Bei Ivan Mosjoukine (1889–1939) ist der Superlativ angebracht. Er war Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur, aber vor allem: einer der größten Stars der Stummfilmzeit. Charakteristisch waren sein durchdringender Blick, seine enorme Leinwandpräsenz und eine stupende Wandlungsfähigkeit, die es ihm erlaubte, innerhalb kürzester Zeit zwischen verschiedenen Stimmungslagen zu wechseln. Sein sehr körperliches Agieren machte ihn zum virilen Helden, der aber auch einen geradezu bubenhaften Charme und eine weiche Sensibilität entwickeln konnte. Er fand bei jedem Stoff den ihm gemäßen Ausdruck und beherrschte die große Geste ebenso wie das feine und subtile Mienenspiel.
In Russland geboren, studierte Ivan Mosjoukine (alternative Schreibweisen: Mozzhukhin, Mosschuchin) auf Wunsch des Vaters zunächst zwei Jahre Jura, bevor er sich einer Schauspieltruppe anschloss. Sein Filmdebüt erfolgte 1911 und bald dominierte er, der in der Komik wie im ernsten Fach brillierte, das Filmschaffen im zaristischen Russland. 1915 ließ er sich vom Produzenten Josef Ermolieff verpflichten, der ihm zehn lange Spielfilme pro Jahr garantierte, wobei er seine Drehbücher und Regisseure frei auswählen konnte. Besonders fruchtbar wurde die Zusammenarbeit mit Jakow Protasanow. In den 20 gemeinsam gedrehten Filmen gab er oft den romantischen, innerlich zerrissenen Helden mit dämonischen Leidenschaften. Nach der bolschewistischen Revolution verlegte Ermolieff sein Studio nach Jalta auf der Krim, um 1920 mit der gesamten Truppe nach Paris zu emigrieren. Dort konnte die neugegründete "Ermolieff Cinema", die 1922 in "Albatros Films" umbenannt wurde, frühere Pathé-Studios im Pariser Vorort Montreuil-sous-Bois benutzen. Die Filmindustrie Frankreichs, die sich Anfang der 20er Jahre noch von den Verwerfungen des 1. Weltkriegs erholte, profitierte enorm vom kreativen, aber auch finanziellen Potential der russischen Emigranten. Auch in Frankreich avancierte Mosjoukine innerhalb kürzester Zeit zum Superstar, der nicht nur Drehbücher (mit)schrieb, sondern bei zwei Filmen, die beide durch einen versponnenen Witz und eine enorme Experimentierfreude bestechen, auch Regie führte. Abel Gance sah ihn als Hauptdarsteller für seinen monumentalen Napoleon vor, was Mosjoukine jedoch ablehnte mit der Begründung, nur ein Franzose könne diese Rolle spielen. 1926, auf dem Gipfel seines Ruhms, war auch Hollywood auf den europäischen Superstar aufmerksam geworden, und mit einem lukrativen Fünf-Jahres-Vertrag von Universal in der Tasche reiste Mosjoukine in die USA. Sein Gastspiel dort wurde zum Desaster, der einzige Film, in dem er mitspielen konnte ("Surrender" von Edward Sloman), fiel bei Publikum und Kritik durch. Zurück in Europa, drehte er weitere Filme im Umfeld der russischen Exilanten in Berlin, mit denen er jedoch nicht mehr an seinen früheren Erfolg anknüpfen konnte. Der Tonfilm setzte seiner Karriere endgültig ein Ende. Mit seinem russischen Akzent war er nur begrenzt einsatzfähig und seine Form der Leinwandpräsenz verfehlte im Tonfilm ihre Wirkung. 1939 starb der einstige Star, der in über 100 Filmen mitgespielt hatte, verarmt und vergessen mit nur 50 Jahren an Tuberkulose.
Wir zeigen eine Auswahl von sieben Filmen, vor allem aus Mosjoukines französischer Phase, darunter die zwei einzigen Regiearbeiten, und zwei russische Filme aus den 10er Jahren. Eunice Martins wird alle Filme am Flügel begleiten.