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In den 30er Jahren entstand in Shanghai ein breit aufgefächertes Star- und Genresystem, in dem sowohl Melodramen und Komödien, als auch Krimis ihren Platz haben – und sogar ein Horrorfilm: SONG AT MIDNIGHT (Ye ban ge sheng) von Ma-Xu Weibang, der titelgebende Eröffnungsfilm der Reihe, ist eine chinesische Variation auf "Phantom of the Opera". Eine wichtige Strömung des – technisch überaus zeitgemäßen – Shanghai-Kinos stellen die Produktionen der sogenannten "progressiven Studios" dar: populäres, sozialkritisches Kino, das die Moderne als Chance und Herausforderung gleichermaßen begreift. Ein Großmeister dieser ersten goldenen Phase der chinesischen Filmgeschichte war Sun Yu, der mit den gleichermaßen fein- und hintersinnigen Melodramen DAYBREAK (Tianming) und LITTLE TOYS (Xiao Wanyi) genauso reüssierte wie mit der optimistischen, energiegeladenen Fortschrittsfabel THE BIG ROAD (Dalu). Auch das neue Kino, das nach dem Sieg der Volksbefreiungsarmee 1949 entsteht, lässt sich nicht auf die Klischees eines eindimensionalen Propagandafilmschaffens reduzieren – zumindest nicht in den ersten eineinhalb Jahrzehnten der Volksrepublik: Neben Heldenepen und martialischen Kriegsfilmen finden sich spielerische, filmisch versierte Auseinandersetzungen mit der sozialistischen Umgestaltung des Gemeinwesens. Eine besondere Entdeckung sind zwei Animationsfilme der Zeichentrickpioniere Wan Guchan und Wan Laiming. Einen weiteren Schwerpunkt neben dem Shanghai-Kino der 30er Jahre und den Filmen nach 1949 bildet das Frühwerk Xie Jins, dessen lange, bis in die 90er Jahre reichende Karriere besonders geeignet ist, Kontinuitäten und Brüche in der chinesischen Filmgeschichte sichtbar zu machen. Zahlreichen Auseinandersetzungen mit der Zensur zum Trotz – Mao Zedong unterstellte dem Autorenfilmer eine Schwäche für bourgeoise Sensibilitäten – hat Xie Jin ein beeindruckend komplexes Erbe hinterlassen. Anstatt das Vorbild proletarischer Idealtypen zu beschwören, spüren Filme wie BIG LI, LITTLE LI AND OLD LI (Da Li, Xiao Li he Lao Li) und TWO STAGE SISTERS (Wutai jiemei) den gesellschaftlichen Umwälzungen ihrer Zeit im Persönlichen und Alltäglichen nach. TWO STAGE SISTERS, der jüngste Film der Reihe, entstand 1964, zwei Jahre vor Beginn der Kulturrevolution, die einen tiefen Einschnitt nicht nur innerhalb Xies Filmografie, sondern für die gesamte (festland-)
chinesische Filmgeschichte darstellt, weshalb auch die Filmreihe hier ihre Begrenzung findet. Die ersten beiden Filme von Xie, WOMAN BASKETBALL PLAYER NO. 5 (Nu lan wu hao) und RED DETACHMENT OF WOMEN (Hong se niang zi jun), verweisen auf eine besonders wichtige Traditionslinie: die Auseinandersetzung um die Rolle der Frau in der chinesischen Gesellschaft. Schon der älteste Film der Reihe, das äußerst selten gezeigte Schwertkampfspektakel RED HEROINE (Hongxia) aus dem Jahr 1929, stellt eine weibliche Heldin in den Mittelpunkt. Die am filmischen Realismus orientierten Produktionen der 30er Jahre widmen sich immer wieder dem Topos der sogenannten "Neuen Frau" und ihrem Verhältnis zur gesellschaftlichen Modernisierung. Die legendenumwobene Ruan Lingyu, der größte chinesische Filmstar ihrer Zeit, verkörperte diese "Neue Frau" wie keine andere.
SONG AT MIDNIGHT
