ACCATTONE (I 1961, 13.9., Einführung: Roberto Chiesi, Centro Studi Pier Paolo Pasolini, Bologna & 26.9.) Pasolini siedelt sein aufsehenerregendes Filmdebüt in den "borgate" an, der tristen römischen Vorstadt, die bereits Schauplatz seiner früheren Romane ist. Das dortige Leben und seine Bewohner hatte Pasolini in seiner ersten Zeit in Rom Anfang der 50er Jahre kennengelernt und sich ihnen zeitlebens verbunden gefühlt. Im Mittelpunkt des Films steht Vittorio (Franco Citti), der sich selbst "Accattone" (Schmarotzer, Bettler) nennt und sich mit Diebstählen, Gaunereien und Zuhälterei kaum über Wasser halten kann. Seine Frau hat ihn verlassen, seine Freundin, die für ihn anschaffen gegangen ist, sitzt im Gefängnis. Als er sich in die junge Stella verliebt, versucht er – erfolglos – sein Leben zu ändern. Von der Polizei verfolgt, verunglückt er und stirbt. Mit Laiendarstellern und vor dem Hintergrund einer kargen, neorealistisch anmutenden Vorstadtwüste entwickelt Pasolini eine eindringliche Passionsgeschichte, deren tragische Ausweglosigkeit er mit strengen, geradezu sakralen, an italienische Maler der Frührenaissance erinnernden Bildkompositionen rahmt. In den 60er Jahren beteiligte sich Pasolini an zahlreichen Omnibusfilm-Projekten. Wir zeigen drei der äußerst selten zu sehenden Episoden, die zu den schönsten Werken Pasolinis gehören, in einem Kurzfilmprogramm. (14.9., Einführung: Roberto Chiesi & 20.9.) LA TERRA VISTA DALLA LUNA (The Earth as Seen from the Moon, I/F 1967) Pasolinis Episode für "Le streghe" (Die Hexen) ist eine von fantasievollen Details, Travestien und Anklängen an die Welt des Slapsticks überbordende surrealistische, quietschbunte Komödie. Nach UCCELLACCI E UCCELLINI bringt er erneut die italienische Komiker-Legende Totò mit Ninetto Davoli als subproletarischem Vater und Sohn zusammen. Auf der Suche nach weiblichem Ersatz für die verstorbene Frau und Mutter treffen die beiden auf die schöne, gehörlose Assurdina (Silvana Mangano), die in die Heirat mit dem Vater einwilligt und innerhalb kürzester Zeit ihre Bruchbude in ein irrwitzig ordentliches Heim verwandelt. Um die Haushaltskasse zu füllen, inszenieren die drei einen Selbstmordversuch Assurdinas im römischen Colosseum. Während Vater und Sohn die mitleidigen Touristen um Spenden bitten, rutscht Assurdina aus und stürzt in die Tiefe. Nach ihrer Beerdigung empfängt sie die Tieftraurigen jedoch am heimischen Herd. Der letzte Zwischentitel des Films lautet: "Lebendig oder tot – es kommt auf dasselbe heraus." CHE COSA SONO LE NUVOLE? (What Are the Clouds?, I 1968) Eingegangen in den Episodenfilm "Capriccio all'italiana" gehört der humoristische, die Grenzen zwischen Film, Theater, Realität und Fantastik sprengende CHE COSA SONO LE NUVOLE? wie auch LA TERRA eigentlich zu einem unvollendeten Episodenfilm mit Totò und Ninetto Davoli. Hier sieht man die beiden als lebensgroße Marionetten, die vor subproletarischem Publikum Shakespeares Othello aufführen. Hinter der Bühne wird das Stück von den Puppen hinterfragt, vor der Bühne vom Publikum kommentiert, das sich schließlich in das Geschehen einmischt, als Othello (Davoli), von Jago (Totò) angestachelt, Desdemona (Laura Betti) umbringen will. Die nach den handgreiflichen Auseinandersetzungen arg lädierten Marionetten landen schließlich auf dem Müll, wo sie, vom Anblick begeistert, zum ersten Mal die Wolken sehen. LA SEQUENZA DEL FIORE DI CARTA (The Paper Flower Sequence, I/F 1969) Pasolinis Teil des Omnibusfilms Amore e rabbia (weitere Episoden stammen von Godard, Bellocchio, Bertolucci und Lizzani) liegt