LARS OLE, 5C (DK 1973, 13. & 25.10.) Szenen aus dem Kosmos Schule: erste Tanzstunden, heimliches Tuscheln und schmutzige Witze im Klassenzimmer, Fangenspielen im Pausenhof. Mittendrin ist Lars Ole, an dem Hanne interessiert ist, die er sich aber mit einem anderen Jungen "teilen" muss, und der aus der Ferne in die umschwärmte Inger verliebt ist. Malmros lässt sich mit seiner freien Beobachtung ganz auf die Welt der Kinder ein, erkundet die Räume, die sie nach ihren eigenen Regeln gestalten, zeigt die komplizierten Strukturen, mit denen sie ihren Platz in der Gruppe behaupten. LARS OLE, 5C verhalf Malmros zum Durchbruch als Filmemacher und bildet zusammen mit BOYS und TREE OF KNOWLEDGE eine Trilogie über das Aufwachsen in den 50er Jahren. DRENGE(Boys, DK 1977, 13. & 22.10.) Drei Episoden aus dem Leben von Ole, wie er zunächst als Vorschulkind, dann als Teenager, schließlich als junger Erwachsener seinen Körper, seine Sexualität und die Liebe entdeckt – eine Entwicklungslinie, verdichtet zur Frage, wie aus einem Jungen ein Mann wird. Während die Kindheit von heimlichen Spielen mit dem etwas älteren Cousin geprägt ist, von der Faszination für das Verbotene und das Geheimnisvolle, erlebt der Teenager eine erste Liebe voller Schwierigkeiten und Unsicherheiten und der junge Erwachsene ein flüchtiges Abenteuer, eine spielerisch ausgelebte Sexualität, die sich unversehens wieder der Kindheitserfahrungen rückversichert. KUNDSKABENS TRÆ (Tree of Knowledge, DK 1981, 9.10., zu Gast: Nils Malmros & 20.10.) Über zwei Jahre hinweg gefilmte Vignetten aus dem Leben einer Handvoll Schüler an der Schwelle vom Kinder- zum Teenageralter, "die sich allmählich zu einem ganzen sozialen Kosmos von Sehnsucht und Zurückweisung, von Macht und Abgrenzung auffächern." (Florian Keller) Elin, das beliebteste Mädchen in ihrer Klasse, wird aus Gründen, die sie nie ganz versteht, langsam ausgeschlossen. Sensibel lotet Malmros die Nöte Heranwachsender aus, ihre Gefühlswelt zwischen Eifersucht und Liebeskummer, ihre täglich wechselnden Gruppendynamik. Dass in diesem Alltäglichen doch etwas Gewichtiges stattgefunden hat, darauf verweist der biblische Titel des Films, und mit ihm die Ahnung auf eine verlorene Unschuld. SKØHEDEN OG UDYRET (Beauty and the Beast, DK 1983, 18. & 30.10.) Mette ist 16 und verbringt die Weihnachtsferien alleine mit ihrem Vater, mit dem sie eine vertraute Offenheit verbindet. Als sie mit ihrem Freund Lars Schluss macht und mit dem strahlend-vorlauten Sonnyboy Jønne auftaucht, der sich erdreistet, Nacktfotos von ihr zu machen, verliert der Vater in einer Mischung aus Eifersucht und der Angst, sie zu verlieren, allmählich die Contenance. Wieder eine Geschichte von verwirrten Gefühlen, von Entwicklungen, Ablösungs- und Annäherungsprozessen, diesmal nicht aus der Sicht eines Heranwachsenden geschildert, sondern aus der des Vaters. Nils Malmros schrieb die Rolle der Mette für Line Arlien-Søborg, seine Entdeckung in TREE OF KNOWLEDGE. Welche Faszination sie auf ihn ausübte, erschließt sich erst in Kenntnis von SORROW AND JOY. ÅRHUS BY NIGHT (DK 1989, 10.10., zu Gast: Nils Malmros & 22.10.) ist Malmros' erster Film, in dem das Filmemachen selbst eine Rolle spielt und er sich in der Figur eines Regisseurs selbst spiegelt. Der junge Frederik dreht im Århus der 70er Jahre einen Film über seine Kindheit. Über seine Crew, die neben der Arbeit am Film intensiv mit Partymachen und Beziehungsproblemen beschäftigt ist, hat er wenig Autorität. Auch wenn ÅRHUS BY NIGHT in einem eher leichten und komödiantischen Tonfall gehalten ist, ist es wieder ein Film über eine unerwiderte Liebe, über Kindheitserinnerungen und ihren Nachhall im Erwachsenenalter. Das Vorbild für den Film im Film ist unverkennbar BOYS, wobei einige Szenen (wie eine Verfolgungsjagd mit nackten Krankenschwestern) um einiges gewagter und freier wirken. KÆRLIGHEDENS SMERTE (Pain of Love, DK 1992, 19. & 26.10.) ist Malmros’ erster Versuch, seine Lebenstragödie filmisch zu verstehen. Er erzählt aus dem Leben von Kirsten (eine Figur angelehnt an Malmros' Ehefrau, auch wenn sie