Zu jeder der drei Filmreihen wird je ein magazinähnliches Heft bei Brinkmann & Bose erscheinen, dem Verlag, der bereits die zwölfbändige Gesamtausgabe mit Grafes Schriften verlegt hat. Für jede Ausgabe "Frieda Grafe – 30 Filme" werden Filmwissenschaftlerinnen, Filmemacher, Historikerinnen und Kulturtheoretiker über je einen Film einen neuen Text verfassen. Manche sind vertraut mit der Arbeit von Frieda Grafe, manche nicht, viele stehen vor dem Problem, dass ihre Texte kaum übersetzt sind und nicht zuletzt geht es genau darum: das Schreiben und die Haltung von Frieda Grafe in einen internationalen, zeitgenössischen Kontext zu stellen und, vor diesem Hintergrund, die Filme mit neuen Augen zu sehen. Die Autorinnen und Autoren werden die Filme im Kino einführen und präsentieren. IHRE MAJESTÄT, DIE LIEBE (Joe May, D 1931, 24.4., Einführung: Max Annas) Ein ganz früher Tonfilm, der deutlich mangelnde Routine in der Ausarbeitung der Dialoge und ihrer Präsenta-tion durch in der Zeit des Stummfilms erworbenes komödiantisches Geschick aufwiegt. Joe Mays Film ist noch kein Musical, dafür sind die musikalischen Einlagen zu unpointiert gesetzt. Eher ist IHRE MAJESTÄT, DIE LIEBE ein Lustspiel, eine rom com, um Geld und Unmoral. Der Firmenerbe verspricht einem Barmädchen die Liebe und entzieht sie ihr wieder, bevor er seinen Fehler erkennt. Kaum jemand von der Besetzungsliste hat nach 1933 noch im deutschen Film gearbeitet. CANYON PASSAGE (Jacques Tourneur, USA 1946, 24.4., Einführung: Werner Dütsch) Ein langsamer und moderat bunter Technicolor-Western, gerade noch innerhalb der Konventionen des Genres. Vielleicht besser: eine Ménage à quatre vor der Kulisse eines Städtchens in Oregon in den 1850ern. Dana Andrews ist der aufrechte Geschäftsmann und verbreitet die attraktive Illusion, beides sei tatsächlich miteinander zu verbinden. Werner Dütsch schreibt: "Canyon Passage verbreitet keine Illusionen", und meint damit, dass es dann letztlich doch wie im richtigen Western um Bodenraub, Gold und Krieg gegen die alteingesessene Bevölkerung geht. U SAMOGO SINEGO MORJA (Boris Barnet, UdSSR 1936, 25.4., Einführung: Gary Minkley & Helena Pohlandt-McCormick) Die Revolution kann romantisch sein. Und sogar herrlich unmoralisch. Frieda Grafe zum Film: "Am blauesten aller Meere, 1936, von Boris Barnet. Das russische Revolutionskino kennt jeder. Aber das danach, die 30er Jahre? Auf das sich z.B. Tarkowskij beruft. In diesem Tonfilm sind noch alle Freiheiten des Stummfilms wirksam. Er ist unbekümmert wie ein Musical allen realistischen Erzählkonventionen gegenüber. Hinreißend leicht und so wirklich bewegen sich seine Figuren auf einer Insel im Kaspischen Meer, die aus den Wellen auftaucht, um zur Bühne der Ereignisse zu werden." WAGA KOI WA MOENU (Die Flammen meiner Liebe, Kenji Mizoguchi, Japan 1949, 25.4., Einführung: Rike Felka) "Eine Version von Eros und Massaker. Ein brennend aktueller Film über Politiker/Männer und Erzieherinnen/Frauen." Schreibt Frieda Grafe über Mizoguchis international beinah unbekanntes Werk. In den 1880ern sind zwei Frauen unterwegs vom Land in die Stadt, die eine muss erkennen, dass fortschrittliche Politik nicht unbedingt die Rechte der Frauen einschließt, die andere entschließt sich dazu, eine Vergewaltigung mit Feuer zu beantworten. HOUSE BY THE RIVER (Fritz Lang, USA 1950, 26.4., Einführung: Christian Petzold) Der Fluss als Protagonist dieses kleinen Gothic-Films. Der Schriftsteller ist beim Morden nicht besser als in seinem Beruf, und Fritz Lang interessiert sich mehr für Randseitiges als für die Führung seiner Schauspieler. Frieda Grafe: "Das Gefühl von Fatalität in Langs Filmen wird erzeugt durch diese obsessionellen Objekte; als Induktoren von Krisen und Katastrophen in den Geschichten zirkulieren sie mit einer perversen Nachdrücklichkeit. Ihr mechanisches