REPORTER (Ludger Blanke, 1991) Zum Auftakt ein Meisterwerk der dffb-Dokumentarfilmgeschichte: Während der Koalitionsverhandlungen nach der Berliner Abgeordnetenhauswahl 1990 folgt Ludger Blanke in seinem Abschlussfilm einem Reporterteam des ZDF und zeigt dabei, wie Macht sich darstellt und medial vermittelt wird. Es entsteht ein Stimmungsbild des politischen Nachwendeberlin. Am Rande des Geschehens: der damalige Abgeordnetenhauspräsident Jürgen Wohlrabe. Fast 25 Jahre zuvor, im ersten dffb-Jahrgang, war der Student Thomas Hartwig der Aufgabenstellung seines Dozenten und Direktors Erwin Leiser gefolgt und hatte im Frühjahr 1967 einen Dokumentarfilm zur Abgeordnetenhauswahl gedreht, ein Porträt des jungen CDU-Politikers Wohlrabe: DER KANDIDAT. Schon bald darauf wäre dies undenkbar gewesen: Ein linker Student filmt einen erbitterten Gegner der Studentenbewegung und „exemplarischen Faschisten“ (Rudi Dutschke). (20.3.)
Im Laufe von 50 Jahren dffb-Geschichte entstand ein unermesslicher Fundus an Berlinbildern. Ganz schlicht BERLIN (1969) betitelte die kroatische Schriftstellerin Irena Vrkljan ihren 1969 entstandenen Abschlussfilm, der ebenso Zeugnis ihrer Außenseiterposition an der studentenbewegten dffb der Anfangszeit ist, wie er die Frage nach dem Politischen im Film stellt. Irina Hoppe fährt in ihrem experimentell-dokumentarischen Abschlussfilm LINIE 8 (1983) mit der gleichnamigen U-Bahnlinie unter der Berliner Mauer hindurch und zeigt die unterschiedlichen Protagonisten wie Antlitze der Stadt, zwischen proletarischen Resten im Wedding und dem Kreuzberg der Hausbesetzer. Thomas -Arslan dokumentiert in AM RAND (1990) die Demontage der Berliner Mauer, deren dabei hinterlassene Brache in Jan Bachmanns Potsdamer-Platz-Komödie UH, IT'S GREAT HERE! (2011) längst von Konsum überbaut ist. (21.3.)
Berlin-Filme, wenn auch eher in der Schilderung alltäglicher Umgebungen und Milieus zu ihrer jeweiligen Entstehungszeit, sind auch die Spielfilme IHR UND EURE WELT (Janin Halisch, 2014) und DAS GLÜCK MEINER SCHWESTER (Angela Schanelec, 1995). In Schanelecs Abschlussfilm scheint schon das ganze intellektuelle wie ästhetische filmische Universum der späteren Berliner-Schule-Protagonistin enthalten, während man bei Halisch noch gespannt auf die weiteren Entwicklungen sein darf. So herausragend wie unterschiedlich ist bei beiden Filmen die Kameraarbeit von Reinhold Vorschneider und Carmen Treichel, die ebenfalls an der dffb studiert haben. (21.3.)
Immer wieder entstehen an der dffb Filme, die narrative und audiovisuelle Konventionen nicht mit dem Florett der klassischen Avantgarden, sondern der Brechstange eines mal mehr, mal weniger brachialen Humors herausfordern. Zu Beginn des Programms führt Harry Rag aus, was DER BAUER AUF DEM PARKDECK (1983) zu suchen hat. In FLUG IN GEFAHR (1987) zeigt Ludger Blanke, wie lebensgefährlich es sein kann, vor dem Fernseher einzuschlafen, während Christoph Willems in DAS FRÜHSTÜCK (1987) minutiös die Morgenmahlzeit eines Killers seziert, um ihn schließlich dilettantisch an Aktenzeichen XY scheitern zu lassen. UNSER MANN IM ALL (1991) erzählt in faszinierend arhythmischer Manier von Juri Gagarins Sohn: Wo der Vater das Weltall bereiste, findet sein Nachkomme kaum noch genug Energie, um die Badewanne zu verlassen. Jan Bachmanns MAN MÜSSTE RÄUBER SEIN ODER ZUMINDEST SPRENGMEISTER (2015) geht von einem Dilemma aus: "Gutes Essen ist teuer und schlechtes Essen ist billig." (22.3.)
Kurz vor beziehungsweise nach dem Mauerfall entstanden drei eigensinnige Filme, die Alltagsbeobachtungen mit Motiven verbinden, die man sonst eher aus dem Science-Fiction-Kino kennt. In DIE SONNE KOMMT (1988) von Georg Maas wird ein Arbeiter auf dem Nachhauseweg von der plötzlichen Fragmentarisierung der Wirklichkeit heimgesucht. Die Hauptrolle übernimmt der Beatles-Imitator Klaus Beyer, für das außergewöhnliche Sounddesign ist Frank Behnke zuständig. Als Mitglied der Band Mutter taucht Behnke auch in Stephan Setteles abstrakter Komödie SICH NENNEN (1990) auf, einer Studie über das Auftauchen der "neuen Gehirne". Wolfgang Schmidts CANNAE (1989) wiederum entwirft ein "ironisches Assoziationsmosaik, in dem die Tonspur gelegentlich wilde Eigenständigkeit behauptet" (film.at). (22.3.)
Im Rahmen der Kampagne gegen den Springerkonzern drehten Studierende der dffb eine Reihe von Filmen, darunter Harun Farockis IHRE ZEITUNGEN (1967). Etwa zeitgleich entstand Carlos Bustamantes agitativer Film zum Vietnamkrieg DE OPPRESSO LIBER (1968). Schon früh mischten sich elegischere Momente in die Filme. ACH VIOLA (1971) verbindet Aufnahmen der politischen Auseinandersetzungen mit einer poetischen Spielhandlung und nimmt leise eine Entwicklung vorweg, die fast 20 Jahre später in Angelika Levis AUF GEHT'S. ABER WOHIN? (1989) kulminieren sollte – dem Zerbröseln der Agitation zugunsten des Reflexiven. (23.3.)
Zwei Berlins, zwei Welten, eine Zeit: West-Berlin sieht in Ed Herzogs KUDAMM SECURITY (1997) aus wie das Hongkong in den 90er-Jahre-Filmen von Wong Kar Wai (Kamera: Sebastian Edschmid). Dffb-Slacker-Star Mario Mentrup spielt darin einen Hochstapler und Möchtegernwachmann. Beinahe zeitgleich drehte der koreanische Student Cheol Mean Whang seinen schwarzweißen 16-mm-Abschlussfilm FUCK HAMLET (1996) in Ost-Berlin, bevölkert von -driftenden Hippies, armselig wirkenden Stu-dentendemos und einer selbstbezogenen und zerfasernden Kunst- und Kulturszene. Ein Nachwendeporträt aus einer eigenwilligen Außenperspektive, durchsetzt von amüsanten Cameo-Auftritten der (gefühlt) gesamten koreanischen Community Berlins. (23.3.)
CON AMORE FABIA (1993): Anfang der 90er Jahre kehrte Maria Teresa Camoglio nach Sardinien zurück, um dort ihren Abschlussfilm zu drehen. Ein Porträt der jungen Fabia von ihrer Kindheit bis in die Jugend, die mit distanziertem Blick den Wandel ihrer Familie begleitet. In ruhigen, behutsamen Bildern begleitet Maria Teresa Camoglio Fabia dabei, wie sie sich den gesellschaftlichen Erwartungen, in die sich zwei ihrer Geschwister fügen, ebenso zu entziehen beginnt wie der destruktiven ausweglosen Flucht in die Sucht, die einer ihrer Brüder wählt. (26.3.)
Stephan Settele, José van der Schoot und Matl Findel entwerfen in ihren Filmen ein breites Panorama feinen Humors und gehören zu den Entdeckungen des Programms. Settele drehte innerhalb weniger Jahre zahlreiche Kurzfilme und wirkte an mindestens ebenso vielen mit. Sein ERFINDEN / WIDERLEGEN (1989) ist ein Porträt dreier Menschen, die etwa Preisschildhalter erfinden und kurzerhand die Relativitätstheorie widerlegen. In José van der Schoots MISE-EN-SCENE (1991) dagegen versucht ein Regisseur (Hanns Zischler) einen Film zu inszenieren, der sich jedoch nicht so entwickeln mag, wie er sich dies erhofft. Überaus heiter kippt der Film von einer absurden Szene in die nächste, ganz dem Motto folgend: The show must go on. Matl Findel schließlich erweckt die Kreuzung Eberswalder Straße/Danziger Straße in seinem DAS BLAUE VOM HIMMEL (1992) zu tatieskem Leben und hebelt sprichwörtlich die Schwerkraft aus. (27.3.)
Eine leise Szene im Schnee, ein schwarzes Kind läuft in einen Anorak gemummelt auf die Kamera zu. Unterlegt sind die Bilder von Skip Normans CULTURAL NATIONALISM (1968) mit einem kraftvollen Monolog des Mitbegründers der Black Panther Party Bobby Seale. Zeitsprung 1985: Graue Stadtarchitektur bildet den Ausgangspunkt einer atmosphärischen Bestandsaufnahme in Raoul Pecks MERRY CHRISTMAS DEUTSCHLAND … (1985), braune Soße läuft wiederholt über Teller und Tisch in Wolfram Kohlers collageartiger Annäherung an die politische -Situation in Südtirol im nationalistisch aufbrausenden Gedenkjahr 1984 (TIROLER HELDEN-GEDENK 84, 1985). In Julian Radlmaiers EIN GESPENST GEHT UM IN EUROPA (2012) sitzt der Regisseur zu Beginn im historischen Kostüm neben seinem Kommilitonen Max Linz (ebenfalls mit Gehrock und -stock) und reinszeniert europäische Ratlosigkeit des 19. Jahrhunderts. (27.3.)
