Garrel (*1948) fing als 16-jähriger Teenager im Jahr 1964 mit dem Filmemachen an. Sein experimentelles Frühwerk entstand im Umfeld der Dandys der Zanzibar-Gruppe, einem informellen Zusammenschluss von Künstler_innen, und nahm die Wut und auch das Scheitern des Mai 68 vorweg. 1969 lernte er Nico kennen, ehemals Model, Warhol-Muse und Velvet-Underground-Sängerin, ihre komplizierte Liebes- und Arbeitsbeziehung dauerte zehn Jahre. Nico spielt in sieben seiner Filme mit und sucht sie bis heute wie ein Phantom heim. Garrels Arbeiten aus den 70er Jahren sind oft stumm und auf Resten von abgelaufenem Filmmaterial gedreht. Nach 1979 wird sein Werk narrativer, ohne jedoch auf die für sein Kino typischen Großaufnahmen der Gesichter von Frauen zu verzichten. Mit dem Licht arbeitet er wie ein Maler, meistens in Schwarzweiß, und durch Überbelichtungen scheinen die Bilder bisweilen im Weiß des Lichts zu explodieren. Kunst und Leben sind für Garrel nicht zu trennen, er greift in seinen Filmen stets auf Episoden aus seiner eigenen Biografie zurück, bearbeitet immer wieder das gleiche Material: die Liebe bzw. die Dialektik zwischen Mann und Frau, Beziehungsnöte, Trennung und neue Liebe/n, Mangel und Verlust, Einsamkeit, Mai 68 und den Zusammenhang von Emotionen und Politik, den Einfluss von Drogen, das Motiv des Freitods, die Beziehung zum Vater und die Kunst als Form des Überlebens. Die Schönheit des Kinos von Garrel wurzelt in seiner Ästhetik, seiner Poesie, die tiefe Empfindungen in ihrer ganzen Tragweite vermittelt.
LA JALOUSIE (Jealousy, F 2013, 1.10., Einführung: Birgit Kohler & 21.10.) Es beginnt mit den Emotionen, die sich auf dem Gesicht einer Frau abzeichnen. Ihr Mann, ein brotloser Theaterschauspieler Mitte 30 (Louis Garrel), hat sie gerade verlassen. Die gemeinsame Tochter bleibt bei ihr. Seine neue Freundin Claudia (Anna Mouglalis) ist ebenfalls Schauspielerin, jedoch schon seit Jahren ohne Arbeit. Bald stellt sich die Frage, wie ihre Liebe angesichts der schwierigen Umstände – Armut, beengtes Wohnen, Verlust- und Zukunftsängste – überleben kann. In elliptisch montierten Szenen und mit Breitwand-Aufnahmen in leuchtendem Schwarzweiß widmet sich LA JALOUSIE skizzenhaft einem vielfältigen Beziehungsgeflecht: Vater und Tochter, Tochter und neue Freundin, vergangene und neue Liebe, Schüler und Mentor. Ein Familienfilm: Philippe Garrels Sohn Louis spielt Philippe Garrels Vater Maurice, der während Garrels Kindheit seine Familie verließ.
DROIT DE VISITE (Besuchsrecht, F 1965, 1. & 5.10.) Der schüchterne Guillaume wohnt bei seiner Mutter. Das Wochenende verbringt er mit seinem Vater (Maurice Garrel) und dessen junger Geliebter Françoise. Sie machen einen Ausflug in einem Cabrio und gehen abends ins Kino, wo der Vater auf der Leinwand als Schauspieler zu sehen ist. In seinem zweiten Kurzfilm reproduziert der 17-jährige Garrel seine eigene familiäre Situation. Schon hier findet sich eine erste Großaufnahme des Gesichts einer Frau – die Kamera malt sie im hellen Licht, sinnlich und unberührbar.
L'ENFANT SECRET (Das verheimlichte Kind, F 1979/82, 2.10., Einführung: Thomas Arslan & 13.10.) Der Filmemacher Jean-Baptiste (Henri de Maublanc) und die Schauspielerin Elie (Anne Wiazemsky), Mutter eines kleinen Sohnes, sind ein fragiles Paar. Immer wieder bewegen sie sich aufeinander zu und voneinander weg, Glücksmomente und Verzweiflung wechseln sich ab. Der Film, in Schwarzweiß und auf hypersensiblem Material gedreht, enthält Fragmente aus Garrels Biografie: Versuche der Integration des Kindes in das gemeinsame Leben, Revolution, Depression, Psychiatrie und Elektroschocks, LSD und Heroin. L'ENFANT SECRET, Garrels Neuanfang post Nico, gilt als das Zentrum seines Œuvres, ein Scharnier zwischen unterschiedlichen Perioden seines Schaffens: zum ersten Mal narrativ und doch auch noch Underground, die Matrize einer Konstellation, auf die er immer wieder zurückkommen wird.
J'ENTENDS PLUS LA GUITARE (I Can No Longer Hear the Guitar, F 1991, 2. & 11.10.) "Wir waren, was wir waren und jetzt sind wir das nicht mehr." Die Unwiederbringlichkeit der Vergangenheit ist das eine, die Unendlichkeit der Liebe das andere: "Ich werde Dich lieben über den Tod hinaus." Von beidem erzählt der Film mit großer Intensität und ohne Nostalgie oder Pathos. Marianne (Johanna ter Steege) und Gérard (Benoît Régent) lieben sich, können ihre Liebe auf Dauer jedoch nicht leben. Es kommt zu Trennung, Versöhnung, Drogensucht, Geldnot und dem endgültigen Bruch. Auch das befreundete Paar (Mireille Perrier, Yann Colette) geht auseinander. Garrel filmt die Gesichter in langen Einstellungen in Großaufnahme und zeigt, wie aus Liebe Verzweiflung und Schmerz wird. Der Film ist Nico, Garrels langjähriger Lebensgefährtin gewidmet und entstand nach deren Tod im Jahr 1988.
SAUVAGE INNOCENCE (Wild Innocence, F 2001, 3. & 25.10.) Eine weitere Variation auf Nico, Muse und frühere Geliebte von Garrel: Der Regisseur François Mauge (Mehdi Belhaj Kacem) möchte einen Anti-Drogen-Film drehen, um den Tod seiner Frau Carole an einer Überdosis Heroin zu verarbeiten. Sein Vater (Maurice Garrel) kommentiert das Vorhaben so: Schon wieder ein Film über Carole?! Da er keine Finanzierung findet, lässt Mauge sich schließlich darauf ein, für einen zwielichtigen Geschäftsmann (Michel Subor) Heroin zu schmuggeln. Bloody money – um den Film realisieren zu können und seine junge Geliebte Lucie (Julia Faure) zu halten, der er die Hauptrolle versprochen hat. Diese fühlt sich der Darstellung von Carole nicht gewachsen und beginnt, Drogen zu nehmen. Leben und Kino verschmelzen im Schwarzweiß der Bilder von Raoul Coutard.
LA NAISSANCE DE L'AMOUR (Die Geburt der Liebe, F/CH 1993, 4. & 29.10.) Der Irakkrieg ist zu Ende. Der Schauspieler Paul (Lou Castel) und der Schriftsteller Marcus (Jean-Pierre Léaud) sind Altachtundsechziger und schon lange befreundet. Man zitiert zwar noch Lenin, doch die Zeit der Revolte ist vorbei, die damalige Wut von Schwermut abgelöst. Marcus wird von seiner Geliebten Hélène verlassen. Paul bleibt der gemeinsamen Kinder wegen zunächst mit seiner Frau zusammen, liebt eigentlich aber Ulrika (Johanna ter Steege) und stiehlt sich letztlich doch davon. Als er Marie kennenlernt, könnte noch einmal ein neues Leben beginnen, trotz allem. Nüchtern beschreibt der Film das Liebesleben zweier alternder, unzufriedener, unerwachsener Künstler, elegisch untermalt von John Cales Klaviermusik und in grobkörnigem Schwarzweiß fotografiert von Raoul Coutard.
LES BAISERS DE SECOURS (Emergency Kisses, F 1989, 5. & 27.10., Einführung: Anja Streiter) Das Saxofon des Jazzmusikers Barney Wilen setzt den Ton. Der Filmemacher Mathieu (Philippe Garrel) möchte einen Film über seine Beziehung drehen, besetzt die Rolle seiner Frau Jeanne (Brigitte Sy), die Schauspielerin ist, jedoch mit einer anderen, einer Starschauspielerin (Anémone). Jeanne fühlt sich verraten. Es kommt zur Trennung und eine Zeit der Einsamkeit und des Zweifels beginnt. Der Filmemacher holt sich Rat bei seinem Vater (Maurice Garrel). Jeanne kehrt zu ihm zurück und das Paar besucht mit seinem kleinen Sohn (Louis Garrel) dessen Großmutter auf dem Land. Garrel inszeniert sich hier an der Seite seiner eigenen Frau, seines eigenen Sohnes und seines eigenen Vaters in fragilen, intimen Bildern – und spielt dabei eine Version seiner selbst.
LE BERCEAU DE CRISTAL (F 1975, 6. & 18.10.) Der lange Zeit unveröffentlicht gebliebene Film wurde in der Cinémathèque Française (Palais de Chaillot) gedreht. Die Wiege (le berceau) ist die Kunst – die Malerei von Pardo, die Poesie von Nico, das Museum von Langlois. Kristallen ist die Kälte – das Schießpulver, die Stille, die dem Suizid vorausgeht. Eine improvisierte Folge
von Porträts von Freunden – Frédéric Pardo, Dominique Sanda, Anita Pallenberg, Margareth Clémenti –, die um ein Zentrum kreisen: die Sängerin Nico, die hermetische Gedichte schreibt und einen Selbstmord mit der Pistole simuliert. Ein morbid getönter, hypnotischer Film mit einem Soundtrack der Berliner Band Ash Ra Tempel.
LA CICATRICE INTÉRIEURE (The Inner Scar, F 1972, 6. & 19.10.) Garrels erste Zusammenarbeit mit seiner damaligen Lebensgefährtin Nico, Velvet-Underground-Sängerin und Mitglied von Warhols Factory, zeigt eine Frau (Nico), die in verschiedenen Wüsten (in Ägypten, im Death Valley und in Island) von unterschiedlichen Männern "gerettet" wird, die von Philippe Garrel und Pierre Clémenti dargestellt werden. Die überwältigenden, fast abstrakt wirkenden Landschaftsaufnahmen treten in einen Dialog mit Nicos Musik aus dem Album "Desertshore" – und mit der Malerei von Ingres. Ein Undergroundklassiker aus 23 Einstellungen mit halluzinatorischen Qualitäten.
ELLE A PASSÉ TANT D'HEURES SOUS LES SUNLIGHTS … (Sie stand so lange im Scheinwerferlicht …, F 1985, 7. & 26.10., Einführung: Angela Schanelec) Ein Film über einen Film, der gerade gedreht wird. Wieder eine Liebesgeschichte – zwei Frauen, zwei Männer. Beim Erzählen wird der Akt des Erzählens präsentiert, der immer mehr in den Mittelpunkt rückt, bis aus einem Film über die Probleme der Liebe ein Film über die Probleme des Filmemachens wird. Im Mittelpunkt steht ein Mann, dessen Leben sich zwischen zwei Frauen bewegt; die eine, Christa (Anne Wiazemsky), hat ihn verlassen, die andere, Marie (Mireille Perrier), schenkt ihm ein Kind, eine kommt von den Drogen los, während die andere sich daran klammert. Garrel greift als Regisseur ein, filmt Lou Castel, wie er seinen Text einstudiert, unterhält sich mit Chantal Akerman und Jacques Doillon. Oft ist das Laufen der Kamera zu hören, Unter- und Überbelichtungen sind zu sehen. Der Film ist Jean Eustache gewidmet. Die Musik des Films ist von Nico. All Tomorrow's Parties.
LES AMANTS RÉGULIERS (Regular Lovers, F 2005, 8. & 20.10., Einführung: Volker Pantenburg) Eine Revision des Pariser Mai 1968: Stilisiert und nahezu meditativ bildet Garrel den Straßenkampf in schwarzweißen Tableaus ab (Kamera: William Lubtchansky), sparsam ausgestattet und doch episch. Er zeigt eine Gruppe junger Leute bei der Revolte, später dann beim Opiumgenuss, beim Kunst machen und beim Tanzen. Die junge Liebe zwischen dem Dichter François (Louis Garrel) und der Bildhauerin Lilie (Clotilde Hesme) wird zur Bewährungsprobe für die Utopie, die Probleme der Gruppe, ihre Ideale zu leben, spiegeln sich im Miteinander der beiden. Zunehmend weicht das Politische Müdigkeit und Stillstand, die Gruppe und die Paare fallen auseinander, die Bewegung ist gescheitert. Ein Film über "hingerichtete Hoffnungen" und die individuelle Erfahrung extremer Gefühlszustände. Dazu die Kinks: "This time tomorrow where will we be …"
ACTUA 1 (F 1968, 8. & 20.10.) Ein kurzer, während des Mai 68 gedrehter Kollektivfilm, der jahrzehntelang verschollen war und erst kürzlich wiedergefunden wurde. Proteste, Straßenkämpfe, CRS-Polizisten auf den Brücken von Paris – aus einem Fenster gefilmt und aus einem fahrenden Auto.
LIBERTÉ, LA NUIT (Liberty at Night, F 1983, 9. & 16.10.) Bewegte Zeiten in der Gesellschaft und im Privatleben: Während des Algerienkrieges in den 50er Jahren gehören Jean (Maurice Garrel) und seine Frau Mouche (Emmanuelle Riva) zu den Sympathisanten der algerischen Freiheitsbewegung FLN, allerdings ohne das voneinander zu wissen. Als Jean sich von Mouche trennt, schläft ihr gemeinsames Kind. Es ist sichtbar, wie der Schmerz von ihrem Gesicht Besitz ergreift. Wenig später wird Mouche von Mitgliedern der OAS erschossen. Jean lernt die junge Algerierin Gemina kennen, die politisch nicht auf seiner Seite steht, dennoch verlieben die beiden sich ineinander. Geminas Angst vor dem Verlassenwerden ist nicht unbegründet – Jean wird ermordet, eine Szene in Zeitlupe.
LE CŒUR FANTÔME (The Phantom Heart, F 1996, 10. & 24.10.) Garrels Alter Ego Philippe (Louis Rego) ist Maler und führt an der Seite von Frau und Kindern das, was man ein "bürgerliches Leben" nennen könnte. Doch seine Frau hat einen Liebhaber und trennt sich von ihm. Zwar findet Philippe schon bald eine junge Geliebte, doch verstört ihn der plötzliche Bruch mit seiner Familie und er hinterfragt seine Rolle als Vater. Außerdem wird er heimgesucht von Erinnerungen an andere Frauen, u.a. eine schöne Hure (Valeria Bruni-Tedeschi). Geplagt von Schuldgefühlen, seine Kinder verlassen zu haben, versucht er zu ergründen, warum seine Eltern sich in seiner Kindheit getrennt haben, was zu einem erstaunlichen Bekenntnis seines Vaters (Maurice Garrel) führt.
MARIE POUR MÉMOIRE (Mary for Memory, F 1967, 12. & 24.10.) Zwei Paare, die aufgrund eines Irrtums der Partnervermittlung symmetrisch statt komplementär zusammengestellt wurden: Blandine und Gabriel sind durch und durch rational, Marie (Zouzou) und Jésus (Didier Léon) exzessiv romantisch. Marie wünscht sich ein Kind und glaubt daran, dass sie schwanger ist, doch sie wird als Scheinschwangere hospitalisiert und in eine Zwangsjacke gesteckt – und so für ihre Sehnsüchte gefoltert. Der Vater (Maurice Garrel) tritt ebenfalls als Instanz der repressiven Ausübung von Macht auf. Garrels Langfilmdebüt zeigt das Unbehagen der Jugend, die sich an der Gesellschaft stößt. Der Film kündigt den Mai 68 nicht nur an, sondern sagt auch voraus, dass der Aufstand teuer bezahlt werden wird.
LES ENFANTS DÉSACCORDÉS (Die widerspenstigen Kinder, F 1964, 12.10.) Zwei 14-jährige Teenager hauen von Zuhause ab. Sie stehlen ein Auto und landen in einem Schloss, wo sie zu Barockmusik tanzen. Außerdem Interviews mit dem Lehrer, einem TV-Regisseur und dem Vater des Filmemachers, Maurice Garrel. Der erste Kurzfilm von Garrel, im Alter von 16 Jahren auf 35 mm gedreht, inszeniert bereits einen Ausbruch aus den bürgerlichen Verhältnissen und gibt dabei dem Fantastischen Raum.
LE RÉVÉLATEUR (The Revealer, F 1968, 13. & 18.10.) Vater, Mutter, Kind – eine Art heilige Familie auf der Flucht, zu Fuß, sie laufen über nächtliche Landstraßen, rennen durch den Wald und robben durch das hohe Gras einer Wiese, am Zaun einer Militärbasis entlang. Einzelne Tableaus lösen die gespenstische Dreierkonstellation in abstrakte, geometrische Figurationen auf. Ein (alp)traumhafter Film, vollkommen stumm, direkt nach dem Scheitern des Mai 68 mit Bernadette Lafont und Laurent Terzieff in Süddeutschland gedreht, mit einfachsten Mitteln, aber elektrisierender Wirkung. Das Schwarzweiß ist sehr kontrastreich, ausgeleuchtet wurde mit einer Taschenlampe. Die familiäre Zelle in der Krise – das Schlachtfeld des Films ist der Konflikt zwischen den Generationen und die Revolte der Jugend. Der erste von fünf Filmen Garrels, die er als Mitglied der Zanzibar-Gruppe drehte.
LE LIT DE LA VIERGE (The Virgin's Bed, F 1969, 14.10., Einführung: Marc Siegel & 23.10.) Garrels psychedelischster Film ist eine Jesus-Parabel, gedreht in der Wüste Marokkos. Das Fotomodell Zouzou verkörpert darin sowohl Maria, die heilige Mutter, als auch Maria Magdalena, die Hure. Pierre Clémenti stellt Jesus als Hippie dar, ein Jesus, der keine Jünger hat, vor der Grausamkeit der Welt verzagt und dessen Botschaft des Aufstands nirgendwo gehört wird, obwohl er ein Megafon bei sich trägt. Auf der Tonspur sind ständig Detonationen zu hören und die ehemalige Velvet-Underground-Sängerin Nico singt „The Falconer“. Die Allegorie ist deutlich: Die Hoffnungen des Mai 68 sind tot, die Utopien einer Generation zu Grabe getragen. Einer der wichtigsten Zanzibar-Filme mit spektakulären Bildern in Schwarzweiß, von der Mäzenin Silvina Boissonas finanziert.
LA FRONTIÈRE DE L'AUBE (Frontier of Dawn, F/Italien 2008, 15. & 30.10.) Ein junger Fotograf (Louis Garrel) und eine berühmte Schauspielerin (Laura Smet) verlieben sich leidenschaftlich ineinander und beginnen eine Affäre, obwohl sie verheiratet ist, doch der Übergang in ein gemeinsames Leben will nicht gelingen. Sie bekommt von ihm nicht das, was sie zum Überleben nötig hätte, er bleibt ein Außenseiter in ihrer Welt. Zwei Liebende, die erst im Tod zueinanderfinden. Eine melodramatische Amour fou in den Räumen, Treppenhäusern und auf den Balkonen großbürgerlicher, aber heruntergekommener Pariser Bohème-Wohnungen. Ein archetypisches Liebesdrama in stilisiertem Schwarzweiß – und eine Geistergeschichte. I'll be your mirror – ein Film voller Spiegelungen und Projektionen.
LES MINISTÈRES DE L'ART (Die Ministerien der Kunst, F 1988, 17.10.) Eine Bestandsaufnahme des französischen Post-Nouvelle-Vague-Kinos am Ende der 80er Jahre und ein Akt der Gemeinschaftsstiftung. Philippe Garrel entwirft anhand von Interviews ein Bild des Kinos seiner Generation. Der Film ist der Erinnerung an Jean Eustache gewidmet, der 1981 aus dem Leben geschieden war und enthält ein Interview von Garrel mit Eustache aus dem Jahr 1967. Zu Wort kommen außerdem auch die Wahlverwandten Chantal Akerman, Juliet Berto, Léos Carax, Jacques Doillon, Benoît Jacquot, Jean-Pierre Léaud, Werner Schroeter, Brigitte Sy und André Téchiné.
