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Der Stummheit der Protagonisten schmiegen sich die Filme poetisch an: Dialoge sind auf ein Minimum reduziert, Gesten und Blicke werden expressiv aufgeladen, der Körper selbst wird beredt. Kim Ki-duks Expressionismus ist an der Malerei geschult: Bevor er als Autodidakt zum Film kam, versuchte er sich in den frühen 90er Jahren als Maler in Paris. Egon Schiele ist Kims Lieblingsmaler: Die brüchige Physis von Schieles Porträts findet bei Kim Ki-duk ihr Pendant in der expressiven Überhöhung von verwundeten Körpern. Schon in seinen frühen Filmen manifestiert sich ein Wille zur anti-naturalistischen Stilisierung, der sich spätestens seit seinem internationalen Durchbruch mit THE ISLE (2000) ins Mythologische ausdehnt: Sexuelle Tiersymbolik und märchenhafte Gespenster-Fantastik mischen sich mehr und mehr in anfangs realistische Plots, und so verwandelt sich schließlich BIN-JIP (2004) von einer Romanze fast unmerklich in eine sanfte Geisterbeschwörung. THE ISLE ist ein Schlüsselfilm in Kims Œuvre, nicht nur weil hier zum ersten Mal mit unheimlichen und unmöglichen Point-of-View-Einstellungen experimentiert wird, sondern auch, weil die Prostitution zur zentralen Allegorie einer verfallenden Welt erhoben wird. Unentrinnbar ist der Körper der Frau bei Kim Ki-duk immer schon ein käufliches Objekt, das von Männern benutzt und weggeworfen wird. Kim Ki-duks Filme zeigen, wie kapitalistische Tauschverhältnisse auf patriarchalen Gewaltverhältnissen gründen: Deshalb mutet auch jeder Sexualakt wie eine Vergewaltigung an. Ausweglos schließen sich die Kreisläufe der Prostitution und Gewalt um die Protagonisten und treiben sie in einen todessüchtigen Masochismus der Selbstauslöschung: Kim Ki-duks spiritualistisches Kino des Körpers sucht die Erlösung im Tod und die Verklärung im Jenseits. So tendieren seine späteren Filme immer mehr zu einer mythopoetischen Mixtur aus christologischen, buddhistischen und esoterischen Elementen. Kims Kino des Körpers ist aber auch ein Kino der Dinge: In musikalischer Manier variiert er oft aus nur wenigen visuellen Objekten ein komplexes symbolisches Geflecht – ein Angelhaken, ein Fisch, ein Golfball, ein Bogen entwickeln ein überraschendes Eigenleben. In seinem großartigen ARIRANG (2011) hat Kim nach einer langjährigen psychischen Film-Blockade sein eigenes Kino zum Gegenstand eines gleichermaßen dokumentarischen wie auch fiktionalen Meta-Porträts gemacht: Kim Ki-duk über Kim Ki-duk, der die Unmöglichkeit des Filmemachens zum Anlass eines Films macht. In diesem Film wird aber auch deutlich, wie der leidende Körper des Filmemachers selbst zum Schauplatz einer nationalen Allegorie wird: Der Körper im Schmerz wird als der Kollektivkörper der koreanischen Nation lesbar, die durch historische Traumata noch immer verwundet ist. BOM, YEORUM, GAEUL, GYEOWOOL … GEURIGO BOM (Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling, 2003, 1.9., Einführung: Sulgi Lie & 14.9., Einführung: Maximilian Linz) führt gleichnishaft den Zyklus der Jahreszeiten mit dem Zyklus der menschlichen Lebenszeiten zusammen: Kindheit, Jugend, Erwachsensein, Alter … und Kindheit könnte der Film auch heißen: Inmitten eines einsamen Bergsees lebt ein buddhistischer Mönch mit seinem Zögling in einem kleinen Tempel zusammen. In einzelnen