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Trotz alldem sind Hongs Filme nicht auf einen selbstreferenziellen Formalismus reduzierbar, denn gleichzeitig sind sie auf fast schon ethnologisch genaue Art Beobachtungen des koreanischen Alltags: In den Sprachnuancen und Körpergesten der Figuren, die sich heillos in unrühmlichen Affekten wie Neid, Feigheit und Egoismus verstricken, legt Hong unbarmherzig aber auch witzig den sozialen Habitus der (pseudo)intellektuellen koreanischen Mittelschicht frei. Vergleichbar den Filmen Yasujiro Ozus, erfinden Hong Sang-soos "Tales of Cinema" eine eigene Welt, in der auch zwischen den einzelnen Filmen unzählige Echos und Resonanzen entstehen – scheinbar unbedeutende Motive und Dinge aus früheren Filmen tauchen in variierter Form in späteren Filmen wieder auf. Auch deshalb ist es ein großes Vergnügen, sich die Filme in ihrer Gesamtheit zu erschließen. Das Arsenal präsentiert das 13 Langfilme und einen Kurzfilm umfassende Gesamtwerk von Hong Sang-soo, zu den meisten Filmen wird es Einführungen geben. Der Regisseur wird am 19. und 20.11. gemeinsam mit seinem Hauptdarsteller Yoo Jun-sang anwesend sein und seine letzten beiden Filme vorstellen: THE DAY HE ARRIVES (2011) und als Deutschlandpremiere seinen in Cannes gezeigten IN ANOTHER COUNTRY (2012). Begleitend zur Retrospektive wird am 18.11. im www.kulturkorea.org/de/ - external-link-new-window>Koreanischen Kulturzentrum Berlin (Leipziger Platz 3) ein internationaler Workshop stattfinden. Filmwissenschaftler und Filmkritiker werden dort die filmästhetischen Parameter von Hongs "Tales of Cinema" analysieren. Die Vortragenden sind Hervé Aubron (Paris), Sun-ju Choi (Tübingen/Seoul), Daniel Eschkötter (Erfurt/Jena/Weimar), Lukas Foerster (Berlin), Kyung-Hyun Kim (Ir-vine), Sulgi Lie (Berlin) und Nikolaus Pernecky (Berlin). Die Vortragssprache ist Englisch, der Eintritt ist frei. DAIJIGA UMULE PAJINNAL (The Day a Pig Fell Into the Well, 1996, 2.11., Einführung: Sulgi Lie & 13.11.) gilt als eines der wichtigsten Debüts der koreanischen Filmgeschichte. Vier Episoden im Großstadtmoloch Seoul, die sich lose ineinander verfransen. Ein erfolgloser, frustrierter Schriftsteller pendelt zwischen zwei Affären mit einer unglücklich verheirateten Frau und einer jungen Frau aus ärmlichen Verhältnissen. Ein Handelsvertreter wird bei einer erfolglosen Geschäftsreise mit seinen Phobien konfrontiert. Eine junge Frau muss sich mit schäbigen Jobs durch ihr prekäres Leben schlagen. Eine verheiratete Frau versinkt in Einsamkeit und Agonie. Die Grundkoordinaten von Hongs Universum finden sich bereits in seinem Erstling etabliert: Narzissmus und Neurose, Sprachlosigkeit und trister Sex. THE DAY A PIG FELL INTO THE WELL kartografiert das moderne Seoul als Ansammlung von anonymen Nicht-Orten: geschmacklose Cafés und Restaurants, schmuddelige Love Hotels. Hongs Erstling ist zugleich sein düsterster, depressivster Film und führt alle Figuren hoffnungslos in den Abgrund, worauf der allegorische Filmtitel zu verweisen scheint. Ab seinem zweiten Film KANGWON DO UI HIM (The Power of Kangwon Province, 1998, 3. & 14.11.) wählt Hong Sang-soo oft eine zweigeteilte filmische Form, in der sich die beiden Teile des Films meist erst nachträglich ineinanderfügen. Hier ist es die Geschichte eines Unidozenten, der im zweiten Teil des Films die Erinnerungsorte einer verflossenen Urlaubsliebe aufsucht, die ihrerseits im ersten Teil des Films an denselben Ort fährt. Den