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Expandierende Bilder, spektakuläre Weiten, atemberaubende Nähe, visueller Reichtum – bigger than life oder doch eine unnütze Übergröße? Billy Wilder fand nüchterne Worte für die technische Neuerung um das anamorphotische Objektiv, die die Twentieth Century Fox 1953 mit dem epischen Kostümfilm The Robe lancierte: "Ein ideales Format, um das Leben eines Dackels zu verfilmen!" Unvergessen auch Fritz Langs Äußerung in Godards Scope-Film Le Mépris: "Das CinemaScope-Format ist nicht für menschliche Wesen, es ist für Schlangen und Begräbnisse." Die 16 Filme aus fünf Jahrzehnten unserer CinemaScope-Reihe kommen garantiert ohne Dackel, fast ohne Schlangen und mit nur wenigen Särgen aus. Stattdessen vermitteln sie einen Eindruck von der ungeheuren Bandbreite (!) künstlerischen Umgangs mit dem übergroßen Bildformat 1:2.35 und seiner Auswirkung in Bezug auf (Raum-)Inszenierung und Erzählstrategien. FORTY GUNS (Sam Fuller, USA 1957, 1.& 3.5.) Barbara Stanwyck als "highridin' woman with a whip", die die Weiten ihres Besitzes mit Autorität und ihren 40 Räuber-Cowboys zu verteidigen sucht, um sie am Ende doch hinter sich zu lassen. Sam Fuller und Kameramann Joseph Biroc finden jenseits der schönen Schwarzweißbilder von klassischen Western-Locations (Saloon, Büro des Sheriffs, Scheunen und Straßen) Bildkompositionen, die Wahrnehmungs- und Erfahrungswelten der Protagonisten auf verstörende Weise nachvollziehbar werden lassen. MANHATTAN (Woody Allen, USA 1978, 1. & 6.5.) Man sollte denken, dass die gen Himmel strebenden Vertikalen der Architektur Manhattans und das überbreite horizontale CinemaScope-Filmbild nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Kameramann Gordon Willis hat sich dieses Grundkonflikts z. B. in der "Rhapsody in Blue"-Sequenz angenommen und zugleich Maßstäbe in der Darstellung New Yorks gesetzt. MANHATTAN ist die ultimative Liebeserklärung an den berühmten Ortsteil New Yorks, dem passenden Schauplatz der Lebenskrise eines zweimal geschiedenen Fernsehautors auf der Suche nach Liebe und Verständnis. THE INNOCENTS (Jack Clayton, GB / USA 1961, 2. & 7. & 8.5.) Ein Klassiker des Horrorfilms, dessen abgründig-unheimliche Grundstimmung ohne jeglichen Schockeffekt, Blutrausch oder körperliche Gewalt auskommt. Die anhaltende Spannung speist sich vielmehr aus der psychologischen Differenzierung und letztlich aus der Vieldeutigkeit des Geschehens: Auf einem englischen Landschloss soll sich die junge Gouvernante Miss Giddens (Deborah Kerr) der Erziehung von zwei Kindern annehmen. Hinter der Umgänglichkeit ihrer Schutzbefohlenen glaubt Miss Giddens jedoch bald eine Welt der Lügen bzw. der übersinnlichen Mächte zu entdecken, die sich – passenderweise für CinemaScope – vom äußeren Bildrand langsam ins Zentrum der Wahrnehmung drängen. DIE ENDLOSE NACHT (Will Tremper, BRD 1962, 4. & 9.5.) Eine nüchterne, fast dokumentarisch anmutende bundesdeutsche Bestandsaufnahme: Wegen dichten Nebels werden alle Starts und Landungen am Flughafen Tempelhof ausgesetzt. Eine Ausnahmesituation, die in die Lebensplanung der gestrandeten Passagiere im Kleinen und im Großen eingreift: Geschäfte platzen, Seitensprünge bieten sich an oder fliegen auf, Menschen verkaufen sich, Träume entstehen und werden als solche entlarvt. Den Rahmen dieser elliptisch-episodischen Struktur bildet die monumentale Architektur des Flughafens Tempelhof, wo der ehemalige Filmklatschkolumnist Tremper sechs Wochen lang drehte. CARMEN JONES (Otto Preminger, USA 1954, 6. & 9.5.) Bilder von Lust und Leidenschaft und ein all-black-cast – das muss für das amerikanische Publikum der 