Das Kino von Albert Serra ist der Reduktion verpflichtet. Er arbeitet mit einem kleinen, bewährten Team, geringem Budget und immer mit LaiendarstellerInnen, die fast alle aus dem Ort kommen, in dem er aufgewachsen ist. Serra, der Literatur und Kunstgeschichte studiert hat, beschäftigt sich in seinen Filmen mit bekannten literarischen bzw. historischen Figuren – Don Quijote, die Heiligen Drei Könige, Casanova und Dracula –, ohne dass es sich dabei um klassische Adaptionen handeln würde. Er entschlackt die Stoffe vom mythischen Ballast. Die Plots der literarischen Vorlagen sind nebensächlich, seine handlungsarmen, weitgehend improvisierten Filme mit ihren langen Einstellungen bestechen vielmehr durch Atmosphäre, Aufmerksamkeit für Details und einem Sinn für das Absurde. Sie funktionieren stark über das Zusammenspiel von Landschaften und Körpern sowie über meditative Tempi und schärfen die Sinne. Die gering auflösenden Digitalbilder sind sorgfältig komponiert, die Tonspur sehr präsent, das Licht stets natürlich und Dialoge eher rar. Die minimalistischen Filme und die ungewöhnliche Arbeitsweise Serras stehen für ein radikales Kino, das sich an keinerlei Vorgaben hält und die Konventionen des Erzählens hinter sich lässt. Es ist kühn und braucht ein großes Maß an Freiheit, solche Filme zu machen. HISTÒRIA DE LA MEVA MORT (Story of My Death, Spanien/Frankreich 2013, 5.9., in Anwesenheit von Albert Serra & 11.9.) Casanova, legendärer Verführer und Kosmopolit des 18. Jahrhunderts, entschließt sich, das süße Leben in einem Schweizer Schloss – geprägt von Konversation bei Kerzenlicht, schmatzender Nahrungsaufnahme und angestrengter Verdauung – aufzugeben und mit seinem Diener nach Osteuropa zu reisen. In den Karpaten quartiert er sich auf dem Land ein und begegnet dem vampiristischen Grafen Dracula. Die Anziehungskraft des alternden Libertins bei den Frauen schwindet, seine Welt versinkt und Dracula übernimmt das Regiment. Serras geniale Paarung der beiden schillernden Figuren der Kulturgeschichte erzählt vom Übergang zweier Epochen: Die dunklen, esoterischen Kräfte der Romantik lösen das Licht der Aufklärung ab. Ein Kostümfilm mit Pop-Referenzen, ein Nacht-Stück aus betont langen Einstellungen, ein Film voll sinnlicher Freiheiten, in dem Serra die Improvisationen seiner Amateurschauspieler erstmals auch mit geschriebenen Dialogen und Musik kombiniert. HONOR DE CAVALLERIA (Honor of the Knights, Spanien 2006, 6.9., in Anwesenheit von Albert Serra & 12.9.) In Erwartung von Abenteuern streifen ein in die Jahre gekommener Ritter und sein treuer Knappe ziellos über die Felder Kataloniens: Don Quijote und Sancho Pansa. Die beiden schauen in die Landschaft, knacken Nüsse, suchen Lorbeer, schwimmen an einer Wasserstelle, schlagen ihr Lager am Waldrand auf. Sie sprechen kaum, aber etwas Inniges verbindet sie. Der Wind rauscht in den Bäumen, das Licht spielt auf den Blättern und die Grillen zirpen. Mit Laiendarstellern in freier Natur auf digitalem Video gedreht, ohne künstliches Licht und mit vielschichtiger Tonspur, entwirft Serra mit seinem faszinierenden Debütfilm eine ex-trem reduzierte Variation auf Cervantes' welt-berühmten Roman: ohne Figurenpsychologie, ohne Dulcinea und ohne Windmühlen. CUBALIBRE (Spanien 2013, 7.9.) Ein Sänger gibt auf der Bühne eines altmodischen Nachtclubs eine leidenschaftliche Darbietung. Die Gäste sehen alle aus wie Fassbinder-Figuren oder wie dieser selbst. Benannt nach dem Cocktail, den RWF