UNE FEMME DOUCE (Die Sanfte, F 1969, 11.4., mit einer Einführung von Angela Schanelec & 27.4.) Frei nach Dostojewskis Novelle Die Sanfte rekonstruiert Robert Bresson in seinem ersten Farbfilm die Beziehung einer namenlosen Frau aus armen Verhältnissen zu einem Pfandleiher im Paris der 60er Jahre. Am Beginn des Films steht der Freitod der jungen Frau; in einem der eindrücklichsten Bilder Bressons schwebt ihr Schal vom Balkon, von dem sie sprang. Neben der aufgebahrten Toten rekapituliert ihr Mann die gemeinsame Geschichte: das Kennenlernen im Leihhaus, die Hochzeit, das ritualisierte Alltagsleben, ihr Protest gegen sein Bestreben, sie in seine Lebensweise einzupassen: "Ich will etwas Größeres, Weiteres" – "Ich will ein sicheres, gefestigtes Glück." Aufkommende Eifersucht, Entfremdung, Krankheit, Versuche der Wiederannäherung und schließlich der unerwartete Sprung, der Schal im Wind. JOURNAL D'UN CURÉ DE CAMPAGNE (Tagebuch eines Landpfarrers, F 1951, 12.4., mit einer Einführung von Winfried Günther & 21.4.) Ein junger Priester versieht, von Krankheit und Zweifeln geplagt, demütig sein Amt in einer flandrischen Landgemeinde. Zu den misstrauischen Bauern bekommt er kaum Kontakt, auch bei der gräflichen Familie stößt er auf Ablehnung. Bresson fand mit der Verfilmung von Georges Bernanos’ gleichnamigem Roman seinen Stil und begründete seinen Ruf als international bedeutender Regisseur. Er arbeitete erstmalig mit Laiendarstellern, konzentrierte sich ausschließlich auf den Protagonisten und eliminierte alles, was von dessen Passionsgeschichte ablenken könnte. Leidenschaftslos wird das Tagebuch aufgeblättert, ausdruckslos berichtet die Stimme im Off von den Mühen des Tages und der nächtlichen Verzweiflung. LES ANGES DU PÉCHÉ (Engel der Sünde, F 1943, 18. & 23.4.) Das Mädchen Anne-Marie tritt in ein Kloster der Dominikanerinnen ein, die sich besonders der Fürsorge weiblicher Strafgefangener widmen. Als Novizin kämpft sie um die Seele von Thérèse, die wenige Stunden nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis im Kloster Schutz sucht. Weder Anne-Marie noch die Oberin wissen, dass Thérèse in diesen Stunden den Mann getötet hat, für den sie unschuldig ins Gefängnis gegangen war. Bressons erster Langfilm zeigt mit einem ungewohnt dialogreichen Drehbuch und Ansätzen von Suspense noch nicht den asketischen Stil seiner späteren Werke. Die schmucklose dramaturgische Struktur, die auf das Wesentliche des Geschehens verweist, gibt aber bereits eine Ahnung von Bressons ganz eigener Kinematografie. LES DAMES DU BOIS DE BOULOGNE (Die Damen vom Bois de Boulogne, F 1945, 22.4. & 4.5.) Eine Frau nimmt Rache an ihrem ehemaligen Liebhaber, indem sie ihn in eine nicht standesgemäße Ehe mit einer Frau von zweifelhaftem Ruf treibt. Bresson hat zusammen mit Jean Cocteau, der die Dialoge schrieb, die Episode aus Denis Diderots Roman Jacques der Fatalist und sein Herr in die 1940er Jahre verlegt. Der Film ist Bressons Abschied von dem, was er "fotografiertes Theater", Cinéma, nennt. Er arbeitet noch einmal mit professionellen Schauspielern und dem vordergründigen Realismus eines alle Ebenen des Films umfassenden Sujets: psychologische Charakterisierung der Personen, dramatische Entwicklung, Konstruktion eines geschlossenen Zusammenhangs. "Noch herrscht die vertikale Hierarchie von Schauspielern und fiktiven Personen, von Sprache und Denken, Bild und Ton, Intention und