(Ye ban ge sheng, Ma-Xu Weibang, 1937, 1.3., mit einer Einführung der KuratorInnen & 5.3.) Der vom Shanghaier Studio Xinhua produzierte Film versetzt uns zurück in die 10er Jahre, als sich unter dem Dach von Sun Yat-sens Kuomintang bürgerliche und kommunistische Revolutionäre zusammenfanden und gegen die Herrschaft der feudalen Warlords auflehnten – im Produktionsjahr 1937 ein unmissverständlicher Fingerzeig in Richtung der japanischen Besatzer. Ma-Xu Weibang kleidet seine Allegorie der nationalen Befreiung in die generischen Formen des Horrorfilms, der Film weist aber auch Anteile eines Backstage-Melodrams auf, was ihn in die Lage versetzt, die politische Aufgabe der Kunst – und wie man dem Zensor ein Schnippchen schlägt – stillschweigend mitzuverhandeln. Der Plot von SONG AT MIDNIGHT weist einige Ähnlichkeit mit dem des Phantom der Oper auf: Hier ist es ein Provinztheater, durch das ein romantisches Gespenst der Vergangenheit spukt. Die Art, in der SONG AT MIDNIGHT die nationale Leidensgeschichte erfahrbar macht, traf auf solch überwältigenden Zuspruch, dass das chinesische Kino seither von unzähligen Remakes heimgesucht wird. NEW WOMAN(Xi nü xing,Cai Chusheng, 1934, 2. & 11.3., am Flügel: Eunice Martins) ist einer der zentralen Filme für die Darstellung eines modern-mondänen Shanghai in den 30er Jahren. Der Film basiert frei auf der Biografie der Schriftstellerin und Schauspielerin Ai Xia. Mit der fiktionalisierten Darstellung einer Frau, die als Lehrerin und Schriftstellerin um ihre Unabhängigkeit kämpft, ging auch der vielleicht größte Star des Shanghai-Kinos der 30er Jahre von der Bühne: Ruan Lingyu beging kurz nach der Premiere des Films Selbstmord. Seine Kraft bezieht der Film nicht zuletzt daraus, dass er das individuelle Schicksal der Protagonistin mit dem kollektiven Schicksal verknüpft: Immer wieder wird der Kontrast zwischen der städtischen Moderne und dem quasi kolonialen Feudalismus in Montagesequenzen aufgegriffen, von denen eine das Löwenmotiv aus Eisensteins "Panzerkreuzer" aufgreift, um zur Auflehnung aufzufordern. CROSSROADS(Shizi jietou,Shen Xiling, 1937, 2. & 14.3.) Wie schon bei anderen Klassikern aus der "Goldenen Zeit" des Shanghai-Kinos der 30er Jahre weist das Motiv der Trennung und der Vereinigung auch in dieser Tragikömodie nicht nur auf die turbulente Zeit des Bürgerkriegs zwischen Kommunisten und der Kuomintang hin. In CROSSROADS ist das Thema der Trennung schon architektonisch in den Film eingebaut: In Shanghai wohnen drei arbeitslose Intellektuelle in einem engen, bohemien-artigen Raum zusammen, den nur eine Holzwand von der Wohnung zweier Schwestern trennt, die von romantischer Liebe träumen und die durch die Wand mit den drei Jungen flirten. Trotz der satirisch-humoristischen Abschweifungen entströmt dem Alltagsleben dieses sozialen Mikrokosmos' eine tiefe Melancholie. Am Ende, während einer melodramatischen Szene, wird die Wand buchstäblich eingerissen: Frau und Mann können zusammenleben, das wird aber zu neuen Verwicklungen führen. DAYBREAK (Tianming, Sun Yu, 1934, 3.3., am Flügel: Eunice Martins) Lingling, ein Mädchen vom Land, flüchtet sich vor der drohenden Armut in die Stadt, wo sie eine Anstellung als Fabrikarbeiterin findet. Etliche Verwicklungen später findet sie sich als Prostituierte auf den Straßen Shanghais wieder – bis die Revolution in die hermetische Welt des Melodrams einbricht, um die Gesetze des Genres umzubiegen: Lingling erduldet ihr Leid nicht länger (und erheischt nicht länger unser Mitgefühl), sondern sie wählt es als "Opfer für die Massen". Dennoch sehnt sie sich nach ihrer verlorenen Unschuld, wovon DAYBREAK