das Gleichnis vom unschuldigen Feigenbaum zu Grunde, in dem Christus einen Feigenbaum verflucht, der im März noch keine Früchte trägt. In seiner Interpretation lässt Pasolini einen jungen Mann (Ninetto Davoli) eine römische Hauptstraße entlangschlendern. Immer wieder unterhält er sich mit Passanten oder Bauarbeitern, tanzt mit einer papierenen Mohnblume. Über diese Bilder legen sich Aufnahmen politischer Krisen, historischer Figuren und Kriegshandlungen. Aus der Mitte des Verkehrs erklingen unterschiedliche Stimmen, u.a. die Gottes, die den jungen Mann ermahnt, sich der Situation der Welt bewusst zu werden. Dieser aber versteht ihn nicht und stirbt. "Es gibt Augenblicke in der Geschichte, da kann man nicht unschuldig oder ohne Bewusstsein sein; sich nicht bewusst zu sein, bedeutet schuldig zu sein." (PPP) LA RABBIA DI PASOLINI (Rage by Pasolini, I 1963/2008, 14.9., Einführung: Roberto Chiesi & 29.9.) Lange Zeit war Pasolinis erste dokumentarische Arbeit kaum zu sehen. Der Auftrag zu seinem aus unzähligen Wochenschauaufnahmen montierten Kompilationsfilm über die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in den 50er und 60er Jahren kam von dem italienischen Produzenten Gastone Ferranti, der neben Pasolini auch Giovanni Guareschi (u.a. Autor von Don Camillo und Peppone) um einen filmischen Beitrag gebeten hatte. Dieser zweite Teil wurde jedoch aufgrund angeblich rassistischen Inhalts zurückgezogen, was auch für Pasolinis mittellangen Film das Aus bedeutete. 2008 machte sich Giuseppe Bertolucci in Zusammenarbeit mit der Cineteca di Bologna an die Rekonstruktion des Films. (Wieder)Entstanden ist der Film in seiner ursprünglichen Form als autonomes Filmpoem in Prosa- und Versform, eine ungeheuer scharfe, vom marxistischen Standpunkt aus formulierte Anklage gegen Erinnerungslosigkeit und falsche Versprechungen, eine Polemik gegen den Hass "auf alles, was anders ist, auf alles, was außerhalb der Norm liegt und die bürgerliche Ordnung stört". (PPP) COMIZI D'AMORE (Love Meetings, I 1964, 15. & 24.9.) Voller Sympathie, Forscherlust und Beharrlichkeit befragt Pasolini Dutzende Italiener unterschiedlichen Alters, gesellschaftlicher Stellung und aus verschiedenen Gegenden Italiens, darunter auch zahlreiche Intellektuelle, nach ihrem Verhältnis zu Sexualität und Liebe. Es geht um Erotik und sexuelle Vorlieben, Lust, Tabus, Perversion, Ehe und Familie. Pasolini demaskiert Vorurteile und Allgemeinplätze, gibt Verwirrung und Zögern Raum, schafft Platz für Zärtlichkeit und Humor. Das aufschlussreiche Interviewmaterial kombiniert er mit Gesprächen mit Alberto Moravia, Cesare Musatti und Oriana Fallaci, in denen sie die Aufnahmen und Positionen der Interviewpartner diskutieren. Der Zuschauer erlebt so den Entstehungsprozess des Films, der mit der Forderung nach Entmystifizierung der Sexualität und einem freieren Umgang mit ihr endet. MAMMA ROMA (I 1962, 16.9. & 21.9.) Auch Pasolinis zweiter Spielfilm ist in den Vorstädten Roms angesiedelt. Hier träumt die nicht mehr ganz junge Prostituierte Mamma Roma (Anna Magnani) vom Neuanfang als Gemüseverkäuferin, nachdem ihr Zuhälter sie freigibt. Sie nimmt ihren halbwüchsigen Sohn Ettore (Ettore Garofolo) zu sich, der bislang auf dem Land untergebracht war und nichts von der Vergangenheit seiner Mutter weiß. Mamma Romas Aufstiegsstreben gerät in Gefahr, als ihr Ex-Zuhälter beginnt, sie zu erpressen, und als ihr Sohn neben der von ihr verschafften Stellung als Kellner mit einer Jugendbande kleine Diebstähle begeht. Bei einem Raubüberfall wird Ettore verhaftet und stirbt im