in Warnung vor einer heiligen Nutte bestellt, evoziert der kurze Musikfilm Fassbinders filmisches Universum. Er ist Teil des von Serra für die documenta 13 realisierten 101-stündigen Filmprojekts "The Three Little Pigs" und dem Schauspieler Günther Kaufmann gewidmet, der von Fassbinder entdeckt wurde und zeitweilig sein Liebhaber war. EL CANT DELS OCELLS (Birdsong, Spanien 2008, 7. & 10.9.) Auf der Suche nach dem neugeborenen Jesuskind wandern die Heiligen Drei Könige durch menschenleere Berg-, Vulkan- und Wüstenlandschaften. Viel geschieht nicht: Sie marschieren oder machen Rast im Schatten, sie wissen den Weg nicht, erklimmen einen Gipfel und schlafen unter freiem Himmel. Ihre spärlichen Gespräche sind von wundersamer Absurdität. Es geht beispielsweise darum, wie Wolken sich anfühlen oder wie man sich im Inneren einer Schlange fühlen mag. Der mit Laiendarstellern (die an Beckett'sche Theaterfiguren erinnern) improvisierte Schwarz-Weiß-Film konzentriert sich vor allem auf die Körper und die atemberaubend schönen Landschaften. Er untergräbt das Heilige mit Humor und situiert die biblische Geschichte zwischen Mythos und Wirklichkeit, Sakralem und Profanem. EL SENYOR HA FET EN MI MERAVELLES (Lord Worked Wonders in Me, Spanien 2011, 8.9.) Albert Serra, die Darsteller aus seiner Don-Quijote-Bearbeitung HONOR DE CAVALLERIA und sein kleines Mitarbeiterteam reisen durch La Mancha in Zentralspanien. Man quartiert sich in einem Hotel ein, macht ab und zu Probeaufnahmen und debattiert viel. Die Gespräche drehen sich um europäische Diktatoren, den Summer of Love in den Sixties, Dalí, nervende Filmkritiker, einen Stier, der einen Torero aufgespießt hat und anderes mehr. Man sitzt herum, wartet und lässt die Zeit vergehen. Ein stark verlangsamter Slapstickfilm in der Art eines nachgestellten Making-of – von einem Film, den es nicht gibt. Initiiert vom Centre de Cultura Contemporània de Barcelona als Teil einer filmischen Korrespondenz mit Lisandro Alonso. ELS NOMS DE CRIST (The Names of Christ, Spanien 2011, 9.9.) Are you ready for TV? Für die so betitelte Ausstellung im Museu d’Art Contemporani de Barcelona entstand diese in selbigem Museum gedrehte Auftragsarbeit: eine Art Fernsehserie, die aus 14 Episoden à circa zehn Minuten besteht, analog zu den 14 Stationen des Kreuzwegs Jesu. Es geht um die schwierige Finanzierung eines sogenannten schwierigen Films, mit der sich der Filmemacher selbst und später dann sein Produzent abmühen, um Prozesse der Übersetzung von Literatur in Film, vom Kino ins Museum und vom Museum ins Fernsehen und um Parallelen zwischen religiöser Askese und Kunstproduktion. Eine wilde Mischung aus Theologie, Cinephilie, Humor und Institutionenkritik durchzieht diesen selbstreflexiven, subversiven filmischen Essay. WAITING FOR SANCHO (Mark Peranson, Kanada 2008, 10.9.) Der kanadische Filmkritiker Mark Peranson übernahm in BIRDSONG die Rolle des Josef. Die Gelegenheit nutzend, dokumentierte er die Dreharbeiten auf den Kanarischen Inseln. Sein respekt- wie humorvolles Making-of des Films bietet aufschlussreiche Einblicke in den Prozess des Filmemachens und Serras ungewöhnliche Arbeitsweise. Wenn er etwa seinen Darsteller zum Lachen bringen will, ruft er: "Wick VapoRub! Real Madrid!" (bik) Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut Ramon Llull, der Vertretung der Regierung von Katalonien in Deutschland und Österreich sowie des Hotels Gat Point Charlie. Dank an Julià Florit und Montse Triola.