STELLET LICHT (Carlos Reygadas, Mexiko/F/NL/D 2007, 1. & 30.12.) Das titelgebende, leitmotivische "stille Licht" steht gleich am Anfang dieser gleichnishaften Dreiecksgeschichte. Die erste Szene zeigt den langsamen Anbruch des Tages, das einsetzende Sonnenlicht, welches eine Farbsymphonie von schwarzgrau bis goldgelb-weiß auslöst. Doch in das "stille Licht" drängt sich eine urwüchsige Tonwelle von Natur- und Tiergeräuschen – atmosphärische Grundstimmung der unglücklichen Liebesgeschichte zwischen Marianne, dem verheirateten Johan und seiner Ehefrau Esther, allesamt Mitglieder einer tiefreligiösen, mennonitischen Gemeinde in Mexiko. Mit Laiendarstellern der deutschstämmigen Glaubensgemeinschaft und auf Plautdietsch gedreht, entwirft Reygadas eine der Zeit enthobene Tragödie um Schuld, Sühne und Erlösung. OUT OF THE PAST (Jacques Tourneur, USA 1947, 2. & 6.12.) Film noir – kaum ein Genre ist derart mit Licht- und vor allem Schattensetzung verbunden wie die amerikanische Stilrichtung der 40er und 50er Jahre. "Die besten Künstler des Film noir machten die ganze Welt zu einem Studio, indem sie unnatürliches und expressionistisches Licht auf realistische Sets lenkten." (Paul Schrader) Kameramann Nicholas Musuraca macht aus Tourneurs Noir-Klassiker mit Robert Mitchum und Kirk Douglas sequenzweise eine veritable Licht-Studie: flächiges Schwarz, einzelne Lichtquellen, harte Schatten und Silhouetten. In diesem Setting bewegen sich der einstmalige Privatdetektiv Jeff (Mitchum), der mittlerweile eine Tankstelle betreibt, einer seiner ehemaligen Auftraggeber, der Gangster Sterling (Douglas) sowie dessen Geliebte (Jane Greer). Vorfilm: LICHTSPIEL SCHWARZ WEISS GRAU (László Moholy-Nagy, D 1932) Das kinetische Spiel abstrakter Lichtreflexe, hervorgerufen durch den "Licht-Raum-Modulator", einen von Moholy-Nagy entworfenen Apparat zur Demonstration von Licht- und Bewegungserscheinungen. FONTANE EFFI BRIEST (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1974, 3. & 28.12.) Keine der zahlreichen Effi-Briest-Verfilmungen hält sich strenger an die literarische Vorlage, stellt die Adaption für ein anderes Medium deutlicher heraus als Fassbinders filmische Bearbeitung des Gesellschaftsromans. Trotz aller Originaltreue in Text- und Ausstattungsbelangen ist es dennoch "ein Film über eine vergangene Zeit aus unserer Sicht", Fassbinders persönliche Lesart des Romans und gleichzeitig ein Film über "Fontane, über die Haltung eines Dichters zu seiner Gesellschaft. Es ist die Haltung von einem, der die Fehler und Schwächen seiner Gesellschaft durchschaut und sie auch kritisiert, aber dennoch diese Gesellschaft als die für ihn gültige anerkennt." (RWF) Gerahmt und unterteilt von gleißenden Weißblenden, die gleichsam Erstarrung und Auflösung anzudeuten scheinen, folgt der Film dem Schicksal der jungen Effi Briest (Hanna Schygulla), die den 20 Jahre älteren Baron von Instetten (Wolfgang Schenk) heiratet, in ihrer Ehe keine Liebe findet und sich in eine Affäre flüchtet. ZUR CHRONIK VON GRIESHUUS (Arthur von Gerlach, D 1925, 4. & 18.12., am Klavier: Eunice Martins) Die Filmkritikerin Lotte Eisner rühmte ihn für "jenes verschwebende Schimmern des Lichts, jenes weich flimmernde Leuchten", Regisseur Gerlach wiederum schätzte die Fähigkeit seines Kameramanns Fritz Arno Wagner, "Rembrandt-Licht" (Variante des Chiaroscuro: selektive Beleuchtung mit hartem Kontrast zwischen Licht und Dunkel) zu kreieren. In enger Zusammenarbeit realisierten Gerlach und Wagner die Verfilmung der gleichnamigen Storm-Novelle: eine düstere Familiensaga und Brüderfehde, die im 17. Jahrhundert auf einer Burg in Holstein spielt. Die vermeintlichen Mesalliancen der Söhne des Burgherren, Hinrich und Detlev, führen zunächst zu deren Enterbung und nach dem Tod des standesdünkelnden Vaters zum erbitterten Erbstreit zwischen den Brüdern. Zur Aufführung kommt die kürzlich durch die Murnau-Stiftung restaurierte Fassung des Films. 