THE AGE OF INNOCENCE (Zeit der Unschuld, USA 1993, 1. & 10.1., Einführung: Vera Thomas) New York um 1870. Kurz vor seiner Hochzeit mit einer Frau aus vornehmer Familie (Winona Ryder) verliebt sich ein junger Anwalt (Daniel Day-Lewis) in deren unkonventionelle Cousine (Michelle Pfeiffer). Die Liebe scheitert an den rigiden gesellschaftlichen Konventionen und Moralvorstellungen der Zeit. Scorsese und Kameramann Michael Ballhaus durchwirken ihre Edith-Wharton-Verfilmung mit Reverenzen an Max Ophüls' optische Bildgestaltung in Lola Montez oder Luchino Viscontis überbordende Scope-Bilderwelten. ITALIANAMERICAN (USA 1974, 2.1.) Scorseses persönlicher Lieblingsfilm entstand als Auftragsarbeit für eine Fernsehserie über Immigranten verschiedener Nationalitäten. In Begleitung einer Filmcrew besuchte Scorsese seine Eltern in ihrer Wohnung. Catherine und Charles Scorsese wirken dabei so natürlich, als hätten sie längst vergessen, dass in ihrem Wohnzimmer eine Kamera aufgebaut ist. Sie verbergen weder den billigen Plastik-Überzug auf dem Sofa, noch die Spuren unzeitgemäßen Aberglaubens, noch ihre gegenseitige Liebe sowie die Liebe zu ihrem Sohn. Und am Ende verrät Catherine Scorsese das Rezept für die Spaghettisauce, die während des Films auf dem Herd brutzelte. In AMERICAN BOY: A PROFILE OF STEVEN PRINCE (USA 1978, 2.1.), der als Gegenstück zu ITALIANAMERICAN und als Teil derselben Serie konzipiert wurde, verkörpert Steven Prince, Ex-Junkie, Waffennarr, langjähriger Freund und Arbeitskollege Scorseses (er spielte den Waffenhändler in Taxi Driver), die Generation der Söhne. Als geborener Geschichtenerzähler schildert er absurde, zynisch-komische Episoden, die um Drogen, Waffen, Rock 'n' Roll, Gewalt und den Versuch kreisen, über die Runden zu kommen. IL MIO VIAGGIO IN ITALIA (Meine italienische Reise, USA / Italien 2001, 3.1.) Scorsese führt in einer vierstündigen Dokumentation persönlich durch die italienische Filmgeschichte, mit dem Fokus auf die 30er bis 60er Jahre. Dabei befasst er sich nicht nur mit bedeutenden Regisseuren und stilbildenden Entwicklungen wie dem Neorealismus, sondern setzt sich z.B. auch mit den berühmt-berüchtigten "Sandalen-Filmen" auseinander. Seine Begeisterung für den italienischen Film, der ihn nach eigener Aussage genauso geprägt habe wie der amerikanische, geht einher mit der Suche nach seinen Wurzeln, nach seiner Familiengeschichte und der italienischen Kultur. Scorseses "italienische Reise" ist einer seiner schönsten und persönlichsten Filme. SHINE A LIGHT (USA 2008, 4. & 14.1.) Scorsese dokumentiert mit 16 Kameras das Geschehen während und im Vorfeld zweier Konzerte der Rolling Stones, die 2006 im New Yorker Beacon Theatre stattfanden. Der Konzertmitschnitt wird um eingestreute historische Film- und Fernsehaufnahmen von Interviews und Episoden aus der Bandgeschichte ergänzt. THE DEPARTED (USA 2006, 5.1.) Boston, Massachusetts: Der skrupellose Boss der irischen Mafia, Frank Costello (Jack Nicholson) befördert den "Bildungsweg" des vaterlosen Colin Sullivan (Matt Damon) nach Kräften. Jahre später ist Sullivan ein junger, karrierebesessener Polizist, bleibt aber der Autorität Costellos loyal verbunden und wird so zum Spitzel an strategisch wichtiger Stelle im Polizeiapparat. Gleichzeitig versucht auch die Polizei, Costellos Organisation zu infiltrieren und schleust den jungen Billy Costigan (Leonardo DiCaprio) in die Reihen der Mafia ein. Scorsese inszeniert das Remake des Hongkong-Thrillers Infernal Affairs (2002) mit Shakespearescher Wucht und zeigt eine gewalttätige Welt, in der die Grenzen zwischen Gut und Böse aufgehoben sind. Der fulminante Film wurde zum bis dato größten Publikumserfolg Scorseses und erhielt vier Oscar-Auszeichnungen. GOODFELLAS (USA 1990, 6.1.) Anhand der authentischen Lebensgeschichte von Henry Hill, der seit seiner Kindheit davon träumte, Karriere in der Mafia zu machen, erzählt Scorsese in epischer Breite den Aufstieg und Fall eines Mafioso über drei Jahrzehnte. "GOODFELLAS sollte wie ein Revolverschuss beginnen und dann immer schneller werden, wie ein zweieinhalbstündiger Trailer. Nur so kann man den rauschhaften Lebensstil spüren und verstehen, warum er auf viele Leute so anziehend wirkt." (Martin Scorsese) FEEL LIKE GOING HOME (USA 2003, 7.1.) Martin Scorseses Beitrag zu der siebenteiligen Dokumentarfilm-Reihe "The Blues". In seiner Hommage an den Mississippi-Delta-Blues begleitet er den Musiker Corey Harris auf einer Reise ins Geburtsland des Blues. Er spricht mit Musikern