A STUDY IN CHOREOGRAPHY FOR CAMERA (Maya Deren, USA 1945, 1. & 11.11.) "In diesem Film wird der Raum mittels der Auslotung filmischer Techniken selbst zu einem dynamischen Teilnehmer der Choreografie. Es ist in gewisser Weise ein Duett zwischen Raum und Tänzer; ein Duett, in dem die Kamera nicht nur ein sensibel beobachtendes Auge ist, sondern selbst erzeugend und mitverantwortlich für die Performance wird." (Maya Deren)
LIVES OF PERFORMERS(Yvonne Rainer, USA 1972, 1. & 11.11.) Anfang der 70er Jahre wendet sich die langjährige Choreografin Yvonne Rainer, eine der zentralen Figuren des amerikanischen Postmodern Dance, mit LIVES OF PERFORMERS dem Film zu. Ihre Erfahrungen als Tänzerin und Choreografin manifestieren sich in einer großen Aufmerksamkeit für die Darstellung von Körpern und Körperlichkeit im Film, aber auch für Aspekte der Kadrierung und der Montage. In der Art eines Melodrams über einen Mann zwischen zwei Frauen verwebt Rainer mit großer Präzision und Humor Abfolgen von Stillstand und Bewegung, Gruppierungen und Neugruppierungen, Dokumentar- und Spielfilmszenen, Text- und Tanzpassagen, Fotos und ihren eigenen Voice-over-Kommentar.
MARTHA (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1974, 2. & 4.11.) Immer wieder zitiert wird Michael Ballhaus' komplexe Kamerachoreografie in Fassbinders schnörkellosem Melodram, deren Höhepunkt in Präzision und Verdichtung zweifellos eine 360-Grad-Kamerafahrt relativ am Anfang des Films ist. Die unheilverkündende Plansequenz beschreibt die erste Begegnung zwischen den Protagonisten, der zu Abhängigkeit und Gehorsam erzogenen Martha und dem undurchsichtigen Helmut, die wenig später heiraten werden. Eine schwindelerregende Kreisfahrt als Kristallisationspunkt eines sadistischen Karussells.
TOUCH OF EVIL(Orson Welles, USA 1958, 3., 12. & 15.11.) Mit einem Kuss und der darauffolgenden Explosion endet nach knapp vier Minuten eine der spannendsten und ungeschnittenen Eröffnungssequenzen der Filmgeschichte. Das Ticken des Zeitzünders, dessen countdown-gleicher Rhythmus in einen diffusen Musikteppich des Opening shots übergeht, scheint wie eine Vorwegnahme der genau getakteten Abfolge von anfahrenden und anhaltenden Autos, von Menschen, die die Straße überqueren und den Bewegungen der den Verkehr regelnden Polizisten – ein Stop-and-go-Ballett, das die gleitende Kamerakranfahrt mal von fern über den Dächern der mexikanischen Grenzstadt, mal aus unmittelbarer Nähe des Geschehens aufnimmt. Die virtuose Anfangschoreografie blitzt in Variationen kontinuierlich im Film auf, einem klaustrophobischen Thriller, in dem ein Mordfall in einer Kleinstadt an der mexikanischen Grenze zu einem tödlichen Duell zwischen einem jungen mexikanischen Rauschgiftfahnder und dem alten amerikanischen Polizeichef wird.
KLAGE Der KAISERIN (Pina Bausch, F 1989, 10. & 16.11.) In der ersten Arbeit für das Kino überträgt die legendäre Gründerin und jahrzehntelange Leiterin, Tänzerin und Choreografin des "Tanztheater Wuppertal" Pina Bausch ihre Arbeitsweise in das filmische Medium und choreografiert nicht nur Menschen und Tiere in Landschaften und Innenräumen, sondern auch unterschiedliche Momentaufnahmen zu einer Collage von "Märchenbildern, wie in einem Bilderbuch" (P.B.). Unterlegt von Musikstücken aus verschiedenen Regionen und Zeiten entsteht eine kaleidoskopische Struktur von Stimmungen und Atmosphären, ein mal unheimliches, dann wieder komisches Lamento, erzählt von Körpern oder Körperteilen, Gesten, Mimik und Bewegungen.
