Der Riss, den seine Welt durch die Teilung seiner Heimatregion erfuhr, steht im Zentrum seiner Filme. Immer wieder umkreiste er künstlerisch die offene Wunde der tiefempfundenen Entfremdung. Voller Leidenschaft und Intensität verbinden seine Filme Melodram und populäre Formen mit politischer Anklage und erweitern die spezifische Fluchterfahrung der bengalischen Bevölkerung zu einem universell erlebbaren Fremdheitsgefühl. Ghataks originäre Filmsprache bedient sich des Tons und der Musik als eigenständige Gestaltungsmittel, die innere Zerrissenheit seiner Protagonist_innen findet sich in den Bildern wieder. Zugleich sind seine Filme tief verankert in der bengalischen Kultur, traditionelle bengalische Lieder (auch des Universalgelehrten, Dichters und Komponisten Rabindranath Tagore, der die Kultur Bengalens wie kein anderer prägte) bilden darin oft das Herzstück. Trotz der Verzweiflung, die aus Ghataks Filmen spricht, findet sich in ihnen stets die Hoffnung, dass aus jedem Ende ein Neubeginn erwachsen möge.Von Alkohol und Tuberkulose schwer gezeichnet, starb Ritwik Ghatak mit nur 50 Jahren. Obwohl er von Regiekollegen und Studenten hoch geschätzt wurde, erfolgte die breite Anerkennung erst posthum. Wir zeigen von den acht fertiggestellten Filmen Ritwik Ghataks sechs, die in guten 35-mm-Kopien vorliegen. JUKTI, TAKKO AAR GAPPO (Einsicht, Streit und eine Geschichte, Indien 1974, 8.11., Einführung: Dorothee Wenner & 14.11.) In Ritwik Ghataks letztem Spielfilm inszeniert er sich selbst als desillusionierten, trinkenden Intellektuellen. Ghatak: "Die Geschichte beginnt mit einem Alkoholiker (mir), dessen Familie ihn gerade verlässt. Als sie gegangen sind, kommt ein junges Mädchen in einem zerrissenen Sari, einem Symbol für Bangladesch. Der Mann, das Mädchen und ein jüngerer Mann wandern durch Bengalen, durch seine Industriezone, durch seine kleinen Städte, seine Wälder und durch Kalkutta, bis sie in einem Wald auf einige Naxaliten treffen. Gegen Ende kommt es zur Konfrontation zwischen den Naxaliten und dem heruntergekommenen trunk-süchtigen Intellektuellen, in dem sie wenigstens für einen kurzen Moment eine verwandte Seele, einen Nonkonformisten erkennen." Ein letzter Aufschrei Ghataks, in dem all seine Lebensthemen zusammenfinden, bis er seine letzte Flasche über das Kameraobjektiv ausgießt. AJANTRIK (Der Vagabund, Indien 1958, 9. & 18.11.) Bimal ist Taxifahrer in einer kleinen Provinzstadt. Mit seinem Auto Jagaddal, einem klapprigen Gefährt, das seine besten Tage lange hinter sich hat, fühlt er sich innig verbunden. Ihm gilt seine ganze Liebe und Loyalität. In seinen Fahrten übers Land lernt Bimal nicht nur die verschiedensten Menschen kennen, er wird auch Zeuge von ökonomischen Veränderungen und der Umwälzung der bestehenden Gesellschaftsordnung. So auch in der Welt der indigenen Oraon, zu deren Ritualen er mit seiner animistischen Weltsicht eine tiefe Verbindung spürt. Obwohl nicht direkt von der Trennung Bengalens handelnd, spricht AJANTRIK von Ghataks Kernthema: Die Entfremdung eines Menschen von seiner Umwelt. Bimals Liebe zu seinem Auto, einem für ihn beseelten Wesen, ruft Spott hervor und macht ihn zum Außenseiter. MEGHE DHAKA TARA (Der verborgene Stern, Indien 1960, 10. & 19.11.) Eine durch die Flucht entwurzelte ostbengalische Familie in einem Vorort von Kalkutta, ihre Träume und brutal