Žilniks erste Kurzfilme Ende der 60er Jahre sind kühne Mischungen aus agitatorischen und dokumentarischen Elementen, die selbstreflexiv Kritik am herrschenden System üben. Mit Dušan Makavejev, Lazar Stojanović, Karpo Godina und anderen gehörte er zu einer jungen Generation von Filmemachern, die kreativ provozierend die erstarrte Politik herausforderten. Den von Kulturfunktionären zu ihrer Diffamierung erdachten Begriff der "Schwarzen Welle" griff Žilnik in SCHWARZER FILM von 1971 ironisch auf. Mit seinem ersten langen Spielfilm RANI RADOVI gewann Žilnik 1969 den Goldenen Bären der Berlinale und internationale Anerkennung. In seiner Heimat aber bekam er damit Probleme. Seinen nächsten Spielfilm, "Freedom or Cartoons" (1972), konnte er nicht beenden und wurde mit einem faktischen Arbeitsverbot belegt. 1973 verließ Žilnik Jugoslawien und ging wie viele seiner Landsleute in die Bundesrepublik Deutschland. Dort entstanden sieben kurze, meist mit "Gastarbeitern" gedrehte Dokumentarfilme und ein Spielfilm. Aber auch in der Demokratie eckte er an. Seine filmische Auseinandersetzung mit dem Terrorismus und dessen massenmedialer Ausschlachtung (ÖFFENTLICHE HINRICHTUNG und PARADIES) führte zu einer polizeilichen Hausdurchsuchung und seiner hastigen Abschiebung aus Deutschland: Wegen eines angeblich abgelaufenen Touristenstatus musste er das Land verlassen. Zurück in Jugoslawien fand er beim Fernsehen eine neue Arbeitsmöglichkeit, wo er billig und einfach produzierte Filme über das Alltagsleben von Menschen drehte. Dort entwickelte er sein Regieverfahren des "Doku-Dramas", einer Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm, das von realen Erlebnissen ausgeht und mit inszenierten Szenen und Dialogen fiktiv verdichtet wird. Die Laiendarsteller spielen dabei sich selbst, greifen auf ihre eigenen Erfahrungen zurück und erhalten einen Raum, in dem sie sich und ihr "Drama" ausdrücken und präsentieren können. Die minimalistische, "rohe" Ästhetik verstärkt den Anschein des Echten und Unverstellten. In den letzten Jahren richtete Želimir Žilnik seinen Fokus verstärkt auf die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in den Staaten Südosteuropas und auf die Menschen, die dabei unter die Räder kommen, sowie auf Migrationsbewegungen und Abschottungstendenzen der Europäischen Union. TITO PO DRUGI PUT MEDJU SRBIMA (Tito's Second Time Among the Serbs, Bundesrepublik Jugoslawien 1994, 11.1., in Anwesenheit von Želimir Žilnik & 31.1.) 1994 taucht in den Straßen Belgrads der 1980 verstorbene Tito im Glanz seiner besten Armeeuniform auf, begierig darauf, sich mit seinem Volk zu unterhalten. Angeregte Diskussionen mit Passanten ergeben sich. Die Menschen leiden unter einer Hyperinflation und dem Krieg. Sowohl der Verehrung Titos zu seinen Lebzeiten als auch seiner Verdammung in den Zeiten danach scheinen sie überdrüssig. ŽURNAL O OMLADINI NA SELU, ZIMI (Chronik der Landjugend im Winter, Jugoslawien 1967, 11. & 31.1.) Zilniks Debütfilm, in dem sein Stil der dokumentarischen Fiktion oder arrangierten Dokumentation schon angelegt ist. Er beobachtet junge Menschen in der Vojvodina bei der Freizeit: in Bars, beim Tanzen, im Weinkeller, zwischen Leere und überschäumender Lebensenergie. CRNI FILM (Der schwarze Film, Jugoslawien 1971, 11. & 31.1.) Eines Nachts liest Žilnik zehn (laut offizieller Diktion nicht existierende) Obdachlose von den Straßen Novi Sads auf und bringt sie zu sich nach Hause. Während sie sich in der Zwei-Zimmer-Wohnung, die der Regisseur mit seiner Frau und der kleinen Tochter bewohnt, aufhalten, fragt Žilnik Passanten auf der Straße nach der Lösung des Problems. "Es ist ein Film über die Klassenstruktur der jugoslawischen Gesellschaft, aber auch über den Missbrauch sozial deklassierter Menschen für Filmzwecke; er zeigt die Ausbeutung sozialer Not durch den Filmemacher." (Ž. Ž.) Der letzte Zwischentitel bringt das Dilemma auf den Punkt: „FILM – WAFFE ODER SCHEISSE“. USTANAK U JASZKU (Aufstand in Jazak, Jugoslawien 1973, 11. & 31.1.) Die alten Bewohner eines Dorfes erinnern sich an den Krieg und die Partisanenkämpfe. Darüber hinaus erzählt der Film davon, wie kollektive Erinnerungen und Mythen in das Bewusstsein