Auch der in Argentinien entstandene Spielfilm MAR der Chilenin Dominga Sotomayor entwickelt aus der vordergründig privaten Geschichte eines jungen Paares, das im Urlaub vom Auftauchen der Mutter gestört wird, ein komplexes Gesellschaftsbild. Der chilenische Spielfilm LA MUJER DE BARRO (The Mud Woman) von Sergio Castro San Martín begleitet die wortkarge Maria zurück an den Arbeitsort auf dem Lande, an dem sie vor Jahren Schlimmes erlebt hat. Diesmal trifft sie Vorkehrungen: Als sich die Geschichte zu wiederholen scheint, nimmt sie ihr Schicksal in die Hand. Der mexikanische Regisseur Joshua Gil erzählt in LA MALDAD (Evilness) von einem alten Mann, der sich inmitten einer verlassenen Landschaft aufs Sterben vorbereitet, während ein anderer noch große Pläne hat. Dessen Entschlossenheit führt ihn in die Stadt, wo Forderungen nach politischer Veränderung immer lauter werden. In der globalen Gegenüberstellung ergeben sich oft spannende Parallelen im aktuellen Programm des Forum. So porträtiert Michel K. Zongo in LA SIRÈNE DE FASO FANI Jahre nach der Schließung einer Textilfabrik im burkinischen Koudougou die damalige Belegschaft und ihre Versuche, als Kollektiv wieder Stoffe herzustellen. Konstatiert Zongos Film die Niederlage sozialistischer Utopien im Kampf mit hemmungslosem Liberalismus, so sucht er zugleich Hoffnung und Widerstandsgeist zu säen. Die dreistündige Langzeitbeobachtung ÜBER DIE JAHRE von Nikolaus Geyrhalter wiederum zeichnet ausgehend vom Niedergang einer altertümlichen Textilfabrik im österreichischen Waldviertel ein vielschichtiges Panorama postindustrieller Wirklichkeiten und vom Leben an sich. Der Dokumentarfilm HOTLINE von Silvina Landsmann beschäftigt sich mit der dramatischen Lage afrikanischer Flüchtlinge, die als Grenzverletzer in israelischen Gefängnissen festgehalten werden. Minutiös schildert sie das Engagement mutiger Bürgerrechtler gegen Justizwillkür und Ausgrenzung und weist damit weit über eine rein lokale Problematik hinaus. Ähnliches gelingt in vollkommen anderer Form dem serbischen Found-footage-Film FLOTEL EUROPA von Vladimir Tomić, der VHS-Aufnahmen von einem schwimmenden Auffanglager für bosnische Flüchtlinge im Hafen von Kopenhagen aus den 90er Jahren zur Erzählung einer Jugend zwischen den Welten verdichtet. Eröffnet wird das diesjährige Programm mit dem neuen Werk des Kanadiers Guy Maddin. THE FORBIDDEN ROOM, entstanden in Koregie mit Evan Johnson, basiert auf Stories und Bildern einer Vielzahl verlorener Stummfilme, deren abenteuerliche Handlungen auf amüsante Art und Weise miteinander verknüpft werden. Aus der wilden Kombination absurder Geschichten, inszeniert mit einer internationalen Schauspielerriege (u.a. Mathieu Amalric, Charlotte Rampling, Geraldine Chaplin, Udo Kier), ist eine vergnügliche Hommage an das Geschichtenerzählen an sich entstanden. Als erzählerisches Wagnis darf auch der einzige deutsche Spielfilm im Programm gelten, HEDI SCHNEIDER STECKT FEST von Sonja Heiss, die kühn zwischen Komödie und Tragödie jongliert: Uli, Hedi und Finn sind eine fröhliche Familie. Sie schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben, und besonders Hedi stemmt sich mit Humor gegen jedes negative Ereignis. Als sie plötzlich Panikattacken erleidet, gerät ihr Alltag aus den Fugen. 18 Jahre nachdem im Forum Michael Hanekes Version von Kafkas Romanfragment "Das Schloss" zu sehen war, transponiert der chinesische Spielfilm K den Stoff in ein entlegenes Dorf der Inneren Mongolei. Inszeniert wurde das erstaunlich zeitgenössische Werk von dem mongolischen Regisseur Darhad Erdenibulag und seinem walisischen Koregisseur Emyr ap Richard. In restaurierter Fassung führt das Forum unter anderem drei wenig bekannte Filme des japanischen Regisseurs Kon Ichikawa aus den Jahren von 1958 bis 1963 auf: ENJO (Conflagration), OTOTO (Her Brother) und das legendäre Cinemascope-Rachedrama YUKINOJO HENGE (An Actor's Revenge). Die südafrikanischen Spielfilme JOE BULLET von Louis de Witt und UMBANGO von Tonie van der Merwe gehören zu einer Reihe von populären Filmen, die in den 70er Jahren mit ausschließlich schwarzen Darstellern für ein schwarzes Publikum gedreht wurden. Mit dem mexikanischen Film noir CUATRO CONTRA EL MUNDO (Four Against the World) von Alejandro Galindo aus dem Jahr 1950 sowie dem bis heute aktuellen Dokumentarfilm STRANGE VICTORY von 1948, Leo Hurwitz' Abrechnung mit dem alltäglichen Rassismus in den USA, runden wir das Programm ab. (ct)