Doch auch das Spiel mit der Sprache, die Lust am Sprechen, den exzessiven Einsatz, die besondere Stilisierung, die Konfrontation von Sprachebenen und -stilen wollen wir anhand einiger Beispiele aufzeigen. Durch das bewusste Abrücken von normierten Sprachmustern und das Erzeugen von neuen Sprach- und Stimmlandschaften eröffnen die Filme nicht nur neue Identifikationsmöglichkeiten und Bedeutungsachsen, sondern markieren Verbalität als eigenständiges künstlerisches Ausdrucksmittel, welches weit über seine Funktion als Vehikel eines Textes hinausgeht.
SINGIN' IN THE RAIN (Stanley Donen / Gene Kelly, USA 1952, 1., 2. & 3.4.) Hollywood im Moment der Umstellung auf den Tonfilm. Eine erfolgsverwöhnte Stummfilmdiva unterliegt in Herzensdingen und was die berufliche Karriere angeht einer talentierten Tänzerin und deren Stimme. Kein Musical hat sich je wieder zugleich satirisch demontiert und grandios neu erfunden. Temperament, Technicolor und Perfektion markieren diesen filmischen Höhepunkt des Filmmusical-Genres.
SUNSET BOULEVARD (Billy Wilder, USA 1950, 4. & 5.4.) "Psss!" – "Ich passe!" In diesem Laut, fast tonlos gezischt von dem großen Stummfilm-Komiker Buster Keaton, steckt das Thema des Films: das Scheitern der Stummfilmschauspielerin Norma Desmond, die den mittellosen Dreh-buchautor Joe Gillis an sich bindet und ihn in ihre Abhängigkeit bringt. Eine Studie über die fließenden Grenzen von Traum und Wirklichkeit, nachgezeichnet und kommentiert von Gillis' Stimme aus dem jenseitigen Off. Wie Norma, der das Zusammenspiel von Bild und Stimme im Film versagt bleibt, existiert auch Gillis letztlich nur als körperlose Stimme.
THE CONVERSATION (Francis Ford Coppola, USA 1974, 6. & 7.4.) Verschwindende und wieder-kehrende Stimmen aufgezeichneter Unterhaltungen unterlegt von irritierenden elektronischen Interferenzen bilden das akustische Leitmotiv von Coppolas minutiöser Studie vom Eindringen der Technik in die Intimsphäre des Menschen. Im Auftrag eines Firmenbesitzers belauscht Privatde-tektiv Harry Caul ein junges Paar, bis er die beiden plötzlich in Lebensgefahr wähnt. Ein beeindruckendes Dokument über die Macht der körperlosen Stimmen und bilderlosen Sprache.
INDIA SONG (Marguerite Duras, F 1975, 8., 9. & 10.4.) Vier Stimmen erzählen abwechselnd im On und im Off die Geschichte unerfüllter Sehnsüchte zweier Angehöriger des Diplomatischen Corps im Indien der 30er Jahre. Die realen Schauplätze treten in den Hintergrund, die Text- und Sprachcollage und die Schauspieler werden zur Projektionsfläche für die Fantasien, Gedanken und Gefühle der Zuschauer. Ein komplexes Filmgedicht über Leidenschaft und Erstarrung, über Erinnerung und Zerfall.
L'ESQUIVE (Abdellatif Kechiche, Frankreich 2003, 11. & 12.4.) Der rhythmisch aggressive Vorortslang der Pariser Banlieue und Marivaux' Theatersprache des 18. Jahrhunderts bilden die Kontrapunkte dieses temperamentvollen Sprachkunstwerks. Lydia beherrscht beide Sprachen: nach rapartigen Wortduellen, die sie sich mit anderen Jugendlichen liefert, taucht sie ein in die Kunstsprache des französischen Theaterklassikers Spiel von Liebe und Zufall, den sie mit ihrer Klasse probt. Ausgerechnet auf dieser Bühne will Krimo Lydia seine Liebe gestehen.
DO THE RIGHT THING (Spike Lee, USA 1988, 13. & 15.4.) Grundstein des New Black Cinema und furioses Statement zum Stand des inneramerikanischen Rassismus Ende der 80er Jahre. Durchzogen von zuvor kaum in dieser Weise gehörtem Brooklyn-Slang afroamerikanischer, italienischer und koreanischer Färbung entladen sich die zunehmend hitzigen Wortgefechte am Ende eines heißen Tages in einem Brandanschlag, angekündigt von Public Enemys Fight the Power.
LE MÉPRIS (Die Verachtung, Jean-Luc Godard, F 1963, 14. & 16.4.) "Das Wort erzeugt Verwirrung. Nie ist das Gesprochene auch das Gedachte oder das Vernommene auch das Gemeinte." (Helmut Merker) Die Missverständnisse sind weniger den vier unterschiedlichen Sprachen geschuldet, die im Film gesprochen werden, als den diffusen Abhängigkeiten, dem fehlenden Verständnis und falschverstandenen Loyalitäten. Inmitten der zahlreichen Zitate und Verweise gerinnt das Sprechen zum Vehikel hohler Phrasen.