des Einzelnen eindringen. STARA ŠKOLA KAPITALIZMA (The Old School of Capitalism, Serbien 2009, 12.1., anschließend Diskussion mit Želimir Žilnik und Boris Buden & 26.1.) Das Ende des Staatssozialismus bedeutet für Serbien den Eintritt in den globalen Kapitalismus. Vor dem realen Hintergrund einer Serie von Fabrik-Streiks stürmt eine Gruppe von Arbeitern ihre Fabrik, nur um festzustellen, dass die Bosse sich schon alles unter den Nagel gerissen haben. Junge Anarchisten entführen daraufhin in einem Akt der Solidarität den Unternehmer. Der Besuch eines russischen Großindustriellen und des amerikanischen Vizepräsidenten Joe Biden verkompliziert die Lage weiter. NEZAPOSLENI LJUDI (Die Arbeitslosen, Jugoslawien 1968, 12. & 23.1.) Žilnik konfrontiert mehrere Arbeitslose mit einer Reihe von Fragen, die, zusammengeschnitten, ein universelles Bild der Arbeitslosigkeit abgeben. Vom sozialistischen Optimismus ist hier nichts zu spüren. KENEDI SE VRAĆA KUĆI (Kenedi Goes Back Home, Serbien und Montenegro 2003, 13.1., in Anwesenheit von Želimir Žilnik & 28.1.) ist der erste Teil einer Trilogie über und mit dem jungen Rom Kenedi Hasani. Mit seiner Familie in den 90er Jahren vor den Jugoslawienkriegen nach Deutschland geflohen, wurde er 2002 nach Serbien abgeschoben. Am Belgrader Flughafen trifft Kenedi auf weitere aus Deutschland kommende Menschen, die wie er im Transit leben, auf der Suche nach Freunden und Familie, nach einer Unterkunft und Orientierung. Basierend auf den Erfahrungen und Erzählungen der Darsteller werden neue Grenzziehungen und Ausschlussmechanismen in einem vereinigten Europa sichtbar. GDE JE BIO KENEDI 2 GODINE (Kenedi, Lost and Found, Serbien und Montenegro 2005, 13.1., in Anwesenheit von Želimir Žilnik & 28.1.) Zwei Jahre nach KENEDI GOES BACK HOME findet Žilnik Kenedi Hasani in Wien wieder – während einer Vorführung dieses Films. Bei einem illegalen Grenzübertritt von Ungarn nach Österreich wurde er von der Grenzpolizei verhaftet und verbrachte einige Monate in einem Flüchtlingslager. Von dort aus floh er über Österreich nach Deutschland und Holland. Mit dem Filmteam reist er nun nach Novi Sad, wo er beschließt, ein Haus für seine Familie zu bauen. KENEDI SE ŽENI (Kenedi Is Getting Married, Serbien 2007, 18. & 29.1.) Der dritte Teil der KENEDI-Trilogie: Nach dem Hausbau in Novi Sad hat Kenedi Schulden und sucht nach jeder Art von Arbeit. Da die Möglichkeiten in Serbien nicht besonders zahlreich sind, versucht er es im Sexgewerbe. Ob eine Heirat mit einem EU-Bürger sein Problem lösen könnte? Wie in den beiden anderen Filmen ist Kenedi nicht das Objekt der Kamera, sondern wird zum aktiven Gestalter, der Szenen seines eigenen Lebens nachspielt. RANI RADOVI (Frühe Werke, Jugoslawien 1969, 16. & 27.1.) Žilniks Langfilmdebüt, benannt nach den frühen Werken von Karl Marx ("zusätzlicher Dialog: Karl Marx, Friedrich Engels") ist eine Aufarbeitung der studentischen Hoffnungen in Belgrad 1968. Vier junge Menschen, drei Männer und eine Frau, ziehen mit einem klapprigen Auto aufs Land, wo sie die Bevölkerung zur Emanzipation und zum politischen Bewusstsein auffordern und die revolutionären Theorien in die Praxis umzusetzen versuchen. Frustriert vom Widerstand und ihren Misserfolgen folgt die Selbstzerstörung. Am Anfang steht das Wort "Komödie", und am Ende ein Ausspruch des französischen Revolutionärs Saint-Just: "Wer eine Revolution nur halb durchführt, schaufelt sein eigenes Grab!" Der so wütende wie ausgelassene Film gewann 1969 den "Goldenen Bären" der Berlinale. LIPANJSKA GIBANJA (Juni-Unruhen, Jugoslawien 1969, 16. & 27.1.), wurde während der Studentenproteste im Frühling 1968 in Belgrad gedreht. "Nieder mit den sozialistischen Bonzen" lautet die Parole; Žilnik arbeitet mit dynamisch geschnittenen Interviews im Stil des Cinéma vérité, und lässt einen Schauspieler aus Büchners Dantons Tod den Robespierre zitieren. PIONIRI MALENI, MI SMO VOJSKA PRAVA, SVAKOG DANA NIĆEMO, KO ZELENA TRAVA (Kleine Pioniere, wir sind eine Armee, wir sprießen wie grünes Gras, Jugoslawien 1968, 16.1.) Kinder und Jugendliche, von der Gesellschaft allein gelassen, erzählen vor der Kamera freimütig über ihre Erlebnisse, vom Leben auf der Straße, vom Stehlen, von Missbrauch und Gewalt. Mit dabei ist die kleine Pirika, der wir 45 Jahre später in PIRIKA NA FILMU erneut begegnen. Der Titel ist einem Pionierlied der Zeit entnommen. PIRIKA NA FILMU (Pirika on Film, Serbien 2013, 16.1.) ist das Porträt einer Frau wie auch eine Analyse des postkommunistischen Status quo in den Ländern Ex-Jugoslawiens. 