1995 präsentierte Lars von Trier im Rahmen einer Pressekonferenz zum 100. Geburtstag des Films ein feuerrotes Flugblatt: das Manifest des kurz zuvor gegründeten Kollektivs der dänischen Filmregisseure Lars von Trier, Thomas Vinterberg, Kristian Levring und Søren Kragh-Jacobsen mit dem Namen DOGMA 95. Darin kritisierten die Unterzeichner die zunehmende Wirklichkeitsentfremdung des zeitgenössischen Kinos. Dem entgegensetzen werde das DOGMA-Kollektiv künftig Filme, die sich streng an ein 10 Punkte umfassendes "Keuschheitsgelübde" halten. Das strenge Regelwerk erlaubte allein den Gebrauch von Handkameras, Dreharbeiten durften nur an Originalschauplätzen stattfinden, ohne Requisiten und Bauten, unter Verzicht auf künstliches Licht oder Filter. Bis zur Auflösung der Gruppe im Jahre 2005 entstanden international über 30 "zertifizierte DOGMA-Filme". Wir zeigen die ersten beiden DOGMA-95-Filme FESTEN (Das Fest, Thomas Vinterberg, DK 1998, 1. & 2.1.) und IDIOTERNE (Idioten, Lars von Trier, DK 1998, 3. & 4.1.) Mit flirrender Handkamera eine Orientierung im Raum und in den Beziehungen zunächst fast verhindernd, zeigt FESTEN den Verlauf des 60. Geburtstags des Familienoberhaupts. Als der Sohn den Vater öffentlich beschuldigt, ihn als kleines Kind sexuell missbraucht zu haben, tun sich hinter der großbürgerlichen Fassade Abgründe auf – der Festsaal wird zum Austragungsort einer schonungslosen Abrechnung. IDIOTERNE zeigt eine Gruppe Erwachsener, die sich in einer Art Experiment als Men-schen mit geistiger Behinderung ausgeben. Neben der Provokation ihrer Umwelt besteht ihr Ziel darin, einen idealistischen Zustand der Unschuld zu erlangen. Zunehmend verwischt sich die Grenze zwischen Wahn und Spiel.
Das sog. Oberhausener Manifest von 1962 ist das wahrscheinlich bekannteste deutsche Film-Manifest der Nachkriegszeit. Mit einem vergleichsweise kurzen Text, aber sehr selbstbewusst, erklärten die 26 Unterzeichner ihren "Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. (…) Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. (…) Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen." Der "alte Film", die bundesrepublikanische Filmindustrie, Sammelbecken für Massenware der konventionellsten Art, stand Anfang der 60er Jahre auch finanziell am Tiefpunkt. Die ersten abendfüllenden Spielfilme im Geiste des Oberhausener Manifests entstanden Mitte der 60er Jahre. National wie international erregte der Neue Deutsche Film Aufsehen: vielfältig in Stil und Inhalt, experimentierfreudig, mit einem schonungslos-scharfen Blick auf Deutschland, seine Gesellschaft und die bundesrepublikanische Politik. Am 5. & 6.1. zeigen wir eine Reihe von Kurzfilmen einiger Unterzeichner des Oberhausener Manifests: LEHRER IM WANDEL (Alexander Kluge, 1963), GESCHWINDIGKEIT. KINO EINS (Edgar Reitz, 1963), WENN ICH CHEF WÄRE (Hans-Jürgen Pohland, 1962) und andere Filme.
