Das Arsenal widmet Olivier Assayas im Oktober eine komplette Retrospektive, die neben den Spielfilmen auch seine dokumentarischen und kurzen Arbeiten umfasst. Wir freuen uns sehr, dass Olivier Assayas dank der Unterstützung durch die Französische Botschaft am 3. und 4. Oktober im Arsenal zu Gast sein und mit dem Publikum diskutieren wird. Zu diesem Anlass präsentieren wir die Berliner Premiere seines Films L'HEURE D'ÉTÉ (2008). Als Sohn des Drehbuchautors Jacques Rémy kam Assayas (*1955) schon früh mit der Welt des Films in Berührung – doch konzentrierte er sich zunächst auf Malerei und vor allem auf Musik. Sein Interesse als junger Mann (in einer Zeit, die durch das Scheitern des Mai 68 geprägt war) galt in erster Linie dem Punk-Rock und den Schriften des Situationisten Guy Debord. Beides schlägt sich bis heute in seinen Filmen nieder. Nach Abbruch des Kunst-Studiums und einigen Kurzfilmen holte ihn Serge Daney zu den Cahiers du Cinéma, für die er von 1979 bis 1985 als Autor und Redakteur arbeitete. Er schrieb über so unterschiedliche Themen wie das französische Autorenkino und amerikanische B-Movies. Besonders intensiv beschäftigte er sich mit dem asiatischen Kino – was einen bleibenden Einfluss auf seine Filme haben sollte. Zum Schreiben über Film kehrte er auch später immer wieder zurück: mit Büchern über Ingmar Bergman, Kenneth Anger und seine eigene politisch bewegte Jugend im Post-Mai 68. Nach zwei Drehbüchern für André Téchiné entstand erst im Jahr 1986 sein Debütfilm über das Lebensgefühl einer jugendlichen Lost Generation. Seitdem hat sich Assayas im Laufe der Jahrzehnte verschiedensten filmischen Genres zugewandt: Familien- und Coming-of-Age-Geschichten, dem Melodram, Science Fiction, Thriller, Kostümdrama, Actionfilm, Künstlerporträt und Konzertfilm. So disparat Assayas' Filme auf den ersten Blick scheinen mögen, sind sie doch alle subtil vernetzt. Ein hervorstechendes ästhetisches Merkmal ist die Kunst der Auslassung. Neben der virtuosen elliptischen Erzählweise sind harte Schnitte, eine bemerkenswert mobile Handkamera (von Denis Lenoir bzw. Eric Gautier), die fluide Gestaltung filmischer Räume und effektvoll platzierte Pop- und Rockmusik wesentliche Züge seines Kinos. Der Sound wartet mit Musik von Sonic Youth, Brian Eno, John Cale u. v. a. m. auf. Auch die intensive Performance der Schauspieler/innen fällt auf – sie beruht auf einer ungewöhnlichen Arbeitsweise: Es gibt viel Freiheit und Spontaneität am Set und keinerlei Proben im Vorfeld – die Dreharbeiten als (situationistisches) Happening. IRMA VEP (F 1996, 1.10., Einführung: Birgit Kohler & 16.10.) Maggie Cheung, der berühmte Hongkong-Filmstar (gespielt von sich selbst), kommt nach Paris, um in einem Remake von Louis Feuillades legendärem Stummfilmklassiker Les Vampires die Hauptrolle als Einbrecherkönigin zu übernehmen. Der gealterte Nouvelle-Vague-Regisseur (Jean-Pierre Léaud) steckt allerdings in einer Schaffenskrise und verliert zunehmend die Kontrolle über sich und die Produktion. Da sie kein Französisch spricht, erlebt Maggie die chaotischen Verhältnisse beim Dreh als Außenseiterin, zieht jedoch in ihrem hautengen schwarzen Latexanzug alle Blicke auf sich. Bilder aus verschiedensten Kino-Welten treffen in diesem mit selbstironischen Seitenhieben auf die Kino-Branche