Stationen entfaltet sich emblematisch das Werden und Vergehen eines ganzen Menschenlebens. Kim Ki-duk selbst spielt den erwachsen gewordenen Schüler, der in dieser meditativen Parabel den Kreis der natürlichen Zeit wieder schließt. ARIRANG (Arirang – Bekenntnisse eines Filmemachers, 2011, 1.9., Einführung: Sulgi Lie & 8.9.) Hier wird die Unmöglichkeit des Filmemachens zur Möglichkeit des Filmemachens: "Ich kann gerade keine Filme machen. Also filme ich mich selbst." Nachdem bei den Dreharbeiten zu seinem Film DREAM (2008) eine Schauspielerin beinahe tödlich verunglückt wäre, fällt Kim in eine depressive Krise, zieht sich in eine einsame Holzhütte zurück und dokumentiert seine Alltagsprozeduren. ARIRANG ist das radikale Experiment eines solipsistischen Ich-Kinos, das aber trotzdem fiktionale Wucherungen produziert: Kim spaltet sich qua Schuss/Gegenschuss in sein Alter Ego, um schließlich als sein eigener Wiedergänger aus FRÜHLING, SOMMER, HERBST, WINTER … UND FRÜHLING zu enden. Ein faszinierender Film über die zwei Körper des Kim Ki-duk. AGEO (Crocodile, 1996, 2. & 11.9.) Kims Debütfilm irrlichtert zwischen (A-)Sozialrealismus, Melodrama und Thriller. Aggressive Spannungen prägen die prekäre Existenz des kleinkriminellen Protagonisten namens "Krokodil", der mit einem alten Obdachlosen, einem Findelkind und einer suizidalen Frau unter einer vermüllten Brücke lebt. Voll roher Romantik filtert Kim aus der lumpenproletarischen Tristesse malerische Tableaus heraus und verleiht wie in seinen späteren Filmen dem Element Wasser eine mystische visuelle Textur. PIETA (2012, 2. & 6.9.) In den Metallbetrieben des Cheonggyecheon-Viertels von Seoul schuften die Arbeiter noch wie in den Zeiten der primitiven industriellen Akkumulation. Dort treibt der abgründige Kang-do sein Unwesen, indem er die verschuldeten Arbeiter zwecks Versicherungsauszahlung zu Krüppeln macht. Die Begegnung mit einer Frau, die behauptet, seine Mutter zu sein, lässt in Kang-do die Moralität erwachen. Die Brutalität des koreanischen Kapitalismus wird in PIETA mit einer christologischen Erlösungsfantasie gekreuzt, aber auch die (falsche) "mater dolorosa" kann den totalen Schuldzusammenhang nicht mehr sühnen. PIETA wurde letztes Jahr in Venedig mit dem Goldenen Löwen prämiert – das erste Mal, dass ein koreanischer Regisseur mit einem Hauptpreis auf einem großen Filmfestival ausgezeichnet wurde. SHILJE SANGHWANG (Real Fiction, 2000, 3. & 8.9.) Im Gewand eines "Dogma"-artigen Low-Budget-Films entzündet sich REAL FICTION an einem zentralen Topos nicht nur von Kim Ki-duk, sondern des koreanischen Kinos überhaupt: der Rache. In einer Art phantasmatischer Autobiografie, die schon auf den späteren ARIRANG verweist, startet ein mittelloser Straßenmaler einen blutigen Rachefeldzug gegen seine vermeintlichen Peiniger: Das Delirium der Gewalt nimmt seinen Ausgang in einem Theaterstück mit dem Titel "Ein anderes Ich", das der Maler zufällig als Zuschauer betritt, um plötzlich als Hauptdarsteller seiner eigenen Gewaltfantasien adressiert zu werden. In einer weiteren intermedialen Faltung werden immer wieder diegetische Videobilder eingeschnitten, bis der Schluss die Realität der Fiktion wieder in Frage stellt. NAPPEUN NAMJA (Bad Guy, 2001, 3. & 9.9.) Kims fünfte Zusammenarbeit mit dem Schauspieler Cho Jae-hyun, dessen