"Ich glaube an die künftige Auflösung der beiden äußerlich so wider-sprüchlichen Zustände – Traum und Wirklichkeit – in einer Art von absoluter Wirklichkeit, der Surrealität." In seinem 1. Manifest des Surrealismus definierte André Breton 1924 den Surrealismus als "psychischen Automatismus", bei dem das freie Spiel der Gedanken nicht durch die Vernunft kontrolliert werden sollte. Die intensive Beschäftigung mit Träumen, Fantasien und Gefühlswelten sollte zur Erkenntnis einer höheren Wirklichkeit führen. Der Schlüsselfilm des Surrealismus ist L'ÂGE D'OR (Das goldene Zeitalter, Luis Buñuel, F 1930, 7. & 8.1.), der in unmittelbarer Folge von Bretons 2. Manifest des Surrealismus entstand. Die Flut von Bildern, Metaphern und Symbolen in L'ÂGE D'OR war ein provokatives Pamphlet gegen die gesellschaftliche Ordnung der damaligen Zeit und führte zu erbittertem Widerstand von Seiten der Kirche und des Staates. "L'ÂGE D'OR ist der einzige Film meiner Karriere, den ich in einem Zustand von Euphorie, Enthusiasmus und Zerstörungsrausch drehte. Es war die damalige Epoche, die einen solchen Geisteszustand hervorbrachte, und ich fühlte mich nicht allein: Die ganze Gruppe der Surrealisten stand hinter mir." (Luis Buñuel)
Zur selben Zeit entstand LE SANG D'UN POÈTE (Das Blut eines Dichters, Jean Cocteau, F 1930, 9. & 10.1.), der immer wieder dem Surrealismus zugeordnet wird. Für Cocteau selbst war sein Film eher eine "realistische Dokumentation irrealer Ereignisse". Der zu Beginn des Films berstende Schornstein steht sinnbildlich für das Aufbrechen aller filmischen Regeln von Raum und Zeit. Ein Film voller poetischer Einfälle, skurriler Widersprüche, paradoxer Erfindungen, traumhafter, unwirklicher Episoden.
Wenig bekannt ist das Manifest einer Gruppe taiwanesischer Regisseure, Filmschaffender und Journalisten um Hou Hsiao-hsien und Edward Yang, die 1987 ihre Sorge um den taiwanesischen Film formulierten und gleichzeitig eine bessere Filmpolitik und angemessene Unterstützung für unabhängige Produktionen forderten. Kulturpolitik, öffentliche Medien sowie die Filmkritik wurden aufgefordert, den Film nicht länger als Propagandainstrument oder auflagenstärkendes Gesellschaftsereignis anzusehen, und Filmformen, die sich jenseits des Mainstreams befinden, nicht länger zu belächeln. Im Tonfall vergleichsweise milde, aber in der Schilderung einzelner Beispiele schonungslos entlarvend, ist das Manifest nicht nur beeindruckendes Zeugnis des Engagements eines Teils der taiwanesischen Filmszene, sondern auch ein Grundstein der Taiwanesischen Neuen Welle.
Mentor dieser Bewegung war zweifellos Hou Hsiao-hsien, dessen BEI-QING CHENGSHI (A City of Sadness, Taiwan 1989, 11. & 12.1) das Schicksal des Landes im Spiegel des Lebenswegs einer Familie zeigt. Die Söhne einer taiwanesischen Großfamilie, eine junge Krankenschwester, die den taubstummen jüngsten Sohn liebt, sowie ihr Bruder werden zwischen 1945 und 1949 in die Unruhen und Wirrnisse im Land verwickelt, als Taiwan zum Spielball im Machtkampf zwischen Nationalchinesen und Kommunisten wird. Der Film wurde als erster chinesischsprachiger Film 1989 in Venedig mit dem Hauptpreis geehrt.
Neben Hou und dem jüngeren Tsai Ming-liang war der 2007 verstorbene Edward Yang der bedeutendste Regisseur Taiwans. Sein vierter Film A BRIGHTER SUMMER DAY (Taiwan 1991, 13. & 20.1.) thematisiert die Unsicherheit, Gewalt und Zerstörung, die das Leben der Mitglieder von Jugendbanden im Taipeh der Jahre 1960/61 beherrschen. Als ein 14-jähriger Schüler zwischen die Fronten verfeindeter Banden gerät, eskalieren die mörderischen Kämpfe. Die inhaltlichen Konflikte finden ihre ästhetische Entsprechung in der virtuosen Verschränkung unterschiedlicher Stilformen.
