Direkt zum Seiteninhalt springen
BRONENOSEZ POTEMKIN (Panzerkreuzer Potemkin, Sergej Eisenstein, Sowjetunion 1925, 1. & 4.5.) Für seinen Revolutionsfilm – eine Auftragsarbeit, mit der das 20-jährige Jubiläum der Meuterei auf einem zaristischen Kriegsschiff vor Odessa im Jahre 1905 gefeiert werden sollte – wählte Eisenstein die Struktur der klassischen Tragödie in fünf Akten, denen er jeweils Überschriften verlieh: "Menschen und Würmer", "Drama (in der Bucht) von Tendra", "Der Tote ruft", "Die Treppe von Odessa" und "Begegnung mit dem Geschwader". Ausgangspunkt bilden die Matrosen an Bord der Potemkin, die sich gegen die schlechte Behandlung und die unwürdigen Lebensbedingungen an Bord wehren. Nach einer Meuterei können sie das Schiff unter ihr Kommando bringen und Odessa anlaufen. Als sich die Bevölkerung mit den Matrosen solidarisiert, greift die Obrigkeit ein und richtet auf der Treppe von Odessa ein Blutbad an. Doch die anrückende Schwarzmeerflotte weigert sich, die Potemkin zu beschießen. Eisenstein sah vor, die an verschiedenen Stellen des Schwarzweißfilms symbolträchtig gehisste rote Fahne in eben dieser Farbe zu kolorieren. Da bekanntermaßen die Geschichte von PANZERKREUZER POTEMKIN eine spektakuläre Zensurgeschichte ist, wurde auch der kämpferische Farbakzent jahrzehntelang unterschlagen. Wir zeigen die 2005 von Enno Patalas und Anna Bohn erarbeitete Restaurierung des Films, die sich in vielerlei Hinsicht (Meisel-Musik, "Original"-Zwischentitel, Trotzki-Zitat) an die sowjetische Premierenfassung annähert und dementsprechend auch die Fahne wieder in leuchtendem Rot wehen lässt LE MÉPRIS (Die Verachtung, Jean-Luc Godard, F/I 1963, 3. & 6.5.) Der Regisseur einer Odysseus-Verfilmung (Fritz Lang), dessen unzufriedener Produzent (Jack Palance), der Drehbuchautor Prokosh (Michel Piccoli), der das zugrundeliegende Drehbuch umschreiben soll und seine sich im Verlauf des Films von ihm abwendende Ehefrau Camille (Brigitte Bardot): In Godards Film über das Filmemachen und die Welt des Films kreisen vier Protagonisten in wechselnden Beziehungen, Zweikämpfen, Differenzen und Trennungen umeinander. Der Film folgt dabei einer beeindruckenden Farbdramaturgie: Braun, Gelb und Grün grundieren die Außenaufnahmen, Rot, Blau und Weiß akzentuieren die Innenräume – beides umgeben von tiefblauen Himmel- und Meertönen. Die Vielzahl von (Farb-)Zitaten und Anspielungen, Dopplungen und Brechungen machen den Film zu einem Dokument unermüdlicher (Selbst-)Reflexion. BLUE (Derek Jarman, GB 1993, 5. & 12.5.) "Wer den Film sieht", sagt Jarman, "erkennt, dass Rot und Gelb nicht funktionieren würden. Gelb ist die wahre Farbe der Krankheit. Und Rot ist zu aufwühlend und schwierig. Blau trägt Hoffnung in sich, immer. Es wird nie zu rührselig." Folglich 74 Minuten Blue Screen: Die monochrome Leinwand zieht den Blick des Zuschauers in das Nichts der Farbe Blau. Nachhaltig zeigt Jarman in seiner Auseinandersetzung mit dem Tod, dass sich die Existenz der Krankheit nicht im Bild beweisen muss. Zu hören sind Meeresrauschen, Stimmen, darunter vorwiegend die Jarmans (aber auch John Quentin, Nigel Terry und Tilda Swinton), Geschichten, Gedichte und Dialoge aus seinem Leben nach seiner HIV-Infektion. Ein Vermächtnis, die letzten Worte eines großen Bildererzählers, der seine Sehkraft verloren hat. IL DESERTO ROSSO (Die rote Wüste, Michelangelo Antonioni, I/F 