in berückenden Reminiszenzen an ein ländliches Idyll erzählt. Erstaunlicherweise liefert der Film die Kritik an seinen nostalgischen Anwandlungen gleich mit: "The past is a dream, now we are awake!" Sun Yu ist ein Regisseur der unaufhörlichen Bildeinfälle – der aufwändigen Kameramanöver, erfinderischen Blickwinkel und manchmal Eisenstein'-schen Montagen. An seiner irrlichternden Darstellung des nächtlichen Shanghai springt die Ähnlichkeit mit anderen Großstadtbildern der Stummfilmära ins Auge: die Moderne als Kaleidoskop und Delirium. LITTLE TOYS (Xiao Wanyi, Sun Yu, 1933, 3.3., Einführung: Nikolaus Perneczky & 13.3., am Flügel: Eunice Martins) ist eine epische, aus allen generischen Fugen laufende Erzählung über eine Spielzeugmanufaktur im halsbrecherischen Wandel der Zeit. Die Hauptrolle, als begnadete Spielzeugmacherin Ye, spielt die legendäre Ruan Lingyu. Die historischen Ereignisse verschlagen Ye vom Land nach Shanghai, wo sie und ihre Helfer den chinesischen Truppen bei der Abwehr der japanischen Invasoren beistehen – bei großen persönlichen Verlusten. In keinem anderen Film des vielseitigen Sun Yu, dem nicht grundlos sowjetische Einflüsse nachgesagt werden, ist die Montage entfesselter als hier: Nach der Vertreibung aus dem ländlichen Paradies brechen Krieg und Moderne in einem veritablen Überblendungswahn über die schuldlose Spielzeugmacherin herein. Der eklektische Sun Yu legt sich ungern auf einzelne Genres fest; nicht zuletzt, weil die Darstellung der chaotischen Zeitläufte nach größerer Wendigkeit verlangt. THE BIG ROAD (Dalu, Sun Yu, 1934, 4.3., Einführung: Cecilia Valenti, am Flügel: Eunice Martins) Sechs junge Arbeiter ziehen aus der Stadt aufs Land, um zusammen am Bau einer Straße zu arbeiten. Metaphorisch steht dieses Bauprojekt, das Arbeiter und Bauern Schulter an Schulter bringt, für das nation-building im China der 30er Jahre. Die patriotische Botschaft sollte helfen, alle Kräfte gegen die japanischen Invasoren zu mobilisieren und zum Kampf gegen die Korruption der bürokratischen Apparate im Inland aufzurufen. Das utopische Potential in THE BIG ROAD stammt aber nicht aus diesem politischen Programm, sondern vielmehr aus Sun Yus Suche nach einer Mikropolitik der Gestik im Zusammenleben und -arbeiten. In der Repräsentation der Protagonisten hält sich eine allegorische Ebene mit der Neugier für die kleinen Gesten und für die Körpersprache, die die Kommunikation durchzieht, die Waage. Mit THE BIG ROAD wird Sun Yus poetischer Realismus zum visionären Humanismus. MYRIAD OF LIGHTS (Wanjia denghuo, Shen Fu, 1948, 6.3., Einführung: Nikolaus Perneczky) Obwohl der Titel des Films eine schillernde Großstadtvision nahelegt, geht dem Shanghai von MYRIAD OF LIGHTS jede Leuchtkraft ab. Es ist ein grau-nüchterner Ort von erdrückender Sachlichkeit, an dem der Angestellte Zhiquing mit seiner kleinen Familie lebt. Als seine Mutter und die restliche Großfamilie sich ankündigen, weiß Zhiquing nicht mehr ein noch aus: Wie soll er sie alle ernähren? Regisseur Shen Fu, der unter anderem für das Drehbuch zu CROWS AND SPARROWS verantwortlich zeichnet, hat ein Auge für pathetische Gesten, die sich aus ganz alltäglichen Situationen ergeben. Überwältigende Gefühle ereignen sich inmitten der allergrößten Routine. In diesen Momenten stößt der Film ein Fenster auf – nicht zur großen Utopie zwar, aber zu einem kleinen Hoffnungsschimmer. Im Ganzen beschreibt der Film eine stetig an melodramatischem Momentum gewinnende