LA MAMAN ET LA PUTAIN (Die Mama und die Hure, Jean Eustache, F 1973, 1. & 5.8.) Alexandre (Jean-Pierre Léaud), ein junger Mann, der keinem Beruf nachgeht, lebt mit Marie (Bernadette Lafont) zusammen, kann jedoch seine frühere Geliebte nicht vergessen und versucht, sie durch einen Heiratsantrag zurückzugewinnen. Kurz darauf lernt Alexandre Veronika kennen und lässt sich auf ein Dreiecksverhältnis ein. Eustaches Studie über drei Personen, den Mikrokosmos Paris-St.-Germain-des-Prés und die französische Gesellschaft nach dem Trauma des Mai 68. DER BLAUE ENGEL (Josef von Sternberg, D 1930, 2. & 7.8.) Ein Versuch der Überwindung der mit Aufkommen des Tonfilms neu entstandenen Sprachbarriere war die Produktion von unterschiedlichen Sprachversionen ein- und desselben Films. Bis in die frühen 30er Jahre entstand so eine Reihe von Filmen mit fast identischen Plots, denselben Dekors und Technikern, zum Teil mit denselben Schauspielern, nur in unterschiedlichen Sprachen. Zur Illustration dieser gängigen Praxis zeigen wir Josef von Sternbergs berühmte Professor Unrat-Adaption in der deutschen und der englischen Sprachfassung mit dem Titel THE BLUE ANGEL (6.8.). In beiden Fassungen zu sehen und zu hören sind Marlene Dietrich und Emil Jannings, dessen Englisch im Gegensatz zu seiner aufstrebenden Schauspielerkollegin phasenweise skurrile Züge trägt. PASTORALI (Otar Iosseliani, UdSSR 1975, 3. & 8.8.) Ein Musiker-Quartett installiert sich den Sommer über in einem Dorf. Iosseliani erzählt die Geschichte eines Sommers, ohne den Anschein des Erzählens zu erwecken, multipliziert sie und fügt unendlich viele Anfänge neuer Geschichten ein. Tausend Details sind auf diese Art zu entdecken, mit Tierstimmen an Stelle von Dialogen und geduldigen, beinahe stummen Sequenzen der Charaktere beim täglichen Arbeiten. "Wie in den schönsten Stummfilmen beweist sich das Genie des Kinos in der poetischen Schilderung der Welt." (Claire Devarrieux)SINGIN' IN THE RAIN (Stanley Donen, Gene Kelly, USA 1952, 9. & 15.8.) Hollywood im Moment der Umstellung auf den Tonfilm. Eine erfolgsverwöhnte Stummfilmdiva unterliegt in Herzensdingen und was die berufliche Karriere angeht einer talentierten Tänzerin und deren Stimme. Kein Musical hat sich je wieder zugleich satirisch demontiert und grandios neu erfunden. Temperament, Technicolor und Perfektion markieren diesen filmischen Höhepunkt des Filmmusical-Genres. LE MÉPRIS (Die Verachtung, Jean-Luc Godard, F/I 1963, 10. & 14.8.) "Das Wort erzeugt Verwirrung. Nie ist das Gesprochene auch das Gedachte oder das Vernommene auch das Gemeinte." (Helmut Merker) Die Missverständnisse sind weniger den vier unterschiedlichen Sprachen geschuldet, die im Film gesprochen werden, als diffusen Abhängigkeiten, fehlendem Verständnis und falschverstandenen Loyalitäten. Inmitten der zahlreichen Zitate und Verweise gerinnt das Sprechen zum Vehikel hohler Phrasen. FAREWELL MY LOVELIES / POTO AND CABENGO (Jean-Pierre Gorin, USA/BRD 1980, 12. & 20.8.) Gracie und Ginny Kennedy, Zwillingsschwestern aus Kalifornien, erregten in den 70er Jahren öffentliches Aufsehen, als sie eine eigene Sprache entwickelten. Dem Unbehagen, das diese von der Umwelt abgekoppelte Sprachgemeinschaft bei Fachleuten ebenso wie in der Öffentlichkeit hervorrief, begegnete man mit einem therapeutischen Eingriff, als dessen Resultat nur die sprachliche und damit soziale Wiedereingliederung der Mädchen gelten konnte. Gorin fokussiert in seinem Film die sozialen und politischen Dimensionen von Sprache und Kommunikation, indem er das aufgebauschte Medieninteresse an den Mädchen genauso untersucht wie die Umstände, unter denen das Zwillingspaar aufwuchs. THE CONVERSATION(Francis Ford Coppola, USA 1974, 13. & 23.8.) Verschwindende und wiederkehrende Stimmen aufgezeichneter Unterhaltungen, unterlegt von irritierenden elektronischen Interferenzen, bilden