Ineinandergreifen, das ist der eherne Gang des Schicksals. Ein kleiner blitzender Pfeil in "Man Hunt", ein Zigarrenabschneider in "The Woman in the Window", ein springender Fisch in House by the River." MAINE-OCEAN (Jacques Rozier, F 1986, 26.4., Einführung: Marie-Hélène Gutberlet). "Die Fiktion sitzt dem Dokument auf, die Inszenierung der Reportage", schreibt Frieda Grafe zu MAINE-OCEAN. Und weiter: "Jacques Rozier bringt das alte kinematografische Sujet der Eisenbahn, das den Rhythmus in so viele Filme brachte, zusammen mit Originalton-Recherchen, die zur klangvollen Basis den poitevinischen Dialekt haben. Die technische Zielstrebigkeit der Eisenbahn, von der die Geschichte zunächst rasant getragen wird, findet durchs Meer ihr Ende. Danach wird das Umsteigen auf andere Transport- und Kommunikationsmittel notwendig. Das gibt dem Geschichtenverlauf unerwartete Impulse." D.O.A. (Rudolph Maté, USA 1950, 27. 4., Einführung: Ackbar Abbas) "I want to report a murder." – "Where was this murder committed?" – "San Francisco, last night."– "Who was murdered?" – "I was." Rudolph Matés bester Film ist eine knappe Verbeugung vor den Ängsten, die die Nacht auslöst und vor Leuten, die nichts außer Nacht um sich haben. Frieda Grafe: "Ein Film von 1950, der von einem licht-verseuchten Körper handelt, wäre natürlich undenkbar ohne das Trauma der Bombe und ohne die Bilder von Hiroshima, die gezeigt haben, was das Licht den Körpern antut. Die diffus empfundene Drohung von Vernichtung, die Angst vor einer kosmischen Katastrophe sind der affektive Kitt, der die disparaten Elemente des Films letztlich zusammenhält." RISO AMARO (Bitterer Reis, Giuseppe De Santis, Italien 1949, 27.4., Einführung: Katha Schulte) Eine Geschichte um Kleinkriminelle, Eifersucht und die harte Arbeit bei der Reisernte. Einer der größten Kassenschlager der Nachkriegsgeschichte. "Wer die Erotik der Nachkriegszeit studieren möchte, findet hier die reinste Quelle, in den Gesten von Silvana Mangano, in den kurzen Pullöverchen und den lappigen, ärmlichen Baumwollkleidern, ganz zu schweigen von den Unterröcken, dem Markenzeichen italienischer Filme damals. Die Männer in diesem Film, in ihren Aufseherrollen, wirken seltsamerweise alle wie Zuhälter," schreibt Frieda Grafe. LA REGION CENTRALE (Michael Snow, Kanada 1971, 28.4., Einführung: Ulrich Gregor) Michael Snow hat einmal gesagt, sein Ziel sei es gewesen, einen Film zu machen, der aussieht, als seien Aliens auf der Erde gelandet und müssten Bilder über das Leben auf dem Planeten heim schicken. Die gut drei Stunden von Snows Film sind die Essenz von 24 Stunden Material, das eine Kamera auf einem programmierten Arm in Québec produziert hat, wobei sich die Bewegungen der Kamera niemals wiederholen. AVANTI! (Billy Wilder, USA 1972, 28.4., Einführung: Jonathan Rosenbaum) Billy Wilders allgemein ungeliebtes Spätwerk. Ein US-Bürger mit schwierigem (National-)Charakter entdeckt auf Ischia, dass sein tödlich verunglückter Vater seit Jahren eine Beziehung pflegte – mit der Frau, die mit ihm im Auto starb. Konsequenterweise verliebt er sich in die Tochter jener Frau. Frieda Grafe zum Film: "Das große Problem beim Filmen heute, sagt Wilder, sei der Umstand, dass das Publikum so schnell und so gewitzt geworden sei. Um vieles intelligenter als Regisseur und Produzent zusammen. (Früher wusste man in Hollywood, was das Publikum wollte.) Für Leute, die Kalauer mögen und über gammlige Witze dann erst richtig lachen, wenn sie sie zum x-ten Mal hören." (Max Annas, Annett Busch, Henriette Gunkel) "Wie Film Geschichte anders schreibt / Frieda Grafe – 30 Filme" ist ein Projekt von Max Annas, Annett Busch und Henriette Gunkel und wird gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds, in Zusammenarbeit mit dem Verlag Brinkmann & Bose und dem Arsenal – Institut für Film und Videokunst.