Abwärtskurve bis zur bitteren Armut, die erst durch einen Akt der politischen Bewusstwerdung durchbrochen werden kann. CROWS AND SPARROWS (Wuya yu maque, 1949, 7.3.), die zweite Regiearbeit von Zheng Junli, der in Sun Yus THE BIG ROAD einen der heroischen Arbeiter verkörperte, verbindet einen naturalistischen Blick fürs Alltägliche mit parabelhaften Obertönen. Wir befinden uns in Shanghai kurz vor Ende des Bürgerkriegs, wo die Mieter eines Wohnhauses sich den Schikanen des von der Kuomintang eingesetzten Hausherrn zu erwehren suchen. CROWS AND SPARROWS erkennt zwar den Klassenfeind, stellt ihm jedoch keine Helden entgegen. Alle sind sie ängstlich, fehlbar, unentschlossen: Der Lehrer Hua hegt Sympathien für den Kommunismus, kann sich aus Opportunismus indes nicht entscheiden, seiner Überzeugung Taten folgen zu lassen; der kindliche Straßenverkäufer Xiao und seine resolute Frau sind im Grunde keine schlechten Menschen, im Ernstfall aber auf ihren eigenen Vorteil bedacht; der gutmütige alte Zeitungslektor Kong weiß über die politischen Entwicklungen der letzten Jahre bestens Bescheid, hat sich aber längst in sein Schicksal gefügt. Nur vorübergehend macht CROWS AND SPARROWS den Figuren ihr mangelndes Rückgrat zum Vorwurf, zu tief ist der Film selbst in die kleinen Kämpfe des Alltags verwickelt, als dass sein politisches Urteil je zur Verurteilung umschlagen könnte. Der vorletzte Satz des Films lautet: "For now we must work hard to become a new people."THRESHOLD OF SPRING (Zaochun eryue, Xie Tieli, 1963, 8.3.) ist eine Art vorrevolutionärer Heimatfilm (angesiedelt in den 20er Jahren) über den progressiven Lehrer Xiao, der das Stadtleben satt hat und in ein kleines Dorf übersiedelt. Alles ist Musik in diesem überaus romantisch veranlagten Film – Fühlen, Lernen, Denken ereignen sich im Einklang mit einem umwerfenden Score, der wie ein frischer Wind durch das in alten Gebräuchen verharrende Dorf zieht. Auch der umliegenden Natur kommt eine wichtige, bewusstseinsbildende Funktion zu. Jeder Spaziergang gerät zum Schwellenerlebnis einer noch ungestalteten Zukunft – bis sich die aufgestaute Energie in der ungestümen Schlussszene entlädt: ein offenes Ende, wenn es je eines gab. THRESHOLD OF SPRING basiert auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte des linken Schriftstellers Rou Shi, der 1931 von Chiang Kai-sheks Schergen ermordet wurde. THE GODDESS(Shennü, Wu Yenggang, 1934, 9. & 21.3., am Flügel: Eunice Martins) Ein Drama um das Leben einer jungen Frau, die in Shanghai als Prostituierte zu überleben versucht und sich in einem permanenten Kampf mit ihrem Zuhälter und der Gesellschaft befindet, die nicht nur sie, sondern auch ihren Sohn aufgrund ihres Berufes diskriminiert. Als sie beschließt, die Stadt zu verlassen und an einem anderen Ort neu anzufangen, stellt sie fest, dass ihr Zuhälter ihre Ersparnisse gestohlen hat, um Spielschulden zu begleichen. In einem Streit tötet sie ihn. "THE GODDESS enthält eine der besten Leistungen von Ruan Lingyu. Der Film nutzt Prostitution als Symbol der Unterdrückung und Viktimisierung und gilt als Klassiker des chinesischen Stummfilms, auf einem Level mit den besten zeitgenössischen Filmen aus dem Westen." (Paola Voci und Yingjin Zhang) STREET ANGEL (Malu tianshi, Yuan Muzhi, 1937, 9.3., Einführung: Guido Kirsten & 18.3.) Die Montage im Filmvorspann ist eine Sinfonie für die moderne Großstadt Shanghai. Der Hochglanz des urbanen Lebens wird aber in STREET ANGEL