Im Schatten von Sergej Eisensteins 1923 veröffentlichtem Manifest Montage der Attraktionen steht sein gemeinsam mit Wsewolod Pudowkin und Grigori Alexandrow verfasstes Manifest zum Tonfilm (1928), in dem es heißt: "Der Traum vom Tonfilm ist Wirklichkeit geworden. Die ganze Welt spricht von dem schweigenden Gegenstand, der sprechen gelernt hat." Doch "eine falsche Auffassung von den Möglichkeiten innerhalb die-ser neuen technischen Entdeckung könnte nicht nur die Entwicklung und Perfektionierung des Films als Kunst behindern, sondern sie droht auch alle seine gegenwärtigen formalen Leistungen zu zerstören. (…) Jegliche Übereinstimmung zwischen dem Ton und einem visuellen Montage-Bestandteil schadet dem Montagestück, indem es dieses von seiner Bedeutung löst. (…) Nur eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil wird neue Möglichkeiten der Montage-Entwicklung und Montage-Perfektion erlauben." Ein beeindruckendes Beispiel praktischer Umsetzung der kontrapunktischen Verwendung des Tons ist Wsewolod Pudowkins erster Tonfilm DESERTIR (UdSSR 1933, 14.1. mit Einführung von Eunice Martins: "Vom Tonfilmmanifest Eisensteins zur Stummfilmimprovisation" & 19.1.), in dem die Tonspur einen eigenständigen, vom Bild unabhängigen Rhythmus entwickelt. Zum Teil in Deutschland gedreht, handelt der Film von einem Hafenarbeiter, der zum Streikbrecher wird, dann jedoch von seinen kommunistischen Kollegen eine zweite Chance erhält.
Dsiga Wertow ist nicht nur einer der bedeutendsten Pioniere der frühen Filmgeschichte, sondern auch einer der ersten Filmtheoretiker, der vor allem durch seine bahnbrechenden Schriften zum Dokumentarfilm und seine militanten Manifeste bekannt geworden ist. In Wir. Varianten eines Manifestes (Wertow, 1922) schreibt er: "Wir erklären die alten Kinofilme, die romantizistischen, theatralisierten u.a. für aussätzig. – Nicht nahe kommen! – Nicht anschauen! – Lebensgefährlich! – Ansteckend! (…) Wir fordern: Weg von den süßdurchfeuchteten Romanzen, vom Gift des psychologischen Romans, aus den Fängen des Liebhabertheaters, mit dem Rücken zur Musik! Weg!" Wir ist gleichzeitig auch das Gründungsmanifest der Kinoki, einer Gruppe junger Dokumentarfilmregisseure um Wertow. "Wir nennen uns Kinoki im Unterschied zu den 'Kinematographisten' – der Herde von Trödlern, die nicht übel mit ihren Lappen handeln." Für die Kinoki ist "das Grundlegendste und Wichtigste die filmische Wahrnehmung der Welt", mithilfe der Filmkamera, des Kinoglas (Kino-Auge), welches "vollkommener ist, als das menschliche Auge". Auch der Eingangstext zu Wertows bekanntestem Film TSCHELOWJEK S KINOAPPARATOM (Der Mann mit der Kamera, UdSSR 1929, 16. & 17.1., am Flügel: Eunice Martins) gleicht einem Kurzmanifest: "Diese experimentelle Arbeit hat das Ziel, eine wahrhaft internationale, absolute Filmsprache zu erschaffen, welche auf der totalen Abgrenzung von der Sprache des Theaters und der Literatur basiert." Es folgt Wertows Variante einer Stadtsinfonie: ein Strom von Bildern, die die verschiedenen Facetten eines Tages im bewegten Moskauer Leben illustrieren.
In der Wortwahl ähnlich kämpferisch wie Wertow, doch formal und inhaltlich eher an die Bewegung des Free Cinema oder der Nouvelle Vague anknüpfend, positionierte sich 1960 die New American Cinema Group mit einem Manifest, das mit den folgenden Sätzen endet:
"Gemeinsame Überzeugungen, gemeinsames Wissen, gemeinsamer Zorn und gemeinsame Ungeduld verbinden uns. (…) Wir haben die 'Große Lüge' im Leben und in der Kunst satt. Wir wollen keine falschen, auf Hochglanz polierten, glatten Filme – wir wollen sie rau, ungeglättet, aber lebendig; wir wollen keine Filme in rosa – wir wollen sie rot wie das Blut." Der Zusammenschluss einer Gruppe New Yorker unabhängiger Filmemacher, Produzenten und Verleiher um Jonas Mekas, Kenneth Anger, John Cassa-vetes, Shirley Clarke, Emile de Antonio u.a. erfolgte mit dem Ziel, eine Diskussions- und Verleihplattform für den künstlerischen, avantgardistischen, unabhängigen Film zu schaffen.