das akustische Leitmotiv von Coppolas minutiöser Studie vom Eindringen der Technik in die Intimsphäre des Menschen. Im Auftrag eines Firmenbesitzers belauscht Privatdetektiv Harry Caul ein junges Paar, bis er die beiden plötzlich in Lebensgefahr wähnt. Ein beeindruckendes Dokument über die Macht der körperlosen Stimmen und bilderlosen Sprache. BEESWAX (Andrew Bujalski, USA 2009, 16. & 21.8.) Junge Leute beim Abschied von der Unverbindlichkeit: Jeannie und Lauren sind Zwillingsschwestern und wohnen zusammen. Jeannie betreibt einen Secondhand-Laden. Sie fürchtet, dass ihre Teilhaberin eine Klage gegen sie anstrebt und sucht deshalb Rat bei ihrem Ex-Freund, der gerade sein Jurastudium abschließt. Lauren ist auf der Suche – nach einem Job und nach einem festen Freund. Bujalski ist einer der Protagonisten der sog. Mumblecore-Bewegung im US-amerikanischen Independent-Kino, geprägt durch improvisierende Laiendarsteller, Dialoglastigkeit und eine entdramatisierte Abbildung des Alltags. L'ENFANT SAUVAGE (Der Wolfsjunge, François Truffaut, F 1970, 17. & 22.8.) 1797: Bei Aveyron wird ein Junge aufgegriffen, der offenbar seit Jahren im Wald gelebt hat und nur unartikulierte Laute ausstößt. Truffauts Drehbuch stützt sich auf den 1806 veröffentlichten Bericht des jungen Doktor Itard, der sich des Jungen annahm. Itard war, anders als seine Arztkollegen, der Meinung, der Junge sei nur durch mangelnden sozialen Kontakt und geringe kommunikative Fähigkeiten zurückgeblieben. Der Film zeigt die peniblen Schritte des Arztes, um dem Jungen das Sprechen beizubringen. ANTIGONE (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, F/D 1991, 18. & 24.8.) Sophokles' antikes Trauerspiel um Antigone, die ihren gefallenen Bruder gegen das Verbot des Herrschers von Theben beisetzt und dafür hingerichtet wird, dargeboten in einem Freilichttheater. "Das rhythmische Stocken, Vers um Vers, kommt aus der beherrschten Aufregung, im Sinne des Goethe'schen 'Denn ich sprach nur aus, was in mir aufgeregt, nicht aber was ich gelesen hatte'; und insbesondere haben die Sprecher, wenn sie ein Geschehen beschreiben oder erzählen, beständig das Bild, die Bilder davon in der Brust, bewahren diese im Reden, das ihnen so aufgeregt wie sachlich folgt und sich derart als Beschwörung anhört, dementsprechend natürlichst in Versform." (Peter Handke) BRINGING UP BABY (Leoparden küsst man nicht, USA 1938, 26. & 28.8.) Höchstmögliche Dialog-lastigkeit bei überbordendem Wortwitz sind zwei Merkmale der amerikanischen Screwball Comedies. Der Klassiker des Genres ist BRINGING UP BABY, in dem das Leben des der Wissenschaft ergebenen Paläontologen David Huxley (Cary Grant) völlig aus seinen geregelten Bahnen gerät, als er die exzentrische Erbin (Katharine Hepburn) eines Millionenvermögens kennenlernt. LES DOIGTS DANS LA TÊTE (Die Finger im Kopf, Jacques Doillon, F 1974, 27. & 30.8.) Ein Sprechfilm im wahrsten Sinne. Bereits in seinem Debüt erkennt man verschiedene Elemente, die später konstitutiv für Doillons Arbeit werden: sein Interesse für die Welt der Kinder und Jugendlichen, die Arbeit mit Laien sowie die Dialoge und das Sprechen. Nachdem der Bäckerlehrling Chris gefeuert wurde, soll er sein Zimmer räumen. Stattdessen verbarrikadiert er sich mit Léon, Rosette und Liv in seiner Mansarde. Auf engem Raum sprechen die vier über ihre Wünsche, Träume und Ängste. SUNSET BOULEVARD (Billy Wilder, USA 1950, 29. & 31.8.) "Psss!" – "Ich passe!" In diesem Laut, fast tonlos gezischt von dem großen Stummfilm-Komiker Buster Keaton, steckt das Thema des Films: das Scheitern der Stummfilmschauspielerin Norma Desmond, die den mittellosen Drehbuchautor Joe Gillis an sich bindet und ihn in ihre Abhängigkeit bringt. Eine Studie über die fließenden Grenzen von Traum und Wirklichkeit, nachgezeichnet und kommentiert von Gillis’ Stimme aus dem jenseitigen Off. (hjf/mg)