seine Schattenseite zeigen. Und zwar gleich nach dem Vorspann, wenn der Film eine präzise Verortung erfährt: Herbst 1935, die Slums von Shanghai. In engen, elenden Gassen und auf pittoresken Dachböden, an die Darstellung von Paris im französischen Kino der 30er Jahre erinnernd, treffen sich die Lebensstränge der drei Protagonisten: Ein Trompeter, der die Hochzeiten reicher Leute begleitet, ein entzückendes singendes Mädchen, sowie ihre Schwester, die als Prostituierte arbeitet. Diese, von ihrer Zuhälterin misshandelt und ausgebeutet, bleibt fast den ganzen Film über stumm. Nur am Ende, im Sterbebett, wird sie sprechen, um soziale Armut zu denunzieren: Resolute, bittere Worte, halb geflüstert, halb halluziniert, keine große, belehrende Rede. RED HEROINE (Hongxia, Wen Yimin, 1929, 10.3., Einführung: Lukas Foerster, am Flügel: Eunice Martins) Die sogenannten Wuxia, wild-melodramatische Schwertkampffilme voller Intrigen, übernatürlicher Entitäten und naiver Spezialeffekte, zählten zu den ersten großen Kassenerfolgen des frühen chinesischen Kinos – bis die Regierung dem aus Herrschersicht unlauteren, "abergläubischen" Treiben 1931 per Zensurbeschluss ein Ende setzte. RED HEROINE, Teil sechs eines populären gleichnamigen Filmserials, ist das älteste komplett überlieferte Wuxia und überrascht mit einer feministisch anmutenden Storyline von traumartiger Flüchtigkeit. Im Zentrum stehen zwei vom Schicksal gezeichnete Frauen: die rote Heldin des Titels, die sich von einem alten Großmeister in der Kampfkunst unterweisen lässt, und ein Mädchen, das sich einem Kriegsherrn hingibt, um ihren Vater zu retten. Ein Film wie eine Flaschenpost aus einer anderen, wundersam verschrobenen Zeit und doch erkennbar verwurzelt in einer bis in die Gegenwart quicklebendigen visuellen und narrativen Tradition. RED DETACHMENT OF WOMEN (Hong se niang zi jun, 1961, 10.3., Einführung: Martin Ecklebe & 12.3.) Xie Jins zweiter Film erzählt, direkt auf einem gleichnamigen Roman und indirekt auf einem historischen Frauenbataillon aus den 30er Jahren basierend, in kraftvollen, bunten Bildern von der Transformation der jungen Wu Quinghua von einem Bauernmädchen in eine begeisterte Kämpferin für die gute rote Sache. Die ursprünglich vorgesehene Liebesgeschichte zwischen Wu Quinghua und einem kommunistischen General musste Xie Jin auf Parteigeheiß fallenlassen; dennoch scheint im enthusiastischen Schauspiel der Hauptdarstellerin eine Form von Individualismus durch, die mit maoistischen Idealen kaum vereinbar ist. Die Geschichte des roten Frauenbataillons setzte sich fort: 1964 wurde der Stoff als Ballettaufführung adaptiert, die zu den acht sogenannten "Modellopern" gerechnet wird und auf deren Grundlage im Jahr 1971, während der Kulturrevolution, eine weitere, nun voll und ganz systemkonforme Filmversion entstand. PRINCESS IRON FAN(Tieshan gongzhu,Wan Laiming/Wan Guchan, 1942, 15.3.) Um auf ihrer Pilgerfahrt einen Berg zu überwinden, müssen der Mönch Tripitaka und seine drei Begleiter ein Gebirge überqueren, das von einem Flammenmeer bedeckt ist. Dann erfahren sie, dass es einen Fächer gibt, der die Feuer bezwingen kann. Die drei Begleiter des Mönchs, der stotternde Halbdämon Sha Wujing, der faule und verfressene Schweinemensch Zhu Wuneng und der Affenkönig Sun Wukong machen sich daraufhin auf den Weg zu der Prinzessin, die den Fächer hütet. Diese erweist sich jedoch als ausgesprochen streitbar. Mit PRINCESS IRON FAN entstand im japanisch