Clemens Klopfenstein, 1944 am Bielersee in der Schweiz geboren, seit 1973 vorwiegend in Italien lebend, dreht seit den 60er Jahren Filme. Seit 1979 ist er mit seinen Filmen immer wieder im Forum der Berlinale vertreten, und wir freuen uns, eine Auswahl zu zeigen und ihn vom 24. bis zum 27.11. persönlich im Arsenal begüßen zu können. GESCHICHTE DER NACHT (Clemens Klopfenstein, CH/BRD 1978, 24.11., zu Gast: Clemens Klopfenstein) Die nächtlichen Spaziergänge des Leopold Bloom in James Joyces Roman "Ulysses"inspirierten Clemens Klopfenstein zu einem einzigartigen film- und kameratechnischen Experiment. 150 Nächte lang fing er mit hochempfindlichem Schwarzweiß-Filmmaterial und mit Miniatur-Tonbandgerät die Atmosphäre von mehr als einem Dutzend europäischer Städte in den Stunden nach Mitternacht ein. In der Bild- und Tonmontage verdichten sich Aufnahmen aus der Schweiz, der Türkei, aus Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien, Italien, Frankreich, Spanien, England, Irland und Deutschland zur Physiognomie einer europäischen Metropole mit einer weiten geografischen Ausdehnung. Entfernteste Schauplätze und Originaltöne amalgamieren zu einem einzigen fiktiven optischen und akustischen Nacht-Raum. DAS SCHLESISCHE TOR (Clemens Klopfenstein, BRD 1982, 24.11.) "Bilder und Töne aus Berlin, Tokio und Hongkong, durcheinander gemischt und durcheinander geblendet und von verwestlichter chinesischer Musik unterstützt, lassen ein Gefühl von Heimweh und Fernweh aufsteigen. Von Sehnsucht, von irgendwo und nirgendwo … das Gefühl von den "terribles 5-heures du soir" eben, wo man zur Flasche, zum Telefon oder zu alten Briefen greifen muss, bis die beruhigende Nacht fällt. Zusätzlich soll dieser kleine Film den Zuschauer die Rundheit der Erde spüren machen, der Morgen von Tokio ist der Abend am Schlesischen Tor: der Lauf des Schattens um die Erde." (Clemens Klopfenstein) E NACHTLANG FÜÜRLAND (Clemens Klopfenstein, Remo Legnazzi, CH 1981, 25.11., zu Gast: Clemens Klopfenstein) Mitten in den Berner Jugendunruhen des Jahres 1981 trifft der desillusionierte 68er Max (Max Rüdlinger), der sich nur noch als Veteran der Studentenbewegung begreifen kann, auf die jugendlich-enthusiastische Chrige (Christine Lauterburg). Sie weist Max auf seine einzigartige Chance zum Widerspruch hin. Als Nachrichtensprecher des staatlichen Rundfunks könne er seine eigenen Nachrichten senden. In einer durchzechten Nacht beschließen die beiden, die Frühnachrichten mit der frohen Botschaft zu beenden, die Gletscher seien geschmolzen, die Hüter der Ordnung in Gegenden geflüchtet, deren Kälte der Starre ihres Ordnungssystems besser entspreche, Bern liege unter Palmen wie der Strand unterm Pflaster. DER RUF DER SIBYLLA (Clemens Klopfenstein, CH 1982/85, 25.11., zu Gast: Clemens Klopfenstein) Ein modernes Pärchen gerät in ein Märchen: Der Kunstmaler Balz (Max Rüdlinger) sitzt eifersüchtig in Italien und bedrängt seine Freundin, die Schauspielerin Clara (Christine Lauterburg), telefonisch wegen ihres Liebhabers. Balz wünscht dem Nebenbuhler alles Schlechte − und prompt fällt dieser unglücklich auf die Nase. Als es ihm gelingt, seiner mittlerweile bei
