BERLIN. DIE SINFONIE DER GROSSSTADT (Walter Ruttmann, D 1927, 2. & 8.6., am Klavier: Eunice Martins) Ein Tag in der Großstadt Berlin, chronologisch dargestellt in fünf Zeitphasen. In abwechselnd rasantem, dann wieder ruhigerem Tempo fächert Ruttmann Bilder der Stadt, des städtischen Lebens und der Menschen auf: Häuserschluchten, Züge, Straßen, Arbeiter- und Angestelltenmassen, Maschinen, Leuchtreklamen, Abendvergnügungen – Bilder, die nach Bewegungs- und Kontrastprinzipien montiert, zu einem visuellen Rhythmus, einem Strom der Eindrücke und pulsierenden Bilderfluss verschmelzen. DER SCHÖNE TAG (Thomas Arslan, D 2001, 3. & 6.6.) Gänge durch die Stadt – einen Tag lang bewegt sich Deniz (Serpil Turhan) durch das sommerliche Berlin: von Kreuzberg an den Wannsee, vom Alexanderplatz zum Tiergarten. Bei Arslan ist Berlin nicht pittoreske Kulisse. Die Wege durch die Stadt sind vielmehr Pulsgeber, rhythmisierender Faktor des Films. Deniz' Streifzüge – nicht selten per U-Bahn – vermessen die Stadt und verbinden die momentanen Koordinaten ihres Lebens. Zwischen Freund, Mutter, Schwester, ihrer Arbeitstätte als Synchronsprecherin, Vorsprechen und einer abendlichen Zufallsbekanntschaft sondiert Deniz die eigenen Erwartungen an ihr Leben. City-Symphonies-Kurzfilmprogramm (9. & 17.6., am Klavier: Eunice Martins): MANHATTA (Paul Strand / Charles Sheeler, USA 1921) Die erste Stadtsinfonie der Filmgeschichte – eine lyrische Komposition aus Architektur, Raum und Bewegung, basierend auf einem Gedicht von Walt Whitman. RIEN QUE LES HEURES (Alberto Cavalcanti, F 1926) Dokumentar- und Spielfilmszenen miteinander verbindend, entwickelt Cavalcanti einen impressionistischen Blick auf Paris von morgens bis mitternachts. A PROPOS DE NICE (Jean Vigo, F 1930) Satirisch-absurdes Porträt des französischen Badeortes und seiner großbürgerlichen Gesellschaft. Vigo selbst bezeichnete seinen Film als einen "sozialen Dokumentarfilm" und zitierte klassische Großstadtsymbole à la Ruttmann und Wertow – Maschinen, Bewegung, Arbeitswelten –, um Nizza als wenig dynamisch-moderne Großstadt zu karikieren. MY WINNIPEG (Guy Maddin, Kanada 2007, 15. & 24.6.) "Eine vielschichtige Reise durch die Heimatstadt im Kopf des Regisseurs, ein wildes Capriccio aus Fakten und Fiktion." (Eddie Cockrell) Wie alle Filme Maddins entzieht sich auch dieses surreale, essayistisch-persönliche Porträt seiner Geburtsstadt einer Genrezugehörigkeit. Anklänge an die Stadtsinfonie finden sich dennoch, wie z.B. die dynamische Montage, das Durchstreifen der Stadt und das Beschwören ihres Mythos. Die Stadt Winnipeg wird gleichzeitig zu einem ge-/erträumten Ort und zum Schauplatz unser aller Kindheit. THE LITTLE FUGITIVE (Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin, USA 1953, 19. & 27.6.) Der Film, ohne den es die Nouvelle Vague nicht gegeben hätte. Der Schlüsselfilm des unabhängigen amerikanischen Kinos zeigt die Erlebnisse des siebenjährigen Joey, der aus Angst, seinen Bruder umgebracht zu haben, von zu Hause wegläuft und einen Tag und eine Nacht auf Coney Island verbringt. Hier wird er ganz von der Vergnügungswelt absorbiert und bewegt sich mühelos zwischen Hot-Dog-Ständen, Strand und Ponyställen. Ebenso mühelos bewegt sich die Kamera durch das Treiben auf Coney Island, dokumentiert das nachmittägliche Gedränge ebenso wie die ausgelassene Abendstimmung und das klärende Gewitter – eine Insel-Sinfonie über eine verschwundene Welt. THE NAKED CITY (Stadt ohne Maske, Jules Dassin, USA 1947, 20. & 23.6.) Betonschluchten, Spielplätze, Feuermelder, Straßenszenen, Zeitungsjungen, das Leben auf der Straße bei drückender Sommerhitze – mit Hilfe eines verspiegelten Lastwagens entstanden die Aufnahmen, die NAKED CITY zu einem für damalige Verhältnisse legendären, semidokumentarischen Porträt New Yorks werden ließen. Die Riesenstadt wird zum gleichwertigen Protagonisten der Geschichte um einen Mord an einem jungen Fotomodell. SUITE HABANA (Suite Havanna, Fernando Pérez, Kuba 2003, 22. & 29.6.) Havanna ganz ohne den morbiden Glanz vergangener Tage und Kuba-Klischees. Pérez zeigt vielmehr 24 Stunden im Leben von zehn völlig unterschiedlichen Bewohnern Havannas – vom Gleisarbeiter, der vom Leben als Musiker träumt bis zum Professor, dessen Frau Erdnüsse verkaufen muss – und kommt dabei ohne Kommentar oder Interviews aus. Bilder und Geräusche verdichten sich zu einem poetischen Gesamtbild der Stadt, zu einer dem Tagesablauf folgenden melancholischen Suite. MOSKWA (Moskau, Ilja Kopalin, Michail Kaufman, UdSSR 1927, 28. & 30.6., am Klavier: Eunice Martins) Anlässlich des zehnten Jahrestags der Oktoberrevolution beauftragt, zeichnen die Regisseure Kopalin und Wertow-Bruder Kaufman die Veränderungen Moskaus zehn Jahre nach der Revolution in ihrer Widersprüchlichkeit nach. Eine überraschend bewegliche Kamera dokumentiert die äußerlich kaum veränderte Fassade der Stadt mit ihren zaristischen Villen und Palästen, in denen sich eine neue, sowjetische Wirklichkeit entwickelt hat.