realisierter Darstellung vor." (Stefan Schädler) UN CONDAMNÉ À MORT S'EST ÉCHAPPÉ (Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen, F 1956, 17. & 30.4.) beruht auf einer wahren Begebenheit: die Flucht des französischen Offiziers André Devigny 1943 aus dem Gefängnis Montluc bei Lyon, wenige Stunden vor seiner geplanten Hinrichtung durch die deutschen Besatzer. Devigny, dessen Buch im gleichen Jahr wie der Film publiziert wurde, assistierte Bresson bei den Dreharbeiten und half ihm bei der authentischen Rekonstruktion seiner Zelle. Bresson ging es nicht um die äußere Spannung, deswegen hat er den glücklichen Ausgang schon im Titel vorweggenommen und er vermeidet auch alle Effekte der üblichen "Ausbruchsfilme". Zum ersten Mal realisierte er seine Konzentration auf Realität "ohne Ausschmückungen", wie es im Vorspann heißt, verbunden mit einem Verzicht auf alle traditionellen Konzeptionen des Bildes, des Raumes, der Zeit, der Verbindung zwischen Bild und Ton. Bestimmend sind kurze, Details erfassende Einstellungen. PICKPOCKET (F 1959 | 19.4., 26.4. & 3.5.) Michel wird aus Armut und intellektuellem Hochmut zum Taschendieb. Wie der Protagonist Raskolnikow in Dostojewskis Roman "Schuld und Sühne" / "Verbrechen und Strafe" ist er überzeugt, bestimmte Menschen hätten das Recht, sich über Gesetze hinwegzusetzen. Diese These vertritt er auch gegenüber einem Kriminalkommissar, der ihn verdächtigt, und gegenüber Jeanne, deren Liebe er zunächst nicht erwidert. Der wohl bekannteste und zugänglichste Film Bressons weist die stärksten Gemeinsamkeiten mit den Filmen der Nouvelle Vague auf und beeinflusste viele Regisseure dieser Generation. Berühmtheit erlangte PICKPOCKET nicht zuletzt durch seine kunstvolle Montage. Höhepunkt ist eine Bahnhofsszene, in der mehrere Diebe gemeinsam tätig werden. Bresson verwandelt sie zu einem virtuosen Ballett zugreifender und weiterreichender Hände, wandernder und verschwindender Objekte. PROCÈS DE JEANNE D'ARC (Der Prozess der Jeanne d'Arc, F 1962, 20.4. & 6.5.) verzichtet auf die Vorgeschichte der Jungfrau von Orléans, die sich von Gott berufen glaubte, die Engländer aus Frankreich zu vertreiben, durch Verrat gefangen genommen, von einem Gericht der Ketzerei verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Grundlage des Films sind die Protokolle des Prozesses aus dem Jahr 1431. Aus ihnen entnahm Bresson den Dialog und wählte vor allem die Stellen aus, die sich auf die Person -Jeanne selbst beziehen. Dass Jeanne nicht nur politisches Geschehen lenkt, ein Heer anführt, sondern Theologen, Politikern und Rechtsexperten die Stirn bietet, stellt sie außerhalb des Rechts, der Ordnung und der Gnade der Kirche. Anders als Carl Theodor Dreyer in "La passion de Jeanne d'Arc" zielte Bresson nicht auf Emotion und verzichtete auf Großaufnahmen. Sowohl die Fragen der Richter als auch die Antworten Jeannes werden ohne äußere Dramatik vorgetragen. AU HASARD BALTHAZAR (Zum Beispiel Balthasar, F/Schweden 1966, 26.4. & 7.5.) Anhand der titelgebenden Hauptfigur, dem Esel Balthazar, sowie des Schicksals seiner Besitzer schildert Bresson den Zyklus des Lebens: Als Balthazar klein ist, umgibt ihn Zärtlichkeit; Kinder spielen mit ihm und geben ihm seinen Namen. Später bestimmt harte Arbeit auf einem Bauernhof sein Dasein. Er wird gepeitscht, tritt dressiert im Zirkus auf, trägt bei einer Prozession die Reliquien und stirbt, als Lasttier eines Schmugglers, von einer Kugel getroffen auf einer Bergwiese inmitten einer Schafherde. Bressons thematisch reichste Arbeit ist der am weitesten deutbare seiner Filme. "Jeder, der diesen Film sieht, wird absolut erstaunt sein, denn dieser Film ist wahrhaftig die Welt in anderthalb Stunden." (Jean-Luc Godard) MOUCHETTE (F 1967, 25.4. & 3.5.) Die 14-jährige Mouchette lebt in armseligen Verhältnissen in einem südfranzösischen Dorf. Zu Hause muss sie die kranke Mutter pflegen, alle Arbeiten verrichten und sich vom betrunkenen Vater verprügeln lassen. In ihrer Familie, bei Bekannten und in der Schule sucht sie vergeblich nach Liebe und Verständnis. Kurze Glücksmomente erlebt sie auf dem Rummelplatz – in einer der schönsten Autoskooter-Szenen der Filmgeschichte. Bresson hat aus Georges Bernanos' Erzählung "Die neue Geschichte der Mouchette" kein Lehrstück über Armut und die Rollenverteilung in unterprivilegierten Familien gemacht. Er nimmt keinen Standpunkt ein – weder den metaphysischen Bernanos', der die "sinnliche Reinheit" des Mädchens zeigen wollte, noch einen soziologischen, der die Gesetze des Dorfes zum Gegenstand einer Fallstudie macht. QUATRE NUITS D'UN RÊVEUR (Vier Nächte eines Träumers, F 1971, 16.4. & 5.5.) Bresson hat Dostojewskis Novelle "Weiße Nächte" ins Paris der 1970er Jahre verlegt. Der scheue Maler Jacques trifft nachts auf dem Pont Neuf die suizidale Marthe und hält sie von dem Sprung in die Seine zurück. Sie verabreden sich für den nächsten Abend an gleicher Stelle und nähern sich über vier Nächte hinweg einander an. Beide erzählen sich ihre Geschichte. Marthe erzählt von ihrem Geliebten, der sie nach einer einjährigen Studienreise auf dem Pont Neuf wiedertreffen wollte. Jacques erzählt die Geschichte seiner Einsamkeit und seiner Sehnsucht nach einem geliebten Menschen. In der Begegnung mit Marthe zeichnet sich für ihn allmählich die Möglichkeit einer Rückkehr des Träumers in die Wirklichkeit ab. LANCELOT DU LAC (Lancelot, Ritter der Königin, F/Italien 1974, 19.4. & 2.5.), ein Projekt, das Bresson seit 30 Jahren verfolgte und das von Jean Cocteaus Die Ritter der Tafelrunde inspiriert wurde, handelt von der schicksalhaften Verstrickung des Einzelnen in die Konventionen der Gesellschaft. Die ausweglose Situation des an Loyalitätskonflikten zugrunde gehenden Helden wird bildhaft gemacht in der Enge der Szenenausschnitte – es gibt nur eine einzige Totale in diesem weitgehend im Freien spielenden Film – und in der akustisch verstärkten Allgegenwart der bedrückenden Rüstungen, die keinen Schutz zu bieten, aber jede natürliche Bewegung zu behindern scheinen. In den blutigen Zweikämpfen und Schlachten zeigt sich Bresson als ein Meister des Aussparens; ohne dass man je eine Handlung ganz im Zusammenhang sieht, wird der Blick so sicher auf das jeweils wichtige Detail gelenkt, dass man nicht nur das Geschehen, sondern gleich auch dessen Implikationen vermittelt bekommt. LE DIABLE PROBABLEMENT (Der Teufel möglicherweise, F 1977, 14. & 25.4.) Chronik eines angekündigten Todes: Der 20-jährige Charles leidet unter der fortschreitenden Umweltzerstörung und der Kommunikations- und Liebesunfähigkeit in der Konsumgesellschaft. Er ist angewidert von einer Zivilisation, die die Verwüstung der Natur und der Städte und die Vereinzelung der Menschen zu verantworten hat. Im Gegensatz zu seinem Freund Michel, der sich in der Umweltbewegung engagiert und