THE TREE OF LIFE (Terrence Malick, USA 2011, 1. & 5.10.) Dem Unplanbaren, Unerwarteten und Mysteriösen Raum zu geben, war Ausgangspunkt der Zusammenarbeit zwischen Special-Effects-Pionier Douglas Trumbull und Regie-Maverick Terrence Malick. Den gewünschten Freiraum fanden die beiden in einer Art Alchemie-Labor, in dem mit unterschiedlichsten Substanzen und Flüssigkeiten experimentiert und chemische bzw. physikalische Vorgänge in extremem Zeitraffer aufgenommen wurden. Entstanden sind Effekte, die Trumbull folgerichtig als "organic" effects bezeichnet. Sie bilden die Grundlage der 22-minütigen "Urknall"-Sequenz, die einen Referenzpunkt der Handlung des Films bildet. Malick skizziert das familiäre Spannungsfeld des jungen Jack, der in den 1950er Jahren in der texanischen Provinz zwischen einer sanft-gütigen Mutter (Jessica Chastain) und einem strengen Vater (Brad Pitt) aufwächst. Das Familiengefüge gerät aus dem Lot, als Jacks Bruder im Vietnamkrieg ums Leben kommt.
BLACKMAIL (Alfred Hitchcock, GB 1929, 2. & 7.10.) Der turbulenten Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm verdankt sich, dass BLACKMAIL in einer stummen sowie in einer Tonfilm-Fassung existiert. Nachdem die Stumm-film-Version Anfang des Jahres im Arsenal präsentiert wurde, ist nun der Vergleich mit der vertonten Fassung möglich, in der sich sowohl Hitchcocks Experimentierfreude als auch sein dramaturgisches Verständnis für die Arbeit mit Ton zeigt. Zentrale Szene in beiden Fassungen ist die Verfolgungsjagd durch das British Museum, die einzig mithilfe des Schüfftan-Verfahrens tricktechnisch realisierbar war. Hitchcock hatte den Kameramann Eugen Schüfftan und dessen Spiegel-Tricktechnik während seiner Zeit bei der Ufa kennengelernt und kombiniert hier per Spiegel projizierte Museums-Interieurs und großformatige Exponate fast nahtlos mit den Studio-Settings. Der Showdown kreist um den Kleinkriminellen Tracy, der die junge Alice (Anna Ondra) und ihren Freund, einen Scotland-Yard-Polizisten, zu erpressen versucht.
FAUST – EINE DEUTSCHE VOLKSSAGE (F.W. Murnau, D 1926, am Klavier: Eunice Martins, 6. & 12.9.) Pyrotechnik, Überblendungen, Einkopierungen, animierte apokalyptische Menschheitsplagen-Reiterfiguren und nicht zuletzt Fausts Ritt auf Mephistos Mantel durch Zeit und Raum – Murnau durchwirkt diese erste deutsche Verfilmung des Faust-Stoffs mit vielerlei Special -Effects und verleiht der dämonischen Tragödie um Zauber, Täuschung, Schein und Sein eine überaus passende filmtrick-reiche visuelle Entsprechung. Um das Massensterben abzuwenden, bittet der Alchimist Faust (Gösta Ekman) den Teufel (Emil Jannings) um Hilfe. Der stellt ein Ende der Pest in Aussicht, verlangt im Gegenzug jedoch Fausts Seele. Dieser erklärt sich bereit und ist fortan an Mephisto gebunden, der den plötzlich wieder verjüngten Faust auf Reisen mitnimmt und ihm unterschiedlichen Vergnügungen zuführt.
CITIZEN KANE (Orson Welles, USA 1941, 8. & 15.10.) "Der Sinn des Films liegt nicht in seiner Auflösung, sondern in der Art und Weise seiner Darstellung." Welles' Hinweis liest sich – einmal mehr im Kontext der Magical History Tour – als ein Aufruf zur Betrachtung der Bildgestaltung seines filmischen Puzzle-Debüts, die ganz im Zeichen des Stichworts "Tiefenschärfe/Schärfentiefe" steht. Dabei sind die gestochenen Schärfen in allen Bereichen seiner immer wieder extrem in die Tiefen ragenden Kompositionen zum großen Teil im Optical Printer entstanden, d.h. in der Postproduktion durch Kombination von "Matte Paintings" (gemalten Hintergrundbildern) und Realaufnahmen. Das kühn verschachtelte, multiperspektivisch und fragmentarisch erzählte Psychogramm des Pressezaren James Foster Kane (Orson Welles) ist ein ebenso kühner Special-Effects-Großeinsatz.