bestückten Film aufeinander: Action-Filme und französisches Autorenkino, Stumm- und Experimentalfilm, Agitprop aus den 60er Jahren und TV-Video-Clips. Der Sound: Bonnie & Clyde meets Sonic Youth meets Ali Farka Touré & Ry Cooder. DEMONLOVER (F 2002, 1. & 29.10.) Ein eiskalter Engel (Connie Nielsen) treibt ein riskantes Doppelspiel: Sie arbeitet für einen multinationalen Medienkonzern, der ein japanisches Unternehmen aufkaufen will, das pornografische 3D-Sex-und-Gewalt-Mangas produziert. Gleichzeitig steht sie auch im Dienst der Konkurrenz. Der Kampf um die lukrativen Bilder wird mit allen Mitteln geführt: Intrigen, Manipulation, Erpressung. Zwischen Paris und Tokio macht sich die weite Welt des Cyberspace breit und eine verstörende Zone der Ununterscheidbarkeit von Realem und Virtuellem. Ein labyrinthischer, zeitgenössischer Thriller um Bilder, Macht und Geld, in einer Globalisierungslandschaft aus Glas und Neon, mit einem beunruhigenden Soundtrack von Sonic Youth. Eine weitere zeitgenössische Variation auf Feuillade. CLEAN (F/Kanada/GB 2004, 2. & 15. & 23.10.) Die drogenabhängige Sängerin Emily (Maggie Cheung) versucht nach dem Heroin-Tod ihres Mannes, eines abgehalfterten Rockstars, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen. Weil sie Junkie ist, wächst ihr achtjähriger Sohn Jay bei ihren Schwiegereltern in Kanada auf. Weil sie immer on the road war, hat sie nirgendwo ein Zuhause. Weil sie kein Geld hat, schlägt sie sich als Kellnerin bei chinesischen Verwandten in Paris durch. Sie will das Sorgerecht für ihren Sohn zurückbekommen, doch wird ihr jeder Kontakt zu ihm untersagt. Bis ihr Schwiegervater (Nick Nolte) über seinen Schatten springt und ihr eine Chance gibt. Eine Frau zwischen vielen Welten: Musik-Business, Familie, Drogenexistenz. So wie Emily von Vancouver nach Paris, London und San Francisco driftet, ist der Film ein Patchwork aus intensiven Momenten, losen Enden und der Musik von Brian Eno und David Roback. RECRUDESCENCE (Upsurge, F 2007, 2. & 15. & 23.10.) Ein junges Paar geht ins Kino. Die Handkamera zeigt Hände bei Tauschgeschäften: Geld wird aus dem Automaten gezogen, Tickets und Popcorn gekauft. Ein Mann folgt den beiden. Im Dunkel des Saals dann ein langer Kuss. Und ein Diebstahl. Das Kino als Teil eines Netzwerks aus Ökonomie, Konsum und Leidenschaft, inmitten einer hektischen Welt. Ein kurzer Film aus der anläßlich des 60. Geburtstags des Festivals von Cannes entstandenen Anthologie Chacun son cinéma. QUARTIER DES ENFANTS ROUGES (F 2006, 2. & 15. & 23.10.) Eine amerikanische Schauspielerin (Maggie Gyllenhaal) dreht einen Kostümfilm in Paris. Als ihr Drogendealer Nachschub bringt, entsteht beim Tausch von Geld und Ware ein kurzer Moment der Intimität. Gefühle statt -Business. Sie gestattet ihm, sie später am Abend am Set zu besuchen … Assayas' Beitrag zum Episodenfilm Paris, je t'aime, einem Gemeinschaftsprojekt verschiedener Filmemacher. L'HEURE D'ÉTÉ (Summer Hours, F 2008, 3.10., in Anwesenheit von Olivier Assayas & 7.10.) Nach dem Tod ihrer Mutter müssen drei Geschwister entscheiden, wie mit dem Erbe umzugehen ist, was mit dem Landhaus der Familie und den zahlreichen Kunstwerken darin geschehen soll. Behalten oder verkaufen? Das Haus, das neben Kunstobjekten auch voller Erinnerungen steckt, hat sowohl sentimentalen