COOL WORLD (Shirley Clarke, USA 1964, 22., 23. & 24.1.) zählt zu den zentralen Werken des New American Cinema. Das dem Cinéma vérité verpflichtete, unversöhnliche Schwarz-weiß-Porträt einer Gruppe von Teenagern aus Harlem, deren Alltag von Diskriminierung, Streitigkeiten, Drogen, kleinen Diebstählen und Gewalt geprägt ist, wurde an Originalschauplätzen mit Laiendarstellern gedreht.
REMINISCENCES FROM A JOURNEY TO LITHUANIA (Jonas Mekas, USA 1971, 27.1.) – ein Filmgedicht des "Leiters" der New American Cinema Group als Zeugnis einer Reise in die Vergangenheit, zu den Ursprüngen, zu den Quellen: jenen der Herkunft und jenen des Mediums.
Auch wenn es bekanntermaßen kein legitimiertes, zentrales Manifest der Nouvelle Vague gibt, zählen zwei Texte François Truffauts mit manifestartigem Charakter aus seiner Zeit als Filmkritiker als wichtige Wegbereiter der französischen Bewegung. Der bereits 1954 erschienene Artikel Eine gewisse Tendenz im französischen Film ist eine sarkastische Analyse der Schwächen des etablierten Films, der der "Tradition der Qualität" verhaftet ist. Der zweite Text entstand 1957: unter dem Titel Der französische Film krepiert an den falschen Legenden verteidigt Truffaut das Konzept des Autorenfilms und endet mit den Worten: "Ich stelle mir den Film von morgen vor wie ein Bekenntnis oder wie ein Tagebuch. Die jungen Filmer werden sich in der ersten Person ausdrücken und schildern, was ihnen widerfahren ist, und es müsste fast notgedrungen ankommen, weil es wahr und neu wäre. (…) Der Film von morgen wird ein Akt der Liebe sein."
Zwei Jahre später entstand Truffauts meisterliches Debüt: LES 400 COUPS (Sie küssten und sie schlugen ihn, F 1959, 29. & 31.1.) Mit der Geschichte des zwölfjährigen Antoine, der auf die schiefe Bahn kommt und schließlich in einer Besserungsanstalt landet, erzählt Truffaut verschlüsselt und völlig unsentimental seine eigene Jugend. In seinem Text von 1954 hebt Truffaut die "neuartige Konzeption" in Robert Bressons LES DAMES DU BOIS DE BOULOGNE (F 1945, 26. & 28.1.) hervor, die trotz der Arbeit mit professionellen Schauspielern im Vergleich zu späteren Filmen, opulenten Bildern und elaborierten Kamerabewegungen klar erkennbar ist. Die Tragödie um eine Frau, die Rache an ihrem Ex-Liebhaber nimmt und ihn zu einer unstandesgemäßen Ehe zwingt, ist jenseits einer scheinbar realistischen Inszenierung auf das Wesentliche reduziert und zeugt von einem scharfen Blick für die gesellschaftlichen Verhältnisse.
Das sog. Oberhausener Manifest von 1962 ist das wahrscheinlich bekannteste deutsche Film-Manifest der Nachkriegszeit. Mit einem vergleichsweise kurzen Text, aber sehr selbstbewusst, erklärten die 26 Unterzeichner ihren "Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. (…) Wir haben von der Produktion des neuen deutschen Films konkrete geistige, formale und wirtschaftliche Vorstellungen. (…) Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen." Der "alte Film", die bundesrepublikanische Filmindustrie, Sammelbecken für Massenware der konventionellsten Art, stand Anfang der 60er Jahre auch finanziell am Tiefpunkt. Die ersten abendfüllenden Spielfilme im Geiste des Oberhausener Manifests entstanden Mitte der 60er Jahre. National wie international erregte der Neue Deutsche Film Aufsehen: vielfältig in Stil und Inhalt, experimentierfreudig, mit einem schonungslos-scharfen Blick auf Deutschland, seine Gesellschaft und die bundesrepublikanische Politik. Am 5. & 6.1. zeigen wir eine Reihe von Kurzfilmen einiger Unterzeichner des Oberhausener Manifests: LEHRER IM WANDEL (Alexander Kluge, 1963), GESCHWINDIGKEIT. KINO EINS (Edgar Reitz, 1963), WENN ICH CHEF WÄRE (Hans-Jürgen Pohland, 1962) und andere Filme.