sein Umfeld dafür zu interessieren versteht, stellt sich Charles in immer neuen Varianten die Frage: "Wozu noch leben angesichts einer Zerstörung des Lebens, einer Organisation von Gewalt, die sich zu einem lückenlosen Zusammenhang zu fügen scheint?" "Ich bin nicht krank", erklärt er einem Psychotherapeuten, "meine Krankheit besteht darin, dass ich alles sehr genau sehe." L'ARGENT (Das Geld, F/Schweiz 1983, 13.4. & 1.5.) Ein Gymnasiast bringt einen gefälschten Geldschein in Umlauf, um seine Schulden bezahlen zu können. Der Besitzer eines Fotogeschäfts gibt den Schein an den LKW-Fahrer Yvon weiter, der durch die Falschaussagen des Ladenpersonals verurteilt wird und seine Arbeit verliert. Aus finanzieller Not lässt er sich überreden, als Fahrer bei einem Banküberfall mitzumachen. Er wird gefasst, zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt und nach seiner Entlassung zum Mörder. Bresson stellt die Mechanismen eines gesellschaftlichen Systems, dessen sichtbarer Gott das Geld ist, in seinem meisterlichen Spätwerk mit der ihm eigenen radikalen Konsequenz dar und verzichtet auf alle Effekte und jeden Anflug von Sentimentalität. "Frieda Grafe hat L'ARGENT einen 'konstruktiven Horrorfilm' genannt: 'Die Vivisektion der Bilder macht Angst, denn unter der Oberfläche von Abbildung tun sich Abgründe auf.' Selten hat ein Alterswerk so verstörend, analytisch und zugleich unversöhnlich die Gesellschaft dargestellt." (Stefan Krauss) ROBERT BRESSONS FILM "DAS GELD" ("L'ARGENT") (Harun Farocki, Hartmut Bitomsky, Manfred Blank, BRD 1983, 15.4.) Einige Autoren der Zeitschrift Filmkritik kommentieren und analysieren Bressons L'ARGENT für das Magazin "Kino 83". Der halbstündige Film enthält darüber hinaus Interviews mit zwei Protagonisten des Films, dem Regieassistenten sowie der für die Script-Continuity Zuständigen. Buch und Kommentar erarbeiteten Hartmut Bitomsky, Manfred Blank, Jürgen Ebert, Harun Farocki, Gaby Körner, Barbara Schlungbaum und Melanie Walz. DE WEG NAAR BRESSON (The Road to Bresson, Jurriën Rood, Leo De Boer, Niederlande 1984, 15.4.) Während 1983 im Wettbewerb von Cannes Bressons letzter Film L'ARGENT präsentiert wurde, führten Jurriën Rood und Leo De Boer dort Gespräche mit namhaften Regisseuren über Bressons Werk. Die Interviews mit u.a. Louis Malle, Andrej Tarkowskij, Paul Schrader, Dominique Sanda und Bresson selbst werden durch Filmausschnitte ergänzt. ZUM BEISPIEL BRESSON (Theodor Kotulla, Martin Ripkens, Hans Stempel, BRD 1967, 29.4.) Drei Filmkritiker beobachten in ihrer ersten Regiearbeit Robert Bresson bei den Dreharbeiten zu MOUCHETTE. ZUM BEISPIEL BRESSON wurde 1967 mit dem Deutschen Filmpreis für den besten dokumentarischen Kurzfilm ausgezeichnet. UN METTEUR EN ORDRE: ROBERT BRESSON (Roger Stéphane, F 1966, 29.4.) Das französische Fernsehen ORTF widmete anlässlich des Erscheinens von AU HASARD BALTHAZAR Robert Bresson eine einstündige Sendung. Neben Bresson selbst, der sich ausführlich zu seinem Werk und seiner Vorstellung vom "Kinematographen" äußert, kommen die Regiekollegen Jean-Luc Godard, Louis Malle und François Reichenbach zu Wort; außerdem die Schriftstellerin (und spätere Filmemacherin) Marguerite Duras sowie zahlreiche Mitwirkende des Films, darunter die Hauptdarstellerin Anne Wiazemsky und der Kameramann Ghislain Cloquet. (hjf) Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut français. Dank an Mylène Bresson.