1964, 7.5. & 9.5.) Die an ihrer lieblosen Ehe verzweifelnde Giuliana (Monica Vitti) findet nach einem Unfall nicht wieder in ihr alltägliches Leben zurück. Sie leidet an Angstzuständen und kann sich nicht mehr um ihren kleinen Sohn kümmern. Der Umgebung, wie sie sie wahrnimmt, wurde jegliches Leben ausgetrieben. Sie besteht aus kalten Innenräumen und zerstörten Industrieanlagen. Ihre Eindrücke verwandeln sich in apokalyptische Visionen des Verfalls. Eine komplexe Farbdramaturgie, gebrochenes Licht und vor allem die intensiven Rottöne bilden die farbliche Textur für diesen Film über Wahrnehmungsverschiebungen und Realitätsverlust. MIES VAILLA MENNEISYYTTÄ(Der Mann ohne Vergangenheit, Aki Kaurismäki, Finnland/Deutsch-land/Frankreich 2002, 8. & 15.5.) Ein Mann wird von Räubern halb totgeprügelt, kehrt jedoch wundersam ins Leben zurück – er hat allerdings jede Erinnerung verloren. Ohne Identität, ohne Vergangenheit und ohne Gedächtnis, aber mit Kopfverband fängt er in einem Wohncontainer unter Obdachlosen und Outlaws, aber behütet von den Engeln der Heilsarmee, ein neues Leben an. Er pflanzt Kartoffeln, erlebt einen skurrilen Banküberfall und findet sein Liebesglück mit Irma (Kati Outinen). Nach "Juha" (1998), seiner in kontrastreichem Schwarzweiß gehaltenen Hommage an den Stummfilm, erzählt Kaurismäki hier in satten, kräftig leuchtenden Farben von der Solidarität unter Ausgegrenzten und vom Bewahren der Würde, ohne dabei pathetisch zu werden oder seine Leichtigkeit und stoische Lässigkeit einzubüßen. NOSFERATU, EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (F.W. Murnau, D 1921, 11. & 13.5., am Klavier: Eunice Martins) Bereits lange vor Einführung des Farbfilms experimentierten die Pioniere des Kinos mit Farben im Film: Hand- und Schablonenkolorierungen, Virage (monochrome Einfärbung) und Tonung (chemische Umwandlung des Filmmaterials) brachten Farben in das frühe Kino. Murnaus Dracula-Verfilmung läuft in einer viragierten Fassung, deren Farbdramaturgie den damaligen Usancen entsprach: Blau gehaltene Szenen deuteten nächtliche oder Außen-Szenen an, gelbe Virage stand für Innenaufnahmen, Rot symbolisierte Gefahr, Feuer oder auch Liebe, während die grüne Farbe auf Natur verwies. Vor allem Murnaus Naturszenen attestierte Béla Balász "den kalten Luftzug aus dem Jenseits", den auch die Frau des Maklers Hutter verspürt, als sie erfährt, dass ihr Mann auf Dienstreise nach Transsylvanien reisen muss. In der Nacht nach Hutters Ankunft wird nicht nur der Vertrag unterzeichnet, auch zeigt sich das wahre Naturell des Geschäftspartners. JOHNNY GUITAR (Nicholas Ray, USA 1954, 14. & 16.5.) Grüne oder rote Halstücher auf tiefschwarzen oder grellgelben Blusen, glänzend lilarote Negligés, (blass)rote Hemden, glühendrote Felsen, ein farbenprächtiger Nachthimmel – mit den leicht künstlichen Farben des relativ kurzlebigen Trucolor-Materials kleidet Ray seine Protagonisten ein, sowie die Räume und Landschaften seines untypischen Western aus. Naturalismus war seine Sache nicht, eher ging es ihm um emotionale Stimmigkeit und Kohärenz. Im Mittelpunkt steht neben dem titelgebenden ehemaligen Revolverhelden Johnny (Sterling Hayden), der sich nunmehr als Gitarrist verdingt, seine ehemalige Geliebte und mittlerweile wohlhabende Saloonbesitzerin Vienna (Joan Crawford), in deren Etablissement er eines Tages (wieder) auftaucht. Ihrer erneuten