regisseure Glauber Rocha, Carlos Diegues, Domingos Oliveira, Arnaldo Jabor und Leon Hirszman, getreu dem Credo der Bewegung: "Eine Kamera in der Hand und eine Idee im Kopf."
A LINGUAGEM DA PERSUASÃO (The Language of Persuasion, Brasilien 1970), eine Auftragsarbeit, ist ein kritischer Blick auf Methoden und Manipulation der modernen Werbung und ein Blick auf das moderne Brasilien.
VEREDA TROPICAL (Tropical Lane, Brasilien 1977) ist eine Episode des Gemeinschaftsfilms Contos Eróticos (Erotic Stories) – die Chronik einer zarten Perversion und eine Liebeserklärung an das erotische Potential von Wassermelonen. O ALEIJADINHO (Aleijadinho, Brasilien 1978) ist eine Dokumentation über das Leben und Werk des bekanntesten Baumeisters und Bildhauers des brasilianischen Barock, Antônio Francisco Lisboa, Aleijadinho (kleiner Krüppel) genannt. Als junger Mann hatte Andrade auf Wunsch seiner Vaters an der Restaurierung einer von Aleijadinhos gebauten Kathedrale im Bundesstaat Minas Gerais mitgearbeitet.
GARRINCHA, ALEGRIA DO POVO (Garrincha, Joy of the People, Brasilien 1963, 8. & 14.6.), Andrades erster langer Dokumentarfilm, hat einen brasilianischen Helden zum Inhalt: den Fußballer Mané Garrincha, der neben Pelé hauptverantwortlich für den Erfolg Brasiliens bei den Fußball-weltmeisterschaften 1958 und 1962 war. Garrincha, dem eine Besonderheit eigen war – seine stark gekrümmten Beine – wohnte noch in seinem ärmlichen Heimatdorf wenige Kilometer vor Rio de Janeiro, wo er wie seine Freunde früher in der örtlichen Textilfabrik arbeitete. Neben dem Porträt Garrinchas zeigt der Film die Bedeutung des Fußballs in der brasilianischen Kultur und ein großartiges Panorama von Gesichtern von Fußballfans, in denen sich während eines Spiels die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen spiegelt: von atemloser Anspannung zu ausgelassener Freude und purem Entsetzen.
Davor zeigen wir den kurzen BRASÍLIA: CONTRADIÇÕES DE UMA CIDADE NOVA (Brasilia: Contra-dictions of a New City, Brasilien 1967), ein Porträt der neu erbauten Hauptstadt Brasília im sechsten Jahr ihres Bestehens. Darin widerspricht Andrade dem offiziellen Bild, das in Brasília eine Stadt ohne Klassengegensätze geschaffen haben will. Bauarbeiter, die die Stadt miterbaut haben, erzählen von stundenlangen Arbeitswegen, da sie sich keine Wohnung in Brasília leisten können.
O PADRE E A MOÇA (The Priest and the Girl, Brasilien 1965, 6. & 26.6.) Andrades erster Spielfilm erinnert in seiner thematischen und formalen Strenge an Robert Bresson. Ein junger Priester wird in ein kleines, abgelegenes Dorf versetzt. Dort trifft er auf die junge, hübsche und lebensfrohe Mariana, die unter den starren Konventionen des Dorfes zu ersticken droht. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, was die Dorfbewohner in ihrer engstirnigen Moral empört. Der Priester glaubt, Mariana retten zu müssen und überredet sie, mit ihm zu fliehen. Dabei ist er hin- und hergerissen zwischen seinem Glauben und seiner Liebe zu ihr.
Davor zeigen wir O MESTRE DE APIPUCOS (The Master of Apipucos, Brasilien 1959), ein kurzer Film über den Soziologen und Autor Gilberto Freye. Das Porträt eines intellektuellen, großbürgerlichen Lebens zwischen Garten, Küche, Schreibstube und dem täglichen Ausflug an den Strand.
OS INCONFÍDENTES (The Conspirators, Brasilien 1972, 9. & 18.6.) ist eine historische Rekonstruktion der Inconfidência Mineira, der Verschwörung von Minas, dem 1789 ersten Versuch der Erlangung der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal. Im Zentrum von Andrades Film steht das Scheitern des Aufstandes und Leutnant Joaquim José de Silva Xavier, Tiradentes genannt, der sich als einziger der Verschwörer weigerte, ein Gnadengesuch zu stellen und deswegen grausam gefoltert und umgebracht wurde. Tiradentes gehörte zu den wenigen Mitgliedern des Aufstandes, der aus dem Volk kam und ermöglichte mit dem Einstehen für seine Überzeugungen den anderen, mit relativ milden Strafen davonzukommen. Entstanden zur dunkelsten Zeit der brasilianischen Militärdiktatur, schafft OS INCONFÍDENTES eine Verbindung zwischen einem historischen Mythos und der politischen Gegenwart – ein Blick in die Vergangenheit, die zum Spiegel für die Gegenwart wird.