"Ich glaube an die künftige Auflösung der beiden äußerlich so wider-sprüchlichen Zustände – Traum und Wirklichkeit – in einer Art von absoluter Wirklichkeit, der Surrealität." In seinem 1. Manifest des Surrealismus definierte André Breton 1924 den Surrealismus als "psychischen Automatismus", bei dem das freie Spiel der Gedanken nicht durch die Vernunft kontrolliert werden sollte. Die intensive Beschäftigung mit Träumen, Fantasien und Gefühlswelten sollte zur Erkenntnis einer höheren Wirklichkeit führen. Der Schlüsselfilm des Surrealismus ist L'ÂGE D'OR (Das goldene Zeitalter, Luis Buñuel, F 1930, 7. & 8.1.), der in unmittelbarer Folge von Bretons 2. Manifest des Surrealismus entstand. Die Flut von Bildern, Metaphern und Symbolen in L'ÂGE D'OR war ein provokatives Pamphlet gegen die gesellschaftliche Ordnung der damaligen Zeit und führte zu erbittertem Widerstand von Seiten der Kirche und des Staates. "L'ÂGE D'OR ist der einzige Film meiner Karriere, den ich in einem Zustand von Euphorie, Enthusiasmus und Zerstörungsrausch drehte. Es war die damalige Epoche, die einen solchen Geisteszustand hervorbrachte, und ich fühlte mich nicht allein: Die ganze Gruppe der Surrealisten stand hinter mir." (Luis Buñuel)
Zur selben Zeit entstand LE SANG D'UN POÈTE (Das Blut eines Dichters, Jean Cocteau, F 1930, 9. & 10.1.), der immer wieder dem Surrealismus zugeordnet wird. Für Cocteau selbst war sein Film eher eine "realistische Dokumentation irrealer Ereignisse". Der zu Beginn des Films berstende Schornstein steht sinnbildlich für das Aufbrechen aller filmischen Regeln von Raum und Zeit. Ein Film voller poetischer Einfälle, skurriler Widersprüche, paradoxer Erfindungen, traumhafter, unwirklicher Episoden.
Wenig bekannt ist das Manifest einer Gruppe taiwanesischer Regisseure, Filmschaffender und Journalisten um Hou Hsiao-hsien und Edward Yang, die 1987 ihre Sorge um den taiwanesischen Film formulierten und gleichzeitig eine bessere Filmpolitik und angemessene Unterstützung für unabhängige Produktionen forderten. Kulturpolitik, öffentliche Medien sowie die Filmkritik wurden aufgefordert, den Film nicht länger als Propagandainstrument oder auflagenstärkendes Gesellschaftsereignis anzusehen, und Filmformen, die sich jenseits des Mainstreams befinden, nicht länger zu belächeln. Im Tonfall vergleichsweise milde, aber in der Schilderung einzelner Beispiele schonungslos entlarvend, ist das Manifest nicht nur beeindruckendes Zeugnis des Engagements eines Teils der taiwanesischen Filmszene, sondern auch ein Grundstein der Taiwanesischen Neuen Welle.
Mentor dieser Bewegung war zweifellos Hou Hsiao-hsien, dessen BEI-QING CHENGSHI (A City of Sadness, Taiwan 1989, 11. & 12.1) das Schicksal des Landes im Spiegel des Lebenswegs einer Familie zeigt. Die Söhne einer taiwanesischen Großfamilie, eine junge Krankenschwester, die den taubstummen jüngsten Sohn liebt, sowie ihr Bruder werden zwischen 1945 und 1949 in die Unruhen und Wirrnisse im Land verwickelt, als Taiwan zum Spielball im Machtkampf zwischen Nationalchinesen und Kommunisten wird. Der Film wurde als erster chinesischsprachiger Film 1989 in Venedig mit dem Hauptpreis geehrt.