Annäherung stellen sich ein eifersüchtiger Nebenbuhler, eine verbissene Rivalin, ein wütender Lynchmob, ein brennender Saloon und ein unkonventioneller shoot out in den Weg. TOUKI BOUKI (Djibril Diop Mambéty, Senegal 1973, 16. & 19.5.) Ein junges senegalesisches Paar träumt von einer Zukunft in Paris. Nach der Überwindung zahlreicher Widerstände müssen die beiden jedoch einsehen, dass ein Leben in Frankreich wohl nur mit einer vagen Hoffnung verbunden ist, die sich kaum erfüllen wird. -Djibril Diop Mambétys experimentelles Langfilmdebüt in den leuchtenden Farben der 70er Jahre ist Roadmovie, Episodenfilm, Initiationsgeschichte und Satire zugleich. Die Grenzen zwischen Realität und Imagination verlaufen fließend, Dokumentarisches und Fantastisches vermischen sich. Ein Meilenstein in der Geschichte des afrikanischen Kinos. SPIELBANK-AFFÄRE (Arthur Pohl, DDR/S 1957, Farbfassung: 17. & 26.5., Schwarzweiß-Fassung: 30.5.) Ende der 50er Jahre wird eine verdeckte ost-westdeutsche Koproduktion zum ideologischen "Farbexempel". Der mit opulenten Schauwerten und Drehorten aufwartende Kriminalfilm über die Machenschaften in einer westdeutschen Spielbank scheitert an den Hürden der DDR-Zensur: Es heißt, dass weder die Parteilinie adäquat vermittelt wird noch genügend Vertreter der Arbeiterklasse im Film figurieren, überhaupt sei die Bundesrepublik zu bunt. In der Folge wurde der Film in der DDR nur in einer Schwarzweiß-Fassung gezeigt. Wir präsentieren beide Fassungen des Films, der im Westen unter dem Titel PARKPLATZ ZUR GROSSEN SEHNSUCHT gestartet wurde. Im Mittelpunkt steht ein zwielichtiger Rechtsanwalt, der versucht, mit falschen Jetons und der Unterstützung einer nichtsahnenden jungen Frau die Spielbank eines Kurorts zu ruinieren. LOLA(R.W. Fassbinder, BRD 1981, 17. & 20.5.) West-Deutschland im Jahr 1957. Die Wirtschaft floriert in der nordbayrischen Kleinstadt, in der geschäftliche Beziehungen bevorzugt im örtlichen Bordell ausgehandelt werden. Ein neuer Baudezernent möchte die korrupten Machenschaften ans Licht bringen, kann seine moralische Überlegenheitsposition aber nicht halten, als er sich in die Prostituierte Lola verliebt. Der dritte grell-parodistische Teil einer Untersuchung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft gleicht einem Dialog zwischen den Farben Rot und Blau (Frau /Mann, Leidenschaft/Ordnung, Innen/Außen), die zunächst unversöhnlich aufeinandertreffen. Erst mit der aufkeimenden Beziehung zwischen dem integren Baudezernenten und der Prostituierten Lola wird die Farbordnung aufgelöst. ONE WAY BOOGIE WOOGIE / 27 YEARS LATER (James Benning, USA 2005, 18. & 31.5.) Ein Film über die Erinnerung und das Altern – auch das der Farben. 1977 drehte Benning ONE WAY BOOGIE WOOGIE, der aus 60 einminütigen Einstellungen von städtischen Gewerbegebieten in seiner Heimatstadt Milwaukee besteht. Um die Veränderungen festzuhalten, die seither stattfanden, kehrte er für 27 YEARS LATER an die alten Schauplätze zurück, wo er auch auf die Menschen von früher traf. Außer teilweise neu entstandenen städtebaulichen Strukturen und einigen Gebäuden, die abgerissen wurden, überrascht die Ähnlichkeit der Bilder. Der deutlichste Unterschied zwischen den Aufnahmen liegt indes in den verschiedenen Materialien, auf denen gedreht wurde: Der frühe Film, gedreht auf Ektachrome Commercial Kodak 7252 (einem feinkörnigen Umkehrfilm), verfügt