Davor zeigen wir COURO DE GATO (Cat Skin, Brasilien 1960), ein Film über eine Gruppe von Straßenkindern in Rio, die Katzen stehlen, um sie anschließend einem Tambourinmacher zu verkaufen, der aus Katzenhaut Trommeln baut. COURO DE GATO verband fiktive und dokumentarische Elemente – die Handlung findet vor dem Hintergrund des Karnevals statt – und wurde beim Kurzfilmfestival Oberhausen ausgezeichnet. Zwei Jahre später wurde er mit vier weiteren Kurzfilmen verschiedener Regisseure zum Episodenfilm Cinco vezes favela verbunden.
GUERRA CONJUGAL (Conjugal Warfare, Brasilien 1975, 16. & 20.6.) war Andrades satirische Annäherung an die Pornochanchada, die während der 70er Jahre in Brasilien beliebten Sexkomödien. In greller Überspitzung werden drei Geschichten von romantischer und sexueller Desillusio-nierung erzählt: Der Anwalt Osiris, der seine berufliche Macht zu Verführungszwecken einsetzt, Nelsinho, der nach der Frau sucht, die ihm das ultimative Vergnügen verschafft, und das alte Ehepaar Joãozinho und Amalia, die sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen.
O HOMEM DO PAU-BRASIL (The Brazilwood Man, Brasilien 1981, 19. & 23.6.), Andrades letzter Film, ist eine delirierende Darstellung des Lebens, der Arbeit und der Leidenschaften des brasilianischen Schriftstellers Oswald de Andrade, einer zentralen Figur der modernistischen Bewegung der 20er Jahre, dessen "Anthropophagisches Manifest" auch für Joaquim Pedro de Andrade zu einem wichtigen Einfluss wurde. Gespielt wird Oswald von einem Schauspieler und einer Schauspielerin gleichzeitig. Der männliche und der weibliche Oswald teilen sich Bett, Geliebte und Ideen, bis der weibliche den männlichen Teil auffrisst und ein neues politisches Regime, ein anthropophages Matriarchat installiert. Im Stil einer disparaten Collage gehalten, ist O HOMEM DO PAU-BRASIL Andrades komplexestes Werk.
Mit besonderem Dank an Alice de Andrade und Martin Koerber.
Joaquim Pedro de Andrades Filmen ist ein vitaler, übermütiger und ausschweifender Stil eigen. Dennoch ist jeder seiner Filme singulär in seinem Thema und seiner Erzählweise. Seine Karriere wies keine gradlinige Entwicklung auf, verlief vielmehr in Sprüngen und Bewegungen in alle Richtungen. So verschieden die Filme Andrades in Inhalt und Form auch sind, ein Grundthema haben sie alle gemeinsam: Brasilien. Alle seine Filme sind im höchsten Maße auf die brasilianische Kultur und Gesellschaft bezogen. Bis zu seinem frühen Tod 1988 konnte er nur fünf Spielfilme realisieren, nebst einem langen Dokumentarfilm und acht Kurzfilmen.
Anfang 2000 wurden auf die Initiative von Alice de Andrade, Joaquim Pedro de Andrades Tochter, sämtliche Filme Andrades digital restauriert. Eine Arbeit, die dringend nötig war: Von zahlreichen Filmen existierten überhaupt keine vorführbaren Kopien mehr und viele der noch verfügbaren Negative waren stark beschädigt. Durch die Restaurierung wieder sichtbar geworden, wurde Andrades Werk in den letzten Jahren auf zahlreichen Festivals neu entdeckt. Wir zeigen alle Filme Andrades in digitalen Kopien mit englischen Untertiteln.
Wir freuen uns, Alice de Andrade am Eröffnungswochenende im Arsenal begrüßen zu dürfen, wo sie über die Filme ihres Vaters und über die Restaurierungsarbeit sprechen wird.
O POETA DO CASTELO (The Poet of Castelo, Brasilien 1959, 4. & 11.6.) Andrades erster kurzer Film beobachtet einen Tag im Leben des Dichters Manuel Bandeira (der Andrades Patenonkel war) in seiner kleinen Wohnung in Rio de Janeiro. Ein so einfacher wie schöner Film, der weit über das schlicht Dargestellte hinausweist – die Morgenroutine eines alten und vielleicht einsamen Mannes, der im Laden frische Milch holt, sich Kaffee kocht, einen Toast macht, sich zum Frühstü-cken ans Fenster und später mit der Schreibmaschine im Pyjama ins Bett setzt, zu schreiben beginnt und einen Anruf erhält. Andrade zeigt die banalen Dinge des Alltags voller Respekt und mit einer zärtlichen Hingabe an die Melancholie des Lebens.