besetzten Shanghai unter den Bedingungen des Krieges der erste animierte chinesische Langfilm. Die Animation und die musikalische Untermalung ist in dem Film noch stärker an amerikanischen Vorbildern der 30er Jahre orientiert als in späteren Filmen der Wan-Brüder. CONFUCIUS (Kong Fuzi, Fei Mu, 1940, 15. & 26.3.) Das Biopic entstand 1940, während des Bürgerkriegs und der japanischen Besatzung. Der Film galt lange als verschollen, tauchte 2001 wie aus dem Nichts wieder auf, wurde anschließend jahrelang restauriert und schließlich 2009 auf dem Hong Kong Film Festival wiederaufgeführt. "Einige Szenen spielen in der freien Natur, doch zumeist nutzt Fei Mu theatrale Tableaus mit gemalten Hintergründen, auf die die Schauspieler gelegentlich Schatten werfen. (...) Wenn man sich an die dynamischen Filme des Regisseurs aus den 30ern erinnert, wird klar, dass der strenge, fast zeremonielle Stil eine bewusste künstlerische Entscheidung darstellt. In dieser Hinsicht erinnert CONFUCIUS an Eisensteins "Alexander Newski" oder an Mizoguchis "The 47 Ronin", Filme derselben Zeit, die historische Themen mit einer gewissen Festlichkeit abhandeln. Fei Mu überdenkt das Verhältnis des Kinos zum Theater, eine Frage, die viele Regisseure der Zeit beschäftigte und die auch heute noch wichtig ist." (David Bordwell) SPRING RIVER FLOWS EAST (Yi jiang chunshui xiang dong liu, Cai Chusheng/Zheng Junli, 1947, 16.3.) ist eine zeitnahe Schilderung der Ereignisse in Shanghai zwischen 1931 und der Nachkriegsgegenwart. Der Film setzt ein mit dem Widerstand einer Gruppe von Bewohnern Shanghais in der Mandschurei-Krise 1931. Im Mittelpunkt der Erzählung steht das Schicksal eines jungen Paares, das zunächst im Widerstand gegen die japanische Besatzung vereint ist: Sufen arbeitet in einer Stofffabrik, ihr späterer Mann Zhang Zhongliang gibt Abendklassen für Arbeiter und ermuntert diese, die Freiwilligenarmee zu unterstützen, die gegen die japanischen Invasoren kämpft. Die weiteren Wirren des Kriegs trennen die beiden jedoch bis zu einem verhängnisvollen Wiedersehen in Shanghai nach Ende des Krieges. Nicht nur in den montierten Originalaufnahmen aus dem Krieg ist die zeitliche Nähe zum Krieg spürbar, dem stellen Cai Chusheng und Zheng Junli jedoch den Versuch entgegen, das Erlebte in eine Narration zu fassen. SPRING IN A SMALL TOWN(Xiao cheng zhi chun, Fei Mu,1948, 17. & 19.3.) Ein invalider Provinzarzt, dessen frustrierte Ehefrau und ein unverhoffter Besucher aus der Hauptstadt bilden ein melancholisch grundiertes erotisches Dreieck in einem der ganz großen Klassiker des chinesischen Kinos: SPRING IN A SMALL TOWN ist ein intimes, nervenaufreibendes Psychodrama, das in seiner reduzierten, kontrollierten Visualität und auch in seinem Verzicht auf melodramatische Vereinfachungen eher an die zeitgenössischen japanischen Alltagsdramen erinnert als an das dynamische Shanghai-Kino der 30er Jahre. Entstanden ist der Film 1948, kurz vor dem endgültigen Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg. Die neuen Machthaber hatten eine andere Art von Kino im Sinn und so verschwand die letzte Regiearbeit des Meisterregisseurs Fei Mu über Jahrzehnte von der Bildfläche. Seit seiner Wiederentdeckung feiert SPRING IN A SMALL TOWN einen beispiellosen Siegeszug – 2005 wurde der Film im Zuge der Hong Kong Film Awards zum besten chinesischen Film aller Zeiten gewählt. Mit THIS LIFE OF MINE(Wo zhe yibeizi, Shi Hui, 1950, 20. & 22.3.) präsentierte sich die