OSSOS (Bones, Portugal/F/DK 1997, 24.9., in Anwesenheit von Pedro Costa) Eine junge Frau aus dem Lissabonner Elendsviertel Fontainhas ist durch die Armut und Enge ihrer Existenz abgestumpft. In ihrer neuen Rolle als Mutter überfordert, dreht sie verzweifelt den Gashahn auf. Das Baby entgeht jedoch dem sicheren Tod, auch, als sein Vater versucht, es auf der Straße zu verkaufen. Über verschiedene Stationen findet das kleine Kind wieder zu ihm zurück. Costas dritter Film ist der letzte, den er mit großem Team und auf 35 mm drehte – und der erste, in dem drei Bewohner von Fontainhas (u.a. Vanda Duarte) als Darsteller mitwirken. Er erzählt nicht nur von materieller Not, sondern auch von der Armut der Gefühle. In schonungslosen und zugleich poetischen Bildern beobachtet er seine Figuren, die ihrer Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit nicht entkommen. Sie wirken verloren und irren wie Schatten in einer hermetischen Welt herum, deren Realitätsgehalt Costa nachspürt, ohne dokumentarisch zu arbeiten. NO QUARTO DA VANDA (In Vanda's Room, Portugal/D/CH 2000, 25.9., in Anwesenheit von Pedro Costa) Eine Frau in einem kleinen, dunklen Zimmer. Fast drei Stunden lang verlässt der Film diesen Innenraum nur selten. Vanda Duarte, die in OSSOS als Laiendarstellerin fungierte, steht im Mittelpunkt der neuerlichen Beschäftigung von Pedro Costa mit Immigranten von den Kapverden, die unter schwierigsten Bedingungen in Fontainhas am Rande Lissabons leben. Seine Arbeitsweise hat sich seit seinem letzten Film grundlegend verändert: Mit einer Mini-DV-Kamera und nur in Begleitung eines Tonmanns war er über zwei Jahre hinweg vor Ort, davon sechs Monate lang jeden Tag. Ohne künstliches Licht und ohne jegliche Kamerabewegung filmte er den Alltag der drogenabhängigen Vanda: wie sie dealt, Freunde empfängt, tagein, tagaus auf ihrem Bett sitzt, in kurzen Abständen mit Alufolie, Crack und Zigaretten hantiert und unter Hustenattacken leidet. Ein stillgestelltes Leben und das Verstreichen der Zeit. Das Außen dringt nur akustisch ein: Während der Drehzeit wurde in Fontainhas Haus um Haus abgerissen. JUVENTUDE EM MARCHA (Colossal Youth, Portugal/F/CH 2006, 26.9., in Anwesenheit von Pedro Costa) Ventura, ein Einwanderer von den Kapverdischen Inseln, lebt schon lange in Fontainhas. Er baute in den 70er Jahren als Maurer das Gulbenkian-Museum mit. Seine Frau (immer wieder rezitiert er einen Liebesbrief an sie) hat ihn verlassen. Als die Stadtverwaltung das Elendsviertel zum Abriss freigibt, wird er mit seinen Nachbarn umgesiedelt. Von da an streift er zwischen seinem alten Quartier und dem aseptischen Sozialwohnungsneubau mit gleißend weißen Fassaden umher. Er wird zur Vaterfigur für die nun verstreut lebenden Bewohner – auch für die einst heroinabhängige Vanda, die mittlerweile Methadon einnimmt und ein Kind hat. 15 Monate hat Costa mit einer kleinen digitalen Kamera gedreht, lange, statische Einstellungen, minimalistische Video-Tableaus. Er hat die Geschichten der ihm bereits vertrauten Protagonisten angehört und mit ihnen an ihren Texten gearbeitet. Der ungemein dichte Film entwirft Ventura auch als Wanderer zwischen den Zeiten: Er lebt gleichzeitig in der Gegenwart und in der Vergangenheit, ohne dass die Übergänge zwischen den verschiedenen Ebenen markiert würden. CAVALO DINHEIRO (Horse Money, Portugal 2014, 27.9., in Anwesenheit von Pedro Costa) Mit Jacob Riis' Schwarzweißfotografien von Obdachlosen in New York am Ende des 19. Jahrhunderts und Fotos aus der Zeit der portugiesischen Nelkenrevolution beginnt eine filmische Reise ans Ende der Nacht. Ventura, jener Einwanderer von den Kapverdischen Inseln, der bereits in JUVENTUDE EM MARCHA figurierte, befindet sich wegen eines Nervenleidens in einer verlassenen Klinik mit endlosen Korridoren und dicken Mauern. Er wird von traumatischen Erinnerungen und Geistern der Vergangenheit heimgesucht. Der halluzinatorische Film etabliert eine Schattenwelt, in der Raum und Zeit unbestimmt, Erinnerung und Gegenwart ununterscheidbar sind. Er folgt der diskontinuierlichen Logik eines Traums. Womöglich findet er gar in einem mentalen Raum oder in Venturas Unbewusstem statt? CAVALO DINHEIRO ist ein Film von radikaler Langsamkeit, in stetem Chiaroscuro, den zerbrochenen Träumen und Erinnerungen eines Vertriebenen und Vergessenen gewidmet, der bis heute ein Gefangener seiner und der portugiesischen Kolonialgeschichte ist. (bik) Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung der dffb.