TRÁS-OS-MONTES (António Reis, Margarida Cordeiro, Portugal 1976, 1.11., Einführung: Vítor Gonçalves & 7.11.) Eine raue Berglandschaft, Steinhäuser ohne Strom, gekocht und geheizt wird mit offenem Feuer, Ochsenkarren und Esel dienen als Transportmittel. Die Frauen spinnen Wolle mit Spindeln und arbeiten an einem Webstuhl. Die Kinder spielen am vereisten Fluss, stöbern durch ein verlassenes Haus, hüten Schafe und Ziegen. Die Männer arbeiten im Ausland. Die einzige Verbindung in die Ferne stellt die Eisenbahn her – und die Briefe der abwesenden Familienmitglieder. Dieser formal außergewöhnliche und herausragende ethnografische Film von großer visueller Schönheit zeigt das Leben in Trás-os-Montes, der Heimat von Margarida Cordeiro. Die dokumentarische Beobachtung der sozialen Wirklichkeit wird immer wieder von lyrischen Spielszenen transzendiert, in denen sich Motive aus alten Legenden und Mythen materialisieren. Alltagsmomente werden poetisch verdichtet und gewissermaßen in eine magische Zeitlosigkeit transformiert. Realität und Imagination koexistieren und haben sich in Menschen und Landschaft eingeschrieben. ANA (António Reis, Margarida Cordeiro, Portugal 1982, 2.11., Einführung: Vítor Gonçalves & 8.11.) Eine alte Frau (dargestellt von Margarida Cordeiros Mutter) lebt als Familienoberhaupt mit ihrem Sohn, ihren Enkelkindern, Kuh und Esel in einem abgelegenen Dorf in der Provinz Trás-os-Montes. Hier ist die Zeit eine andere als in der Stadt: Alles geht sehr langsam vor sich, dem Rhythmus der Jahreszeiten und dem agrarischen Zyklus entsprechend. Erinnerungen an die Kindheit sind ein Leitfaden des Films. Eine andere alte Kultur, die Bronzezeit in Mesopotamien, findet unvermittelt Erwähnung, ebenso wie Rilkes Dritte Elegie. Vor ihrem Tod überträgt die alte Frau ihr Vermächtnis, das uralte Wissen um die Einheit von Landschaft, Geschichte, Kultur und Natur, auf ihre Enkel. In stark stilisierten, tranceartigen Bildern, mit langen Einstellungen von der Intensität eines Traums und geradezu sakraler Atmosphäre, im Wechsel von dunklen Innenräumen und im Sonnenlicht gleißenden Feldern, gerät der Film zur Meditation über Leben und Tod, Jugend und Alter, Mensch und Kosmos, Anfang und Ende aller Dinge. O ACTO DA PRIMAVERA (Rite of Spring, Manoel de Oliveira, Portugal 1963, 4. & 6.11.) Jedes Jahr führen die Bauern aus dem Dorf Curalha (Trás-os-Montes) in der Karwoche den Leidensweg Jesu auf. Das Passionsspiel findet im Freien statt, die Dorfbewohner rezitieren Verse der Textvorlage aus dem 16. Jahrhundert in ihrem volkstümlichen Dialekt. Entgegen seiner ursprünglichen Absicht, einen klassischen Dokumentarfilm über diese lokale Tradition zu drehen, stellte Oliveira die Aufführung der Passionsgeschichte für seinen Film nach und intervenierte, indem die Dreharbeiten, das Filmteam und Szenen aus dem dörflichen Alltag ins Spiel integriert wurden. Darüber hinaus gibt es einen aktuellen Zusatz: Eine apokalyptische Montage verbindet den Tod Jesu mit Bildern der Gewalt aus dem Vietnamkrieg. António Reis war Oliveiras Assistent bei diesem hybriden, aus dokumentarischen und fiktiven Elementen bestehenden Film, der als Beginn des radikal modernen Filmemachens in Portugal gilt und ihn in jene Region führte, die für seine eigenen Filme zentral werden sollte. JAIME (António Reis, Portugal 1974, 5. & 9.11.) Eine Porträtfotografie, Ansichten des Innenhofs einer Anstalt, Wasser- und Naturaufnahmen, Zeichnungen von einäugigen Kreaturen, halb Mensch und halb Tier, sowie handschriftliche Notizen, über die die Kamera in ruhigen Bewegungen gleitet, dazu aus dem Off Windgeräusche, spärliche Zeugenaussagen und der kontrapunktische Einsatz von Musik (Louis Armstrong, Telemann und Stockhausen). Nicht biografische Rekonstruktion findet hier statt, sondern ein Eintauchen in die Lebensorte und die unergründlichen Fantasien des verstorbenen Protagonisten: Der Landarbeiter Jaime Fernandes (1900–1969) verbrachte 30 Jahre seines Lebens in einer psychiatrischen Klinik in Lissabon. In seinen letzten Lebensjahren fertigte er unzählige Zeichnungen an, die heute zur Art brut gezählt werden. Margarida Cordeiro wurde bei ihrer Arbeit als Psychiaterin darauf aufmerksam. Bei dieser ersten Zusammenarbeit mit António Reis fungierte sie als Regieassistentin. ROSA DE AREIA (Desert Rose, António Reis, Margarida Cordeiro, Portugal 1989, 5. & 9.11.) Kinder und Frauen in atemberaubenden Landschaften. Menschen und Tiere. Wogende Getreidefelder, riesige Felsen, eine Prozession, ein Skelett im Sand, eine trommelnde Frau im Wald, ein brennendes Haus, ein mittelalterlicher Prozess gegen ein Schwein, das des Mordes angeklagt ist, eine Explosion in der Wüste. Töne, Visionen, Traumgestalten, Angstbilder, Wörter, Körper, Gesichter, Wind. Stilisierte Arrangements, tableauartige Form- und Farbkompositionen sind nur lose zusammengefügt und ergeben einen collagierten Kommentar zur Conditio humana, mit Bildern von berückender Schönheit. Dialoge und Off-Stimmen speisen sich aus Textfragmenten von Kafka, Montaigne, Saint John Perse, Zen-Sentenzen und Erzählungen aus dem Mittelalter. Im Unterschied zu den dokumentarisch grundierten früheren Arbeiten handelt es sich hier um einen völlig abstrakten, experimentellen und anti-narrativen Film. (bik) Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Cinemateca Portuguesa. Dank an Sara Moreira und José Manuel Costa. Mit freundlicher Unterstützung der Botschaft von Portugal / Camões-Instituto da Cooperação e da Língua.