50er Jahre, einer Zeit der Rassendiskriminierung und des Puritanismus, entweder eine Sensation oder ein Skandal gewesen sein. Dabei kümmerte sich der gebürtige Österreicher Preminger wenig um Zeitgeist oder Befindlichkeiten. Er vernachlässigte auch die erfolgreiche Broadway-Fassung als Grundlage für sein Musical und orientierte sich an Merimées / Bizets Opernoriginal, das er in den amerikanischen Süden verlagerte, wo eine Arbeiterin und ein GI (Dorothy Dandridge und Harry Belafonte) sich in einer leidenschaftlichen Liebesbeziehung verlieren. Ein Film der Innenräume, für die Preminger höchst beeindruckende Breitwandkompositionen kreierte. EUROPA (Lars von Trier, Dänemark / Schweden / D / F / CH 1991, 7. & 11.5.) Von Triers letzter Teil seiner Europa-Trilogie – eine Mischung aus Melodram, Thriller und Katastrophenfilm – spielt hauptsächlich in einem Zug, in dem ein junger, naiver Amerikaner deutscher Abstammung als Schaffner arbeitet, um im Nachkriegsdeutschland einen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes zu leisten. In Zusammenarbeit mit Wajda-Kameramann Edward Klosinsky arbeitete von Trier verstärkt mit Bildüberlagerungen, Rückprojektionen, Doppel- und Mehrfachbelichtungen, um ein Verschmelzen von verschiedenen Räumen in eine einzige grenzenlose Raumlandschaft zu erzeugen. SHOTGUN STORIES (Jeff Nichols, USA 2007, 8. & 14.5.) Baumwollfelder und Ackerland soweit das Auge reicht – Nichols wollte, dass der Zuschauer die Landschaft seiner Heimat in Arkansas und den Schauplatz seines Debüts so sieht wie er: in CinemaScope. Inmitten der Weite der Landschaft entspinnt sich in beklemmender Unmittelbarkeit ein archaisches Familiendrama unter Halbbrüdern, die bei der Beerdigung ihres gemeinsamen Vaters nach Jahren aufeinandertreffen. Rache, Schuld und Sühne sind die Koordinaten dieses lakonischen, in der Gegenwart angesiedelten Westerns. HONG GAOLIANG (Rotes Kornfeld, Zhang Yimou, China 1987, 10. & 19.5.) Episch-grandioser, farbdramaturgisch durchdachter Entwurf der Lebenswelt im ländlichen China der 20er und 30er Jahre. Im Mittelpunkt steht die junge Jiuer (Gong Li), die auf dem Weg zu ihrer Hochzeit von ihrem Sänftenträger vor einem Überfall gerettet wird und sich in ihn verliebt. Erst als Jiuers Ehemann stirbt, kann es ein gemeinsames Leben für die beiden geben. Ihr Glück wird von der japanischen Invasion Chinas jäh unterbrochen. Das Debüt dieses wichtigen Vertreters der Neuen Chinesischen Welle, der sog. Fünften Generation, wurde bei der Berlinale 1988 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. DER GETEILTE HIMMEL (Konrad Wolf, DDR 1964, 10.5.) Vergangenheit und Gegenwart, Großstadt und dörfliche Heimat, Anspruch und Realität, Arbeit und Studium – Ost und West. Gegensätze und Widersprüche ziehen sich durch das Leben der Studentin Rita, die ein Nervenzusammenbruch ihr bisheriges Leben rekapitulieren lässt: ihre Liebe zum Chemiker Manfred, dessen "Republikflucht", ihren kurzen Besuch in West-Berlin und ihre Rückkehr in die DDR. In komplexen Rückblenden entwirft Wolf – basierend auf Christa Wolfs gleichnamigem Roman – ein kritisches Bild der DDR in CinemaScope: ohne pathetische Begeisterung, mit deutlich erkennbarer Skepsis. EAST OF EDEN (Elia Kazan USA 1955, 11. & 12. & 13.5.) Wechselnde Perspektiven, schnelle Schnitte, eine irritierende Schiefstellung der Kamera und nicht zuletzt eine CinemaScope-Kameraführung, die Totalen meidet – diese formalen Charakteristika ziehen sich durch Kazans schonungslose Beschreibung eines Generationenkonflikts am Ende des 1. Weltkriegs: Cal (James Dean in seiner ersten Rolle) fühlt sich von seinem autoritären Vater Adam ungeliebt. Als dieser ihn erneut zurückweist, konfrontiert er seinen Zwillingsbruder mit der Wahrheit über ihre totgeglaubte Mutter, die ein Bordell führt. Außerstande, mit der Situation umzugehen, flüchten der Bruder in den Krieg und der Vater in die Krankheit. PIERROT LE FOU (Jean-Luc Godard, F / I 1965, 16. & 22.5.) 