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In Deutschland wird Ingrid Caven bis heute vor allem in Verbindung mit Rainer Werner Fassbinder wahrgenommen. Die Bekanntschaft mit Fassbinder führte Ingrid Caven, seine "Wahlverwandte" (RWF), 1967 zu dem von Fassbinder und Peer Raben gegründeten Antiteater in München. Zwischen 1969 und 1979 wirkte sie in 20 seiner Filme mit. Eine kurze Ehe mit Fassbinder endete 1972 nach zwei Jahren. Weitere Filme entstanden u.a. unter der Regie von Jean Eustache, Werner Schroeter und Daniel Schmid, dessen LA PALOMA sie 1974 international bekannt machte. Nach ihrem Umzug nach Paris begann 1978 Ingrid Cavens zweite Karriere als Chansonsängerin. Mit Kompositionen von Peer Raben, Texten von Fassbinder und Hans Magnus Enzensberger und in einer speziell für sie entworfenen Robe von Yves Saint Laurent wurde sie in Frankreich als "Kind von Brecht und Marlene" bzw. wahlweise als neue Marlene Dietrich, Zarah Leander, Lotte Lenya, Edith Piaf oder Juliette Gréco gefeiert. Es folgten triumphale Konzerte in New York: "Simply spectacular" (The New York Times), "A comet passing once in a hundred years" (Village Voice). Im Jahr 2000 schrieb ihr Lebensgefährte, der Schriftsteller Jean-Jacques Schuhl, einen "biografischen Roman" mit dem Titel Ingrid Caven, der in Europa zu einem Bestseller wurde. Das mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Buch entwickelt aus der Beschreibung von Cavens Leben ein Panorama der Bundesrepublik. Die Filmografie von Ingrid Caven umfasst bis heute mehr als 50 Kino- und TV-Produktionen. Wir zeigen eine Auswahl von sieben Filmen, von Cavens Leinwanddebüt 1965 bis zu Bertrand Bonellos Konzertfilm aus dem Jahr 2012, den wir als Berlin-Premiere präsentieren. MES PETITES AMOUREUSES (Meine kleinen Geliebten, Jean Eustache, F 1974, 1.2., zu Gast: Ingrid Caven & 28.2.) Der 13-jährige Daniel führt ein unbeschwertes Leben auf dem Dorf: Er hat einen Kreis von Freunden, in den er integriert ist, Erfolg in der Schule und ein gutes Verhältnis zu seiner Großmutter, die für ihn sorgt. Die Situation ändert sich, als ihn seine Mutter (Ingrid Caven) zu sich in die Stadt holt. Der Empfang in Narbonne ist nüchtern, und das Verhältnis zum Lebensgefährten der Mutter bleibt dauerhaft unterkühlt. Um für den Lebensunterhalt selbst mitzusorgen, muss Daniel die Schule verlassen und in einer Zweiradwerkstatt arbeiten. Daniel erfährt die Realität der Erwachsenenwelt: die soziale Hierarchie, den tristen Arbeitsalltag und die Versuche, Ablenkung durch sexuelle Abenteuer zu bekommen. Im abschließenden Teil der mit "Le Père Noël a les yeux bleus" (1966) und "La maman et la putain" (1973) gebildeten autobiografischen Trilogie zeigt Eustache den Weg von einer "normalen" Kindheit in die Marginalität mit kalkuliertem Abstand ohne Rührung oder Zorn. "Revoltierende Personen zu zeigen, dient nur der allgemeinen Beruhigung" (Jean Eustache). SCHATTEN DER ENGEL (Daniel Schmid, CH/BRD 1976, 2.2., zu Gast: Ingrid Caven) erzählt die Geschichte der Prostituierten Lily (Ingrid Caven), die zu schön ist für ihre Kunden und mit ihrem Zuhälter (Rainer Werner Fassbinder) zusammenlebt. Ein Immobilienspekulant (Klaus Löwitsch), der "reiche Jude", wie er sich selbst nennt, gibt ihr den Rat, nicht mehr zu sprechen, und sich für ihr Zuhören und Schweigen bezahlen zu lassen. La Paloma wird zum Mülleimer der Mächtigen – sie schläft nicht mehr mit ihren Kunden, sie hört ihnen zu. Selbst reich und mächtig geworden, erträgt sie ihre Situation nicht mehr. Nur noch der Tod erscheint als Lösung realistisch. Der Film basiert auf Fassbinders Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", das 1975 in seiner Zeit am Frankfurter Theater am Turm entstand. Der Versuch, antisemitische Stereotypen zu analysieren, wurde ihm selbst als Antisemitismus ausgelegt und führte zu kontroversen Diskussionen und heftigen Anfeindungen. Zu Fassbinders Lebzeiten wurde "Der Müll, die Stadt und der Tod" nie aufgeführt. Daniel Schmid verfilmte das Stück seines Freundes in vorsichtig distanzierter Weise, die die Faszination für die Verzweiflung, die Trauer und die Angst der Textvorlage verrät. INGRID CAVEN, MUSIQUE ET VOIX (Ingrid Caven: Music and Voice, Bertrand Bonello, F 2012, 3. & 27.2.) Bertrand Bonello hielt mit zwei Kameras ein Konzert fest, das Ingrid Caven im Mai 2006 in der Cité de la musique in Paris gab. Das in deutsch, französisch und englisch gesungene Programm umfasst u.a. Lieder von Peer Raben, Jean-Jacques Schuhl, Fassbinder, Joyce, Cage, Brecht und Weill, Schönberg und Brahms. Der Konzertfilm konzentriert sich dem Titel entsprechend ganz auf die Musik und Stimme von Ingrid Caven. Die Kameraperspektive verlässt die Bühne nie – keine Schwenks ins Publikum, keine Backstage-Szenen, keine zwischengeschnittenen Interviews. HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1971 | 4. & 25.2.) Westdeutschland in der Wirtschaftswunderzeit der 50er Jahre: Der ehemalige Polizist Hans Epp (Hans Hirschmüller), der den Ansprüchen seiner Mutter und seiner Frau (Irm Hermann) nie genügen konnte, zieht als Obsthändler mit seinem Karren durch die Hinterhöfe. Er trinkt, schlägt seine Frau und erleidet einen Herzinfarkt. Weil ihm der Arzt körperliche Arbeit verbietet, stellt er einen ehemaligen Kameraden (Klaus Löwitsch) aus der Fremdenlegion an, der nicht nur den Verkauf ankurbelt, sondern auch die Menschen in seiner Umgebung für sich einnimmt. Hans jedoch wird immer depressiver, auch das Wiederauftauchen der großen Liebe (Ingrid Caven), die es sich nicht leisten kann oder will, einen Obsthändler zu heiraten, bessert seinen Zustand nicht. Er zerbricht die Erinnerungsschallplatte mit dem Schlager "Alles, was du willst, kannst du nicht haben" und lässt alle Hoffnung fahren. FRÜHSTÜCK IN ROM (Max Zihlmann, BRD 1965, 4. & 25.2.) Ingrid Cavens erster Leinwandauftritt spielt im Cinéphilen-Milieu Münchens Mitte der 60er Jahre und verweist auf die Vorbilder der Nouvelle Vague: das Spiel der Verführung, die lockere Tonlage, die Stadt als Schauplatz mit ihren Cafés, Kinos und dem ins Bild gesetzten Kneipenmobiliar Flipper und Musikbox. Es geht um einen Heiratsantrag an Sandra (Ingrid Caven), flapsige Sprüche über die Ehe und es geht um Filmkritik. "Kritik ist eine Sache der Moral" sind sich zwei junge Kritiker einig, die sich vor einem Plakat von Truffauts "La peau douce" im Kinofoyer unterhalten. Und Klaus Lemkes Flirtversuch mit Sandra ist – natürlich – eine Einladung in "einen neuen schwedischen Film". "Ich bin verheiratet", lügt sie. – "Sie tragen keinen Ring." – "Der ist im Pfandhaus." LA PALOMA (Daniel Schmid, CH/F 1974, 5.2.) Graf Isidor (Peter Kern) macht der Nachtklubsängerin La Paloma (Ingrid Caven) seit Jahren vergeblich den Hof. Erst als sie ernsthaft an Schwindsucht erkrankt, gibt sie seinen Avancen nach. Isidor bringt sie in Europas luxuriöseste Sanatorien, wo sie wieder gesundet und ihrerseits zwar nicht ihn, aber seine große Liebe zu ihr zu lieben beginnt. Sie willigt ein, ihn zu heiraten. Als ihr Glaube an seine Liebe zu schwinden beginnt, erkrankt sie erneut und sinnt auf Rache. "Dass LA PALOMA 'funktioniert', dass sein schweres Parfüm tatsächlich berauscht, hat Schmid zu nicht geringen Teilen seinem Star Ingrid Caven zu verdanken. Er stilisiert sie zum erotischen Fetisch wie Sternberg die Dietrich, wie Stiller die Garbo und wie Mae West sich selbst. Sie, die Isidor, aber auch sich selbst zerstört, steht freilich in der Tradition der 'Femme fatale', die Hollywood während des Ersten Weltkriegs hervorbrachte. Makellos wächsern geschminkt, mit roten Lippen und blondem Haar, wirkt sie wie ein Phantom. Und wenn sie in 'Alcazar'-Manier das Chanson 'Shanghai' präsentiert, sich im Spotlight bravourös vor weinrotem Samt windet, erliegt man für ein paar Filmminuten zumindest dem Zauber dieser treibhausmäßigen Dekadenz, der Schmids zwiespältige Zuneigung gilt." (Kraft Wetzel) MUTTER KÜSTERS' FAHRT ZUM HIMMEL (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1975, 6. & 26.2.), über die Frau (Brigitte Mira) eines Arbeiters, der aufgrund drohender Massenentlassungen seinen Vorgesetzten und sich selbst erschießt, ist Fassbinders Gegenstück zu Piel Jutzis "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" (1929). Mutter Küsters' Sohn Ernst und dessen Frau wenden sich von ihr ab, weil sie in der Öffentlichkeit nicht mit dem Fall des "Fabrikmörders" in Verbindung gebracht werden wollen. Ihre Tochter Corinna (Ingrid Caven), Nachtclub-Sängerin, nutzt die unerwartete Publizität für ihre Karriere. Um das Andenken ihres Mannes kämpfend, wehrt sich Mutter Küsters gegen die Sensationsberichterstattung der Boulevardpresse. Als die erhoffte Rehabilitierung ihres Mannes in der Öffentlichkeit auch nicht durch den Journalisten (Karlheinz Böhm) der DKP-Zeitung erfolgt, wendet sie sich Hilfe suchend an einen "Anarchisten", der ihr verspricht, ihre Sache durch Aktionen publik zu machen. (hjf) Mit freundlicher Unterstützung des Institut français und der Botschaft von Frankreich.

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