zerstörten Hoffnungen: Im Zentrum steht die älteste Tochter Nita, die in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft die ganze Familie ernährt und deren Opferbereitschaft von den restlichen Familienmitgliedern ausgenutzt wird. Aufgerieben vom Überlebenskampf und dem Verlust des vorherigen Status, geben sich die Eltern der Verbitterung hin, während Nitas Geschwister nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Als Nita krank und erschöpft zusammenbricht, wird sie in die Berge gebracht, wo ihr verzweifelter Schrei nach Leben ungehört verhallt. Von Ritwik Ghatak als sein bester Film betrachtet, verbindet MEGHE DHAKA TARA das individuell erlebte Elend des Exils mit Bildern mythischer Mutterfiguren. Zerrissen ist nicht nur eine Familie, zerrissen ist eine ganze Gesellschaft. KOMAL GANDHAR (E-Moll, Indien 1961, 11. & 20.11.) Ghataks filmische Auseinandersetzung mit seiner Zeit in der "Indian People's Theatre Association" dreht sich um eine Gruppe junger Menschen, die sich voller Hoffnung auf die politische Wirkmächtigkeit der Kunst in einer Wandertheatertruppe engagieren. In zwei miteinander konkurrierende Gruppen gespalten, die dennoch die Zusammenarbeit versuchen, spiegelt KOMAL GANDHAR die Erfahrung der Entzweiung der Bevölkerung Bengalens wider. Die Zerfallserscheinungen setzen sich in den persönlichen Beziehungen fort. Rivalitäten, Eifersucht und kleinliche Streitereien brechen sich Bahn. Das Motiv der Zerrissenheit und Trennung findet sich auch in der Filmsprache, während die bengalischen Lieder für die gemeinsame Identität und Hoffnung einer Einigung stehen. Einer der seltenen Filme Ghataks, in dem den Protagonisten ein Happy End vergönnt ist. SUBARNAREKHA (Der Fluss Subarnarekha, Indien 1962, 12. & 21.11.) Ein sich über die Jahrzehnte erstreckendes Familiendrama, geprägt durch das Trauma der Teilung Bengalens und der Heimatlosigkeit. Ishwar wohnt mit seiner kleinen Schwester Sita in einer Flüchtlingssiedlung. Als er Arbeit in einer Fabrik gefunden hat, verlässt er diese und zieht zusätzlich zu Sita den Jungen Abhiram auf, der seine Mutter verloren hat. Als Erwachsene heiraten Sita und Abhiram gegen den Willen Ishwars, der sich für Sita eine bessere Partie vorgestellt hat. Die gewaltsame Trennung der Familie führt zur Katastrophe. Der einzige Hoffnungsschimmer ist Sitas und Abhirams Sohn, der zum Ende, am Ufer des titelgebenden Flusses Subarnarekha stehend, in die Zukunft blickt. TITASH EKTI NADIR NAAM (Der Fluss Titash, Bangladesch 1973, 13. & 23.11.) drehte Ghatak im neu entstandenen Staat Bangladesch. Er begab sich dabei in die Vergangenheit der 30er Jahre und an die Ufer des Flusses Titash. Zwei Frauen und ein Mann sind schicksalshaft miteinander verstrickt: Die eine wird schwanger von Flussbanditen entführt, woraufhin ihr Mann wahnsinnig wird. Die andere kümmert sich nach derem Tod um das verwaiste Kind, das sie schließlich wieder verlieren wird. Im Verschwinden begriffen ist auch die traditionelle Lebensweise der Bewohner des Flussdeltas: Der Fluss trocknet langsam aus, die Einwohner verlassen das Dorf, die neuankommenden Bauern verwandeln das Flussbett in Reisfelder. Eine filmische Trauerarbeit über den Verlust, mit dem Fluss als Sinnbild des Wandels und Symbol für die Teilung Bengalens, getragen vom Rhythmus und den Ritualen des Lebens in einem Fischerdorf. (al)