Wir zeigen den Film zusammen mit MACUNAÍMA (Brasilien 1969, 4.6. in Anwesenheit von Alice de Andrade & 11.6.), "die Geschichte eines Brasilianers, der von Brasilien gefressen wird." (Andrade) Der titelgebende Macunaíma kommt als Erwachsener mit schwarzer Hautfarbe auf die Welt. Durch eine Wunderquelle wird er Jahre später hellhäutig und zieht vom Dschungel in die Stadt. Dort lernt er eine bombenlegende Revolutionärin kennen, sucht und findet bei einem reichen Riesen, der in seiner Villa kannibalistische Orgien feiert, einen magischen Stein der Macht und kehrt am Ende wieder in den Busch zurück, wo er in einem See von einer Amazone verschlungen wird. MACUNAÍMA basiert auf Mario de Andrades gleichnamigem 1928 entstandenen Roman, einem Schlüsselwerk des brasilianischen Modernismo. In grotesker Opulenz und wilder Ver-schmelzung von Dschungel und Zivilisation entwirft er ein dichtes Bezugssystem zwischen all den Einflüssen, die das moderne Brasilien ausmachen. Der Film wurde zu An-drades größtem Erfolg und dem einzigen Kassenschlager des Cinema Novo. Ein Kurzfilmprogramm fasst einige von Andrades kurzen Filmen, die im Laufe seines Schaffens entstanden, zusammen (5.6. in Anwesenheit von Alice de Andrade & 13.6.): CINEMA NOVO (Improvisiert und zielbewusst, BRD/Brasilien 1967) entstand für das deutsche Fernsehen. Es ist ein intimer Einblick in die Arbeitsweise der Cinema-Novo-Regisseure Glauber Rocha, Carlos Diegues, Domingos Oliveira, Arnaldo Jabor und Leon Hirszman, getreu dem Credo der Bewegung: "Eine Kamera in der Hand und eine Idee im Kopf."
A LINGUAGEM DA PERSUASÃO (The Language of Persuasion, Brasilien 1970), eine Auftragsarbeit, ist ein kritischer Blick auf Methoden und Manipulation der modernen Werbung und ein Blick auf das moderne Brasilien.
VEREDA TROPICAL (Tropical Lane, Brasilien 1977) ist eine Episode des Gemeinschaftsfilms Contos Eróticos (Erotic Stories) – die Chronik einer zarten Perversion und eine Liebeserklärung an das erotische Potential von Wassermelonen. O ALEIJADINHO (Aleijadinho, Brasilien 1978) ist eine Dokumentation über das Leben und Werk des bekanntesten Baumeisters und Bildhauers des brasilianischen Barock, Antônio Francisco Lisboa, Aleijadinho (kleiner Krüppel) genannt. Als junger Mann hatte Andrade auf Wunsch seiner Vaters an der Restaurierung einer von Aleijadinhos gebauten Kathedrale im Bundesstaat Minas Gerais mitgearbeitet.
GARRINCHA, ALEGRIA DO POVO (Garrincha, Joy of the People, Brasilien 1963, 8. & 14.6.), Andrades erster langer Dokumentarfilm, hat einen brasilianischen Helden zum Inhalt: den Fußballer Mané Garrincha, der neben Pelé hauptverantwortlich für den Erfolg Brasiliens bei den Fußball-weltmeisterschaften 1958 und 1962 war. Garrincha, dem eine Besonderheit eigen war – seine stark gekrümmten Beine – wohnte noch in seinem ärmlichen Heimatdorf wenige Kilometer vor Rio de Janeiro, wo er wie seine Freunde früher in der örtlichen Textilfabrik arbeitete. Neben dem Porträt Garrinchas zeigt der Film die Bedeutung des Fußballs in der brasilianischen Kultur und ein großartiges Panorama von Gesichtern von Fußballfans, in denen sich während eines Spiels die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen spiegelt: von atemloser Anspannung zu ausgelassener Freude und purem Entsetzen.
Davor zeigen wir den kurzen BRASÍLIA: CONTRADIÇÕES DE UMA CIDADE NOVA (Brasilia: Contra-dictions of a New City, Brasilien 1967), ein Porträt der neu erbauten Hauptstadt Brasília im sechsten Jahr ihres Bestehens. Darin widerspricht Andrade dem offiziellen Bild, das in Brasília eine Stadt ohne Klassengegensätze geschaffen haben will. Bauarbeiter, die die Stadt miterbaut haben, erzählen von stundenlangen Arbeitswegen, da sie sich keine Wohnung in Brasília leisten können.