Zusammenhang der beiden Geschichten muss sich der Zuschauer aus marginalen Details vor allem selbst konstruieren. Trotz einiger grotesker Momente grundiert das Dead End der Depression die emotionale Tönung des Films. In OH! SOO-JUNG (Virgin Stripped Bare by Her Bachelors, 2000, 3.11., Einf.: Lukas Foerster & 15.11.), Hongs erstem Schwarzweiß-Film, wird die komplizierte Liebesgeschichte zwischen einem Galeristen und einer Drehbuchautorin einmal aus der männlichen und einmal aus der weiblichen Perspektive erzählt – hier ist es die minimale (geschlechtsabhängige) Differenz der beiden Erzählpositionen, die den subtilen Witz dieses Films ausmacht. Auch in SAENGHWALUI BALGYEON (Turning Gate, 2002, 4.11., Einf.: Hanno Berger & 16.11.) teilt sich die Erzählung in zwei Teile, um wiederum die vermeintliche Differenz zwischen erstem und zweiten Teil durch repetitive Muster einzuebnen. Ein arbeitsloser Schauspieler konkurriert mit einem Freund um eine Frau und versucht, diesem unglücklichen Beziehungsdreieck zu entfliehen. Doch bei einer Reise in die Provinz gerät er erneut in eine ähnliche Konstellation. Der erhoffte Neubeginn gerät in den Bann eines unbewussten Wiederholungszwangs. YEOJANEUN NAMJAUI MIRAEDA (Woman is the Future of Man, 2004, 6.11., Einf.: Ekkehard Knörer & 16.11.) variiert erneut die Dreieckskonstellation von Turning Gate. Wie in Flashbacks enthüllt wird, haben zwei überaus egomanische Freunde, der eine ein Regisseur, der andere ein Kunstdozent, in der Vergangenheit beide eine Affäre mit derselben Frau gehabt, ohne voneinander zu wissen. In der Gegenwart reisen die beiden zu der Frau, die mittlerweile eine Bar außerhalb von Seoul betreibt. Wieder bahnt sich im Verhalten der Männer ein fataler Automatismus der Wiederholung an. BAM GUA NAT (Night and Day, 2008, 8.11., Einf.: Julian Radlmaier & 18.11.) ist der erste und bislang einzige Film, den Hong außerhalb Koreas gedreht hat, aber auch in Frankreich bleibt die koreanische Community unter sich: Weil er in Seoul beim Marihuana-Rauchen erwischt wurde, flieht ein verheirateter Maler aus Angst vor einer Gefängnisstrafe nach Paris und kommt in einer koreanischen Pension unter. Dort trifft er sowohl auf seine Ex-Freundin als auch auf zwei junge Kunststudentinnen. Fast schon eine Rohmer-Parodie, läutet die absurde (Körper-)Komik von NIGHT AND DAY einen komödiantischen Turn in Hongs Filmografie ein. In KEUK JANG JEON (Tale of Cinema, 2005, 9. & 17.11.) wird die Strategie der Doppelung zum ersten Mal bei Hong als Film im Film eingerahmt. Ein junger Mann trifft zufällig seine Ex-Freundin wieder und beginnt erneut ein Verhältnis mit ihr. Ein Regisseur entwickelt nach dem Besuch eines Kurzfilms ein obsessives Begehren nach der Hauptdarstellerin, die er zufällig vor dem Kino trifft. Vom Leben ins Kino und doch wieder zurück – in dieser Spiralbewegung ist Tale Of Cinema eine Feier der imaginären Macht des Kinos und zugleich eine Kritik am Kino als Ort von (männlicher) Selbsttäuschung und Realitätsverlust. Dieses Double Bind von Fetischisierung und Skeptizismus macht Tale of Cinema zu einem der intelligentesten Filme über das Kino. HAEBYUNEUI YEOIN(Woman on the Beach, 2006, 9.11., Einf: Daniel Eschkötter & 17.11.) Ein Regisseur spannt aus purer Konkurrenzlust seinem Freund und Assistenten die Freundin aus und kommt dann nicht damit klar, dass die Frau in ihrer Vergangenheit schon mit mehreren deutschen (!) Männern geschlafen hat. Im zweiten Teil trifft er auf eine andere Frau, die