als auch materiellen Wert. Doch was heißt das angesichts einer kosmopolitischen, u. a. in New York und Shanghai lebenden Familie? Wie kann Vergangenes in die Gegenwart überführt werden? Wie wird in Zeiten globalisierter Lebensstile kulturelles Erbe tradiert? Man beschließt, zu verkaufen. Die Kunst kommt ins Museum, und die Jugend eignet sich für die Dauer einer Party das alte Haus an. Ein Film, der dramatisch reduziert und ganz ohne Nostalgie sehr präzise von Verlust, Trauer und familiären Bindungen in der heutigen Zeit erzählt. Tschechow im 21. Jahrhundert. L'EAU FROIDE (Cold Water, F 1994, 4.10., in Anwesenheit von Olivier Assayas & 8.10.) Zwei Jugendliche vier Jahre nach dem Scheitern des Mai 68. Nachdem Gilles (Cyprien Fouquet) und Christine (Virginie Ledoyen) beim Klauen von Schallplatten erwischt wurden, kauft er Dynamit und sie wird in die Psychiatrie eingewiesen. Doch ihr gelingt die Flucht und beide treffen sich in einem verlassenen Haus auf dem Land wieder, wo eine rauschende Party stattfindet. Danach machen sie sich auf den Weg zu einer Kommune. Die brillante Inszenierung der mehr als halbstündigen Party-Szene mit umherschweifender Handkamera und dem prägnanten Einsatz von Musik (Nico, Roxy Music, Leonard Cohen, Bob Dylan u. a.) sowie ein Gang durch den Wald mit Allen Ginsberg auf den Lippen bringen das Lebensgefühl der Jugendlichen zwischen Aufbegehren und nihilistischer Orientierungslosigkeit, ihre Einsamkeit und Verzweiflung auf den Punkt. Olivier Assayas' Beitrag zur Arte-Reihe Tous les garçons et les filles de leur âge ist eine autobiografisch inspirierte Rückschau. L'ENFANT DE L’HIVER (Winter's Child, F 1989, 5. & 11.10.) Ein weiteres Beziehungsgeflecht à la Assayas: Der Architekt Stéphane verlässt seine schwangere Freundin, die er mit einer Kostümbildnerin betrügt, die gleichzeitig noch ein Verhältnis mit einem seinerseits verheirateten Theaterschauspieler hat. Als der Vater von Stéphane stirbt und er beginnt, sich für das neugeborene Kind zu interessieren, ist das Durcheinander perfekt. Keine der Beziehungskonstellationen ist tragfähig, es ist ein dauerndes Hin und Her von Nähe und Distanz, Umarmung und Trennung. Ein ständiges Suchen. Ein Film über das irgendwann nicht mehr hinauszuzögernde Erwachsenwerden, voller Schmerz und Bedauern, aber ohne jegliche Rührseligkeit, in zahlreichen Nahaufnahmen der Gesichter von Kameramann Denis Lenoir kühl fotografiert. LES DESTINÉES SENTIMENTALES (Sentimental Destinies, F/Schweiz 2000, 6. & 30.10.) Eine Literaturverfilmung nach dem gleichnamigen Roman von Jacques Chardonne, ein moderner Kostümfilm in Cinemascope: die Chronik einer französischen Porzellanhersteller-Dynastie in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in deren Mittelpunkt eine Liebesgeschichte steht. Ein Pfarrer (Charles Berling) verläßt seine Frau (Isabelle Huppert), um mit seiner großen Liebe Pauline (Emmanuelle Béart) ein neues Leben in der Schweiz zu beginnen. Doch die Verantwortung für den angesichts der beginnenden Industrialisierung gefährdeten Familienbetrieb holt ihn zurück. Der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise treiben das Paar immer weiter auseinander. Mit virtuosen Ellipsen erzählt der Film höchst unsentimental die Geschichte einer Liebe und einer Epoche. Einmal mehr geht es um die