Gefängnis. Tableauaufnahmen, geschult an der italienischen Malerei der Frührenaissance, lange, wiederholte Kamerafahrten und leitmotivisch verwandte Musik lösen den frei von sentimentalen Klischees gehaltenen Film aus seiner neorealistischen Ausgangsformation. LA RICOTTA (I/F 1962, 16. & 21.9.) Aufgrund vermeintlicher "Verunglimpfung der Staatsreligion" wird Pasolinis satirisch-sarkastische Episode für den Gemeinschaftsfilm RoGoPaG kurz nach Fertigstellung beschlagnahmt, Pasolini selbst wird zu vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Erst nach der Revision des Urteils ein Jahr später gelangt LA RICOTTA in die Kinos. Der Film im Film erzählt erneut die Passionsgeschichte eines Subproletariers: Während der Dreharbeiten zu einem Jesusfilm unter der Regie eines zynischen Regisseurs (Orson Welles) stirbt ein Komparse an einer zu großen, zu hastig verschlungenen Portion Ricotta. Sein Tod wird während der Kreuzigungsszene entdeckt. In der Gestalt des populären Bibelfilmgenres kreiert Pasolini mithilfe von Zoom, Farbe und Zeitraffer ein komplexes Geflecht mannigfaltiger Beziehungen und simultaner Vorgänge, die er am Ende des Films zu einem Rundumschlag gegen Religion, Filmindustrie und Gesellschaft so pointiert wie gekonnt wieder zusammenführt. PASOLINI L'ENRAGÉ (Pasolini, the Rebel, Jean-André Fieschi, F 1966, 18.9.) Früher Dokumentarfilm mit ausführlichen Interviews, in denen Pasolini über seinen Werdegang von der Literatur zum Film spricht, über Regisseure, die ihn beeinflusst haben, seine spezifische Filmtechnik, seine Gründe, mit nicht-professionellen Darstellern zu arbeiten, aber auch über die italienische Gesellschaft der 50er und 60er Jahre. Ebenfalls zu Wort kommen Regiekollegen wie Bernardo Bertolucci sowie Schauspieler und Mitarbeiter Pasolinis, so z.B. Totò, Ninetto Davoli und Franco Citti. APPUNTI PER UN FILM SULL'INDIA (Notes for a Film about India, I 1968, 19.9.) Filmischer Essay über eine Reise, die Pasolini im Vorfeld eines geplanten größeren Filmprojekts unternimmt. Entgegen Pasolinis Überzeugung zerschlägt sich sein Vorhaben, eine Legende der indischen Mythologie über einen Maharadscha, der seinen Körper den vom Hungertod bedrohten Tigerjungen hingibt, zu verfilmen. Das einzige filmische Zeugnis dieses Projekts ist Pasolinis gefilmtes Reisetagebuch, in dem er sich ausführlich über Indien und seine Erfahrungen äußert und darüber hinaus Personen unterschiedlicher Gesellschaftsschichten interviewt. IL VANGELO SECONDO MATTEO (The Gospel According to Matthew, I/F 1964, 19. & 25.9.) Eng am Text des Matthäus-Evangeliums, inklusive dessen sozial-revolutionärem und religiösem Gehalt orientiert, entwirft der parteilose Marxist und ketzerische Katholik Pasolini eine überaus persönliche und zum Teil autobiografisch gefärbte Vision vom Leben und Sterben Christi. Zum größten Teil in den kargen Landschaften Süditaliens mit Laiendarstellern gedreht, gilt Pasolinis Interesse der sozialen Realität und den Menschen vor 2000 Jahren sowie der Widersprüchlichkeit der Hauptfigur. Seine Haltung zum Stoff ist die des Beobachters, was sich u.a. in einer neorealistisch-dokumentarischen Kameraführung niederschlägt, die Pasolini organisch mit den aus ACCATTONE oder MAMMA ROMA bekannten sakralen Bildkompositionen verwebt. UCCELLACCI E UCCELLINI (Hawks and Sparrows, I 1966, 20. & 23.9.) "Wohin geht die Menschheit? Wer weiß?" Mit einem Mao-Zitat beginnt Pasolinis vierter Spielfilm, in dem er seiner tiefen Melancholie über das Scheitern revolutionärer Hoffnungen und die Profanisierung der Welt in Form einer rasend komischen