110 Minuten anarchischer Freiheitswille eines Regisseurs und seiner Protagonisten oder "Die Geschichte des letzten romantischen Liebespaares", so Godard selbst. Pierrot und seine frühere Freundin Marianne treffen sich wieder. Die gemeinsame Flucht endet im Verrat, führt zu Rache und Tod. Pierrot erschießt erst Marianne, dann seinen Nebenbuhler und sprengt sich anschließend selbst in die Luft. Apropos Luft, wieder Godard: "Wichtig ist nicht das Ziel, sondern der Raum dazwischen. Die Bewegung, die Luft, das Licht, die Farben. Das Kino ist das, was zwischen den Dingen ist, nicht die Dinge selbst. Darum ist der Film in Scope, das schafft Luft." GEORGE WASHINGTON (David Gordon Green, USA 2000, 17. & 20.5.) Sommer und flirrende Hitze in einer heruntergekommenen Kleinstadt in North-Carolina. Während der Feierlichkeiten zum amerikanischen Unabhängigkeitstag versucht eine Gruppe Jugendlicher den Unfalltod eines Freundes zu vertuschen und das eigene Leben im Gleichgewicht zu halten. Das übergroße CinemaScope-Format echot nicht nur die subjektive Wahrnehmungswelt und das Übermaß an Schuldgefühlen der jugendlichen Protagonisten, sondern kontrapunktiert gleichzeitig die übliche Darstellungsweise einer ländlichen, unterprivilegierten amerikanischen Landschaft. NEUN LEBEN HAT DIE KATZE (Ula Stöckl, BRD 1968, 18. & 22.5.) Der erste feministische Film in CinemaScope! In ihrem Abschlussfilm am Institut für Filmgestaltung in Ulm inszeniert Stöckl einen episodischen Situationsbericht über fünf Frauen: Katharina will ein Leben jenseits sentimentaler Zwänge, Anne überlegt, sich politisch zu engagieren, Gabriele verbündet sich mit dem Kommerz, Magdalena verteidigt ihren umtriebigen Mann und Kirke, die Erfindung einer Idealfrau, kann alle Männer in Schweine verwandeln. Allen gemein ist der Wille zur Veränderung. Farbenprächtig, mit Lust an der Improvisation, hemmungslos subjektiv – ein Klassiker. PROWERKA NA DOROGACH (Straßenkontrolle, Alexej German, UdSSR 1971/1986, 19. & 21.5.) 1971 war ein sowjetischer Film über einen Rotarmisten, der im 2. Weltkrieg in deutsche Gefangenschaft gerät, sich von den Deutschen als Hilfs-polizist anwerben lässt, um sich später den -Partisanen anzuschließen, absolut undenkbar. Folglich wurde Germans erster Spielfilm unmittelbar nach Fertigstellung 1971 für 15 Jahre verboten und konnte erst im Zuge von Gorbatschows Glasnost aufgeführt werden. Germans zur Zeit seiner Entstehung unbequemes Plädoyer für Menschlichkeit jenseits ideologischer Kategorien ist von langen schwarzweißen CinemaScope-Einstellungen und häufigen Großaufnahmen geprägt, die dem Film eine ruhige, fließende, streckenweise lyrische Grundstimmung verleihen. THE AGE OF INNOCENCE (Martin Scorsese, USA 1993, 20. & 21.5.) Scorsese und Kameramann Ballhaus durchwirken ihre grandiose Edith-Wharton-Verfilmung mit Reverenzen an Ophüls' optische Bildgestaltung in Lola Montez oder Viscontis überbordende Scope-Bilderwelten. Die Liebe zwischen einem aufstrebenden Anwalt und der extravaganten Cousine seiner Verlobten scheitert an den rigiden gesellschaftlichen Konventionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die seelischen Ruinenlandschaften der Protagonisten treffen auf das in Äußerlichkeit erstarrte luxuriöse Ambiente der New Yorker High-Society.

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