Kluft zwischen gesellschaftlichen Ansprüchen und persönlichen Wünschen sowie zwischen Kunst und Kommerz. FIN AOÛT, DÉBUT SEPTEMBRE (Ende August, Anfang September, F 1998, 7. & 11.10.) Ein Freundeskreis in Paris, alle um die 30. Im Zentrum stehen der Schriftsteller Adrien (François Cluzet) und sein bester Freund Gabriel (Mathieu Amalric), zwei Männer, die sich sowohl mit ihrer Beziehung zueinander als auch mit den Frauen in ihrem Leben auseinanderzusetzen haben. -Adrien ist todkrank und hat ein Verhältnis mit einer 16-Jährigen. Gabriel hat sich gerade von seiner Freundin Jenny (Jeanne Balibar) getrennt und die gemeinsame Wohnung verkauft. Das Leben mit seiner neuen Freundin Anne (Virginie Ledoyen), einer masochistisch veranlagten Frau, gestaltet sich schwierig. In dieser in Kapitel und durch Schwarzblenden unterteilten kaleidoskopischen Erzählung geht es um emotionale und finanzielle Krisen und Befindlichkeiten, aktuelle und vergangene Liebschaften und nicht zuletzt um den Tod. Die Zeit vergeht, die Dinge ändern sich. DÉSORDRE (Disorder, F 1986, 8. & 14.10.) Aus einer Laune heraus brechen drei Freunde, alle Mitglieder einer Rockband, in ein Musikgeschäft ein und töten dabei ungewollt den Ladenbesitzer. Sie verabreden, so zu tun, als sei nichts passiert – doch ab sofort ist alles anders, die Folgen der Tat erschüttern das Gefüge ihrer Freundschaft nachhaltig. Lüge, Mißtrauen, Neid, Eifersucht treten zu Tage. Ein letztes Konzert gelingt ihnen zwar noch, doch ein geplanter Auftritt in London wird zum Fiasko. Der Rock'n'Roll kommt nicht an gegen die Melancholie, die jugendliche Unschuld mit ihren Träumen ist verloren. Die Gruppe löst sich auf, die Utopien sind begraben. Es beginnen die Kompromisse des Erwachsenseins. Jeder sucht für sich einen Ausweg, doch niemand findet sein Ziel. Bereits in seinem Debütfilm operiert Assayas mit Erzähllücken und kühnen Schnitten, interessiert sich weniger für die Ereignisse selbst als für die Spuren, die diese hinterlassen. RECTANGLE, DEUX CHANSONS DE JACNO (F 1980, 8. & 14.10.) Die Inszenierung von zwei Songs des französischen Elektro-Pop-Duos Jacno und Elli de Medeiros – Vorläufer eines Musikvideos. Elli de Medeiros singt von enttäuschter Liebe, Jacno posiert vor steinernen Stadtlandschaften und der Geometrie von Hochhäusern. PARIS S'ÉVEILLE (Paris Awakens, F 1991, 9. & 12.10.) Der 19-jährige Adrien (Thomas Langmann) taucht unvermittelt bei seinem Vater (Jean-Pierre Léaud) in Paris auf, den er seit vier Jahren nicht mehr gesehen hat und der mittlerweile mit der ebenfalls 19-jährigen, drogensüchtigen Louise (Judith Godrèche) zusammenlebt. Nach anfänglicher Abneigung beginnen die beiden eine Beziehung miteinander und ziehen zusammen in ein besetztes Haus. Ein halbes Jahr später setzt Louise die Liebesbeziehung mit Adrien aufs Spiel, um ihren Traum von einer Karriere beim Fernsehen zu verwirklichen. Adrien ist in illegale Geschäfte verwickelt und muss untertauchen. Alle Beteiligten sind auf der Suche nach oder auf der Flucht vor sich selbst. Deals und Transaktionen aller Art sind an der Tagesordnung. Am Ende haben alle einen hohen Preis bezahlt. Ein desillusionierter Blick auf unstete Beziehungen und auf eine düstere Metropole zur Musik von John Cale. UNE NOUVELLE VIE (A New Life, F 1993, 10. & 13.10.) Die 20-jährige