nicht mit ihr gleichgesetzt werden kann), einer jungen, behüteten Frau, die zwischen naiver Unbeschwertheit und tiefen Depressionen schwankt, zwischen ungezwungenem Flirten und dem nagenden Gefühl, den Ansprüchen der Männer und der Gesellschaft nicht genügen zu können. Wo SORROW AND JOY (der PAIN OF LOVEgewissermaßen fortführt) trotz aller Dunkelheit zu einem Aufbruch ins Leben führt, ist hier keine Errettung durch die Liebe möglich, führt der Strudel aus Einsamkeit und Verzweiflung zu einem Punkt, von dem Kirsten nicht mehr zurückkehrt. BARBARA (DK 1997, 12.10., zu Gast: Nils Malmros & 24.10.) ist der einzige Film von Malmros, der nicht auf seinem eigenen Leben basiert. Die visuell prachtvolle Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jørgen-Frantz Jacobsen, einem Klassiker der färöischen Literatur, spielt im 18. Jahrhundert auf den Färöern. Barbara ist die Frau, vor der der neue Pfarrer der kleinen Gemeinde Varga nach seiner Ankunft gewarnt wird. Sie war mit gleich zwei seiner Vorgänger verheiratet, die beide verstorben sind. Die lebenslustige Barbara nimmt sich ganz selbstverständlich Freiheiten, die Frauen eigentlich nicht gewährt werden, und sieht keinen Grund, sich für ihre sexuellen Bedürfnisse schuldig zu fühlen. BARBARA mag auf den ersten Blick wie ein Fremdkörper in Malmros' Werk anmuten. Dann aber schält sich sein Lebensthema der Liebe hervor und es lohnt sich, Barbara und ihre Sehnsüchte mit Malmros' anderen Frauenfiguren zu vergleichen. KÆRESTESORGER (Aching Hearts, DK 2009, 21. & 28.10.) kann als lose Fortsetzung von TREE OF KNOWLEDGE gesehen werden und wurde ebenfalls über mehrere Jahre hinweg gedreht. Agnete und Jonas werden ein Paar, doch wird ihre erste körperliche Annäherung auf einer Party gleich wieder unterbrochen. Das kann man als Vorzeichen sehen für eine schwierige, durch Eifersucht und unterschiedliche Interessen immer wieder in Frage gestellte Beziehung. Gleichzeitig ist es ein Film über eine gutbürgerliche, an Literatur und philosophischen Diskussionen interessierte Familie, deren Risse zunächst nur die hellsichtige Agnete aufdeckt, bis sie schließlich nicht mehr zu verbergen sind. AT KENDE SANDHEDEN (Facing the Truth, DK 2002, 10.10., zu Gast: Nils Malmros & 27.10.) Nils Malmros’ Vater, ein berühmter Mediziner, leitete während der deutschen Besetzung Dänemarks eine neurochirurgische Abteilung in Århus und benutzte mangels Alternativen das Kontrast-mittel Thorotrast. Jahrzehnte später starben mehrere seiner damaligen Patienten an – durch Folgeschäden entstandenem – Lungenkrebs. FACING THE TRUTH geht es vorrangig um Fragen von Schuld und Verantwortung. Der Film verwebt Szenen aus der Gegenwart mit der Jugend und Berufstätigkeit des Vaters, zeigt einen in Armut aufgewachsenen Jungen und einen Erwachsenen, der die Verletzungen und Demütigungen der Kindheit noch in sich trägt, aber auch eine Vater-Sohn-Beziehung, die erst spät zu einer echten Begegnung zwischen zwei gleichberechtigten Erwachsenen wird. SORG OG GLÆDE (Sorrow and Joy, DK 2013, 11.10., zu Gast: Nils Malmros & 30.10.) Als der Regisseur Johannes von einer Vortragsreise nach Hause kommt, ist das Haus leer und still. Nur die Schwiegereltern sitzen auf dem Sofa und berichten, dass seine Frau Signe die neun Monate alte Tochter während eines psychotischen Zusammenbruchs umgebracht hat. Was folgt, ist der Versuch, Signe zu verstehen und ins Leben zurückzubringen. Im Zentrum des Films steht ein langes Gespräch zwischen Johannes und dem Psychiater Birkemose, in dem Johannes sich die Verletzungen vergegenwärtigt, die er ihr zugefügt hat, die Vorzeichen, die er anders hätte deuten müssen. SORROW AND JOY ist ein zutiefst tröstlicher Film über die Möglichkeit der Solidarität und darüber, wie eine Liebe angesichts einer Katastrophe nicht zerbricht, sondern im Gegenteil stärker wird. Den schönsten Satz sagt Signe gegen Schluss des Films, als das Ehepaar Jahrzehnte später zurückblickt: Bislang hat er Filme über das Unglücklich-verliebt-sein gemacht – nun ist es an der Zeit, einen Film über die gelingende Liebe zu realisieren. (al)