BERLIN. DIE SINFONIE DER GROSSSTADT (Walter Ruttmann, D 1927, 1. & 8.6.) Ein Tag in der Großstadt Berlin, chronologisch dargestellt in fünf Zeitphasen. In abwechselnd rasantem, dann wieder ruhigerem Tempo fächert Ruttmann Bilder der Stadt, des städtischen Lebens und der Menschen auf: Häuserschluchten, Züge, Straßen, Arbeiter- und Angestelltenmassen, Maschinen, Leuchtreklamen, Abendvergnügungen – Bilder, die nach Bewegungs- und Kontrastprinzipien montiert, zu einem visuellen Rhythmus, einem Strom der Eindrücke und pulsierenden Bilderfluss verschmelzen. Wir zeigen eine neue Kopie mit der Musik von Edmund Meisel. MANHATTA (Paul Strand/Charles Sheeler, USA 1921, 1. & 8.6.) Die erste Stadtsinfonie der Filmgeschichte – eine lyrische Komposition aus Architektur, Raum und Bewegung, basierend auf einem Gedicht von Walt Whitman. SUITE HABANA (Suite Havanna, Fernando Pérez, Kuba 2003, 1. & 3.6.) Havanna ganz ohne den morbiden Glanz vergangener Tage und Kuba-Klischees. Pérez zeigt vielmehr 24 Stunden im Leben von zehn völlig unterschiedlichen Bewohnern Havannas – vom Gleisarbeiter, der vom Leben als Musiker träumt, bis zum Professor, dessen Frau Erdnüsse verkaufen muss – und kommt dabei ohne Kommentar und Interviews aus. Bilder und Geräusche verdichten sich zu einem poetischen Gesamtbild der Stadt, zu einer dem Tagesablauf folgenden, melancholischen Suite. THE NAKED CITY (Stadt ohne Maske, Jules Dassin, USA 1947, 2. & 7.6.) Betonschluchten, Spielplätze, Feuermelder, Straßenszenen, Zeitungsjungen, das Leben auf der Straße bei drückender Sommerhitze – mit Hilfe eines verspiegelten Lastwagens entstanden die Aufnahmen, die NAKED CITY zu einem für damalige Verhältnisse legendären, semidokumentarischen Porträt New Yorks werden ließen. Die Riesenstadt wird zum gleichwertigen Protagonisten in der Geschichte um einen Mord an einem jungen Fotomodell. CYCLING THE FRAME (Cynthia Beatt, BRD 1988) &THE INVISIBLE FRAME (Cynthia Beatt, D 2009, 4. & 10.6.) Zwei Berlinerkundungen: Zum ersten Mal im Sommer 1988 kurz vor dem Fall der Berliner Mauer und dann zwei Jahrzehnte später radelt Tilda Swinton den Mauerstreifen entlang. Unter der Regie von Cynthia Beatt sind aus diesen Ost-West-Umrundungen zwei dicht gewebte Abenteuerfahrten entstanden, historische Dokumente, Pulsnehmer einer Stadt, ihrer Bewohner, ihrer Geschichte in Bild und Ton, rhythmische Reflexionen über Vergessen und Vergänglichkeit, Grenzen und ihr Überwinden. HELSINKI, FOREVER (Peter von Bagh, Finnland 2009, 5. & 13.6.) Das wahre Bild Helsinkis vermittelt sich dem Betrachter einzig in der filmischen Darstellung der finnischen Hauptstadt – laut Filmhistoriker und Regisseur van Bagh, der daraufhin unterschiedlichste Filmausschnitte aus Dokumentar- und Spielfilmen sowie Fotomaterial und Gemälde der letzten 100 Jahre zu einer so unsentimentalen wie poetischen Liebeserklärung an seine Heimatstadt, aber auch an das finnische Kino montiert hat. "HELSINKI, FOREVER deserves its rank among the great 'city-poems'." (Chris Marker) DER SCHÖNE TAG (Thomas Arslan, D 2001, 6. & 11.6.) Gänge durch die Stadt – einen Tag lang bewegt sich Deniz (Serpil Turhan) durch das sommerliche Berlin: von Kreuzberg an den Wannsee, vom Alexanderplatz zum Tiergarten. Bei Arslan ist Berlin nicht pittoreske Kulisse. Die Wege durch die Stadt sind vielmehr rhythmisierender Faktor des Films. Deniz' Streifzüge – nicht selten per U-Bahn – vermessen die Stadt und verbinden die momentanen Koordinaten ihres Lebens: Zwischen Freund, Mutter, Schwester, ihrer Arbeitsstätte als Synchronsprecherin, Vorsprechen und einer abendlichen Zufallsbekanntschaft sondiert Deniz die eigenen Erwartungen an ihr Leben. THE LITTLE FUGITIVE (Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin, USA 1953, 9. & 12.6.) Der Film, ohne den es die Nouvelle Vague nicht gegeben hätte. Der Schlüsselfilm des unabhängigen amerikanischen Kinos zeigt die Erlebnisse des siebenjährigen Joey, der aus Angst, seinen Bruder umgebracht zu haben, von zu Hause wegläuft und einen Tag und eine Nacht auf Coney Island verbringt. Hier wird er ganz von der Vergnügungswelt absorbiert und bewegt sich mühelos zwischen Hot-Dog-Ständen, Strand und Ponyställen. Ebenso mühelos bewegt sich die Kamera durch das Treiben auf Coney Island, dokumentiert das nachmittägliche Gedränge ebenso wie die ausgelassene Abendstimmung