er für seinen Film casten möchte, weil sie ihn an die erste Frau erinnert. Wie schon in Tale of Cinema sorgen merkwürdige Zoom-Ins und Zoom-Outs für feine Störungen in den klar kadrierten Einstellungen. Es gibt eine hinreißend komische Szene, in der der Regisseur das Dilemma seines Begehrens in Form eines Diagramms darzustellen versucht. JAL ALJIDO MOTHAMYEONSEO (Like You Know it All, 2009, 10.11., Einf.: Rudolf Thome & 21.11.) nimmt den Filmfestivalbetrieb auf die Schippe: Ein Regisseur fährt als Juror zu einem Filmfestival, kommt aber wegen lauter absurder Vorfälle kaum zum Filmegucken. Im zweiten Teil präsentiert derselbe Regisseur seine neue Arbeit auf einer Filmschule auf der Insel Jeju und entflammt erneut für seine Ex-Freundin. "Was weißt du denn schon", könnte man den koreanischen Titel auch übersetzen. Männliche Erbärmlichkeit und Regression sind in diesem Film ins Groteske getrieben und wie immer bei Hong wird der Regisseur Opfer seiner eigenen Phantasmen. Auch HAHAHA (2010, 11.11., Einf.: Tim Schenkl & 22.11.) übersetzt das (Miss-)Verhältnis von Wissen und Nicht-Wissen in eine dem Titel entsprechende, komische Erzählweise: Ein Regisseur und ein Filmkritiker erzählen sich bei einigen Gläsern Reiswein ihre amourösen Abenteuer während ihrer letzten Urlaubsreise – ohne zu merken, wie sich ihre Geschichten miteinander überschneiden. In surrealen Einschüben tauchen Figuren der koreanischen Geschichte auf. CHEOB CHEOB SANJOOG (Lost in the Mountains, 2009, 12. & 24.11.) ist als Kurzfilm im Rahmen des Jeonju Digital Project entstanden. (Die anderen Beiträge stammen von Lav Diaz und Naomi Kawase.) Seitdem Hong in Tale of Cinema das Voice-Over eingeführt hat, gibt es hier erstmalig eine weibliche Erzählerin, die ihre Sicht der Dinge gegenüber dem Narzissmus der Männer durchsetzen muss. Mit OKI-EUI YONH-HWA (Oki's Movie, 2010, 12.11., Einf.: Nikolaus Pernecky & 24.11.) erreicht Hongs Kino eine neue Ebene metafilmischer Verschachtelung: Vier Episoden, viermal Film im Film im Film …, deren Strudel kaum zu entwirren ist. Doch eines scheint sich in Hongs Universum geändert zu haben: Im Gegensatz zur Einfalt ihrer männlichen Kollegen behauptet Oki als Regisseurin in ihrem Film die Komplexität der Multiperspektive: OKI'S MOVIE ist Oki's Movie. In elegantem Schwarzweiß ist BOOK CHON BANG HYANG (The Day He Arrives, 2011, 19.11., zu Gast: Hong Sang-soo, Yoo Jun-sang & 23.11., Einf.: Joan Aguilar) ein Experiment in minimalistischer Verknappung: Ein Regisseur (Yoo Jun-sang) gerät bei seiner winterlichen Durchreise in Seoul in eine Art Wiederholungsschleife. Vor allem in einer Bar namens "Novel" kommt er nicht nur einmal an, sondern immer wieder und wieder. Der Film wandelt sich dem alkoholinduzierten Vergessen der Figuren seriell an: Play und Replay. DA-REUN NA-RA-E-SUH (In Another Country, 2012, 20.11., zu Gast: Hong Sang-soo, Yoo Jun-sang & 23.11.) ist Hongs erste Zusammenarbeit mit einem europäischen Star. In drei Filmszenarien einer Filmstudentin besucht Isabelle Huppert in unterschiedlichen Rollen die Hafenstadt Mohang. Verschiedene koreanische Männer kreuzen ihren Weg, darunter ein charmanter Rettungsschwimmer (Yoo Jun-Sang) mit gebrochenem Englisch. Hongs neuester Film ist eine grandiose Komödie missglückter interkultureller Interaktion. (Sulgi Lie) Eine Veranstaltung kuratiert von Sun-ju Choi und Sulgi Lie. In Zusammenarbeit mit dem Koreanischen Kulturzentrum Berlin.

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