ANTIGONE (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, F / D 1991, 18. & 23.4.) Sophokles' antikes Trauerspiel um Antigone, die ihren in der Schlacht gefallenen Bruder gegen das Verbot des Herrschers von Theben beisetzt und dafür hingerichtet wird, dargeboten in einem Freiluft-Theater. "Das rhythmische Stocken, Vers um Vers, kommt aus der beherrschten Aufregung, im Sinne des Goetheschen 'Denn ich sprach nur aus, was in mir aufgeregt, nicht aber was ich gelesen hatte'; und insbesondere haben die Sprecher, wenn sie ein Geschehen beschreiben oder erzählen, beständig das Bild, die Bilder davon in der Brust, bewahren diese im Reden, das ihnen so aufgeregt wie sachlich folgt und sich derart als Beschwörung anhört, dementsprechend natürlichst in Versform." (Peter Handke)
LES DOIGTS DANS LA TÊTE (Die Finger im Kopf, Jacques Doillon, F 1974, 17. & 24.4.) Ein Sprechfilm im wahrsten Sinne. Bereits in seinem Debüt erkennt man verschiedene Elemente, die später konstitutiv für Doillons Arbeit werden: sein Interesse für die Welt der Kinder und Jugendlichen, die Arbeit mit Laien sowie die Dialoge und das Sprechen. Nachdem der Bäckerlehrling Chris gefeuert wurde, soll er sein Zimmer räumen. Statt dessen verbarrikadiert er sich mit Léon, Rosette und Liv in seiner Mansarde. Auf engem Raum sprechen die vier über ihre Wünsche, Träume und Ängste.
Die Einführung des Tonfilms setzte der relativen Internationalität des Films Ende der 20er Jahre ein jähes Ende. Ein Versuch der Überwindung der neu entstandenen Sprachbarriere war die Produktion von unterschiedlichen Sprachversionen (deutsch, französisch, englisch) ein- und desselben Films. Bis in die frühen 30er Jahre entstand so eine Reihe von Filmen mit fast identischen Plots, denselben Dekors und Technikern, zum Teil mit denselben Schauspielern nur in unterschiedlichen Sprachen. Zur Illustration dieser gängigen Praxis zeigen wir Josef von Sternbergs berühmte Heinrich Mann / Professor Unrat-Verfilmung DER BLAUE ENGEL (D 1930, 30.4.) in der deutschen und englisch-deutschen Sprachfassung mit dem Titel THE BLUE ANGEL (29.4.). Im Unterschied zu anderen Produktionen spielten viele der Schauspieler in beiden Sprachfassungen mit, so auch Marlene Dietrich und Emil Jannings, dessen Englisch im Gegensatz zu seiner aufstrebenden Schauspielerkollegin phasenweise unfreiwillig skurrile Züge trägt.
SINGIN' IN THE RAIN (Stanley Donen / Gene Kelly, USA 1952, 1., 2. & 3.4.) Hollywood im Moment der Umstellung auf den Tonfilm. Eine erfolgsverwöhnte Stummfilmdiva unterliegt in Herzensdingen und was die berufliche Karriere angeht einer talentierten Tänzerin und deren Stimme. Kein Musical hat sich je wieder zugleich satirisch demontiert und grandios neu erfunden. Temperament, Technicolor und Perfektion markieren diesen filmischen Höhepunkt des Filmmusical-Genres.
SUNSET BOULEVARD (Billy Wilder, USA 1950, 4. & 5.4.) "Psss!" – "Ich passe!" In diesem Laut, fast tonlos gezischt von dem großen Stummfilm-Komiker Buster Keaton, steckt das Thema des Films: das Scheitern der Stummfilmschauspielerin Norma Desmond, die den mittellosen Dreh-buchautor Joe Gillis an sich bindet und ihn in ihre Abhängigkeit bringt. Eine Studie über die fließenden Grenzen von Traum und Wirklichkeit, nachgezeichnet und kommentiert von Gillis' Stimme aus dem jenseitigen Off. Wie Norma, der das Zusammenspiel von Bild und Stimme im Film versagt bleibt, existiert auch Gillis letztlich nur als körperlose Stimme.
THE CONVERSATION (Francis Ford Coppola, USA 1974, 6. & 7.4.) Verschwindende und wieder-kehrende Stimmen aufgezeichneter Unterhaltungen unterlegt von irritierenden elektronischen Interferenzen bilden das akustische Leitmotiv von Coppolas minutiöser Studie vom Eindringen der Technik in die Intimsphäre des Menschen. Im Auftrag eines Firmenbesitzers belauscht Privatde-tektiv Harry Caul ein junges Paar, bis er die beiden plötzlich in Lebensgefahr wähnt. Ein beeindruckendes Dokument über die Macht der körperlosen Stimmen und bilderlosen Sprache.