Tina (Sophie Aubry) aus einfachen Verhältnissen stürzt sich in ein neues Leben, als sie von ihrer Mutter die Adresse ihres Vaters bekommt, den sie noch nie gesehen hat. Auf der Suche nach ihm trifft sie auf ihre nahezu gleichaltrige Halbschwester (Judith Godrèche), von deren Existenz sie nichts wusste. Der Vater, ein wohlhabender Geschäftsmann, ist verreist. So haben die beiden Schwestern Zeit, einander zu beobachten, sich aneinander zu messen, Rivalität, aber auch Verbundenheit zu spüren. Eine entscheidende Funktion in diesem Gefüge nimmt Constantin ein, der Anwalt des Vaters, der mit allen Frauen der Familie sexuelle Beziehungen hat/te. Der für Assayas ungewöhnliche Verzicht auf Musik, das Scope-Format, der Fokus auf Gestik und Körperlichkeit und eine hochgradig elliptische Erzählung zeichnen diesen Film aus. NOISE (F 2006, 14. & 20.10.) Dass ein Filmemacher von einem Rockfestival gebeten wird, Musiker für ein Konzert auszuwählen, mag zunächst verwundern, die Carte Blanche des Festivals Art Rock de Saint-Brieuc für Olivier Assayas im Jahr 2005 liegt jedoch insofern nahe, als die Bedeutung, die Post-Punk-Rock für ihn hat, seinen Filmen deutlich anzuhören ist. Assayas lud unterschiedliche Künstler ein, vom Independent-Rock bis hin zu experimenteller Musik. NOISE ist der daraus hervorgegangene dokumentarische Konzertfilm – mit Auftritten von Metric, Mirror/Dash (Kim Gordon und Thurston Moore von Sonic Youth), Jeanne Balibar, Marie Modiano, Afel Bakoum, White Tahina u. a. Die experimentellen Bilder (aus dem Film Hotel Athiti, der auf einem Monitor im Roten Foyer in voller Länge gezeigt wird), die bisweilen während des Konzerts im Hintergrund der Bühne projiziert wurden, blendet Assayas im Film über die Aufnahmen der Musiker. WINSTON TONG EN STUDIO (F 1984, 14. & 20.10.) Ein kurzer Film in Schwarzweiß. Ein Blick hinter die Kulissen: der Sänger Winston Tong bei Plattenaufnahmen im Studio in Brüssel. Winston Tong singt "Move me" und "No Regrets". Dazu E-Gitarre, Keyboards und Backing Vocals. Manchmal auch seine Stimme nackt und pur. Außerdem Interviews mit beteiligten Musikern über Plattenlabels und die Musikindustrie. LAISSÉ INACHEVÉ À TOKYO (F 1982, 24. & 29.10.) Eine nicht-lineare, doppelbödige Erzählung in Schwarzweiß, zwischen Japan und Frankreich. Eine Schriftstellerin (Elli Medeiros) ist in Japan in den Besitz geheimer Dokumente gelangt, wird entführt und kann mit Hilfe eines alten Freundes, der ebenfalls Schriftsteller ist und einen Roman schreibt, nach Frankreich entkommen. Im Gepäck hat sie eine unvollendete Abenteuergeschichte. Doch was ist nun literarische Fiktion und was filmische Wirklichkeit? ELDORADO (F 2007, 17. & 19.10.) Assayas beobachtet den französisch-albanischen Tänzer und Choreografen Angelin Preljocaj beim Entwickeln des Tanzstücks Eldorado zu der Komposition "Sonntags-Abschied" von Karlheinz Stockhausen. Assayas begleitet den gesamten Probenprozess, beobachtet die Tänzer bei den Proben, wie sie sich über den Boden schlängeln und winden und an den Figuren arbeiten. Hinzu kommen Ausschnitte aus einem ausführlichen Gespräch von Preljocaj mit dem Komponisten, der überzeugt ist, dass sich seine Form der Synthesizer-Musik (die Preljocaj als eine "moderne Form von Voodoo" bezeichnet) ideal für den Tanz eigne. Eine gemeinsame