45 Jahre nach ihrer Teilnahme in zwei Filmen von Želimir Žilnik – RANI RADOVI und KLEINE PIONIERE – ist der Film eine Hommage an das bewegte Leben von Piroška Čapko, die in Berlin ihre seit Jahren nicht mehr gesprochene Tochter sucht. Žilnik kombiniert frei dokumentarische Elemente, inszenierte Episoden (in denen auch das Arsenal eine Rolle spielt) und Diskussionen zwischen den verschiedenen Menschen, die Pirika trifft. DUPE OD MRAMORA (Marble Ass, Bundesrepublik Jugoslawien 1994, 14. & 25.1.) untersucht die Auswirkungen der Kriege der 90er Jahre auf Menschen an den Rändern der Gesellschaft. Die Prostituierte Merlin betreibt ihre eigene Form der Befriedung des Balkans. Indem sie mit zahlreichen jungen Männern schläft und als Blitzableiter für deren schnell aggressiv werdende Energie dient, versucht sie der Atmosphäre der Gewalt entgegenzutreten. Der von der Front zurückkehrende Johnny hingegen sucht Konflikte mit verstärkter Gewalt zu lösen. Eine apokalyptische Vision der serbischen Gesellschaft, die von seelisch verkrüppelten Menschen und dem Mythos von Männlichkeit und Kriegermentalität beherrscht wird. 2005 gewann MARBLE ASSden Teddy Award der Berlinale.DO JAJA (Throwing Off the Yolks of Bondage, Bundesrepublik Jugoslawien 1997, 14. & 25.1.) dokumentiert die Belgrader Massenproteste gegen das Milošević-Regime nach der Wahlmanipulation in Serbien im November 1997. Desillusioniert über ihre politischen Führer werfen die Demonstranten Eier in Richtung staatlicher Institutionen. ÖFFENTLICHE HINRICHTUNG (BRD 1974, 20. & 24.1.) basiert auf der Berichterstattung im deutschen Fernsehen über Polizeiaktionen gegen die RAF, die Žilnik wie fürs Fernsehpublikum inszeniert erschienen. ICH WEISS NICHT WAS SOLL ES BEDEUTEN (BRD 1975, 20. & 24.1.) Eine amüsante Parodie auf die deutsche Romantik und ihre Überformung in den Kitsch mit Versionen von Heinrich Heines Lorelei. PARADIES. EINE IMPERIALISTISCHE TRAGIKOMÖDIE (BRD 1976, 20. & 24.1.) Eine bankrotte, skrupellose Industrielle inszeniert ihre eigene Entführung, um dadurch ihren Betrieb zu sanieren. Sie beauftragt eine Gruppe junger Anarchisten als Kidnapper, um nach einigen Tagen der "Gefangenschaft" gestärkt wieder aufzutauchen. Direkt beeinflusst von der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz durch die Bewegung 2. Juni persifliert Žilnik die sich zu jener Zeit in der Bundesrepublik ausbreitende Baader-Meinhof-Hysterie. Ursprünglich waren Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla für die Hauptrollen vorgesehen, was aber nicht klappte. Angeblich diente PARADIES Fassbinder als Inspiration zu seinem Film Die dritte Generation. Der halbdokumentarische TVRÐJAVA EVROPA (Fortress Europe, Slowenien 2000, 21.1.) wurde in den Grenzregionen von Italien, Slowenien, Kroatien und Ungarn gedreht, wo die südöstliche EU-Außengrenze seit dem Schengener Abkommen unter strenger Beobachtung steht und damit nationalistische Tendenzen und die Polizeiorgane der osteuropäischen Staaten stärkt. Von der Wirklichkeit ausgehend, rekonstruiert Žilnik einige Geschichten von Menschen, die versuchen, diese Grenzen zu überschreiten: Der russische Mann, der die Tochter zur Ex-Frau nach Italien bringen will und in Ungarn strandet, wo er auf Flüchtlinge aus Serbien trifft, oder die junge Frau aus Rumänien, die an der slowenisch-italienischen Grenze von der Polizei aufgegriffen und wieder zurückgeschickt wird. INVENTUR METZSTRASSE (BRD 1975, 21.1.) zeigt die Bewohner eines alten Mietshauses – überwiegend "Gastarbeiter" –, die sich und ihre Lebensumstände kurz vorstellen. Als ihre eigenen Darsteller in einem streng strukturalistischen Setting bestimmen sie selbst, was und wie viel sie von sich preisgeben. (al) Mit freundlicher Unterstützung der Serbischen Botschaft, Berlin. Dank an Miloš Stipić und Želimir Žilnik.