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Die 1954 in Teheran geborene Bani-Etemad begann ihre berufliche Laufbahn beim Fernsehen, wo sie zunächst Dokumentarfilme drehte. Ihre ersten Spielfilme Ende der 80er Jahre waren soziale Satiren mit einem schon damals scharfen Blick für gesellschaftliche Realitäten und Widersprüche. Der Durchbruch kam mit NARGESS, eine unter kleinen Dieben angesiedelte Dreiecksgeschichte, für den sie 1992 als erste Frau den Preis für die beste Regie beim Fajr International Film Festival in Teheran gewann. Rakhshan Bani-Etemads Kino gründet in der iranischen Realität vor allem der Unterprivilegierten und Rechtlosen, es steht für die einfühlsame Erkundung von menschlichen Schicksalen und redet dabei immer auch von universellen Konflikten und Themen. Ihre Figuren, die ihr erkennbar am Herzen liegen, stattet sie mit viel Widerstandsgeist und Kraft aus und muss ihnen dennoch oft dabei zusehen, wie sie zwischen dem alltäglichen Überlebenskampf, den Sorgen um die Familie und dem Wunsch nach einem Freiraum für sich selbst zerrieben werden. Die eigensinnigen Frauen in ihren Filmen setzen sich kämpferisch für ihre Rechte ein und sprechen offen ihre Diskriminierungserfahrungen an, womit Bani-Etemad durchaus eine radikale Position im iranischen Kino einnimmt. Dieses offensive Sichtbarmachen von Frauen und ihren Lebensbedingungen findet seine Form oft als Film im Film, in dem die Figuren direkt in die Kamera sprechen. Für Rakhshan Bani-Etemad ist die filmische Arbeit untrennbar verbunden mit dem Kampf um die Freiheit der Kunst und die Rechte von Frauen. Film sieht sie als ein Mittel des sozialen Wandels – und um die eingangs gestellte Frage wieder aufzunehmen: Ihre Filme sollen von den Menschen im Iran gesehen werden. GHESSE-HA (Tales, Iran 2014, 6.5., in Anwesenheit von Rakhshan Bani-Etemad & 14.5.) Mit TALES kehrt Rakhshan Bani-Etemad zu verschiedenen Charakteren aus früheren Filmen zurück und spinnt deren möglichen Lebensweg weiter. Die vielschichtige Erzählung über soziale Realitäten in Teheran versammelt ein Ensemble von Figuren, darunter Tuba und Abbas aus UNDER THE SKIN OF THE CITY (2001). Geschildert wird das Alltagsleben von Menschen aus allen Gesellschaftsschichten: Es geht um Drogensucht, die (Un)Möglichkeit politischer Betätigung, häusliche Gewalt, von der öffentlichen Moral verunmöglichte Liebesbeziehungen, aber auch um die Absurdität einer übermächtigen, die Bürger missachtenden Bürokratie und die Willkür staatlicher Macht. Allen Figuren gemeinsam ist ihr ständiger Kampf um Würde in einem oft menschenfeindlichen System. Meisterhaft zusammengehalten werden die Episoden von einem jungen Dokumentarfilmregisseur, dem bei seiner Arbeit ständig Steine in den Weg gelegt werden, der sich aber sicher ist: "Kein Film bleibt ewig in den Regalen liegen. Irgendwann wird er gesehen werden." Um die Zensur zu umgehen, die unter der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad verschärft wurde, wurde TALES als Serie von fünf Kurzfilmen – die einem weniger komplizierten Bewilligungsverfahren unterliegen – konzipiert und dann zu einem langen Spielfilm zusammengeführt. Schon 2011 war TALES fertig, wurde aber erst 2014, als sich nach der Wahl von Präsident Hassan Rohani das politische Klima öffnete, zur Aufführung zugelassen. Beim Filmfestival in Venedig wurde Rakhshan Bani-Etemad dafür mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet. ZIR-E PUST-E SHAHR (Under the Skin of the City, Iran 2001, 7.5., in Anwesenheit von Rakhshan Bani-Etemad & 12.5.) Das Porträt einer Familie in Teheran, zusammengehalten von der Mutter Tuba, einer resoluten Arbeiterin in einer Textilfabrik. Ihr ältester Sohn Abbas arbeitet ungeachtet seiner eigentlichen Qualifikationen als Laufbursche und träumt davon, ein Visum für Japan zu bekommen, um dort Geld zu verdienen – und davon, endlich die von ihm geliebte Frau anzusprechen. Die älteste, verheiratete Tochter wird von ihrem Ehemann geschlagen und hat doch keine andere Wahl, als immer wieder zu ihm zurückzukehren. Zum Unmut der Älteren äußern sich die beiden Kinder im Teenageralter selbstbewusst über Politik. Diese ist – es ist die Zeit der anstehenden Präsidentschaftswahlen – immer im Hintergrund präsent. Ein Gefühl der Ausweglosigkeit lastet auf allen Familienmitgliedern, geschürt nicht nur durch rigide Moralvorstellungen, sondern auch durch die scharfen Gegensätze zwischen Arm und Reich und die Unmöglichkeit, mit legaler Arbeit genug Geld zu verdienen, um eine Familie zu ernähren. Mit großer Eindringlichkeit und emotionaler Wucht schildert Rakhshan Bani-Etemad Teheran als unbarmherzigen Moloch. NARGESS (Iran 1992, 10. & 20.5.) Eine Dreiecksgeschichte unter den Marginalisierten Teherans. Der kleine Dieb Adel lernt die junge, zurückhaltende Nargess kennen, von der er auf Anhieb bezaubert ist. Seine Mutter weigert sich, für ihn die Hochzeit anzubahnen, woraufhin er sich auf einen Deal mit seiner Partnerin und ehemaligen älteren Geliebten Afagh einlässt: Sie gibt sich als seine Mutter aus, wenn er dafür ihre Partnerschaft fortsetzt. Die aus ärmlichen Verhältnissen kommende Nargess wird ahnungslos in einen Strudel von Gefühlen, widersprüchlichen Vorstellungen von Liebe, Rivalität und Verbrechen hineingestoßen. Mit der Hinterfragung traditioneller Geschlechterrollen und der ungeschönten Darstellung von Armut und Überlebenskampf brach Rakhshan Bani-Etemads atmosphärischer Film noir um so einsame wie verlorene Menschen mit mehreren Tabus. BANOO-YE ORDIBEHESHT (The May Lady, Iran 1998, 13. & 21.5.) Die 42-jährige Forough Kiya (eine Reverenz an die bekannteste iranische Dichterin Forough Farrokhzad) ist Dokumentarfilmerin und alleinerziehende Mutter eines fast erwachsenen Sohnes. Von ihrem Mann ist sie geschieden und sie sehnt sich nach einer neuen Beziehung. Um sich über ihre Konflikte zwischen der Mutterrolle und ihrem Wunsch nach einem eigenen Leben Klarheit zu verschaffen, beginnt sie in einem Filmprojekt die Suche nach der "beispielhaften Mutter" und befragt dafür zahlreiche Frauen (darunter Tuba, die wir in UNDER THE SKIN OF THE CITY und TALES wiedersehen werden) nach ihren Erfahrungen. Konfrontiert mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen, die aber immer von äußeren Einschränkungen beeinträchtigt werden, festigt sich ihr Gefühl eines Gefangenseins in Konventionen. Der von Forough geliebte Mann ist gleichzeitig ab- und anwesend. Nur seine Worte sind zu hören, bei intimen Gesprächen am Telefon, dem Vorlesen von Briefen und Rezitieren von Gedichten, womit es Rakhshan Bani-Etemad auf raffinierte Weise gelingt, das Nicht-Erlaubte darzustellen und ihren Fokus ganz auf das Begehren der Frau zu richten. Mit dem letzten Satz des Films – "Ich bin Forough" – behauptet sie ihre Autonomie als denkendes und fühlendes Subjekt. RUZEGAR-E MA (Our Times, Iran 2002, 8. & 18.5.) Die Präsidentschaftswahl 2001, bei der der Reformer Mohammad Chatami im Amt bestätigt wurde, dokumentiert Rakhshan Bani-Etemad aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln und fängt damit die Stimmung zwischen Hoffnung und Resignation ein. Die eine Perspektive ist die ihrer 16-jährigen Tochter Baran und deren Freundinnen, die das erste Mal wählen dürfen. Voller Leidenschaft und Begeisterung organisieren sie eine Wahlkampagne für Chatami und fordern selbstbewusst ihre Rechte auf Freiheit und Selbstbestimmung ein. Dieser Optimismus wird kontrastiert durch den zweiten Teil, in dem Rakhshan Bani-Etemad einige der 48 Frauen aufsucht, die sich zur Wahl aufstellen ließen (von denen jedoch keine zugelassen wurde). Eine davon ist die 25-jährige Arezoo Bayat, die, von ihrem drogensüchtigen Mann geschieden, allein für ihre Tochter und kranke Mutter aufkommen muss. Ihr schlecht bezahlter Bürojob reicht kaum zum Überleben und als sie ihre Wohnung räumen muss, gerät sie in ernsthafte Schwierigkeiten, da es als alleinstehende Frau fast unmöglich ist, in Teheran eine Wohnung zu bekommen. Ungeachtet dessen ist Arezoo, die mit ihrer Kandidatur das patriarchale System herausfordert und auf die alltägliche Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts aufmerksam macht, von einem beeindruckenden Kampfgeist. MA NIMI AZ JAMIA-E IRAN HASTIM (We Are Half of Iran's Population, Iran 2009, 8. & 18.5.) Im Wahlkampf zu den Präsidentschaftswahlen 2009 lässt Rakhshan Bani-Etemad Frauen aus allen Gesellschaftsschichten ihre Forderungen an die Kandidaten öffentlich äußern und direkte Fragen an die Politiker stellen. Ein Zusammenschluss mehrerer Frauenrechtsgruppen macht auf die rechtliche Benachteiligung der titelgebenden Hälfte der Bevölkerung aufmerksam und fordert die Beseitigung der diskriminierenden Gesetze. Alle Kandidaten werden eingeladen, diese Forderungen zu diskutieren. In einer umstrittenen Wahl wird schließlich der einzige Kandidat gewählt, der der Einladung nicht nachgekommen ist. Mehrere der im Film vorkommenden Aktivistinnen wurden im Zuge der anschließenden Proteste festgenommen – der Optimismus, den Rakhshan Bani-Etemad in OUR TIMES einfing, ist endgültig verflogen. Wie immer in ihren Dokumentarfilmen ist Bani-Etemad selber präsent: nicht nur als direkte Adressatin, sondern auch mit ihren Gedanken und Reflexionen zum Gesehenen und Gehörten. GILANEH (Rakhshan Bani-Etemad & Mohsen Abdolvahab, Iran 2005, 11. & 24.5.) 1988, gegen Ende des Iran-Irak-Krieges. Die verwitwete Gilaneh begleitet ihre schwangere Tochter Maygol von ihrem Dorf Espili nach Teheran, wo sie hoffen, Maygols Mann zu finden, der desertiert ist und von dem sie keine Nachricht hat. Während sie nach Teheran reisen, begegnet ihnen ein Strom von Menschen, die aus der Stadt fliehen. Die Reise wird zum Trip in die Dunkelheit, die Angst und die ständig spürbare Bedrohung. 2003, 15 Jahre nach Kriegsende. Die älter gewordene Gilaneh kümmert sich aufopferungsvoll um ihren Sohn Ismael, der an Leib und Seele zerstört aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Die aktuellen Fernsehbilder des Einmarschs der US-amerikanischen Truppen in den Irak rufen bei Mutter und Sohn alte Traumata hervor. In ihrem Schmerz und mit ihren quälenden Erinnerungen sind sie allein, vergessen von der Gesellschaft – zwei vom Krieg zerstörte Leben. KHOON BAZI (Mainline, Rakhshan Bani-Etemad & Mohsen Abdolvahab, Iran 2006, 15. & 22.5.) Die ausgelassenen Szenen zwischen Sami und ihrer erwachsenen Tochter Sara in ihrer Wohnung zu Beginn des Films täuschen. Sara (gespielt von Bani-Etemads Tochter Baran Kosari) ist wie so viele junge Menschen im Iran drogenabhängig. Ihr Verlobter, der davon nichts ahnt, ist nach Kanada emigriert und träumt davon, sie bald nachzuholen. Eine gemeinsame Autofahrt ans Kaspische Meer, wo Sara in eine Entzugsklinik kommen soll, bringt die Konflikte zwischen Mutter und Tochter unerbittlich ans Licht. Sara oszilliert zwischen Selbsthass, destruktiven Tendenzen und dem Wunsch aufzuhören, die Mutter ringt mit ohnmächtiger Verzweiflung. Ein Besuch beim getrennt lebenden Vater reißt zudem alte Wunden wieder auf. Mit einer nah an die Protagonist_innen kommenden Handkamera und in stark entsättigten Farben erzählt Rakhshan Bani-Etemad aus der Perspektive der Mutter vom Schrecken, seinem Kind nicht helfen zu können. (al)

Mit Dank an Noori Pictures und Anke Leweke.

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