und das klärende Gewitter – eine Insel-Sinfonie über eine verschwundene Welt. Vorfilm: UNDER THE BROOKLYN BRIDGE (Rudy Burckhardt, USA 1953, 9. & 12.6.)MEGACITIES (Michael Glawogger, Österreich 1998, 11. & 15.6.) Dokumentarische Aufnahmen, z.T. stilisiert, verfremdet, aber auch nachinszeniert, von Armut und Elend in vier Megacities: Bombay, Mexiko-Stadt, Moskau und New York. Glawogger arrangiert das Material in zwölf Kapitel, montiert die Szenen einzelner Städte und Protagonisten ineinander, spannt ein komplexes Netz der Kontinente-übergreifenden Querverbindungen und entwirft damit ein erschütterndes Bild vom täglichen Überlebenskampf der Menschen am Rand der Städte und Gesellschaften. – In memoriam an den Ende April verstorbenen österreichischen Regisseur Michael Glawogger. MY WINNIPEG (Guy Maddin, Kanada 2007, 14. & 21.6.) "Eine vielschichtige Reise durch die Heimatstadt im Kopf des Regisseurs, ein wildes Capriccio aus Fakten und Fiktion." (Eddie Cockrell) Wie alle Filme Maddins entzieht sich auch dieses surreale, essayistisch-persönliche Porträt seiner Geburtsstadt einer Genrezugehörigkeit. Anklänge an die Stadtsinfonie finden sich dennoch, wie z.B. die dynamische Montage, das Durchstreifen der Stadt und das Beschwören ihres Mythos. Die Stadt Winnipeg wird gleichzeitig zu einem ge-/erträumten Ort und zum Schauplatz unser aller Kindheit. LOS ANGELES PLAYS ITSELF(Thom Andersen, USA 2003, 17. & 18.6.) Rekonstruktion der Geschichte und Geografie Los Angeles' anhand von Hunderten von Ausschnitten aus Filmen, die in L.A. gedreht wurden: eine Stadt spielt sich selbst – von Chinatown zu L.A. Confidential, von The Exiles zu Killer of Sheep. Der Film ist "in Wirklichkeit eine Stadtsymphonie mit vielen Stilrichtungen und Tempi. Geleitet von seiner aufmerksamen, nachdenklich stimmenden Erzählung, trägt Andersen eine kritische Geschichte und Gegengeschichte von Los Angeles zusammen." (Sean Farnel) TSCHELOWJEK S KINOAPPARATOM (Der Mann mit der Kamera, Dsiga Wertow, UdSSR 1929, 19. & 24.6., am Klavier: Eunice Martins) Bilder von Moskau, Odessa und Kiew fügt Wertow zum Bild der jungen sowjetischen Stadt zusammen, Menschen und Maschinen werden zum Zeichen der neuen Produktivität. DER MANN MIT DER KAMERA ist eine programmatische Stadtsinfonie und in seiner präzisen Schilderung der Filmherstellung (inkl. Kamera, Schneidetisch und Projektor) ein Manifest des Dokumentarfilms. City-Symphonies-Kurzfilmprogramm (20.6., am Klavier: Eunice Martins): MANHATTA (Paul Strand/Charles Sheeler, USA 1921) Die erste Stadtsinfonie der Filmgeschichte – eine lyrische Komposition aus Architektur, Raum und Bewegung, basierend auf einem Gedicht von Walt Whitman. RIEN QUE LES HEURES (Alberto Cavalcanti, F 1926) Dokumentar- und Spielfilmszenen miteinander verbindend, entwickelt Cavalcanti einen impressionistischen Blick auf Paris von morgens bis mitternachts. A PROPOS DE NICE (Jean Vigo, F 1930) Satirisch-absurdes Porträt des französischen Badeortes und seiner großbürgerlichen Gesellschaft. Vigo selbst bezeichnete seinen Film als einen "sozialen Dokumentarfilm" und zitierte klassische Großstadtsymbole à la Ruttmann und Wertow – Maschinen, Bewegung, Arbeitswelten – um Nizza als wenig dynamisch-moderne Großstadt zu karikieren. BEFORE SUNSET (Richard Linklater, USA 2004, 22. & 28.6.) Zehn Jahre nach einem Zufallstreffen in Wien begegnen sich Céline (Julie Delpy) und Jesse (Ethan Hawke) wieder, als Jesse, mittlerweile Schriftsteller, auf Lesereise nach Paris kommt. Wiederum werden die wenigen gemeinsamen Stunden mit langen Spaziergängen durch die Stadt und ausführlichen Gesprächen über die großen Themen des Lebens genutzt. Nach Linklaters "Before Sunrise" (1994) verleiht Paris dem Sequel eine melancholische Note und das Bewusstsein um die Vergänglichkeit allen Glücks. MOSKWA (Moskau, Ilja Kopalin, Michail Kaufman, UdSSR 1927, 27. & 30.6., am Klavier: Eunice Martins) Anlässlich des zehnten Jahrestages der Oktoberrevolution beauftragt, zeichnen die Regisseure Kopalin und Wertow-Bruder Kaufman die Veränderungen Moskaus zehn Jahre nach der Revolution in ihrer Widersprüchlichkeit nach. Eine überraschend bewegliche Kamera dokumentiert die äußerlich kaum veränderte Fassade der Stadt mit ihren zaristischen Villen und Palästen, in denen sich eine neue, sowjetische Wirklichkeit entwickelt hat. (mg)