filmischen Allegorie zwischen Traum und Realität, Clownerie und Dokument Ausdruck verleiht. Mit unbestimmtem Ziel sind ein Vater (Totò) und sein Sohn (Davoli) auf einer Landstraße unterwegs. Zu ihnen gesellt sich ein sprechender Rabe, der aus dem Land "Ideologie" stammt und dort in der „Stadt der Zukunft“ wohnt. Auf ihrem gemeinsamen Weg räsoniert der Rabe ununterbrochen, fragt, belehrt, kommentiert, problematisiert, bis er dem nagenden Hunger und der Entnervung von Vater und Sohn über die guten Ratschläge zum Opfer fällt. Als Vorfilm läuft TOTÒ AL CIRCO (I 1966, 20. & 23.9.). A FUTURA MEMORIA: PIER PAOLO PASOLINI (In Remembrance: Pier Paolo Pasolini, Ivo Barnabò Micheli, I 1985, 22.9.) Zehn Jahre nach Pasolinis gewaltsamem Tod fügt Micheli Archivmaterial, Ausschnitte aus den Filmen und Romanen Pasolinis, unveröffentlichte Briefe und Fotos zu einem umfangreichen Porträt, das sich Leben, Schaffen und der Radikalität des Regisseurs widmet. Neben Interviews mit Pasolini selbst kommen sein Cousin und Biograf Nico Naldini zu Wort, seine Schauspielerin, Vertraute und spätere Leiterin des Fondo Pier Paolo Pasolini, Laura Betti, der Staatsanwalt Giuseppe Di Gennaro, der Pasolini wegen "Verunglimpfung der Staatsreligion" verurteilte, sowie der konservative Politiker Giulio Andreotti und Produzent Alfredo Bini. EDIPO RE (Oedipus Rex, I 1967, 23.9. & 2.10.) Mit EDIPO RE beginnt Pasolinis Hinwendung zu den Mythen und Tragödien der Antike. Nach einem autobiografischen Prolog, in dem sich ein Vater im Norditalien der 1920er Jahre anschickt, seinen verhassten kleinen Sohn auszusetzen, verlagert Pasolini seine Adaption der Sophokles-Tragödie in eine ferne Welt des Imaginären, des Archaischen. In einer wüstenartigen Landschaft erfährt der junge König Ödipus (Franco Citti) durch das Orakel von Delphi, dass er seinen Vater umbringen und seine Mutter (Silvana Mangano) ehelichen wird. Im Versuch der Prophezeiung zu entrinnen, bewahrheitet sie sich. Die wahren Umstände begreifend, nimmt sich Ödipus das Augenlicht. Im Epilog des Films fragt Ödipus im Bologna von heute: "Ist von Anfang an die Zukunft beschlossen? Müssen wir alles hinnehmen?" Die Frage echot das für Pasolini einzigartige doppelte Thema des Films: "Die völlige Hingabe an den Mythos, andererseits der Kampf gegen ihn." TEOREMA (Theorem, I 1968, 24.9. & 14.10.) Streng strukturiert beschreibt Pasolini ein Experiment: Ein junger Mann (Terence Stamp) – halb Dämon, halb Engel – taucht plötzlich in der Welt einer Mailänder großbürgerlichen Familie auf. Alle Familienmitglieder verfallen der Anziehungskraft des Unbekannten und gehen aus der Begegnung mit ihm radikal verwandelt hervor: Die Tochter (Anne Wiazemsky) verfällt in eine mystische Starre, die Mutter (Silvana Mangano) gibt sich wahllos jungen Männern hin, der Vater (Massimo Girotti) verliert den Verstand. Einzig das Dienstmädchen (Laura Betti) kann das Erlebte positiv wandeln: Sie kehrt in ihre Heimat zurück und wird zur Wunderheilerin. Pasolinis pamphletisches Gedicht in geometrischen Bildern und rhythmischer Montage löste damals heftige Diskussionen aus. TEOREMA blieb bis zu SALÒ Pasolinis letzte Auseinandersetzung mit der Unveränderbarkeit der bürgerlichen Welt. PASOLINI'S LAST WORDS (Cathy Lee Crane, USA 2012, 26.9., zu Gast: Cathy Lee Crane) Cranes elegischer Essayfilm verbindet Archivaufnahmen von Pasolini aus den Monaten vor seiner brutalen Ermordung mit inszenierten Passagen sowie Zeitungsartikeln und Ausschnitten aus Pasolinis Romanen Petrolio und La Divina Mimesis. Die komplexe Kombination von Pasolinis Texten, inszenierten