wie Sam Carr und Taj Mahal und gelangt zu den Wurzeln des Blues nach Westafrika, wo er Salif Keita und Ali Farka Touré begegnet. Der Film verknüpft aktuelle Aufnahmen oder spontane Sessions, die sich während der Begegnungen für den Film ergaben, mit seltenen Archivaufnahmen. RAGING BULL (Wie ein wilder Stier, USA 1980, 8.1.) ist dem Leben des ehemaligen Boxweltmeisters im Mittelgewicht, Jake La Motta (Robert De Niro) nachempfunden. Scorsese nimmt die zwischen 1941 und 1964 in Episoden verlaufende Geschichte um Angst, Wut, Eifersucht, Schuld und Erlösung zum Anlass für die psychologische Studie eines selbstzerstörerischen und gewalttätigen Menschen. Der radikal stilisierte, in brillantem Schwarzweiß gedrehte Film gilt als Scorseses bislang unerreichtes Meisterwerk. CAPE FEAR (Kap der Angst, USA 1991, 11.1.) Der Sexualverbrecher Max Cady (Robert De Niro) wird nach Verbüßung einer 14-jährigen Zuchthausstrafe entlassen. Sein einziges Ziel ist die Zerstörung der Familie seines ehemaligen Pflichtverteidigers Sam Bowden (Nick Nolte), der seinerzeit entlastendes Beweismaterial zurückhielt, weil er von Cadys Schuld überzeugt war. Mit subtilem Psychoterror inszeniert Cady seinen Rachefeldzug gegen den erfolgreichen Rechtsanwalt, dessen Frau (Jessica Lange) und die 15-jährige Tochter (Juliette Lewis). Scorsese hat in seinem Remake von J. Lee Thompsons Cape Fear (1962) die gesamte Story aus dem Zusammenhang eines "unschuldigen" Amerikas herausgelöst und sie zum Spiegelbild der lieblosen Welt gemacht, deren Beschreibung alle seine Filme durchzieht. Vom Original übernahm er die Musik Bernard Herrmanns und, versetzt in Nebenrollen, die Hauptdarsteller von einst, Gregory Peck und Robert Mitchum. WHO'S THAT KNOCKING AT MY DOOR?(USA 1965–1968, 12.1.) Scorseses Langfilmdebüt schildert die konfliktreiche Beziehung zwischen dem Italo-Amerikaner J.R. und einer unabhängigen jungen Frau der etablierten Mittelschicht. Die Tatsache, dass sie einmal Opfer sexueller Gewalt war, wird für den von traditionellen Wertvorstellungen, einem patriarchalischen Frauenbild und einer ebenso konservativen wie repressiven Sexualmoral geprägten J.R. zum unüberwindbaren Problem. Das unter schwierigen Produktionsbedingungen in einer Drehzeit von vier Jahren in "Little Italy" gedrehte Debüt zeichnet sich durch die authentische, vibrierende Atmosphäre des urbanen Lebensraums aus. TAXI DRIVER (USA 1976, 12.1.) Weil er nachts nicht schlafen kann, nimmt der Vietnamveteran Travis Bickle (Robert De Niro) einen Job als Taxifahrer an. Schmutz, Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit bestimmen den Kosmos des verstörten Einzelgängers im nächtlichen New York. Nach einer missglückten Liebesgeschichte mit der Wahlkampfhelferin Betsy steigert er sich in den missionarischen Wahn, eine Kinderprostituierte (Jodie Foster) zu retten und legt sich ein Waffenarsenal zu, um die Stadt von "Abschaum" und "Unrat" zu befreien. Scorseses Drama um Einsamkeit, sexuelle Frustration und verdrängte Gewalt wurde mit der Goldenen Palme in Cannes ausgezeichnet und machte Regisseur und Hauptdarsteller international berühmt. THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (USA 1988, 13.1.) Der Zimmermann Jesus von Nazareth, der zunächst für die römischen Besatzer Kreuze fertigt, ringt mit mystischen Visionen und Schuldgefühlen, bevor er seine Bestimmung als Messias erkennt. Scorsese hat nicht das Evangelium verfilmt, sondern Nikos Kazantzakis' Roman, in dem Jesus als Zweifelnder, als ein Religionsstifter in seiner Menschlichkeit dargestellt wird. Als Jesus selbst ans Kreuz geschlagen wird, zeigt eine Traumsequenz "die letzte Versuchung Christi", die Vision, seinem Schicksal zu entgehen und als Ehemann und Familienvater im hohen Alter zu sterben. Der Film löste heftige Proteste aus, fundamentalistische Kreise warfen Scorsese Blasphemie und Sakrileg vor. A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE THROUGH AMERICAN MOVIES (USA / GB 1995, 15.1.) Von ungefähr 300 Werken ausgehend, schreibt Scorsese eine sehr persönliche Filmgeschichte der USA, die an ausgewählten Beispielen das Verbindende der einzelnen Genres darstellt, neben den berühmten Namen auch an Regisseure erinnert, die heute in Vergessenheit geraten sind und den Autorenfilm thematisiert. "Solange ich mich entsinne, wollte ich wissen: Wie kann man in Hollywood professional und zugleich ernsthafter Künstler sein? Wie überlebt man den unerbittlichen Konflikt zwischen kommerziellen Zwängen und individuellem Ausdruck?"