DIE AUSTERNPRINZESSIN(Ernst Lubitsch, D 1919, 13. & 14.11., am Klavier: Eunice Martins) und DIE PUPPE(Ernst Lubitsch D 1919, 13. & 14.11., am Klavier: Eunice Martins) Ein Stummfilmmusical und frühes Beispiel des "Lubitsch touch" (DIE AUSTERNPRINZESSIN) und eine Referenz an sein nicht weniger überbordendes komisches Frühwerk (DIE PUPPE) – 1919 dreht Lubitsch quasi unaufhörlich und schafft zwei seiner besten deutschen Komödien. In DIE AUSTERNPRINZESSIN macht er sich zudem an die Inszenierung fulminanter Choreografien von Treppen, Türen und Gängen und von Heerscharen von Dienern in palastartigen Räumen, die von einem amerikanischen Millionär und seiner temperamentvollen Tochter auf der Suche nach einem adeligen Ehemann auf Trab gehalten werden.
LA PASSION DE JEANNE D'ARC(Carl Theodor Dreyer, F 1928, 9. & 29.11.) In reduzierten Dekors, zurückgenommener Darstellungsweise sowie starker Verknappung der zeitlichen Abläufe kondensiert Dreyer Prozess, Verurteilung und Hinrichtung der historischen Figur. Umso deutlicher treten die ungeschminkten Gesichter und die ausdrucksstarke Mimik der Protagonisten in den Vordergrund, Folien der Erstarrung, Grausamkeit, aber auch der emotionalen Erschütterung. Zwischen den Gesichtern entspannt sich eine komplexe Choreografie der Blicke, die gleichzeitig den Raum vermisst, Machtstrukturen etabliert und seismografisch Allianzen andeutet.
DAS MERKWÜRDIGE KÄTZCHEN(Ramon Zürcher, D 2013, 17. & 18.11) Das Spielfilmdebüt des dffb-Absolventen Zürcher entwirft einen Reigen von Familienszenen: Verschiedene Familienmitglieder kommen zusammen, Haushaltsgeräte werden repariert, Haustiere streifen umher, es wird gemeinsam gekocht, gegessen, geredet. Schauplatz des Geschehens ist die elterliche Wohnung: Hier entspinnt sich eine wundersame Echtzeit-Choreografie der Alltagswelt, eine sorgfältig inszenierte Kettenreaktion von Handlungen und Gesprächen, aus der unvermutet ein Kosmos des Absurden und leise Unheimlichen aufscheint.
SHICHININ NO SAMURAI(Die sieben Samurai, Akira Kurosawa, Japan 1954, 21. & 26.11.) Eine zusammengewürfelte Gruppe Samurai-Krieger macht für einen mageren Lohn ein Dorf wehrhaft und verteidigt es gegen die alljährlich einfallenden plündernden Banditen. Der Film endet mit einem Sieg der Bauern über die Räuber, aber auch einem Abgesang auf die Zeit der Samurai. Die Melancholie des Vergehens grundiert den Film, kontrastiert von der Dynamik der furiosen Kampfszenen, deren komplizierte Choreografien Kurosawa mit mehreren Kameras gleichzeitig drehte, die ihrerseits einer per Diagramm ausgearbeiteten präzisen Choreografie folgten.
PICKPOCKET (Robert Bresson, F 1959, 22. & 27.11.) Ein kunstvolles Ballett der Hände, ein brillanter Reigen von Portemonnaies, Geldumschlägen, Brieftaschen und Uhren – Bresson fügt das reibungslos ineinandergreifende Werk einer kleinen Gruppe von Taschendieben auf einem Bahnhof in einer faszinierenden Montage zu einem Tanz der Handbewegungen, Objekte und Blicke. Fingerfertiges Mitglied der Gruppe von Taschendieben ist Michel, der seine wenigen sozialen Bindungen löst und der Kunst des Taschendiebstahls verfällt.
LE PREMIER VENU (Just Anybody, Jacques Doillon, F/B 2008, 23. & 28.11.) Eine Protagonistin als Choreografin: Camille, eine junge Frau aus gutem Hause, beschließt, ihre Liebe an den Erstbesten zu verschenken. Der Zufall bringt sie mit Costa zusammen, einem kriminellen Tunichtgut. Mit dem Polizisten Cyril, Costas Exfreundin Gwendoline, Costas Vater und einem Makler treten weitere Akteure in eine Reihe von Geschehnissen ein, die Camille arrangiert, dirigiert, am Laufen hält, bis sie ihr schließlich über den Kopf wachsen. Eine tänzerische Versuchsanordnung. (mg)