physische Präsenz ganz im Zentrum dieses Films steht. "Bad Guys" sind Kim Ki-duks männliche Protagonisten eigentlich allesamt, der Zuhälter Han-gi ist aber ein besonders niederträchtiger Charakter: Auf perfide Weise treibt er die junge Sun-hwa zur Prostitution, um in einem heruntergekommenen Bordell ein widersprüchliches sadomasochistisches Spiel zwischen sexueller Unterwerfung und asexueller Idealisierung zu inszenieren. Der Film übersetzt diese Paradoxie in ein voyeuristisches Dispositiv: Wenn Han-gi Sun-hwa durch einen transparenten Spiegel beobachtet, schlagen die Blicke der Gewalt in hilflose Zärtlichkeit um. SEOM (Die Insel, 2000, 4.9., Einführung: Christian Blumberg & 9.9.) Die pastorale Schönheit der koreanischen Landschaft findet in SEOM gleichsam ihre Negation: Inmitten eines unberührten Sees vermietet die geisterhafte Hee-jin mobil auf dem Wasser treibende Kabinen an Angler, die sich dort hemmungslos ihren niedersten Instinkten hingeben. In der vom Kapitalismus vollends profanierten Natur entfaltet sich ein animalischer Kreislauf von Penetration, Digestion und Ausscheidung, aus dem nur der heilige Eros à la Oshima eine Fluchtlinie weist. YASAENG DONGMUL BOHOGUYEOG (Wild Animals, 1996, 5. & 12.9.) Spuren einer Ästhetik des Ekels finden sich auch in WILD ANIMALS, wo ein gefrorener Fisch zum Mordinstrument umfunktioniert wird. In Paris treffen ein südkoreanischer Gelegenheitsdieb und ein geflüchteter nordkoreanischer Soldat aufeinander und bilden ein prekäres Duo. Gastaufritte von Denis Lavant und Richard Bohringer verleihen dem Film den poppigen Hauch des französischen "Cinéma du look" der 80er Jahre. PARAN DAEMUN (Birdcage Inn, 1998, 5. & 10.9.) Omnipräsenz der Prostitution: In einer schäbigen Hafenstadt betreibt eine vierköpfige Familie im Hof des Hauses ein Bordell, das als Pension getarnt ist. Als die junge Prostituierte Jin-ah dort ihre Arbeit beginnt, kommt es zu Spannungen zwischen ihr und der Tochter des Hauses, während Vater und Sohn ihre sexuellen Dienste in Anspruch nehmen. Die patriarchale Verfügungsgewalt über den Körper der Frau hat längst auch die puritanische Familie korrumpiert; nur in der Freundschaft zwischen den beiden Frauen deutet der Film eine herrschaftsfreie Beziehung an. SAMARIA (2004, 6. & 14.9.) Aporien der Prostitution: Zwei Schülerinnen bieten sich erwachsenen Männern zum käuflichen Sex an. Nachdem Jae-yeoung bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, will Yeo-jin ihren Tod sühnen und gibt ihren ehemaligen Freiern nach dem Akt das Geld zurück. Als Yeo-jins Vater, ein Polizist, davon erfährt, schreitet er zur brutalen Vergeltung an den Freiern. Sowohl der Opfergang der Tochter als auch die Selbstjustiz des Vaters können keine Gerechtigkeit mehr herstellen. Anti-klimatisch durchkreuzt der Film sein eigenes Racheszenario: Eine Katharsis der Affekte gibt es nicht. In SUCHWIIN BULMYEONG (Address Unknown, 2001, 7.9., Einführung: Heide Langhammer & 21.9.) entspringt die Gewalt der koreanischen Geschichte: Nahe einer US-amerikanischen Militärbasis entfaltet sich 1970 eine fatale Kettenreaktion der Gewalt zwischen allesamt versehrten Subjekten: ein Hundefänger, eine halb erblindete Schülerin, ein Koreakriegsveteran, ein drogenabhängiger G.I., ein Kind aus einer afro-koreanischen Beziehung und seine wahnsinnige Mutter, die ihrem