Neben Hou und dem jüngeren Tsai Ming-liang war der 2007 verstorbene Edward Yang der bedeutendste Regisseur Taiwans. Sein vierter Film A BRIGHTER SUMMER DAY (Taiwan 1991, 13. & 20.1.) thematisiert die Unsicherheit, Gewalt und Zerstörung, die das Leben der Mitglieder von Jugendbanden im Taipeh der Jahre 1960/61 beherrschen. Als ein 14-jähriger Schüler zwischen die Fronten verfeindeter Banden gerät, eskalieren die mörderischen Kämpfe. Die inhaltlichen Konflikte finden ihre ästhetische Entsprechung in der virtuosen Verschränkung unterschiedlicher Stilformen.
Im Schatten von Sergej Eisensteins 1923 veröffentlichtem Manifest Montage der Attraktionen steht sein gemeinsam mit Wsewolod Pudowkin und Grigori Alexandrow verfasstes Manifest zum Tonfilm (1928), in dem es heißt: "Der Traum vom Tonfilm ist Wirklichkeit geworden. Die ganze Welt spricht von dem schweigenden Gegenstand, der sprechen gelernt hat." Doch "eine falsche Auffassung von den Möglichkeiten innerhalb die-ser neuen technischen Entdeckung könnte nicht nur die Entwicklung und Perfektionierung des Films als Kunst behindern, sondern sie droht auch alle seine gegenwärtigen formalen Leistungen zu zerstören. (…) Jegliche Übereinstimmung zwischen dem Ton und einem visuellen Montage-Bestandteil schadet dem Montagestück, indem es dieses von seiner Bedeutung löst. (…) Nur eine kontrapunktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Bestandteil wird neue Möglichkeiten der Montage-Entwicklung und Montage-Perfektion erlauben." Ein beeindruckendes Beispiel praktischer Umsetzung der kontrapunktischen Verwendung des Tons ist Wsewolod Pudowkins erster Tonfilm DESERTIR (UdSSR 1933, 14.1. mit Einführung von Eunice Martins: "Vom Tonfilmmanifest Eisensteins zur Stummfilmimprovisation" & 19.1.), in dem die Tonspur einen eigenständigen, vom Bild unabhängigen Rhythmus entwickelt. Zum Teil in Deutschland gedreht, handelt der Film von einem Hafenarbeiter, der zum Streikbrecher wird, dann jedoch von seinen kommunistischen Kollegen eine zweite Chance erhält.
Dsiga Wertow ist nicht nur einer der bedeutendsten Pioniere der frühen Filmgeschichte, sondern auch einer der ersten Filmtheoretiker, der vor allem durch seine bahnbrechenden Schriften zum Dokumentarfilm und seine militanten Manifeste bekannt geworden ist. In Wir. Varianten eines Manifestes (Wertow, 1922) schreibt er: "Wir erklären die alten Kinofilme, die romantizistischen, theatralisierten u.a. für aussätzig. – Nicht nahe kommen! – Nicht anschauen! – Lebensgefährlich! – Ansteckend! (…) Wir fordern: Weg von den süßdurchfeuchteten Romanzen, vom Gift des psychologischen Romans, aus den Fängen des Liebhabertheaters, mit dem Rücken zur Musik! Weg!" Wir ist gleichzeitig auch das Gründungsmanifest der Kinoki, einer Gruppe junger Dokumentarfilmregisseure um Wertow. "Wir nennen uns Kinoki im Unterschied zu den 'Kinematographisten' – der Herde von Trödlern, die nicht übel mit ihren Lappen handeln." Für die Kinoki ist "das Grundlegendste und Wichtigste die filmische Wahrnehmung der Welt", mithilfe der Filmkamera, des Kinoglas (Kino-Auge), welches "vollkommener ist, als das menschliche Auge". Auch der Eingangstext zu Wertows bekanntestem Film TSCHELOWJEK S KINOAPPARATOM (Der Mann mit der Kamera, UdSSR 1929, 16. & 17.1., am Flügel: Eunice Martins) gleicht einem Kurzmanifest: "Diese experimentelle Arbeit hat das Ziel, eine wahrhaft internationale, absolute Filmsprache zu erschaffen, welche auf der totalen Abgrenzung von der Sprache des Theaters und der Literatur basiert." Es folgt Wertows Variante einer Stadtsinfonie: ein Strom von Bildern, die die verschiedenen Facetten eines Tages im bewegten Moskauer Leben illustrieren.
