Wir freuen uns sehr, Sandrine Bonnaire – dank der großzügigen Unterstützung des Institut français – zur Eröffnung einer zwölf Filme umfassenden Werkschau am 7.1. im Arsenal begrüßen zu können. Sie wird begleitet von Tiffy Morgue und Jean-Yves Gaillac, den Ko-Autoren ihres letztes Jahr in Frankreich erschienenen Buchs "Le soleil me trace la route". Vor der Vorführung von A NOS AMOURS wird Sandrine Bonnaire auf Wunsch Bücher signieren, im Anschluss gibt es die Gelegenheit zum Publikumsgespräch. A NOS AMOURS (Auf das, was wir lieben, Maurice Pialat, F 1983, 7.1., in Anwesenheit von Sandrine Bonnaire, Tiffy Morgue und Jean-Yves Gaillac & 4.2.) Die 15-jährige Suzanne (S. B.) ist auf der Suche nach Liebe, die sie in ihrer dysfunktionalen Familie vermisst. Doch sie findet nur Liebhaber und sexuelle Abenteuer. Vater (Maurice Pialat) und Tochter sind in der Erfahrung von Traurigkeit und in ihrem Wissen um andauernde Einsamkeit zwei verwandte Seelen. Pialats unsentimentale Chronik einer Jugend greift Aspekte auf, die wiederholt Thema seiner Filme waren: Familie, Erziehung, psychische Verwerfungen aus der Kindheit, Liebesfähigkeit. Der Film, dessen Anfangssequenz zu den schönsten der Kinogeschichte zählt – das Bild Sandrine Bonnaires am Bug eines Schiffes zu der Musik von Henry Purcells "Cold Song", interpretiert von Klaus Nomi – bedeutete den späten Durchbruch für den Regisseur. "Sandrine Bonnaire glänzt in ihrer Debütrolle. Ihr Schauspiel oszilliert zwischen rumalbernder Mädchenhaftigkeit und dem selbstsicheren Auftreten einer jungen Frau. Und ab und an leuchtet in ihrem Gesicht ihr damals schon ansteckendes Lächeln auf. 'Es gibt Kräfte von Traurigkeit, gegen die man ankämpfen muss'." (Nicole Hess) SANS TOIT NI LOI (Vogelfrei, Agnès Varda, F 1985, 8. & 31.1.) Zu Beginn des Films sehen wir Monas (S. B.) Ende: die Leiche einer jungen Frau in einem Graben, irgendwo im winterlichen Südfrankreich. Die Frage, die die Polizei interessiert, ob die Obdachlose eines "natürlichen Todes" starb, ist schnell beantwortet. Alle weiteren Fragen, die Aufschluss über Monas Leben geben könnten, bleiben offen. Mona erklärt sich nicht, sie verneint die Werte ihrer Umwelt, ebenso wie sie deren Hilfe ablehnt. Die Nachforschungen, die der Film anstellt, sagen schließlich mehr über die Menschen aus, denen Mona begegnete. Indem sie über Mona sprechen, definieren sie sich selbst. "Ich könnte den Film in drei Worten bestimmen: Weite, Rebellion und Einfachheit. Das andere ist die Geschichte einer Vagabundin, deren größte Stärke es ist, nur im Vorbeigehen zu leben. Mona ist eine Person, die stört und verwirrt, weil sie alles zurückweist, auch die geringste soziale Anbiederung, jegliche Perspektive. Sie stört auch, weil sie nie Opfer ist, nie bedauernswert. Und das provoziert sehr heftige Reaktionen." (Agnès Varda) QUELQUES JOURS AVEC MOI (Einige Tage mit mir, Claude Sautet, F 1988, 12. & 19.1.) Eine sozialsatirische Tragikomödie über reiche Industrielle, kleinbürgerliche Provinzler und sogenannte einfache Leute: Martial Pasquier (Daniel Auteuil), der reiche Erbe einer Supermarktkette, ist gerade aus einem Sanatorium entlassen worden. Zur Ablenkung schickt ihn seine Mutter (Danielle Darrieux) in die Provinzstadt Limoges, wo Martial herausfinden soll, warum die dortige Filiale so schlechte Zahlen schreibt. Schnell stellt der Melancholiker nicht nur fest, dass der Filialleiter in die eigene Tasche arbeitet, sondern er verliebt sich auch in dessen jugendliche Hausangestellte Francine (S. B.). Kurzerhand richtet er sich in Limoges ein, und schlägt der erfrischend lebendigen Francine vor, einige Tage mit ihm zu verbringen. LES INNOCENTS (Die Unschuldigen, André Téchiné, F 1987, 14. & 17.1.) Auf der Suche nach ihrem taubstummen Bruder Alain lernt Jeanne (S. B.) in Toulon Stéphane, den Sohn eines Orchesterdirigenten kennen, der ihr bei der Lösung ihres Problems helfen will. Die Spur führt zu Saïd (Abdellatif Kechiche), einem jungen Araber, der mit dem Bruder Kontakt hat. Jeanne, die Zuneigung für Stéphane und Saïd entwickelt, wird mit einer