INDIA SONG (Marguerite Duras, F 1975, 8., 9. & 10.4.) Vier Stimmen erzählen abwechselnd im On und im Off die Geschichte unerfüllter Sehnsüchte zweier Angehöriger des Diplomatischen Corps im Indien der 30er Jahre. Die realen Schauplätze treten in den Hintergrund, die Text- und Sprachcollage und die Schauspieler werden zur Projektionsfläche für die Fantasien, Gedanken und Gefühle der Zuschauer. Ein komplexes Filmgedicht über Leidenschaft und Erstarrung, über Erinnerung und Zerfall.
L'ESQUIVE (Abdellatif Kechiche, Frankreich 2003, 11. & 12.4.) Der rhythmisch aggressive Vorortslang der Pariser Banlieue und Marivaux' Theatersprache des 18. Jahrhunderts bilden die Kontrapunkte dieses temperamentvollen Sprachkunstwerks. Lydia beherrscht beide Sprachen: nach rapartigen Wortduellen, die sie sich mit anderen Jugendlichen liefert, taucht sie ein in die Kunstsprache des französischen Theaterklassikers Spiel von Liebe und Zufall, den sie mit ihrer Klasse probt. Ausgerechnet auf dieser Bühne will Krimo Lydia seine Liebe gestehen.
DO THE RIGHT THING (Spike Lee, USA 1988, 13. & 15.4.) Grundstein des New Black Cinema und furioses Statement zum Stand des inneramerikanischen Rassismus Ende der 80er Jahre. Durchzogen von zuvor kaum in dieser Weise gehörtem Brooklyn-Slang afroamerikanischer, italienischer und koreanischer Färbung entladen sich die zunehmend hitzigen Wortgefechte am Ende eines heißen Tages in einem Brandanschlag, angekündigt von Public Enemys Fight the Power.
LE MÉPRIS (Die Verachtung, Jean-Luc Godard, F 1963, 14. & 16.4.) "Das Wort erzeugt Verwirrung. Nie ist das Gesprochene auch das Gedachte oder das Vernommene auch das Gemeinte." (Helmut Merker) Die Missverständnisse sind weniger den vier unterschiedlichen Sprachen geschuldet, die im Film gesprochen werden, als den diffusen Abhängigkeiten, dem fehlenden Verständnis und falschverstandenen Loyalitäten. Inmitten der zahlreichen Zitate und Verweise gerinnt das Sprechen zum Vehikel hohler Phrasen.
ANTIGONE (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, F / D 1991, 18. & 23.4.) Sophokles' antikes Trauerspiel um Antigone, die ihren in der Schlacht gefallenen Bruder gegen das Verbot des Herrschers von Theben beisetzt und dafür hingerichtet wird, dargeboten in einem Freiluft-Theater. "Das rhythmische Stocken, Vers um Vers, kommt aus der beherrschten Aufregung, im Sinne des Goetheschen 'Denn ich sprach nur aus, was in mir aufgeregt, nicht aber was ich gelesen hatte'; und insbesondere haben die Sprecher, wenn sie ein Geschehen beschreiben oder erzählen, beständig das Bild, die Bilder davon in der Brust, bewahren diese im Reden, das ihnen so aufgeregt wie sachlich folgt und sich derart als Beschwörung anhört, dementsprechend natürlichst in Versform." (Peter Handke)
LES DOIGTS DANS LA TÊTE (Die Finger im Kopf, Jacques Doillon, F 1974, 17. & 24.4.) Ein Sprechfilm im wahrsten Sinne. Bereits in seinem Debüt erkennt man verschiedene Elemente, die später konstitutiv für Doillons Arbeit werden: sein Interesse für die Welt der Kinder und Jugendlichen, die Arbeit mit Laien sowie die Dialoge und das Sprechen. Nachdem der Bäckerlehrling Chris gefeuert wurde, soll er sein Zimmer räumen. Statt dessen verbarrikadiert er sich mit Léon, Rosette und Liv in seiner Mansarde. Auf engem Raum sprechen die vier über ihre Wünsche, Träume und Ängste.
Die Einführung des Tonfilms setzte der relativen Internationalität des Films Ende der 20er Jahre ein jähes Ende. Ein Versuch der Überwindung der neu entstandenen Sprachbarriere war die Produktion von unterschiedlichen Sprachversionen (deutsch, französisch, englisch) ein- und desselben Films. Bis in die frühen 30er Jahre entstand so eine Reihe von Filmen mit fast identischen Plots, denselben Dekors und Technikern, zum Teil mit denselben Schauspielern nur in unterschiedlichen Sprachen. Zur Illustration dieser gängigen Praxis zeigen wir Josef von Sternbergs berühmte Heinrich Mann / Professor Unrat-Verfilmung DER BLAUE ENGEL (D 1930, 30.4.) in der deutschen und englisch-deutschen Sprachfassung mit dem Titel THE BLUE ANGEL (29.4.). Im Unterschied zu anderen Produktionen spielten viele der Schauspieler in beiden Sprachfassungen mit, so auch Marlene Dietrich und Emil Jannings, dessen Englisch im Gegensatz zu seiner aufstrebenden Schauspielerkollegin phasenweise unfreiwillig skurrile Züge trägt.