In der Wortwahl ähnlich kämpferisch wie Wertow, doch formal und inhaltlich eher an die Bewegung des Free Cinema oder der Nouvelle Vague anknüpfend, positionierte sich 1960 die New American Cinema Group mit einem Manifest, das mit den folgenden Sätzen endet:
"Gemeinsame Überzeugungen, gemeinsames Wissen, gemeinsamer Zorn und gemeinsame Ungeduld verbinden uns. (…) Wir haben die 'Große Lüge' im Leben und in der Kunst satt. Wir wollen keine falschen, auf Hochglanz polierten, glatten Filme – wir wollen sie rau, ungeglättet, aber lebendig; wir wollen keine Filme in rosa – wir wollen sie rot wie das Blut." Der Zusammenschluss einer Gruppe New Yorker unabhängiger Filmemacher, Produzenten und Verleiher um Jonas Mekas, Kenneth Anger, John Cassa-vetes, Shirley Clarke, Emile de Antonio u.a. erfolgte mit dem Ziel, eine Diskussions- und Verleihplattform für den künstlerischen, avantgardistischen, unabhängigen Film zu schaffen.
COOL WORLD (Shirley Clarke, USA 1964, 22., 23. & 24.1.) zählt zu den zentralen Werken des New American Cinema. Das dem Cinéma vérité verpflichtete, unversöhnliche Schwarz-weiß-Porträt einer Gruppe von Teenagern aus Harlem, deren Alltag von Diskriminierung, Streitigkeiten, Drogen, kleinen Diebstählen und Gewalt geprägt ist, wurde an Originalschauplätzen mit Laiendarstellern gedreht.
REMINISCENCES FROM A JOURNEY TO LITHUANIA (Jonas Mekas, USA 1971, 27.1.) – ein Filmgedicht des "Leiters" der New American Cinema Group als Zeugnis einer Reise in die Vergangenheit, zu den Ursprüngen, zu den Quellen: jenen der Herkunft und jenen des Mediums.
Auch wenn es bekanntermaßen kein legitimiertes, zentrales Manifest der Nouvelle Vague gibt, zählen zwei Texte François Truffauts mit manifestartigem Charakter aus seiner Zeit als Filmkritiker als wichtige Wegbereiter der französischen Bewegung. Der bereits 1954 erschienene Artikel Eine gewisse Tendenz im französischen Film ist eine sarkastische Analyse der Schwächen des etablierten Films, der der "Tradition der Qualität" verhaftet ist. Der zweite Text entstand 1957: unter dem Titel Der französische Film krepiert an den falschen Legenden verteidigt Truffaut das Konzept des Autorenfilms und endet mit den Worten: "Ich stelle mir den Film von morgen vor wie ein Bekenntnis oder wie ein Tagebuch. Die jungen Filmer werden sich in der ersten Person ausdrücken und schildern, was ihnen widerfahren ist, und es müsste fast notgedrungen ankommen, weil es wahr und neu wäre. (…) Der Film von morgen wird ein Akt der Liebe sein."
Zwei Jahre später entstand Truffauts meisterliches Debüt: LES 400 COUPS (Sie küssten und sie schlugen ihn, F 1959, 29. & 31.1.) Mit der Geschichte des zwölfjährigen Antoine, der auf die schiefe Bahn kommt und schließlich in einer Besserungsanstalt landet, erzählt Truffaut verschlüsselt und völlig unsentimental seine eigene Jugend. In seinem Text von 1954 hebt Truffaut die "neuartige Konzeption" in Robert Bressons LES DAMES DU BOIS DE BOULOGNE (F 1945, 26. & 28.1.) hervor, die trotz der Arbeit mit professionellen Schauspielern im Vergleich zu späteren Filmen, opulenten Bildern und elaborierten Kamerabewegungen klar erkennbar ist. Die Tragödie um eine Frau, die Rache an ihrem Ex-Liebhaber nimmt und ihn zu einer unstandesgemäßen Ehe zwingt, ist jenseits einer scheinbar realistischen Inszenierung auf das Wesentliche reduziert und zeugt von einem scharfen Blick für die gesellschaftlichen Verhältnisse.