ihm eingetroffenen, unaufhörlich plappernden Freundin nach Bedarf den Mund zu verschließen, merkt Max, dass ein Schnaps seinen bösen Wünschen zur Wirklichkeit verhilft. Doch auch Clara entdeckt einen Zaubertrank, der ihr die Kraft verleiht, Dinge zu verwandeln, Tag in Nacht zum Beispiel. DAS SCHWEIGEN DER MÄNNER (Clemens Klopfenstein,CH 1997, 26.11., zu Gast: Clemens Klopfenstein) Max (Max Rüdlinger) ist unglücklich, weil er ein Schweizer ist: "Die Schweiz ist schön, aber langweilig". Für seinen Freund Polo (Polo Hofer), der sich an gegrillten Würsten auf den gemeinsamen Bergwanderungen erfreuen kann, ohne die Sinnfrage zu stellen, ist Max der typische Schweizer. Denn niemand ist unzufriedener mit sich selbst als der Schweizer. Als Max der Schweiz zu Fuß Richtung Italien zu entkommen versucht, dämmert ihm bald, dass man sich selbst nicht so leicht entkommt: "Ich komme mir vor wie auf einem Hometrainer vor einer Olivenbaumtapete". Und spätestens als er im Schatten der Pyramiden über Wurstsalat schwadroniert, wird klar, dass er auch in Ägypten die geballte Ladung Schweiz im Gepäck führt. DIE VOGELPREDIGT ODER DAS SCHREIEN DER MÖNCHE (Clemens Klopfenstein, CH/I 2005 I 26.11., zu Gast: Clemens Klopfenstein) Zwei ältere Schauspieler (Polo Hofer, Max Rüdlinger), ein komisch-tragisches Paar, suchen ihren ehemaligen Regisseur (Klopfenstein) auf, um ihn von ihrer neuen Filmidee zu überzeugen: ein in Afrika spielendes, feurig-farbiges Werk mit Sex und Crime, das Sequel eines vor Jahren erfolgreichen gemeinsamen Films. Nach Irrfahrten und Pannen im nächtlichen Appenin gelangen die zwei erschöpft zum Regisseur, der sich ins melancholische Umbrien zurückgezogen hat und sich dort mit Askese und Konsumverzicht beschäftigt. Der Regisseur hält nichts vom Mainstreamprojekt der Schauspieler und überredet sie zu Probeaufnahmen für einen franziskanischen Film. Als er "für eine Riesentotale" im Wald verschwindet, ziehen die beiden in ihren Mönchskutten über ihn her: "Kunstfilmer, Matineé-Genie, Demenz Klopfenstein". Was ihnen sehr leid tut, als ihnen ihre Funkmikros wieder einfallen. "Wer nach diesem Geniestreich nicht mindestens einen Tag lang leise vor sich hin lacht, ist seelisch verhärtet." (Michael Wunderlich) DER MEISTER UND MAX (Marcel Derek Ramsay, CH 2015 I 27.11.) "Wie mich das ankotzt, immer in diesen Klopfenstein-Filmen herumzuhängen": Max (Max Rüdlinger) ist der Inbegriff eines jammernden Zauderers, der vom Ausbruch aus bürgerlichen Konventionen träumt, den Mut dafür aber nicht aufbringt. Wir kennen ihn aus den Filmen Klopfensteins, wo er zusammen mit Christine (Christine Lauterburg) und Polo (Polo Hofer) dazu verdammt ist, ewig herumzugeistern. Marcel Derek Ramsay schafft mit DER MEISTER UND MAX ein vergnügliches Film-Recycling aus dem gesammelten Werk Klopfensteins, das auf wundersame Weise einen ganz neuen Film ergibt, den verschmitzten Atem Klopfensteins immer spürbar. Eine liebevolle Hommage und Verbeugung an den Meister. TRANSES – REITER AUF DEM TOTEN PFERD (Clemens Klopfenstein, CH 1979–82, 27.11.) beschreibt mit der Kamera das berauschende Gefühl des Davonfahrens. Lange Aufnahmen aus einem Auto und später aus Zügen, quer durch den europäischen Kontinent, von Norden nach Süden, durch Schneenächte, Regennächte, Wolkennächte, durch Orte hindurch, hinein in eine Landschaft fernab einengender Zivilisation üben eine befreiende Faszination auf den Zuschauer aus. Clemens Klopfenstein hat Landschaften für seine nächtlichen Streifzüge aufgesucht, die wenn auch nicht menschenleer, so doch noch immer unverstellte Landschaften sind: Orte der Einsamkeit, die den Menschen zu sich selbst bringen. TRANSES ist eine subjektive Kamerareise zwischen Trance und Schwebezustand, eine Weiterentwicklung von GESCHICHTE DER NACHT. Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung der Schweizerischen Botschaft. Mit Dank an Cinémathèque Lausanne, Stiftung memoriav, Stiftung eikones, Edition Grumbach, Lichtspiel-Archiv, Cinema Copain Group.