Z32 (Avi Mograbi, I/F 2008, 9. & 13.10) Ein junger israelischer Elitesoldat erinnert sich: Zunächst im Dialog mit seiner Freundin, dann direkt in die Kamera, berichtet er, an der Tötung palästinensischer Polizisten beteiligt gewesen zu sein. Es geht um Schuld, Verantwortung, Verdrängung, Vergebung, aber auch um die Position des Filmemachers und die Suche nach einer Darstellungsform. Vor diesem Hintergrund wählt Mograbi das Verfremdungselement der digitalen Maskierung der Protagonisten des Films – ein effektvoller wie irritierend-unheimlicher Eingriff, der "versteckt, um zu enthüllen" (Avi Mussel, Special Effects).
WATER AND POWER (Pat O'Neill, USA 1989, 14.10.) O'Neills "Porträt" über Los Angeles und die Kräfte, die die Stadt bewegen, ist über einen Zeitraum von mehreren Jahren ohne Drehbuch und im zufälligen Zusammenspiel von Orten, Menschen und Situationen entstanden, fortlaufend am optical printer bearbeitet und von Animationen, Computergrafiken und Found Footage gerahmt. Zentrale Einstellungen zeigen den Stadtverkehr, das die Stadt umgebende Wüstengebiet und riesige Pipelines, die bewusstmachen, wie das Recht auf Wasser und politische Macht miteinander verflochten sind. Ein Film über Wasser in all seinen Aggregatzuständen und über Bewegungszyklen: die der Planeten, der Gezeiten, der Kamera um ihre eigene Achse und der sich wiederholenden Aktionen der Darsteller.
ROYAL WEDDING (Stanley Donen, USA 1951, 14. & 23.10.) Spielerisch, stilsicher, schwerelos – Fred Astaire hat sich wie kein zweiter Tänzer geradezu schwebend durch die Klassiker des Hollywood-Musicals der 30er, 40er und 50er Jahre getanzt. Einzig beim vollständigen Überwinden der Schwerkraft brauchte er Unterstützung vom Special Effects Department wie in Stanley Donens ROYAL WEDDING. Mithilfe eines um 360 Grad drehbaren Raums, festverschraubten Möbeln und einer sich mitbewegenden Kamera konnte der Eindruck des an den Wänden und kopfüber an der Decke tanzenden Astaires erweckt werden. "You are all the world to me!" ist der Titel der so zentralen wie spektakulären Gesangs- und Tanznummer des lose auf Astaires Leben Bezug nehmenden Musicals. Im Mittelpunkt steht ein singendes und tanzendes Geschwisterpaar auf Tournee in England. Beide begegnen hier ihrer großen Liebe, was die gemeinsame Karriere auf den Prüfstand stellt.
L'ANGLAISE ET LE DUC (Die Lady und der Herzog, Eric Rohmer, F 2001, 16. & 25.10.) "Ich bin der Überzeugung, dass der Einsatz eines extrem sichtbaren Kunstgriffs Wahrhaftigkeit verleiht." (E.R.) Zahlreiche großformatige gemalte Hintergrundszenerien – Pariser Straßenszenen, Gassenansichten, Schlossplätze und Landschaftspanoramen – bilden den kunstvoll in seiner Künstlichkeit zur Schau gestellten Hintergrund des sich im Vordergrund abspielenden "Revolutionsdramas" um die schottische Kurtisane Grace Elliot, deren Loyalität zum französischen König und tiefe Freundschaft zu einem revolutionären Herzog sie in das Räderwerk der Französischen Revolution geraten lassen. Ein trotz aller Üppigkeit der Dekors zurückhaltender und dabei äußerst faszinierender Geschichtsentwurf.