2001 – A SPACE ODYSSEY (Stanley Kubrick, GB/USA 1968, 5. & 9.12.) Als kühne Weltraumoper von überwältigendem Ausmaß durchmisst der Film nichts weniger als eine Geschichte der Menschheit von der Entwicklung der ersten Werkzeuge in grauer Vorzeit bis zur Eroberung des Weltraums im Jahre 2001. Die Geschicke der Menschheit stehen jedoch unter dem Einfluss von mysteriösen, offensichtlich von Außerirdischen stammenden, schwarzen Monolithen, auf deren Spuren sich eine Gruppe von Wissenschaftlern in Richtung Jupiter aufmacht. Der Film beginnt und endet mit dem Licht als Ursprung allen Lebens. Ist es zu Beginn die Sonne, die den Beginn der Menschheitsgeschichte erhellt, wird der letzte Teil zu einem halluzinierenden Trip. Ein Sog von farbigen Lichteffekten, eine reine Lichtorgie, bildet das Tor zu einem anderen Bewusstseinszustand, in dem der Ablauf der Zeit aufgehoben ist, Vergangenheit und Zukunft, Sterben und Geborenwerden nebeneinander existieren. LE JOUR SE LÈVE (Der Tag bricht an, Marcel Carné, F 1939, 8. & 25.12.) Ein Film der Gegenströmungen: Mit dem zu Beginn des Films anbrechenden Tag wird das unausweichlich düstere Ende vorgeklappt, die fortschreitende Handlung entfaltet sich in drei umfangreichen Rückwärtsbewegungen, ein Zimmer wird zum Zentrum der explosiven Fliehkräfte der Liebe. Durchwirkt von einer komplexen Struktur von Licht und Schatten und unzähligen Grau-Schattierungen dreht sich die Geschichte um den Arbeiter François (Jean Gabin), seine unglückliche Liebe zu Françoise, seine zwischenzeitliche Affäre mit Clara (Arletty), sein Abrechnen mit dem überheblich-schmierigen Valentin (Jules Berry). Entstanden kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs erzeugt der Film ein Klima von Verzweiflung, Desillusionierung und Enttäuschung. 13 LAKES (James Benning, USA 2004, 10. & 16.12.) Strukturiert von Licht und Farben, Wetter und verschiedenen Jahreszeiten, Geräuschen und Stille porträtiert Benning 13 große amerikanische Seen in ebenso vielen Einstellungen. "Die Idee des Films ist ganz einfach. Es geht darum, auf die Seen zu blicken, auf den Himmel, und wie das Licht vom Wasser reflektiert wird. Es ist im Grunde eine ästhetische Studie des Lichts, wie es auf das Wasser trifft und wie es sich bewegt. Die Einstellungen werden länger sein, ich denke sieben bis acht Minuten, damit man Zeit hat, über das Licht nachzudenken. Und weil die 13 Seen sehr verschieden sind, möchte ich sie so filmen, dass man die Lichteffekte auf dem Wasser vergleichen kann. Aber ich möchte auch, dass das Bild ausdrückt, was an diesem See besonders ist. Und das ist der schwierige Teil." (James Benning) FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE(F.W. Murnau, D 1926, 11. & 17.12., am Klavier: Eunice Martins) Nicht ausschließlich auf Goethes Vorlage basierend, sondern auch Motive der ursprünglichen Volkssage und der Dramatisierung von Christopher Marlowe miteinbeziehend, übersetzt Murnau den klassischen Kampf zwischen Gut und Böse in ein komplexes Licht- und Schattenkonstrukt. Ausgangspunkt der Handlung ist ein ins Fantastische getauchtes mittelalterliches Städtchen, das von einer Pestepidemie heimgesucht wird. Um das Massensterben abzuwenden, bittet der Alchimist Faust den Teufel um Hilfe. Der stellt ein Ende der Pest in Aussicht, im Gegenzug verlangt er Fausts Seele. Faust erklärt sich bereit und ist fortan an Mephisto gebunden, der den plötzlich wieder verjüngten Faust auf Reisen mitnimmt und ihm unterschiedliche