Resonanz von Musik, Tanz und Kino entsteht, die sich in der Bewegung begegnen. HHH – UN PORTRAIT DE HOU HSIAO-HSIEN (HHH – A Portrait of Hou Hsiao-hsien, F/Taiwan 1997, 18. & 26.10.) Olivier Assayas war in seiner Zeit als Kritiker der Cahiers du Cinéma der erste westliche Filmjournalist, der bereits im Jahr 1984 den damals noch unbekannten Filmemacher Hou Hsiao-hsien entdeckte. Im Rahmen der legendären Serie Cinéma, de notre temps porträtierte Assayas den Regisseur der taiwanesischen Neuen Welle. Er folgt Hou Hsiao-hsien durch dessen Heimatstadt Taipeh, trifft mit ihm alte Bekannte und hört ihm beim Sprechen über sein Leben, seine Arbeit sowie Politik und Gesellschaft in Taiwan zu. Hou ist ein liebenswürdiger und Karaoke-begeisterter Führer. Alltägliche Begebenheiten aus dem Hintergrund und kleine Gesten am Rande wie z.B. Besucher eines Restaurants, spielende Kinder oder das Anrichten einer Mahlzeit finden ebenso Eingang in diese Hommage wie Ausschnitte aus Hous Filmen. BOARDING GATE (F 2007, 21. & 24.10.) Sandra (Asia Argento) arbeitete lange als Edel-Prostituierte und Informantin für einen Investment-Banker (Michael Madsen), mit dem sie eine sado-masochistische Beziehung hatte. Nach einem misslungenen Drogendeal flieht sie von Paris nach Hongkong. Doch anstatt dort ein neues Leben zu beginnen, muss die Femme fatale bald darum kämpfen, überhaupt am Leben zu bleiben und verstrickt sich in ein Netzwerk aus undurchschaubaren Intrigen … Rastlosigkeit, Lärm, Glas, Chrom und Neon, Verrat, Mord und gezückte Messer gehören zu den Bestandteilen dieses Thrillers. Ein Spielfeld, das keiner mehr überschauen und kontrollieren kann. Ein wilder Remix aus Genre-Elementen, Pop, Globalisierungs-inventar und B-Movie-Kodes. Atemlos und meditativ zugleich, dank des Soundtracks von Brian Eno. Psychologie ist hier gar nichts, die globale Zirkulation von Finanzströmen und Waren alles. CARLOS (Carlos – Der Schakal, F/D 2010, 22.10. (Teil 1–3) & 27.10. (Teil 1 & 2) & 28.10. (Teil 3) Ein monumentales Epos, ein ungewöhnliches Biopic, ein fulminanter Actionfilm, ein Geschichtspanorama voll akribisch recherchierter und klug -spekulierter Details, ein für das Fernsehen gedrehter Dreiteiler – all das ist CARLOS, Assayas' Darstellung der Geschichte des legendären Top-Terroristen und Berufsrevolutionärs Carlos (Edgar Ramírez) alias Ilich Ramírez Sánchez. Von den ersten Attentaten 1974 in London über den Überfall auf die OPEC-Konferenz in Wien 1975 und die folgenreiche Zäsur von 1989 bis hin zu seiner Gefangennahme im Sudan 1994 spannt sich der Bogen. Terrorismus wird in CARLOS als weltweit vernetzte, internationale Koproduktion in den Blick genommen, Carlos selbst als Global Player, ein erfolgsorientierter Unternehmer mit Dandy-Attitüde, eitel und allzeit gewaltbereit. Ein Prisma, in dem sich die Epoche von Mitte der 70er bis Mitte der 90er Jahre bricht und bis ins Heute strahlt. Im Roten Foyer findet begleitend zur Retrospektive eine von fünf Studierenden des Projektseminars "Kuratieren in Theorie und Praxis" (FU Berlin) eingerichtete Ausstellung statt: In Form einer audio-visuellen Collage wird Material aus dem Kontext des Œuvres von Assayas zur Verfügung gestellt: zum Hören, Anschauen und Lesen. Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung der Botschaft von Frankreich.