Alfred Brendel wird alle Filme der Reihe kurz einführen und darüber hinaus zu Beginn sowie zum Abschluss des Programms ausführlicher sprechen. Möglichkeit zur Diskussion mit Alfred Brendel besteht im Anschluss an die Aufführung des Dokumentarfilms ALFRED BRENDEL: MAN AND MASK (GB 2000) und nach dem letzten Film der Reihe: CITY LIGHTS (USA 1931). THE SCARECROW (Edward F. Cline, Buster Keaton, USA 1920, 3.6., Einführung: Alfred Brendel) und STEAMBOAT BILL JR. (Charles Reisner, Buster Keaton, USA 1928, 3.6.) Stoneface Keaton in/mit zwei seiner schönsten, weil in absurdem Handlungswitz, Detailreichtum und rasantem Slapstick kaum zu überbietenden Filme. In THE SCARECROW zeigt sich Buster als einfallsreicher Hausmann und verblüffend echte Vogelscheuche, bevor er seiner Angebeteten näher kommt. Auch den verschiedenen Grenzsituationen in STEAMBOAT BILL JR. begegnet Keaton als schmächtiger Kapitänssohn, der das väterliche Unternehmen retten soll, mit halsbrecherisch-traumwandlerischen Choreografien und tänzerischer Eleganz. DIE 3-GROSCHEN-OPER (G. W. Pabst, D/F/USA 1931, 4.6.) Pabst siedelt seine Adaption der Brecht'schen Bettleroper/Gangsterballade im Halbdunkel an und inszeniert sie als Märchen voller Witz und mit Leichtigkeit: In Spelunken, düsteren Hafenvierteln und Bordellen konspirieren der Bettlerköng Peachum (Fritz Rasp) und der korrupte Polizeichef Tiger Brown (Reinhold Schünzel) gegen Peachums frisch verheiratete Tochter (Carola Neher) und den neuen Schwiegersohn (Rudolf Forster). FREAKS (Tod Browning, USA 1932, 5.6.) Tod Browning führt das Kino 1932 zu seinen Jahrmarktsanfängen zurück: Kleinwüchsige, siamesische Zwillinge, Arm- und Beinlose – Brownings Horrormelodram kreist um eine verschworene Gruppe physisch Beeinträchtigter, die als Jahrmarktsattraktionen ausgestellt und von ihren "normalgestaltigen" Zirkuskollegen ausgenutzt und betrogen werden. Als skandalös empfand das zeitgenössische Publikum, wie unumwunden die körperliche Versehrtheit der "Freaks" dargestellt, ihr Alltagsleben, ihre Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft inszeniert wurden – kurz nach der Premiere begann eine 30-jährige Zensurgeschichte des Films. JEUX INTERDITS (Verbotene Spiele, René Clement, Frankreich 1952, 5.6.) 1940: die deutschen Truppen haben Paris erreicht, als während eines Angriffs auf einen Flüchtlingstreck die fünfjährige Paulette ihre Familie verliert. Die Waise wird von einer Familie in einem kleinen Dorf aufgenommen und findet in Michel, dem elfjährigen Sohn der Familie, einen Ersatzbruder. Die Kriegshandlungen hallen im kindlichen Spiel nach, indem sie einen Friedhof für tote Tiere errichten. In einem von Grausamkeit geprägten Umfeld hat die Kinderwelt längst aufgehört, idyllisch und heil zu sein. ALFRED BRENDEL: MAN AND MASK (Mark Kidel, GB 2000, 6.6., zu Gast: Alfred Brendel) Der in sechs Kapitel gegliederte Dokumentarfilm gibt Einblick in Leben und Schaffen des großen Konzertpianisten. Regisseur Kidel spannt den Bogen von Brendels Kindheit bis zu dessen 50-jährigem Bühnenjubiläum, von Probenbesprechungen mit Simon Rattle im Vorfeld eines der zahlreichen gemeinsamen Konzerte bis zu den vielseitigen Interessen Brendels für Malerei, Bildhauerei, Architektur, von Brendels Hang zum Grotesken bis zu seiner publizistischen Tätigkeit. DINNER AT EIGHT(George Cukor, USA 1933, 6.6.) Die standes- und statusbewusste Ehefrau eines bankrotten Reeders lädt zum titelgebenden Abendessen. Auf der Gästeliste stehen ungehobelte Neureiche, Emporkömmlinge, britischer Adel, (Ex)-Schauspieler, ein Society-Arzt und die just entlobte Tochter des Hauses. Im Vorfeld des Abendessens treten die mannigfaltigen (vor allem außerehelichen) Beziehungen, finanziellen Abhängigkeiten und abstrusen Neurosen der Geladenen zu Tage. Auch wenn