ausländerfeindlichen, rechtsradikalen Organisation konfrontiert, für deren Parolen Stéphane empfänglich ist. Sein bisexueller Vater (Jean-Claude Brialy) wiederum hat eine Schwäche für jugendliche Araber, besonders für Saïd. LA CÉRÉMONIE (Biester, Claude Chabrol, F / D 1995, 20.1. & 9.2.) Sophie (S. B.) wird bei der Fabrikantenfamilie Lelièvre als Hausmädchen angestellt. Eine herrschaftliche Villa auf dem Land, ein zuvorkommendes Ehepaar, wohlerzogene Kinder mit linken Flausen im Kopf. Man hat Geschmack, Stil, drei Autos und sieht sich im Fernsehen gemeinsam Mozart-Opern an. Alle sind nett zu Sophie, aber die Hierarchien sind klar. Nicht die Individuen sind monströs, sondern die Verhältnisse. Das Verbrechen der Lelièvres besteht einzig in ihrem Status und der damit einhergehenden Arroganz. Als sie Sophies Analphabetismus entdecken, haben sie eine Grenze überschritten. "BIESTER ist Chabrols unbarmherzigster Film über die Klassenfrage: ein fait divers, wie man sie alle Tage unter 'Vermischtes' in den Zeitungen liest, als Chronik einer unausweichlichen Exekution. Im Original heißt der Film 'La cérémonie', ein altmodisches Wort für Hinrichtung. Entsprechend zwangsläufig, nach den ehernen Gesetzen eines Rituals, spielt sich das Geschehen ab." (Christiane Peitz) AU COEUR DU MENSONGE (Die Farbe der Lüge, Claude Chabrol, F 1999, 20. & 25.1.) Als in einem bretonischen Küstenstädtchen die Leiche eines zehnjährigen Mädchens entdeckt wird, gerät dessen Zeichenlehrer unter Mordverdacht. Während seine Frau (S. B.) den Gerüchten im Dorf entgegentritt und versucht, die ermittelnde Kommissarin (Valeria Bruni Tedeschi) von der Unschuld ihres Mannes zu überzeugen, bahnt sich zwischen ihr und einem bekannten Schriftsteller aus der Nachbarschaft eine Romanze an. Als dieser tot aufgefunden wird, gerät ihr Mann erneut ins Zentrum der Ermittlungen. "Vielleicht will Chabrol einfach nur ablenken vom Mittelpunkt seines Interesses: dem faszinierenden Gesicht von Sandrine Bonnaire. Da geht es ihm wie Hitchcock mit seinen Blondinen, da kann er den Blick nicht mehr von ihr lassen. Sein Film wirkt wie ein kleines bretonisches Remake von Vertigo. Willkommen im Reich der Toten, heißt es – ein merkwürdiges Orakel – am Ende." (Fritz Göttler) LA CAPTIVE DU DÉSERT (Die Gefangene der Wüste, Raymond Depardon, F 1990, 22.1. & 5.2.) 1974 wird eine französische Lehrerin in der Sahara von Rebellen der Toubous im Tschad verschleppt. Erst nach 33 Monaten wird die junge Frau wieder freigelassen. Raymond Depardon, der damals als Reporter und Fotograf über die Ereignisse berichtete, lässt bewusst die psychologischen und politischen Implikationen der Gefangenschaft außer Acht. Ohne Chronologie, ohne Handlung im eigentlichen Sinne rückt er das Martyrium einer Gefangenschaft ins Bewusstsein – mit atemberaubenden Bildern, die das Nichtverstreichen der Zeit, die sengende Hitze, das grelle Licht der Wüste sinnfällig machen; mit der endlosen Wiederholung kleinster Vorgänge und Gesten, vor allem mit dem frappierenden Spiel Sandrine Bonnaires. ELLE S'APPELLE SABINE (Ihr Name ist Sabine, Sandrine Bonnaire, F 2007, 23.1. & 7.2.) "Schon als Kind war Sabine anders als wir und brauchte besondere Hilfe. Damals war für uns Autismus kein Begriff. Mit 28 wurde sie in die Psychiatrie eingeliefert. Dort blieb sie fünf Jahre. Als sie entlassen wurde, hatte sie alle ihre früheren Fähigkeiten verloren." Mit diesen Worten resümiert Sandrine Bonnaire das Schicksal ihrer jüngeren autistischen Schwester. Sabine und Sandrine – zwei Schwestern mit ähnlich klingenden Vornamen, deren Lebensweg jedoch unterschiedlicher nicht hätte sein können. In einem Dokumentarfilm, der ohne jegliches Pathos das gegenwärtige Lebensumfeld Sabines mit Videoaufnahmen aus der Vergangenheit konfrontiert, zeichnet Sandrine Bonnaire ein zärtliches Porträt ihrer Schwester und ihrer komplizierten Beziehung zueinander. JEANNE LA PUCELLE I – LES BATAILLES (Johanna, die Jungfrau – Der Kampf, Jacques Rivette, F 1994, 28.1. & 1.2.) Jacques Rivette erzählt in seinem zweiteiligen Film den Weg der Jungfrau von Orléans, die sich von Gott