LUNCH BREAK (Sharon Lockhart, USA 2008, 19. & 25.10.) 42 Arbeiter in der historischen Schiffswerft Bath Iron Works in Maine während ihrer Mittagspause, einem kurzen Atemholen im betrieblichen Arbeitsprozess. Schauplatz ist ein Korridor, der sich nahezu über die ganze Schiffswerft erstreckt. Der mit Spinden gesäumte Gang scheint nicht nur ein Knotenpunkt für betriebliche Abläufe zu sein, sondern auch als sozialer Treffpunkt zu dienen. Hier kommen die Arbeiter zusammen, essen, lesen, reden, schlafen. Langsam, in extremer Zeitlupe bewegt sich die Kamera den Gang entlang und ermöglicht das genaue Beobachten der Protagonisten sowie ein Nachdenken über Repräsentationsstrategien von Arbeitsprozessen.
THE THIEF OF BAGDAD (Berger, Powell, Whelan, Korda, Menzies, GB/USA 1940, 21. & 30.10.) Ein Film der Schauwerte, opulenten Ausstattungen, bilderbuchbunten Farben und der Oscar-prämierten Spezialeffekte: darunter ein sich riesig aufbäumender Flaschen-Geist, ein fliegender Teppich und ein durch die Luft galoppierendes Pferd samt Reiter. Im Bereich der visuellen Effekte wurde kein Aufwand gescheut und nebenbei auch das Travelling-Matte-Verfahren perfektioniert, bei dem mit "Wandermasken" Bildteile kaschiert werden, um später andere Bildteile einzumontieren. Auch die Regie-Riege von fünf (!) Regisseuren vermittelt einen Eindruck vom Produktionsumfang bzw. den Fliehkräften des Großprojekts um einen rechtmäßigen Kalifen, der von seinem Großwesir verraten, verhaftet und geblendet wird, seine geliebte Prinzessin aber schließlich dennoch mithilfe eines jungen Diebes und einer Kaskade von Wundern, Tricks und Fügungen in die Arme schließen kann.
METROPOLIS (Fritz Lang, D 1926, 22. & 28.10., restaurierte Fassung mit der Musik von Gottfried Huppertz) Versklavte Arbeiter in der lichtlosen Unterstadt und eine sich in Luxus ergehende Gesellschaft in der Oberstadt bilden die Gegenpole in Langs utopisch-gigantischer Zukunftsvision. Die Visualisierung des Molochs verdankt sich dem von Kameramann Eugen Schüfftan entwickelten, den Namen seines Erfinders tragenden Verfahren, bei dem Modelle wie hier Wolkenkratzer, Flugzeuge und Straßenkonstruktionen in Realszenen im wahrsten Sinne des Wortes eingespiegelt wurden. Die ausgeklügelten Special Effects machten nicht nur Schüfftan international bekannt und revolutionierten die Filmtricktechnik, sie trugen auch zum überwältigenden Produktionsaufwand des Films bei: 17-monatige Drehzeit, 1,3 Millionen belichtete Filmmeter, 36.000 Komparsen und ein Gesamtbudget von sechs Millionen Mark.
Filme von Ken Jacobs (26.10.) Die Auseinandersetzung mit den Mechanismen des bewegten Bildes, das Verhältnis von Fläche und Tiefe im Kino sowie die Untersuchung von Seh-, Wahrnehmungs- und Kinoerfahrungen stehen im Mittelpunkt der filmischen Arbeiten des amerikanischen Experimentalfilmregisseurs Ken Jacobs. Zahlreiche seiner frühen Filme entstanden an der optischen Bank. Seit einigen Jahren hat sich Jacobs den digitalen Bildbearbeitungsmöglichkeiten zugewandt, in denen er u.a. Momentaufnahmen zeigt, "die sich in der Tiefe bewegen, ihre Bewegungen nie wiederholen, sie aber für immer im Raum fortsetzen; zweifellos eine Tiefe ohne 3D-Technologie, die jeder mit nur einem Auge erfassen kann". Wir zeigen vier seiner Arbeiten aus zwei Jahrzehnten: OPENING THE NINETEENTH CENTURY: 1896 (USA 1990), THE GEORGETOWN LOOP (USA 1995), CAPITALISM: CHILD LABOR (USA 2006), SEEKING THE MONKEY KING (USA 2011). (mg)