abwesenden Ex-Mann verzweifelte Briefe in die USA schickt. Address Unknown: Die Briefe werden ihren Empfänger nie erreichen. BIN-JIP (3-Iron, 2004, 15.9., Einführung: Julian Radlmaier & 21.9.) Der Titel verweist auf das koreanische Wort für "leere Häuser". In solche Häuser, vornehmlich geschmackloser neureicher Prominenz bricht der schweigsame Tae-suk immer wieder ein, freilich ohne je etwas zu stehlen, sondern um sich in eigentümlichen Alltagsritualen dort einzurichten. Bei seinen Streifzügen trifft er auf die einsame Sun-hwa, die von ihrem Ehemann misshandelt wird. Eine stumme Liebesgeschichte beginnt. BIN-JIP ist eine Übung im Unwahrnehmbar-Werden, ein schwereloser Gespenster-Spuk, der die Sichtbarkeit des On-Screens durch die Unsichtbarkeit des Off-Screens aushöhlt. Angesichts der Unerträglichkeit der patriarchal-kapitalistischen Verhältnisse bleibt nur die Flucht in die Transzendenz. HAE ANSON (The Coast Guard, 2002, 16. & 17.9.) Koreanische Variante von Kubricks Full Metal Jacket: Ein Platoon nahe der Küste soll vermeintliche nordkoreanische Spione in Schach halten, doch die Paranoia angesichts eines abwesenden Feindes treibt einen besonders eifrigen Soldaten in die psychotische Überidentifikation mit dem militärischen Kollektivkörper. Ein Kriegsfilm ohne Krieg, in dem die Gewalt invertiert implodiert. SIGAN (Time, 2006, 18.9., Einführung: Thomas Scherer & 22.9.) Eine subtile Studie des Unheimlichen in der Tradition von Gesichter-Horror-Filmen wie Les yeux sans visage und Face/Off: Weil sie sich von ihrem Freund nicht mehr begehrt fühlt, entscheidet sich eine junge Frau zu einer schönheitschirurgischen Gesichtstransformation. Der Freund verliebt sich in das neue Gesicht, trauert aber zugleich dem alten Gesicht hinterher. SIGAN ist anders als die meisten Filme Kims in der postmodernen Single- und Dating-Kultur Seouls angesiedelt. Aber auch hier haftet der Geldwert am Fleisch und das Gesicht ist zur austauschbaren Oberfläche degradiert: Das Design bestimmt das Bewusstsein. HWAL (Der Bogen, 2005, 19. & 23.9.) Ein alter Mann und ein junges Mädchen leben in symbiotischer Intimität auf einem Fischdampfer. HWAL erzählt in fließenden Bildern von der Initiation in die Sexualität durch rituelle Praktiken, die in der koreanischen Volkskultur verwurzelt sind. SUM (Breath, 2007, 24. & 27.9.) Mit diesem Gefängnisfilm tritt Kims Kino in eine panasiatische Phase ein: Hongkong-Star Chang Cheh spielt einen suizidalen Gefangenen, der mit seiner Ex-Freundin in quasi magischem Kontakt steht. Der Film macht aus der asketischen Passivität seines Protagonisten ein sprachloses Mysterium; unaufgelöst bleiben auch die eingeschnittenen Überwachungsbilder: Wem gehört der Blick? BI-MONG (Dream, 2008, 25. & 29.9.) In hypnotischer Trance agieren Jin (dargestellt von dem japanischen Star Joe Odagiri) und Ran gegenseitig ihre (Alp-)Träume aus. Um das zu verhindern, versuchen sie, nie zur gleichen Zeit zu schlafen. Die Unmöglichkeit ihrer Liebe hat ihr Echo in der Zweisprachigkeit des Films: Japanisch und Koreanisch in trauter Eintracht, ein Verstehen im Nicht-Verstehen. (Sulgi Lie) Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit -Sulgi Lie und dem Koreanischen Kulturinstitut Berlin. Mit Unterstützung des Korean Film Council (KOFIC).

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