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Anfang der 90er Jahre war Susan Sontag einige Zeit Gast des DAAD in Berlin und "Mitarbeiterin" des Arsenal. In einem Programm, das sie im November 1990 kuratierte, beschrieb sie das Arsenal (damals noch in der Welserstraße) als "das Kino, das mir auf dem ganzen Planeten das liebste ist." DUETT FÖR KANNIBALER (Schweden 1969, 23.1., Einführung: Kristina Jaspers & 26.1.) In Susan Sontags Debütfilm geben ein deutscher Linksintellektueller und seine italienische Frau die "Kannibalen", die ein junges Paar in einen Strudel emotionaler Verwicklungen stürzen. Partner werden getauscht, Perücken ausprobiert, Bärte angeklebt und Gesichter mit Mullbinden verpackt. Alles scheint nur ein Spiel zu sein, und doch geht es um existenzielle Fragen, um Liebe und Tod. Als Vorfilm läuft ein Screen test (USA 1964), den Andy Warhol mit Susan Sontag als (Selbst-)Darstellerin gedreht hat. BRÖDER KARL (Schweden 1971, 20. & 28.1., Einführung: Ralph Eue) Auch Sontags nächster Film entstand in Schweden. Zwei Paare. Zuerst Karen und Peter. Ihre Beziehung ist von Kälte und Abweisung geprägt. Ihre sechsjährige Tochter leidet an Schizophrenie und hat sich in Stummheit abgeschlossen. Das zweite Paar: Lena und Martin. Sie sind seit fünf Jahren geschieden. Lena ist Schauspielerin, Martin ein ausgebrannter Theaterregisseur. Martin hat sich auf eine Insel zurückgezogen und kümmert sich um den ehemaligen Ballettstar Carl, für dessen psychische Zerrüttung er sich irgendwie verantwortlich fühlt. Gemeinsam mit Lena reist Karen auf die Insel, in der Hoffnung, ihren Mann wiederzugewinnen. Etwas Unaussprechbares liegt wie ein Fluch über den Akteuren; eine seltsame Atmosphäre – zwischen Unruhe und Lethargie; immer kurz vor Einbruch (oder Ausbruch) von Gewalt. Susan Sontag sah den Film als "a winter's tale shot in late summer – far north." Gedreht in Schwarzweiß erscheint die Jetzt-Zeit des Films nicht als Resultat einer Vorgeschichte, sondern selber wie die Vorgeschichte von Ereignissen in der Zukunft. Als Vorfilm läuft ein weiterer SCREEN TEST mit Susan Sontag (Andy Warhol, USA 1964). PROMISED LANDS/LA DÉCHIRURE (F 1974, 21. & 1.2.) Susan Sontags filmische Arbeiten korrespondierten oft mit biografischen oder geografischen Zufällen, auch beherzt ergriffenen Gelegenheiten. So ist das Projekt dieses Films, der in Israel unmittelbar nach Ende des Jom-Kippur-Kriegs gedreht wurde, integraler Bestandteil einer mehrere Jahre anhaltenden Rasenden-Reporter-Episode ihres Lebens und Werks. Susan Sontag widersprach gern, wenn Promised Lands Dokumentarfilm oder gar Dokumentation genannt wurde. Auf dem Feld der Non-Fiction bewege sich der Film, das gewiss, aber genau besehen sei diese Arbeit eher ein Essay. "Ich schreibe, um herauszufinden was ich denke", der Titel ihrer veröffentlichten Tagebücher aus den Jahren 1964–1980 umschreibt treffend die Methode ihrer Annäherung an das Projekt dieses Israel-Films. A PRIMER FOR PINA (Jolyon Wimhurst, Susan Sontag, GB 1984, 22.1., mit Einführung & 5.2.) In den 80er Jahren entwickelte Susan Sontag ein explizites Interesse für Tanz und Ballett. Der mittellange Film A PRIMER FOR PINA über die Arbeit von Pina Bausch ist eine "Televised Lecture" aus der Zeit, die vielleicht das Goldene Zeitalter der Vermittlung kultureller Themen via Bildschirm gewesen ist. Vielleicht auch eine Blaupause für das, was Alexander Kluge nur kurze Zeit später mit seinen dctp-Programmen für Deutschland zu adaptierten versuchte. WAITING FOR GODOT … IN SARAVEJO (Nicole Stéphane, Susan Sontag, F 1993, 22.1.) Im April 1993 reiste Susan Sontag erstmals nach Sarajevo, um ihren Sohn David Rieff zu besuchen, der als Korrespondent für amerikanische Zeitschriften aus der belagerten Stadt berichtete. Bereits während ihres zweiten Aufenthalts im Juli und August 1993 erbot sich Sontag, Becketts Stück im Pozoriste Mladih (Theater der Jugend) zu inszenieren. Thema des Films ist Susan Sontags Inszenierung von Becketts Stück. Sontag wirkte auch an der Konzeption und Produktion des Films mit, überließ den Regie-Credit aber ihrer ehemaligen Lebenspartnerin Nicole Stéphane, der auch das Buch Über Fotografie (1978) gewidmet war und die bereits PROMISED LANDS produziert hatte. WAITING FOR GODOT … IN SARAJEVO läuft zusammen mit A PRIMER FOR PINA. VERHÄNGNIS (Fred Kelemen, D 1994, 25.1., zu Gast: Fred Kelemen) Susan Sontag wurde häufig als "transatlantische Vermittlerin" bezeichnet und sprach von sich selber als "Amerikanerin mit ausgeprägten europäischen Interessen". Als solche war sie auch eine sensible Beobachterin und exzellente Kennerin des deutschen Films. Sie hatte ausgesprochene Vorlieben (und Abneigungen). In ihrem Aufsatz Hundert Jahre Kino (1995) zählte sie VERHÄNGNIS zu den großen Kinowerken der 90er Jahre: Im Verlauf einer Nacht kreuzen sich die Wege der Menschen verschiedener Länder. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen, doch sie sind verhängnisvoll verbunden durch die einsame Suche nach Glück. Mit jeder Bewegung, die sie befreien soll, sinken sie tiefer hinab. Der verzweifelte Tanz ihres Lebens ist zum leidenschaftlichen Tanz des Todes geworden. REGARDING SUSAN SONTAG (Nancy Kates, USA 2014, 24.1., Einführung: Ralph Eue & 30.1.) Der Porträtfilm nähert sich Susan Sontags Leben durch Archivmaterial, experimentelle Bilder und Aussagen von Freunden, Familienmitgliedern und Kollegen sowie durch ihre eigenen Worte, gelesen von der Schauspielerin Patricia Clark-son. TOWN BLOODY HALL (D.A. Pennebaker, USA 1979, 24.1., Einführung: Ralph Eue & 30.1.), eine Direct-Cinema-Rarität, beobachtet einen öffentlichen New Yorker Town-Hall-Disput zwischen verschiedenen prominenten Feministinnen und Norman Mailer, anlässlich von dessen Roman Gefangen im Sexus. Mit dabei, zwischen den Stühlen (im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn): Susan Sontag. (re) Der anhaltenden Aktualität von Susan Sontags Arbeiten widmet sich ein internationales Symposium, das am 29. und 30.1. im ICI Kulturlabor Berlin stattfindet. Das Zustandekommen des Programms verdankt sich großzügiger Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds Berlin und einer Unterstützung der Villa Aurora.

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Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds