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BANSHUN (Später Frühling, Yasujiro Ozu, Japan 1949, 2. & 11.8.) Die herausragende erste von sechs Zusammenarbeiten zwischen Ozu und Hara und Auftakt zur sog. Noriko-Trilogie. Hara spielt hier die unverheiratete Tochter Noriko, die mit 27 Jahren noch bei ihrem verwitweten Vater (Chishu Ryu) lebt. Aus Sorge über die Zukunft seiner Tochter ermutigt er sie zu heiraten. Sie lehnt entschieden ab und möchte am vater-töchterlichen Zusammenleben und ihrer innigen Verbundenheit festhalten. Erst mit einem Trick gelingt es dem Vater, seine Tochter zur Heirat zu bewegen. Ozus sensible und anrührende Alltags- und Menschenstudie ist durchdrungen vom Bewusstsein der unvermeidlichen Flüchtigkeit des Lebens – dem klassischen japanischen Stimmungsbild und ästhetischen Leitbegriff "mono no aware", das sich in Ryus, aber vor allem auch in Haras Mimik und Lächeln im Verlauf des Films immer nachhaltiger einschreibt. Ein virtuoses Melodram der Reduktion. ANJO-KE NO BUTOKAI (The Ball at Anjo House, Kozaburo Yoshimura, Japan 1947, 4. & 7.8.) Setsuko Hara tanzt Tango! Ein verlassener Ballsaal, schwach beleuchtet, eine Waffe – mit einer kleinen, aber wie oft bei Hara symbolreichen Geste fordert Atsuko (Hara) ihren Vater zum Tango auf. Damit rettet sie ihn vor dem Abgrund, lässt ihn sein Gesicht wahren und übergibt ihm noch einmal die Führung, bevor das Leben der gesamten aristokratischen Anjo-Familie einer ungewissen Zukunft entgegengeht. Hinter ihnen liegt ein rauschendes Fest, mit dem die Anjos Abschied genommen haben, von ihrem Haus und ihrem gesamten Besitz, der im unmittelbaren Nachkriegsjapan an die amerikanische Besatzung fällt. Der materielle Ruin setzt einen Schlusspunkt unter den bereits zuvor begonnenen menschlichen Ausverkauf der Familie. Einzig Atsuko ist in der Lage, sich den Herausforderungen der gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen zu stellen: Das letzte Bild gilt ihr allein, lächelnd als "neuem Frauentyp Japans". Kopie aus der Sammlung des National Film Centers des National Museum of Modern Art (Tokio) KOCHIYAMA SOSHUN (Priest of Darkness, Sadao Yamanaka, Japan 1936, 5. & 12.8.) Setsuko Hara in einer ihrer ersten Rollen. Auffälllig ausgeleuchtet und mit einer Reihe von genre-untypisch glamourösen Close-ups immer wieder in den Mittelpunkt gerückt, spielt die 15-jährige die junge Onami, die vor einem Tempel im Edo (heute Tokio) des 19. Jahrhunderts einen gut gehenden Verkaufsstand betreibt. In unmittelbarer Nähe ihres Standes wird der wertvolle Dolch eines Samurai gestohlen, was eine Reihe von Ereignissen in Gang setzt, die u.a. dazu führen, dass sich Onami als Prostituierte an einen Ganoven verkaufen muss. Um dies zu verhindern, tritt der titelgebende Kochiyama Soshun auf den Plan. Es kommt zu einer atemberaubenden Verfolgungsjagd durch beeindruckend tiefenscharfe Seitengässchen. MESHI (Repast/A Married Life, Mikio Naruse, Japan 1951, 5. & 17.8.) "I had hopes and dreams before. Where did they go?" Fünf Jahre Eheleben, Geldsorgen, Geringschätzung und das eintönige Hausfrauendasein haben an Michiyo (Hara) genagt: Lächeln und Zuneigung hat sie nur für die Katze übrig. Ernüchterung und Gereiztheit grundieren die häusliche Atmosphäre. Zuflucht bei ihrer Familie in Tokio suchend, unternimmt Michiyo vorsichtige Schritte in Richtung Unabhängigkeit. Am Ende des Films steht alles andere als die wiedergefundenen Hoffnungen und Träume der Protagonistin: eher die Erkenntnis der Unausweichlichkeit von Enttäuschungen und der Gleichförmigkeit des Lebens. Naruses Melodram bot Hara die Möglichkeit, wenigstens punktuell aus ihrer üblichen Rolle der treusorgenden Tochter, Ehefrau oder Mutter herauszutreten: Als (jeweils grandios gespielte) ungeduldige Ehefrau, auch mal spitzzüngige Tante oder zuweilen phlegmatische Tochter zeigt sie für die Hara-screen-persona uncharakteristische Verhaltensformen, die das Ende des Films (je nach Lesart kommerziell diktiert, reaktionär oder ironisch gemeint) indes konterkariert. TOCHTER DES SAMURAI (Atarashiki tsuchi, Arnold Fanck, D/Japan 1936, 8.8.) In der Zwischenzeit 16 Jahre alt, wird Hara für eine deutsch-japanische Propaganda-Produktion verpflichtet: Die blutjunge Mitsuko (Hara) hat acht Jahre auf den ihr versprochenen Teruo gewartet. Der hat in der Zwischenzeit in Deutschland studiert und lehnt die traditionelle japanische Eheanbahnung ab. Als Tochter eines Samurai, die in Bogenschießen, Shamisen-Spiel und Ikebana unterrichtet wurde, beschließt sie, sich in einen Vulkankrater zu stürzen. Ganz in seinem Element inszenierte der für seine Bergfilme berühmte Fanck ihren waghalsigen Aufstieg in großer Ausführlichkeit. Wir zeigen die (einzig verfügbare) stark gekürzte, im propagandistischen Gehalt zur Ader gelassene, dabei in der Verallgemeinerung der japanischer Kultur noch grobkörnigere Fassung. Mal kindlich-naiv umgeben von Rehkitzen, mal konzentriert beim Schwertkampf oder auch beim Deutschlernen ist Hara auch hier schon an den Modulationen ihres Lächelns zu erkennen. OJO-SAN KANPAI! (Here's to the Girls, Keisuke Kinoshita, Japan 1949, 10. & 12.8.) Geld, Liebe und der Clash zwischen zwei unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stehen im Mittelpunkt dieser Komödie und einzigen Zusammenarbeit zwischen dem vielseitigen Kinoshita und Hara, die hier erneut als Tochter aus gutem Hause zu sehen ist. Über einen Heiratsvermittler soll die Verbindung zum neureichen Autohändler Keizo herbeigeführt werden, der aus einfachen Verhältnissen stammt. Keizo fühlt sich vom Angebot des Vermittlers geschmeichelt, bis er den Hintergrund der Zweckheirat erfährt: Sein Geld soll den Lebensstandard der mittlerweile verarmten Familie sichern. Hara zeigt sich so strahlend wie wandlungsfähig als Tochter, die sich zunächst für das Wohlergehen der Familie zu opfern bereit ist, sich dann aber aus dem Zugriff der Tradition befreit und den eigenen Gefühlen folgt. SHU-U (Sudden Rain, Mikio Naruse, Japan 1956, 11. & 22.8.) MESHI unter umgekehrten Vorzeichen: Nach vier Jahren Eheleben hat die Beziehung zwischen Fumiko (Hara) und Ryotaro (Shuji Sano) einen Tiefpunkt erreicht. Kleinigkeiten führen zu größeren Auseinandersetzungen. Trist und rau ist das Leben in der Tokioter Vorstadt, die Naruse detailgenau in seinen düsteren Eheszenen beschreibt. Entfremdung, Egoismus und Konsumverhalten als Phänomene der Großstadt beherrschen das Klima in der japanischen Nachkriegsgesellschaft, der Fumiko sich weder erwehren noch entziehen kann. Der titelgebende plötzlich einsetzende Regen fungiert als Impulsgeber aus der Routine, aus Verfahrenheit und Gleichtönigkeit, vergleichbar mit Haras zaghaftem Lächeln, das hier ebenso die Möglichkeit der Veränderung andeutet. TOKYO MONOGATARI (Die Reise nach Tokio, Yasujiro Ozu, Japan 1953, 14. & 20.8.) "Isn't life disappointing?" In Ozus melancholischem Abgesang auf den Mythos der japanischen Familie findet Setsuko Hara die adäquate Form, die einzig mögliche Antwort auf diese Frage. Vollkommen ruhig, ohne Verbitterung oder Verlegenheit, mit einem übersprungsfreien Lächeln, sagt sie: "Yes, it is." Die beiden Dialogzeilen in Kombination mit Haras Spiel nähern sich dem Kern von Ozus/Haras berühmtester Zusammenarbeit, in der Hara die verwitwete Schwiegertochter eines älteren Ehepaars spielt, das während eines Besuchs bei den Kindern und Enkeln in Tokio feststellt, dass sich die Familie auseinandergelebt hat. Von den eigenen Kindern abgeschoben, finden die Eltern Wärme und Zugewandtheit einzig bei Noriko, die nach dem Tod ihres Mannes zurückgezogen ein bescheidenes Dasein führt. Ein großartiges Meisterwerk des japanischen Kinos, von Setsuko Hara mit äußerstem Feingefühl und auf das Wesentliche komprimiert getragen. HAKUCHI (Der Idiot, Akira Kurosawa, Japan 1951, 16. & 18.8.) Dokument einer Verehrung für Dostojewski, auf dessen gleichnamigem Roman der Film beruht. Behutsam verlegt Kurosawa, der den russischen Autor seit seiner Jugend schätzte, den Schauplatz der literarischen Vorlage auf die verschneite Insel Hokkaido und platziert die Figuren in eine bürgerliche Mittelschicht der Nachkriegszeit. Hier entfaltet sich in zwei Teilen ein melodramatischer Reigen um Liebe und Mitleid, Großmut und Eifersucht. Beeindruckendes Leitmotiv ist der Schnee, der die Szenerie in eine irreale Welt überführt, die wie die Dostojewskische Seelenlandschaft anmutet. Zwischen den "Norikos" bei Ozu und Hara als Taeko in HAKUCHI liegen Welten: strahlend, zugewandt, warm dort, unerbittlich, kalt und unergründlich hier. MUSUME TSUMA HAHA (Daughters, Wives, and a Mother, Mikio Naruse, Japan 1960, 17. & 21.8.) Die Witwe Aki lebt mit zweien ihrer fünf Kinder unter dem Dach eines – recht geräumigen – Tokioter Vorstadthauses. Mit einem beträchtlichen Erbe kehrt auch die gerade verwitwete Schwester Sanae (Hara) wieder nach Hause zurück, kann dieses aber weder finanziell noch emotional retten: Die Familie löst sich auf. Ein Ensemble-Film mit Staraufgebot (u.a. mit Ken Uehara, Chishu Ryu und Takamine Hideko), aus dem Hara dennoch hervorsticht: Immer im traditionellen Kinomo gekleidet und auf Kollisionskurs mit der modernen Welt, heiratet sie den altmodischen Goyo aus Kyoto, zu dem auch ihre Mutter ziehen soll. Diese zieht jedoch ein Altersheim vor, so dass Sanaes Selbstverständnis, eine gute Tochter zu sein, ungenutzt verpufft. In der schönen, neuen Welt scheint ihre Selbstlosigkeit ein Fremdkörper, einmal mehr verloren in den prächtigen Farben und im Cinemascope-Format von Naruses letzter Arbeit mit Setsuko Hara. BAKUSHU (Early Summer, Yasujiro Ozu, Japan 1951, 24. & 27.8.) Ein Nicht-Drama, ein leiser, steter Fluss alltäglicher Ereignisse: Noriko (Hara) geht zur Arbeit, trifft ihre Freundinnen, soll verheiratet werden, heiratet einen anderen – einen Witwer mit Kind –, zieht fort, wie auch die Eltern, die in das Haus eines Onkels übersiedeln. Minimale Bewegungen mit maximaler, wenn auch untergründiger Konsequenz: Hinter der vermeintlich einfachen Geschichte verbirgt sich eine komplexe Untersuchung des sachten Auseinanderbrechens eines Drei-Generationen-Haushalts. Noriko, mal leicht und strahlend, mal abwägend und nachdenklich, unterläuft als "moderne" junge Frau das Konzept der arrangierten Ehe, selbstbestimmt und ihre Eigenständigkeit verteidigend – ganz ohne Drama, mit minimaler Bewegung. AKIBIYORI (Late Autumn, Yasujiro Ozu, Japan 1960, 25. & 30.8.) In Ozus drittletztem Film wechselt Hara nicht nur in die Mutterrolle, sondern zugleich auf die "andere Seite" einer Beziehungsstruktur, die sie in BANSHUN bereits aus der Tochter-Perpektive darstellte. Ayako, die einzige Tochter, soll heiraten, will sich jedoch nicht aus der liebevollen Beziehung zur Mutter Akiko (Hara) lösen. Ein Missverständnis, das nie aufgeklärt wird, bringt Dissonanz und Ayako dazu, eine Heirat in Betracht zu ziehen, ein neues Leben zu beginnen. Die Mutter bleibt allein zurück. Der phasenweise burleske Ton des Films sowie die strahlenden Herbstfarben umfassen Ozus filmisches Leitmotiv vom Wandel und der Flüchtigkeit der Dinge, das in Haras Rollenverschiebung von der Tochter- zur Mutterfigur ein unübersehbares Echo findet. KOHAYAGAWA KE NO AKI (Early Autumn, Yasujiro Ozu, Japan 1961, 29. & 31.8.) "New Japan" – das grelle Neonschild im Reklamedschungel eines Vergnügungsviertels zu Beginn des Films ist durchaus programmatisch zu verstehen. Die Moderne ist längst in Japan angekommen, Traditionen dienen bestenfalls dazu, die Fassade zu stützen. Ozus und Haras letzte Zusammenarbeit – zwei Jahre später stirbt Ozu, und Hara gibt völlig unerwartet und kategorisch ihren Beruf als Schauspielerin auf – beginnt als verzweigtes, um komödiantische Elemente angereichertes Fresko einer Großfamilie. Die schlecht gehende Sake-Brennerei der Familie soll gerettet werden, ein zweiter Frühling wird genossen, Lebensentwürfe werden diskutiert. Mit dem Tod des Familienoberhaupts geht leise und wehmütig eine Ära zu Ende. Und eine nächste beginnt: Für Akiko (Hara), die verwitwete Tochter des Verstorbenen, öffnet sich eine Welt der Freiheit und Selbstbestimmung – "New Japan"! (mg) Eine Reihe mit Unterstützung des Japanischen Kulturinstituts (The Japan Foundation) Köln und Tokio/Angela Ziegenbein (Köln), Hiromitsu Takaha (Köln), Yuri Kubota (Tokio) sowie des Na-tional Film Center des National Museum of Modern Art (Tokio) und von Shochiku Co./Azusa Taki (Tokio). Besonderer Dank an Kanako Hayashi (Tokyo FilmEx).

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