LES HAUTES SOLITUDES (Einsame Höhen, F 1974, 17. & 19.10.) Frauen in einer Wohnung in Paris. Nico, Jean Seberg, Tina Aumont, die Sängerin und Muse Garrels und zwei befreundete -Schauspielerinnen. In Schwarzweiß, grobkörnig, manchmal unscharf, ohne Ton. Ihre Gesichter in Großaufnahme, Augen, Münder, man sieht sie sprechen, ohne es zu verstehen. Jean Seberg liegt im Bett und weint oder sie raucht Zigaretten. Manchmal schaut sie direkt in die Kamera. Oder sie lächelt unter der Kapuze ihres Capes hervor. Sie spielt einen Suizid, nimmt Tabletten, eine um die andere, bis Garrel sie stoppt. Ein Film von großer Intensität und Melancholie. Eine Bilanz, eine Prophetie? Jean Seberg wurde 1979 tot aufgefunden, mit Schlaftabletten und einem Abschiedsbrief.
L'OMBRE DES FEMMES (Im Schatten der Frauen, F/CH 2015, 21. & 29.10.) Der Filmemacher Pierre (Stanislas Merhar) lebt mit seiner Frau Manon (Clotilde Courau) in prekären Verhältnissen. Sie verdient das Geld für beide und unterstützt ihn als Cutterin bei seinem Dokumentarfilmprojekt über einen alten Résistance-Kämpfer. Im Filmarchiv begegnet Pierre einer jungen Praktikantin (Lena Paugam) und beginnt eine Affäre mit ihr. Als er erfährt, dass auch seine Lebensgefährtin einen Liebhaber hat, gerät seine Welt aus den Fugen. Der von Renato Berta in eleganten, schwarzweißen Bildern fotografierte Film erzählt vom Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, das auch der von Louis Garrel gesprochene Off-Kommentar nüchtern-ironisch konstatiert. Dem inneren Strahlen der Frauen begegnet Pierre stets mit versteinerter Miene, doch das letzte Bild zeigt ein großes Lächeln.
LE VENT DE LA NUIT (Night Wind, F 1999, 22. & 28.10.) Der Architekt Serge (Daniel Duval) ist mit einem knallroten Porsche zwischen Neapel, Paris und Berlin unterwegs, in einem Transitraum zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Leben und Tod. Paul (Xavier Beauvois), ein Student der Bildenden Kunst und Liebhaber der verheirateten Hélène (Catherine Deneuve), begleitet ihn und hört fasziniert, dass Serge ein paar Jahre in Positano gelebt hat, im Mai 68 ein Militanter war, danach Elektroschocks in der Psychiatrie bekam und dass seine Frau sich umgebracht hat. Nach dem Besuch ihres Grabes in Berlin begegnen sich Serge und Hélène, die kurz zuvor versucht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden, in Paris. Es ist, als hätten sie einander schon immer gekannt. Ein Roadmovie, über dem der Freitod schwebt, zur Musik von John Cale.
UN ÉTÉ BRÛLANT (A Burning Hot Summer, F/Italien/CH 2011, 22. & 28.10.) Zu Beginn das Ende: ein Selbstmordversuch. Danach folgt die Vorgeschichte, aus dem Off erzählt vom besten Freund des Toten. Der Maler Frédéric (Louis Garrel) lebt zusammen mit der italienischen Schauspielerin Angèle (Monica Bellucci) in Rom. Sein Freund Paul und dessen Lebensgefährtin Elisabeth wohnen einen Sommer lang bei dem Paar, das in einer Krise ist. Als Angèle Frédéric eines Filmregisseurs wegen verlässt, zerbricht dieser daran. Schwer verletzt im Krankenhaus liegend, erzählt er Paul von seinem Großvater, einem Kommunisten, und der kurz zuvor verstorbene Maurice Garrel hat einen letzten Auftritt im Werk seines Sohnes als Figur aus dem Jenseits. (bik)
Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut français.