Vergnügungen zuführt. Bald erkennt Faust die Schattenseite von ewiger Jugend, Reichtum und Macht. LE HAVRE(Aki Kaurismäki, Finnland/F/D 2011, 12. & 23.12.) "Alles, was man benötigt, sind ein Mann und eine Frau, die gegen die Wand stehen und Licht und Schatten. Dann nimmt man die Frau aus dem Bild, es bleibt der Mann, eine Wand, Licht und Schatten. Dann entfernt man den Mann, es bleiben Wand, Licht und Schatten. Man nimmt die Wand weg, es bleiben Licht und Schatten. Dann entfernt man das Licht. Es bleibt der Schatten. Wenn man den Schatten auch noch entfernt, ist das Leben weg. That's the end, my friend." Die lakonische Reduktion ist nicht nur ein Charakteristikum der Filme von Aki Kaurismäki, sondern auch typisch für seine eher seltenen Ausführungen über seine Art des Filmemachens. Der Lichtsetzung misst der finnische Regisseur eine zentrale Rolle bei, wie z.B. in LE HAVRE, seiner meisterlichen Tragikomödie um einen alternden Bohemien, der sich eines Flüchtlingsjungens annimmt. Die Licht- und Schattenwelten dieses Films erinnern zeitweise an die stimmungsvollen Zwielichtszenerien der Filme des poetischen Realismus à la Carné, Clair und Vigo. DER FALL GLEIWITZ (Gerhard Klein, DDR 1961, 13. & 20.12.) In streng symmetrisch fotografierten Schwarz-Weiß-Bildern, mit kühnen Schnittfolgen und einem expressiven Spiel von Licht und Schatten inszeniert Klein sachlich und präzise den fingierten Überfall auf den Reichssender Gleiwitz durch SS-Männer in polnischen Uniformen am 31.8.1939, den die Nazis als Vorwand für den Überfall auf Polen nehmen und damit den Zweiten Weltkrieg auslösen. Drehbuchautor Kohlhaase umschreibt den Film als "Versuch einer Dokumentation mit künstlerischen Mitteln", Klein betraut den berühmten tschechischen Kameramann Jan Curík mit der Kameraführung. Doch die hoch stilisierte, experimentelle Form des Films veranlasst den SED-Parteiapparat, den gefürchteten "Formalismus"-Vorwurf zu erheben, und die Zirkulation des Films zeitweilig erheblich zu beschränken. DAYS OF HEAVEN (Terrence Malick, USA 1978, 19. & 26.12.) Violett-, Rot- und Orangetöne bilden die Eckpunkte des farblichen Spektrums der kurzen Phase vor und nach Sonnenauf- bzw. Sonnenuntergang, der "magic hour" oder "golden hour", auf deutsch deutlich profaner "blaue Stunde" genannt. Malick und seine Kameramänner Nestor Almendros und Haskell Wexler verzichteten in DAYS OF HEAVEN weitgehend auf künstliches Licht und drehten umso ausführlicher während der magic hours. Die außergewöhnlichen Lichtstimmungen tragen zur beeindruckenden visuellen Qualität des Films bei, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt. Auf der Flucht vor der Polizei kommen Bill, seine Schwester Linda und seine Geliebte Abby auf einer weitläufigen Farm in Texas unter. Der angeblich sterbenskranke Farmer verliebt sich in Abby, die einer Ehe in Hinblick auf sein baldiges Ableben nicht abgeneigt ist. Doch der Farmer erweist sich als langlebiger als erwartet. DER HIMMEL ÜBER BERLIN (Wim Wenders, BRD/F 1987, 22. & 29.12.) Bruno Ganz und Otto Sander als Engel in Berlin, überirdisch, von Kamera- & Licht-Meister Henri Alekan in ein oft als "metaphysisch" bezeichnetes Licht getaucht: "Ihm (Alekan) gelingt es, über das Licht immaterielle Gestalten zu schaffen. Als habe er selbst im Geheimnis des Lichts Zugang zu diesem feenhaften Universum." (WW) Zugang haben auf jeden Fall die Engel Damiel (Ganz) und Cassiel (Sander), Zugang aber auch zur geteilten Stadt, die sie durchstreifen, ihren Bewohnern unbemerkt zuhören, sie unerkannt trösten und unsichtbar Anteil nehmen. Bis sich Damiel in eine Trapezkünstlerin (Solveig Dommartin) verliebt und die Sphäre der Engel und des Lichts verlassen möchte. (mg)