im Vorjahr gegründete Volksrepublik China auf dem Filmfestival Karlovy Vary zum ersten Mal dem westlichen Publikum: Ein Kino, das sich gemäß Mao Zedongs 1942 gehaltener "Yanan-Rede zur Literatur und Kunst" an die "absolute Mehrheit der Bevölkerung, das heißt an Arbeiter, Bauern und Soldaten" richten sollte. Als literarische Verfilmung illustriert THIS LIFE OF MINE die Geschichte Chinas von der Qin-Dynastie bis in die Gegenwart aus der Perspektive eines armen Polizisten, eines unterdrückten Funktionärs, der korrupten, gierigen Bürokraten dient. Dadurch wird uns erlaubt, hinter die Kulisse der sich abwechselnden Machtspiele auf die einfachen gesellschaftlichen Schichten zu blicken; auf die Familie des Polizisten und auf die Welt armer Menschen, die aus dem Gang der Geschichte gefallen zu sein scheinen. WOMAN BASKETBALL PLAYER NO. 5 (Nü lan wu hao, Xie Jin, 1957, 23.3., Einführung: Elena Meilicke & 29.3.) Das Basketball-Frauenteam bekommt einen neuen Trainer, den ethisch-soliden ehemaligen Athleten Tian. Später wird sich herausstellen, dass eine der Spielerinnen, die begabte Xiao Jie, die Tochter seiner einzigen und unglücklichen Jugendliebe ist. Das tägliche Training wird zum Anlass, ethische Werte kollektiv und ernsthaft zu verhandeln, und Sport wird zur Metapher für politisches Handeln. Marco Müller, der Xie Jin früh als großen Autor schätzte, schreibt, dass dieser mit dem großartigen, Ophüls’schen Melodram den Traum der Shanghai-Studios der 30er und 40er Jahre – Hollywood mit Lenfilm/Mosfilm zu verbinden – verwirklicht und dadurch den Geist der Ära wieder zum Leben erweckt habe. TWO STAGE SISTERS(Wutai jiemei, 1964, 23. & 27.3.) Xie Jins Melodrama erzählt von Frauensolidarität und vom Erwachen politischen Bewusstseins anhand der Geschichte der zwei "Bühnenschwestern" Chunhua und Yuehong. Chunhua, gespielt von Xie Fang, einer der beliebtesten Schauspielerinnen der 60er Jahre, läuft als junges Mädchen von der Familie weg und schließt sich einem Wandertheater an, wo sie anfängt, mit Yuehong zusammen zu singen. Xie Jins teleologische Erzählung führt die zwei Schwestern vom Land zur Stadt, ins Shanghai der 40er Jahre, wo beide sehr erfolgreich bei der Shaoxing-Oper, einer zu der Zeit sehr populären Volksoper, sein werden. Während die eine jedoch den Verlockungen von Geld und Seide erliegt, entwickelt sich Chunhua in die entgegengesetzte Richtung: Anstatt sich für Frivolitäten zu interessieren, empört sie sich über soziale Ungleichheiten und schließt sich der kommunistischen Partei an. Am Ende, zurück auf dem Land, trägt sie die graue Uniform der Partei: Wie Mulan, die Frauensoldatin aus den klassischen Volkserzählungen, wird Androgynität als Voraussetzung zum Kampf dargestellt. UPROAR IN HEAVEN(Da'nao tiangong, Wan Laiming, 1961/64, 24.3., Einführung: Fabian Tietke) Wie PRINCESS IRON FAN nimmt sich auch UPROAR IN HEAVEN eines Stoffes aus der klassischen Erzählung Die Reise nach Westen an, diesmal jedoch der anarchischen Vorgeschichte jener Episode, die PRINCESS IRON FAN erzählt hat. Die klassische Erzählung wird mit stilistischen Anleihen an Dramaturgie, Musik und Erscheinungsbild der Peking-Oper inszeniert. Im Zentrum der Handlung steht der Affendämon Sun Wukong, der sich der strikten Hierarchie des Hofstaates des Jadekaisers verweigert. Sun Wukong lebt auf dem Berg der Blumen und Früchte mit einer Horde kleiner Affen. Auf der Suche nach einer ihm würdigen Waffe bekommt er einen Wunderstab in die Hände, der