berufen fühlt, Frankreich im Hundertjährigen Krieg von den Engländern zu befreien, in den zwei Jahren ihres öffentlichen Auftretens, von Januar 1429 bis Mai 1431. "Der Kampf" zeigt, wie die 16-jährige Bauerntochter Jeanne (S. B.) hartnäckig zum Dauphin durchdringt, sich in eine Kriegerin verwandelt, eine am Boden liegende französische Armee zum Kampf gegen die Engländer und ihre Verbündeten zu begeistern versteht und Orléans befreit. Gefragt, was ihn, angesichts der 40 existierenden Verfilmungen des Stoffes inspiriert habe, die Geschichte der Jeanne d'Arc neu zu erzählen, antwortete Jacques Rivette: "Wegen Sandrine Bonnaire. Ohne sie wäre ich niemals auf die Idee gekommen, den Film zu machen. Wie Jeanne verkörpert Sandrine jemanden, der sehr direkt und evident ist, der niemals etwas verbirgt und unfähig zum Kalkül und zur Heuchelei ist." JEANNE LA PUCELLE II – LES PRISONS (Johanna, die Jungfrau – Der Verrat, Jacques Rivette, F 1994, 28.1. & 2.2.) Teil 2, "Der Verrat", fährt zunächst mit der Königskrönung in Reims fort und schildert danach das Scheitern Jeannes: Gefangennahme, Auslieferung an die Engländer, Inquisitionsprozess und Hinrichtung als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen in Rouen. Rivettes Verfilmung der Geschichte der Jeanne d'Arc unterscheidet sich von den beiden berühmtesten Bearbeitungen für das Kino durch Carl Theodor Dreyer (1928) und Robert Bresson (1962) nicht zuletzt durch die Inszenierung des Raums. Rivette öffnet den Blick für den Raum und die Bewegung, die ihn durchmisst, für Landschafts-panoramen und Zimmerfluchten, Höfe und Kirchenhallen, Küchen und Zellen. Nicht die Großaufnahme und das Detail, sondern Totale und Halbtotale, Schauplatz und Gruppenbild dominieren den Film. "Unter Vermeidung jeglichen Dekors, dem Verzicht auf alle historisierende Ausstattung, bringt die Kamera den Raum zur Geltung, allein im wechselnden Licht von Jahres- und Tageszeiten, von innen und außen. In der Treue zum Bezeugten und der Kargheit der Inszenierung stellt Jeanne la pucelle das Paradox eines dokumentarischen Spielfilms dar – ein Dokument frei von jedem papierenen Beiklang wie eine Filmerzählung ohne historisierende, psychologisierende oder mystifizierende Projektion." (Karsten Visarius) SECRET DÉFENSE (Geheimsache, Jacques Rivette, F 1998, 29.1. & 3.2.) Sandrine Bonnaire als eine zeitgenössische Elektra, die sich, eine Pistole in der Tasche, aufmacht, nach fünf Jahren den vermeintlichen Mörder ihres Vaters zur Strecke zu bringen. Jaques Rivettes präziser, kühler Thriller folgt seiner Protagonistin auf Schritt und Tritt; Aktion bedeutet hier vor allem, Zwischenräume zu inszenieren: das Warten auf den Bus, die Zugfahrt, die den Schüssen vorangeht, ein Drama, das sich vorrangig in Gestik und Mimik seiner Hauptdarstellerin abbildet. "Allein die Zeit und Ruhe, die Rivette sich nimmt, seine Heldin unterwegs zwischen Paris und Dijon nicht aus den Augen zu lassen – es dürfte kaum eine andere Schauspielerin geben, deren Gesicht es so selbstverständlich, so unverkrampft und doch vielsagend aushält, dass sich der Zuschauer allein auf dessen Regungen oder Reglosigkeit verwiesen und keinen Augenblick gelangweilt sieht, auch wenn die Fahrt mit mehrmaligem Umsteigen lange währt." (Hans-Dieter Seidel)CONFIDENCES TROP INTIMES (Intime Fremde, Patrice Leconte, F 2004, 30.1. & 8.2.) Weil sie sich in der Tür geirrt hat, vertraut Anna (S. B.) irrtümlicherweise anstatt einem Psychotherapeuten dem Steuerberater William Faber ihre Eheprobleme an. Im Lauf der Zeit stellt sich zwischen ihm und der jungen Frau ein seltsames Ritual ein, das von Termin zu Termin und mit jedem Geständnis ein engeres Band zwischen ihnen webt. Mit Hitchcock'schem Suspense und Elementen des klassischen Hollywood-Melodrams hat Patrice Leconte einen Film inszeniert, der aus den Themen "Lust", "Angst", "Obsessionen", "Geheimnisse", "Missverständnisse", "Wandlungen" einen verspielten Thriller macht. Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Institut français, bei dem wir uns für die großzügige Unterstützung der Werkschau bedanken.