O PADRE E A MOÇA (The Priest and the Girl, Brasilien 1965, 6. & 26.6.) Andrades erster Spielfilm erinnert in seiner thematischen und formalen Strenge an Robert Bresson. Ein junger Priester wird in ein kleines, abgelegenes Dorf versetzt. Dort trifft er auf die junge, hübsche und lebensfrohe Mariana, die unter den starren Konventionen des Dorfes zu ersticken droht. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Freundschaft, was die Dorfbewohner in ihrer engstirnigen Moral empört. Der Priester glaubt, Mariana retten zu müssen und überredet sie, mit ihm zu fliehen. Dabei ist er hin- und hergerissen zwischen seinem Glauben und seiner Liebe zu ihr.
Davor zeigen wir O MESTRE DE APIPUCOS (The Master of Apipucos, Brasilien 1959), ein kurzer Film über den Soziologen und Autor Gilberto Freye. Das Porträt eines intellektuellen, großbürgerlichen Lebens zwischen Garten, Küche, Schreibstube und dem täglichen Ausflug an den Strand.
OS INCONFÍDENTES (The Conspirators, Brasilien 1972, 9. & 18.6.) ist eine historische Rekonstruktion der Inconfidência Mineira, der Verschwörung von Minas, dem 1789 ersten Versuch der Erlangung der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Portugal. Im Zentrum von Andrades Film steht das Scheitern des Aufstandes und Leutnant Joaquim José de Silva Xavier, Tiradentes genannt, der sich als einziger der Verschwörer weigerte, ein Gnadengesuch zu stellen und deswegen grausam gefoltert und umgebracht wurde. Tiradentes gehörte zu den wenigen Mitgliedern des Aufstandes, der aus dem Volk kam und ermöglichte mit dem Einstehen für seine Überzeugungen den anderen, mit relativ milden Strafen davonzukommen. Entstanden zur dunkelsten Zeit der brasilianischen Militärdiktatur, schafft OS INCONFÍDENTES eine Verbindung zwischen einem historischen Mythos und der politischen Gegenwart – ein Blick in die Vergangenheit, die zum Spiegel für die Gegenwart wird.
Davor zeigen wir COURO DE GATO (Cat Skin, Brasilien 1960), ein Film über eine Gruppe von Straßenkindern in Rio, die Katzen stehlen, um sie anschließend einem Tambourinmacher zu verkaufen, der aus Katzenhaut Trommeln baut. COURO DE GATO verband fiktive und dokumentarische Elemente – die Handlung findet vor dem Hintergrund des Karnevals statt – und wurde beim Kurzfilmfestival Oberhausen ausgezeichnet. Zwei Jahre später wurde er mit vier weiteren Kurzfilmen verschiedener Regisseure zum Episodenfilm Cinco vezes favela verbunden.
GUERRA CONJUGAL (Conjugal Warfare, Brasilien 1975, 16. & 20.6.) war Andrades satirische Annäherung an die Pornochanchada, die während der 70er Jahre in Brasilien beliebten Sexkomödien. In greller Überspitzung werden drei Geschichten von romantischer und sexueller Desillusio-nierung erzählt: Der Anwalt Osiris, der seine berufliche Macht zu Verführungszwecken einsetzt, Nelsinho, der nach der Frau sucht, die ihm das ultimative Vergnügen verschafft, und das alte Ehepaar Joãozinho und Amalia, die sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen.
O HOMEM DO PAU-BRASIL (The Brazilwood Man, Brasilien 1981, 19. & 23.6.), Andrades letzter Film, ist eine delirierende Darstellung des Lebens, der Arbeit und der Leidenschaften des brasilianischen Schriftstellers Oswald de Andrade, einer zentralen Figur der modernistischen Bewegung der 20er Jahre, dessen "Anthropophagisches Manifest" auch für Joaquim Pedro de Andrade zu einem wichtigen Einfluss wurde. Gespielt wird Oswald von einem Schauspieler und einer Schauspielerin gleichzeitig. Der männliche und der weibliche Oswald teilen sich Bett, Geliebte und Ideen, bis der weibliche den männlichen Teil auffrisst und ein neues politisches Regime, ein anthropophages Matriarchat installiert. Im Stil einer disparaten Collage gehalten, ist O HOMEM DO PAU-BRASIL Andrades komplexestes Werk.
Mit besonderem Dank an Alice de Andrade und Martin Koerber.