Passagen und einer eigenständigen Tonspur ermöglicht vielschichtige Assoziations- und Verständnisebenen. Hinweis: Am 25.9. diskutieren Cathy Lee Crane und John David Rhodes (University of Sussex) zum Thema "Adrift in Pasolini's Rome: Excursions into The Cinema of Poetry" im ICI. 12 DICEMBRE (Giovanni Bonfanti, Mitarbeit und Idee: Pier Paolo Pasolini, I 1972, 27.9., mit Einführung) Zweiteiliger, auf einer Idee von Pasolini beruhender Dokumentarfilm über den Bombenanschlag auf die Bank für Landwirtschaft in Mailand im Dezember 1969, in dessen Folge die polizeilich-politische Kampagne gegen die außerparlamentarische Linke immer größere Kreise zog. Das bemerkenswerte politische Dokument der italienischen Nachkriegszeit beschreibt die verunsicherte Stimmung im Land, die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die Repressionen, die Ausbeutung von Jugendlichen und Arbeitslosen. Wir präsentieren die vom Laika-Verlag gemeinsam mit der Cineteca di Bologna 2013 restaurierte Fassung des Films. MEDEA (I/F/BRD 1969, 28.9. & 3.10.) Bizarre Landschaften, aufgenommen in der Osttürkei bzw. in den Wüstenstädten Syriens, prähistorische oder folkloristische Masken und Gewänder, afrikanische oder tibetanische Kultmusiken, archaische Riten sind zentrale Elemente in Pasolinis Neubewertung der Medea-Tragödie. Unverkennbar ergreift er polemisch Partei für die Königspriesterin (Maria Callas), die Jason das Goldene Vlies übereignet, mit ihm flieht, zehn Jahre später jedoch als Hexe verbannt wird und, verzweifelt über Jasons Hochzeit mit einer Königstochter, erst ihre Nebenbuhlerin, dann ihre Kinder und schließlich sich selbst umbringt. Bei Pasolini ist Medea nicht länger die "Barbarin", sondern vielmehr Lichtgestalt einer mythischen Welt, die der oberflächlichen, fantasielosen, säkularisierten Welt Jasons gegenübersteht – die antike Tragödie als Kulturkonfrontation. PORCILE (Pigpen, I 1969, 29.9. & 14.10.) In zwei miteinander verzahnten Episoden – einer archaischen und einer modernen Version – schildert Pasolini das Ausbrechen zweier junger Männer aus gesellschaftlichen Konventionen und ihr makabres Scheitern. Während ein Einsiedler in einer Vulkanlandschaft einen Soldaten tötet, ihn verspeist und zur Strafe den Tieren vorgeworfen wird, wird einem Industriellensohn seine erotische Beziehung zu Schweinen zum Verhängnis, was jedoch die gewinnbringende Fusion des väterlichen Kapitals mit dem eines ehemaligen Konkurrenten zur Folge hat. Eine abgründige Attacke auf die Konsumgesellschaft mittels zweier ihrer letzten Tabus: Kannibalismus und Sodomie. WIE DE WAARHEID ZEGT MOET DOOD (Whoever Says the Truth Shall Die, Philo Bregstein, NL 1981, 30.9., zu Gast: Philo Bregstein) Vielschichtiges biografisches Porträt, das ausführlich auf Pasolinis Kindheit und Jugend, den negativen Einfluss seines faschistisch-militaristischen Vaters und die Auswirkung des Todes seines Bruders eingeht, der als Partisan gegen die deutsche Besatzung kämpfte. Bregsteins Augenmerk liegt aber auch auf den bis heute nicht geklärten Umständen des Mordes an Pasolini. In aufschlussreichen Interviews sprechen Bernardo Bertolucci und Laura Betti von einer überaus feindlichen Stimmung innerhalb des italienischen Establishments gegen Pasolini, von oberflächlichen Ermittlungen nach Pasolinis Tod und widersprüchlichen Aussagen der Beteiligten. (mg) Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Italienischen Kulturinstitut Berlin, Luce Cinecittà, dem Centro Studi – Archivio Pier Paolo Pasolini / Cineteca Bologna, Minerva Pictures und dem Martin-Gropius-Bau.