über ein reiches Farbspektrum, während die Farbigkeit der Aufnahmen (Kodak 7245) von 2004 kühl, klar und realistisch geprägt ist und dem Film eine zeitgenössische Note verleiht. TO CATCH A THIEF (Alfred Hitchcock, USA 1955, 21. & 23.5.) Ein (Postkarten)Traum in Pastell – bereits in den ersten Minuten des Films fächert Hitchcock das gefällig-klischierte Farbspektrum der frühlingshaften Côte d’Azur auf und dekliniert es später bis in die Garderoben (Kostüme: Edith Head) der Protagonisten durch: Hellblau, Zartrosa, Lindgrün, ein Hauch von Grau . Wenn da nicht der nächtlich-drohende Grüntonschleier wäre, durch den die schwarze Katze über die Dächer von Nizza (wie der deutsche Verleihtitel verheißt) huscht, in ihrem Gefolge ein gefürchteter Juwelendieb, der die Schmuckschatullen der an der französischen Riviera ferienmachenden Hautevolee ausräumt. Den zu überführen hat sich – aus reinem Selbstschutz – der ehemalige Juwelenräuber Robie (Cary Grant) zur Aufgabe gemacht, zunächst skeptisch beäugt von der Millionenerbin Frances (Grace Kelly). Ein Technicolor-Fest, spannungsreich, parodistisch, gewohnt anspielungsreich: "What do you say?" –"My only comment would be highly censorable." FAR FROM HEAVEN (Todd Haynes, USA 2002, 22. & 25.5.) Eine subtile Hommage auf Douglas Sirk, die Technicolor-Farbpalette der 50er Jahre und eine beeindruckende Symbiose großer Bildeleganz und inhaltlicher Konfrontationslust in der Form eines stilsicher inszenierten Melodrams: Die Beziehung eines amerikanischen Vorzeige-Ehepaars Ende der 50er Jahre gerät ins Wanken, als der Ehemann (Dennis Quaid) seiner homosexuellen Veranlagung nachgibt und die Frau (Julianne Moore) ein Verhältnis mit einem Schwarzen eingeht. Der repressive Eisengriff gesellschaftlicher Konventionen steht in krassem Missverhältnis zu den emotionalen Sehnsüchten der Protagonisten. DUOLUO TIANSHI (Fallen Angels, Wong Kar-wai, Hongkong 1996, 27. & 29.5.) Richtungslos, ohne Geschichte und mit ungewisser Zukunft streifen ein junger Auftragskiller, seine Ex-Freundin und Agentin Punkie, ein stummer Kleinkrimineller und die redselige Cherry durch das nächtliche Neondickicht der Moloch-Metropole Hongkong. Dort, wo sich ihre Wege kreuzen, scheint das hektische Treiben der Stadt einen Moment stillzustehen, die grellen Lichter zu verblassen. Es sind Momente der Auflösung einer Stadt und ihrer Bewohner, umgeben von einem milchigen, unscharfen Farbnebel, mal grünlich, mal entfernt an Rot erinnernd – Farben als Echo, Farben aus zweiter Hand. HEAVEN CAN WAIT(Ernst Lubitsch, USA 1943, 28., 29. & 31.5.) Von der freundlichen Stimme, die im anfänglichen Voice-over den Film unschuldig als "romantic comedy" einführt, haben sich im besten Fall die amerikanischen Moral-Zensoren beirren lassen. Jedem anderen präsentiert sich Lubitschs vorletzte Arbeit und einziger Farbfilm als Feuerwerk anspielungsreicher Ironie bei höchst eleganter Schauspielerführung und üppiger Technicolor-Farb-Dramaturgie, die nicht selten die subversiven Nuancen des Films untermalt. Nach seinem Tod begehrt ein unverbesserlicher Playboy (Don Ameche) aufgrund seiner umfänglichen außerehelichen Fehltritte Eintritt in die Hölle. Gemeinsam mit dem Teufel (einem Gentleman alter Schule) lässt er sein Leben Revue passieren. (mg)

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)

Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds