DEUX OU TROIS CHOSES QUE JE SAIS D'ELLE (Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß, Jean-Luc Godard, F 1967, 8.1., Einführung: Volker Pantenburg & 14.1.) liegt Godards Auffassung zugrunde: "Um heutzutage in der Pariser Gesellschaft leben zu können, muss man sich auf die eine oder andere Art prostituieren bzw. nach Gesetzen leben, die an solche der Prostitution erinnern". Das Pronomen ELLE (dt. "sie") des Titels bezieht sich dabei weniger auf die Protagonistin Juliette (Marina Vlady), deren Alltag als Ehefrau, Mutter und Gelegenheitsprostituierte der Film skizziert, sondern vielmehr auf die Region Paris, die "Brutalität des Neokapitalismus", die Zirkulation von Ideen, die Hochhaussiedlungen der Banlieue, die Prostitution und ein halbes Dutzend weiterer Themenfelder, die Godard im Trailer zum Film auflistet. Juliette spricht frontal in die Kamera von ihrer Situation, der Verstrickung ins kapitalistische System, Godard kommentiert flüsternd aus dem Off. LES PARAPLUIES DE CHERBOURG (Die Regenschirme von Cherbourg, Jacques Demy, F/BRD 1964, 10. & 23.1.) Eineinhalb Jahre benötigte Mag Bodard, um das nötige Geld für ein Projekt zu beschaffen, das kein anderer Produzent finanzieren wollte: "Die erste Volksoper, die für den Film geschrieben wurde" (Jacques Demy), mit gesungenen, gut verständlichen Dialogen. Cherbourg, November 1957: Die 18-jährige Geneviève (Catherine Deneuve), die Regenschirme im Geschäft ihrer Mutter verkauft, liebt den Automechaniker Guy. Die erste Liebesnacht bedeutet gleichzeitig den Abschied von ihrem zum Kriegsdienst in Algerien einberufenen Liebhaber. Von ihrer Mutter wird die schwangere Geneviève zur Heirat mit einem wohlhabenden Juwelier gedrängt. Jacques Demy machte durch die aufwendige Farbdramaturgie aus Cherbourg einen märchenhaften Ort. Der Film wurde in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und verhalf Mag Bodard, Jacques Demy sowie der 19-jährigen Catherine Deneuve zu Berühmtheit. Wir zeigen die restaurierte Fassung. AU HASARD BALTHAZAR (Zum Beispiel Balthasar, Robert Bresson, F/Schweden 1966, 9. & 26.1.) Jacques Demy, Jean-Luc Godard und François Truffaut überzeugten Mag Bodard mit vereinten Kräften zur Finanzierung von Robert Bressons ungewöhnlichem Projekt, einen Esel zum Protagonisten eines Spielfilms zu machen. Anhand der Titelfigur, dem Esel Balthazar, sowie des Schicksals seiner Besitzer schildert Bresson den Zyklus des Lebens: Als Balthazar klein ist, umgibt ihn Zärtlichkeit; Kinder spielen mit ihm und geben ihm seinen Namen. Später bestimmt harte Arbeit auf einem Bauernhof sein Dasein. Er wird gepeitscht, tritt dressiert im Zirkus auf, trägt bei einer Prozession die Reliquien und stirbt, als Lasttier eines Schmugglers, von einer Kugel getroffen auf einer Bergwiese inmitten einer Schafherde. Bressons thematisch reichste Arbeit ist der am weitesten deutbare seiner Filme. „Jeder, der diesen Film sieht, wird absolut erstaunt sein, denn dieser Film ist wahrhaftig die Welt in anderthalb Stunden.“ (Jean-Luc Godard) UNE FEMME DOUCE (Die Sanfte, Robert Bresson, F 1969, 13. & 15.1.) Mag Bodard ermöglichte Robert Bresson die produktivste Schaffensphase seiner Karriere. Von den insgesamt 13 Filmen, die er im Laufe von 40 Jahren drehte, realisierte er drei innerhalb von vier Jahren: AU HASARD BALTHAZAR, "Mouchette" und UNE FEMME DOUCE. Frei nach Dostojewskis Novelle "Die Sanfte" rekonstruiert Robert Bresson in seinem ersten Farbfilm die Beziehung einer namenlosen Frau aus armen Verhältnissen zu einem Pfandleiher im Paris der 60er Jahre. Am Beginn des Films steht der Freitod der jungen Frau; in einem der eindrücklichsten Bilder Bressons schwebt ihr Schal vom Balkon, von dem sie sprang. Neben der aufgebahrten Toten rekapituliert ihr Mann die gemeinsame Geschichte: das Kennenlernen im Leihhaus, die Hochzeit, das ritualisierte Alltagsleben, ihr Protest gegen sein Bestreben, sie in seine Lebensweise einzupassen: "Ich will etwas Größeres, Weiteres." – "Ich will ein sicheres, gefestigtes Glück." Aufkommende Eifersucht, Entfremdung, Krankheit, Versuche der Wiederannäherung und schließlich der unerwartete Sprung, der Schal im Wind. PAUL (Diourka Medveczky, F 1969, 9. & 15.1.) Durchtränkt vom Geist des Jahres 1968 erzählt Diourka Medveczky, Bildhauer und Ehemann von Bernadette Lafont, in ruhigen Bildern und mit einem Minimum an Dialog von Rückzugsversuchen junger Menschen aus der Konsumgesellschaft. Paul (Jean-Pierre Léaud) verlässt sein bürgerliches Elternhaus und Paris, um sich einer vegetarischen Gemeinschaft um den „Pilger“ Yvan (Jean-Pierre Kalfon) in den Cevennen anzuschließen. Dort kennt man keine Hast, trägt einheitliche dunkle Gewänder, lange Haare und die Männer Bärte. Doch gemeinschaftliches Pilze sammeln und Eier stehlen ist auf Dauer nicht für alle befriedigend. Yvan nutzt den Erlös einer gestohlenen Ziege, um sich allein im Restaurant mit riesigen Steaks den Bauch vollzuschlagen, woraufhin sich seine Gefährtin Marianne (Bernadette Lafont) und Paul von der Gruppe absetzen. Auf einer einsamen bretonischen Insel wähnen sie sich fernab der Zivilisation. Das Auftauchen einer Gruppe von Geschäftsleuten verheißt nichts Gutes. Medveczkys erster Langfilm blieb seine letzte filmische Arbeit. Trotz einiger Festivaleinladungen, Auszeichnungen und positiver Besprechungen fand der Film keinen Verleih und wurde nie im Kino gestartet. LE BONHEUR (Agnès Varda, F 1965, 17. & 28.1., Einführung: Stefanie Schlüter) Das titelgebende Glück wird mit leuchtenden Farben, Sonnenblumen und Musik von Mozart eingeführt. Das junge Ehepaar François und Thérèse verbringt mit seinen beiden Kindern einen Sonntag im Grünen. Der Umgang ist geprägt von gegenseitigem Respekt, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit füreinander. Eines Tages verliebt sich François in die Telefonistin Emilie und beginnt ein Verhältnis mit ihr. Er will Thérèse nicht verheimlichen, dass sein „Glück noch größer geworden ist“ und bietet ihr an, die Beziehung zu beenden, sofern sie darunter leide. Thérèse lehnt ab: "Du sollst ganz glücklich sein". Entgegen der Intention der Autorin, die sich jeder Wertung, Psychologisierung und Moral enthält, erhielt der Film in Deutschland den wertenden Titel "Glück aus dem Blickwinkel des Mannes". L'ENFANCE NUE (Nackte Kindheit, Maurice Pialat, F 1968, 14. & 29.1.) Mag Bodard verhalf dem 42-jährigen Maurice Pialat zu seinem Langfilmdebüt, der Grundstein eines des bemerkenswertesten Werks der französischen Filmgeschichte. Mit Laiendarstellern in ihrer in einem Bergbaurevier gelegenen Heimatstadt gedreht, beschreibt Pialat den Weg eines Jungen, der ohne Familie aufwächst in nahezu dokumentarischem Stil. Weil er sich nicht den Erwartungen entsprechend verhält, wird der zehnjährige François zweimal von seinen jeweiligen Pflegeeltern ans Jugendamt zurückgegeben und kommt danach ins Heim. Maurice Pialat reiht einzelne Episoden abrupt aneinander und bietet keine Sinn stiftenden Zusammenhänge. Das Verhalten des Jungen, schwankend zwischen Heimtücke und Zärtlichkeit, wird nicht psychologisch oder soziologisch erklärt. Pialats Blick bleibt (vor-)urteilsfrei. UN SOIR UN TRAIN(Ein Abend … ein Zug, André Delvaux, F/B 1968, 21. & 29.1., Einführung: Christoph Terhechte) "Inmitten hitziger Unruhen zwischen Flamen und Wallonen nimmt Linguistikprofessor Mathias (Yves Montand) den Zug von einem Landesteil Belgiens in den anderen. Überraschend begleitet ihn seine Lebensgefährtin Anne (Anouk Aimée). So naturalistisch André Delvaux' emblematischer Film beginnt – ein Besuch im Altenheim, eine Vorlesung an der von flämischen Studenten bestreikten Universität, eine Visite bei einer Theaterprobe, ein heftiger Streit zwischen den Liebenden –, so alptraumhaft entwickelt er sich: Der Zug bleibt plötzlich stehen, Mathias und zwei Reisegefährten bleiben auf freier Strecke zurück. Sie kämpfen sich durch eine unwirtliche winterlich düstere Landschaft und gelangen in ein geisterhaft morbides Dorf, in dem niemand sie zu verstehen und die Welt anderen Regeln als den gewohnten zu gehorchen scheint. Man mag die mannigfachen Symbole des Films zu interpretieren versuchen, die Ereignisse als Mathias' Traum deuten, der im Zug eingeschlafen ist. Diese Lesart übersieht allerdings, dass das fantastische Element des Films von Anfang an an die Oberfläche drängt. Es gibt bei Delvaux keine Schranke zwischen Traum und Realität. Die unterschwellig bedrohliche Wirklichkeit ist Alptraum genug." (Christoph Terhechte) PEAU D'ÂNE (Eselshaut, Jacques Demy, F 1970, 23. & 31.1.) Am Sterbebett seiner Gemahlin verspricht der Herrscher über das blaue Königreich (Jean Marais) der sterbenden Königin, sich nur mit einer Frau wiederzuverheiraten, die ebenso schön sei wie sie. Wegen der großen Ähnlichkeit hält der König folgerichtig um die Hand seiner Tochter (Catherine Deneuve) an. Um seinem Wunsch nicht entsprechen zu müssen, stellt sie, beraten von der Flieder-Fee (Delphine Seyrig), scheinbar unerfüllbare Bedingungen an ihren Vater: Kleider in den Farben der Sonne, des Mondes und der Zeit sowie die Haut des Königs Goldesel. Als der König selbst den letzten Wunsch erfüllt, flieht sie, gehüllt in die Eselshaut, in das benachbarte rote Königreich. Jacques Demys eigenwillige Interpretation des Märchens von Charles Perrault aus dem Jahr 1715 ist der persönliche Lieblingsfilm Mag Bodards: ein zeitloser Film für Kinder wie Erwachsene, der dank einer aufwendigen Farbrekonstruktion wieder in den atemberaubendsten Farben der Psychedelic-Ära erstrahlt. (hjf)