die Ironie zuweilen ins Bitterböse changiert, wird Cukor nie denunziatorisch, sondern führt sein Starensemble zu schauspielerischer Brillanz. MORGAN: A SUITABLE CASE FOR TREATMENT(Karel Reisz, GB 1966, 7.6.) Der exzentrische junge Maler Morgan hat eine ausgeprägte Schwäche für Gorillas und setzt alles daran, die Eheschließung seiner Ex-Frau Leonie (Vanessa Redgrave) mit einem reichen Galeristen zu verhindern. Wenn er nicht gerade Skelette in Leonies Bett versteckt, Tonsignale im Haus programmiert oder die Einrichtung manipuliert, besucht er gemeinsam mit seiner Mutter, die die Revolution umsetzen will, das Grab von Karl Marx. Eine grotesk-surreale Komödie, die mit einer der originellsten Reverenzen an die britische Gartenkunst endet. Vorfilm: Moznosti dialogu (Möglichkeiten des Dialogs, Jan Svankmajer, ČSSR 1982). IF… (Lindsay Anderson, GB 1968, 7. & 13.6.) IF… gehört zu den bedeutendsten britischen Filmen der späten 1960er-Jahre. In acht Kapiteln zeigt Anderson zunehmend stilisiert und verfremdend die unhaltbaren Zustände an einer britischen Privatschule, in der militärischer Kommandoton, strenge Hierarchie, Drill und Sadismus an der Tagesordnung sind. Drei neue Schüler (darunter Malcolm McDowell als Mick Travis, der hier sein Filmdebüt gab) reagieren mit einem fantastisch-anarchischen Akt auf die dortigen Repressionen und entfachen eine blutige Revolte. FRENZY (Alfred Hitchcock, GB 1972, 8.6.) Morden und Essen, britischer Humor und ungewohnte Drastik laufen in Hitchcocks Spätwerk über einen Londoner Serienmörder zusammen. Fälschlicherweise wird zunächst der Ex-Mann eines der Opfer verdächtigt und verhaftet. Er türmt aus dem Gefängnis und macht sich auf eigene Faust auf die Suche nach dem wahren Täter. Inszenatorische Brillanz, perfektes Timing, rasanter Schnitt und eine ausgeklügelte Kamera formen aus dem eher trivialen Plot einen perfekten Thriller. Vorfilm: HISTORIA NATURAE/SUITA(Jan Svankmajer, ČSSR 1967)CRÍA CUERVOS(Raise Ravens, Carlos Saura, Spanien 1976, 9.6.) "Wer Raben aufzieht, dem hacken sie die Augen aus" – so sensibel wie kritisch leuchtet Saura das spanische Sprichwort über die Folgen missglückter Erziehung filmisch aus: Die achtjährige Ana wird nach dem Tod der Mutter von einer strengen Tante aufgezogen und glaubt, mithilfe eines Pulvers über Leben und Tod bestimmen zu können. Der traumatischen Kindheit entflieht Ana in eine Welt der Erinnerung, der Träume und Wunschvorstellungen, die sich auf zwei Zeitebenen entwickeln. Ein düsterer Blick auf die spanische Gesellschaft am Ende der Franco-Zeit. LE FANTÔME DE LA LIBERTÉ (Das Gespenst der Freiheit, Luis Buñuel, Spanien 1974, 9.6.) Surrealistischer Reigen aus über 20 Episoden, in denen das scheinbar Normale ins Absurde verkehrt wird: polizeiliche Fahndung nach Anwesenden, Todessakramente und Pokerspiel, ein gemeinsames "Dinner" auf Kloschüsseln und einsame Nahrungsaufnahme in dunklen Speisekammern. Vorletzter Film Buñuels und dritter Teil seiner Trilogie von der Suche nach der Wahrheit "vor der man fliehen muss, sobald man sie gefunden zu haben scheint." (L.B.) CITY LIGHTS (Lichter der Großstadt, Charlie Chaplin, USA 1931, 10.6., im Gespräch: Alfred Brendel) Zwischen Stumm- und Tonfilm, Ironie und Sozialkritik, blindem Blumenmädchen und wandelbarem Millionär. CITY LIGHTS entsteht im Moment des technischen Umbruchs und ist bei aller Experimentierfreude mit dem Ton doch stark der pantomimischen Kunst Chaplins verpflichtet. Der "rettet" nicht nur einen dem Alkohol zugeneigten Millionär sondern auch das Augenlicht einer jungen Frau. Ein Film voll unerschöpflicher Fantasie, Gesellschaftskritik und Slapstick. (mg) Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und mit Unterstützung des Österreichischen Kulturforums, Berlin. Besonderer Dank an Hans Hurch.