eigentlich dazu da war, das Meer zu kühlen. Kurz darauf wird er ein erstes Mal in den Hofstaat des Jadekaisers im Himmel gerufen. UPROAR IN HEAVEN markiert den Schaffenshöhepunkt von Wan Laiming und seinen Brüdern als Pioniere des chinesischen Animationsfilms. BIG LI, LITTLE LI AND OLD LI(Da Li, Xiao Li he Lao Li, Xie Jin, 1962, 25. & 29.3.) Seine erstaunliche Vielseitigkeit bewies Xie Jin mit keinem Film mehr als mit BIG LI, LITTLE LI AND OLD LI: Auf das leichtfüßige Debüt WOMAN BASKETBALL PLAYER NO. 5 und das forsche Propagandawerk RED DETACHMENT OF WOMEN ließ er 1962 eine waschechte Screwball Comedy voller Körperkomik folgen, die sich mit den Schwierigkeiten dreier gleichnamiger Arbeiter beschäftigt, sich in den modernen, gemäß sozialistischen Effizienzkriterien strukturierten Fabrikalltag zu integrieren. "BIG LI, LITTLE LI AND OLD LI beweist, dass Xie Jin Kenntnis von den Hollywoodkomödien der 50er Jahre von Frank Tashlin hatte, oder sich zumindest an die Sturges-Filme der 40er Jahre erinnern konnte. Ein wunderbar lebhafter Film über die Implementierung von Leibesübungsprogrammen in Fabriken, mit animierten Titelsequenzen, vielen klugen visuellen Gags und einem sonderbar ironischen Gebrauch fröhlicher Propaganda-Musik." (Kevin B. Lee)VISITOR ON ICE MOUNTAIN(Bingshan shang de laike, Zhao Xinshui, 1963, 30.3.) Als Spionagethriller, Liebesdrama und Banditengeschichte ist der Film in einem Hochgebirge im westlichen Grenzgebiet Chinas während des Koreakriegs angesiedelt: Während das Dorf mit den Vorbereitungen für eine Hochzeit beschäftigt ist, erwartet eine Gruppe von Soldaten der Volksbefreiungsarmee einen Angriff versprengter Kuomintang-Anhänger. Der Film besticht nicht nur durch die – im chinesischen Populärkino bis heute übliche – Verarbeitung politischer Kämpfe zwischen Kuomintang und kommunistischer Partei im Genre des Thrillers, sondern auch durch lyrische Elemente in der Darstellung des Lebens in der unwirtlichen Landschaft. THE LIN FAMILY SHOP (Lin jia pu zi, Shui Hua, 1958, 31.3.) ist ein erstaunlich hellsichtiger Film über den Kapitalismus, fernab simpler propagandistischer Verurteilungen. Inhaltlich schließt der in eine bestechend flüssige, vielschichtige Mise en Scène gefasste, mit ruhiger Hand inszenierte Film an die sozialkritische, aber im direkten Vergleich fast naiv anmutende Tradition der vormaoistischen Shanghaifilme an: Die Handlung ist in den 30er Jahren angesiedelt, im Zentrum steht eine Händlerfamilie, die nach der japanischen Invasion in der Mandschurei in finanzielle Schwierigkeiten gerät und diese durch fragwürdige Geschäftsmodelle zu beheben versucht. THE LIN FAMILY SHOP klopft historische Ereignisse konsequent auf ihre ökonomischen Grundlagen ab, die Schuld am fortdauernden Unglück wird nicht einzelnen Großkapitalisten, sondern einem System zugeschrieben, das umso besser zu funktionieren scheint, je schlechter es jedem Einzelnen der in ihm Feststeckenden ergeht. (Lukas Foerster, Nikolaus Perneczky, Fabian Tietke, Cecilia Valenti) Die Filmreihe entstand durch Unterstützung des  China Film Archive, Peking und des Hong Kong Film Archive, Leisure and Cultural Services Department. In Kooperation mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Ein großes Dankeschön geht an Fang Yu. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds. liedummitternacht.net - external-link-new-window>http://liedummitternacht.net/

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