Ästhetik muss politisch sein! Beobachtetes Alltagsleben spanischer Roma in einem Zeltlager am Rande einer Stadt, in zeitlos erscheinenden Schwarzweißbildern und mit einer abstrahierten Tonebene in A LA ORILLA DEL RÍO (Ricardo Iscar, 1991). Eine Reminiszenz an den Stummfilm zwischen Murnau und Dreyer in studentenbewegter Zeit ist DER EINSAME WANDERER (Philip Sauber, 1967); nicht weniger politisch – im Rückblick vielleicht sogar radikaler – als eine Demo zu filmen. Auch Max Linz' Farce DIE FINANZEN DES GROSSHERZOGS – RADIKANT FILM (2011) über "den (neofeudalen) Ausverkauf hiesiger Film- und Kunstproduktion" (Madeleine Bernstorff) lehnt sich zumindest im Titel an einen Stummfilm Murnaus an – zwischendurch auch an "Tatort". EIN SCHWEIGSAMER SOMMER (Yingli Ma, 1990) schließlich lässt das in schwarzweiß gefilmte sommerlich-entrückte Alltags-Berlin-Driften einer jungen chinesischstämmigen Frau auf die Fernsehbilder vom Tian'anmen-Platz prallen. (28.3.)
Eine der schönsten Kamerafahrten der dffb-Filmgeschichte führt uns in eine Kreuzberger Hinterhofwohnung. Die nächsten anderthalb Stunden zeigt uns Regisseurin Sema Poyraz in ihrem Abschlussfilm GÖLGE (1980) das Leben ihrer jugendlichen Protagonistin, ihre Konflikte mit der Familie, die viele Arbeit für die Schule, die Familie, aus der innerhalb der Wohnung nur der Fernseher eine ersehnte Flucht verheißt. In deutsch und türkisch mit Laiendarstellern gedreht, ist GÖLGE ein viel zu oft übersehener Meilenstein der deutschen Filmgeschichte: "In seiner konzeptionellen Strenge und in der Darstellung von Gesellschaft und Familie als dauerndem Aushandlungsprozess, wie in der sympathisierenden, nicht viktimisierenden Inszenierung der sexuellen Phantasien der erwachsen werdenden Gölge beschreitet er neue Wege." (Madeleine Bernstorff). Mehr als 25 Jahre später spielt Sema Poyraz in Hakan Savas Micans FREMD (2006) die aus der Türkei nach Berlin gekommene Mutter eines Sohnes, dem sie aus Kreuzberger Augen längst fremd geworden ist. (28.3.)
Zwei Kameraoperationen, die zwei dffb-Filme der frühen 80er Jahre miteinander sowie mit dem Berliner Stadtteil Kreuzberg verbinden: MAMMA HEMMERS GEHT MIT IHREM PASTOR ZUM LETZTEN MAL ÜBER'N HEINRICHPLATZ: KREUZBERG ADIÖ (Rosi S.M., 1981) hält in einem 360°-Schwenk historische Bausubstanz und gesprühte Politparolen im Zentrum des alten "Kreuzberg 36" fest. In Lilly Grotes mit entspannter Coolness zwischen Alltagsbeobachtung, angedeutetem Krimiplot und einer desillusionierten Liebesgeschichte hin und her pendelndem, von einem minimalistischen Elektro-Soundtrack kongenial untermaltem Spielfilm ODER WAS SONST NOCH GESCHAH (1982) bleibt zwischendurch noch Zeit für einen Panoramablick über die Moritzplatz-Umgebung. (29.3.)
Die Filme, die Ute Aurand und Ulrike Pfeiffer in den frühen 80er Jahren mal gemeinsam, mal jede für sich drehten, suchen selbst innerhalb des vielseitigen Produktionsumfelds an der dffb ihresgleichen: sinnliches, im besten Sinne hemmungsloses Avantgardekino fernab aller Dogmatismen. SCHWEIGEND INS GESPRÄCH VERTIEFT (1980) geht von Lichtreflexionen und Spiegeleffekten aus, UMWEG (1982) von einer Zugfahrt, GALA (1983) kommt in einer umwerfenden Badewannenszene zwischenzeitlich zum Stillstand. OKIANA (1983) schwingt sich zu regelrecht orgiastischen Farbexzessen auf und zieht in gewisser Weise die Summe aus den vorherigen Filmen. "Wir bewegen uns vorwärts in einer wirklichen Unwirklichkeit – auf einem Schiff, mitten in der Stadt, umgeben vom Meer." (Aurand/Pfeiffer) (29.3.)
Zwei Projekte, die sich explizit als alternative -Publizistik verstanden, waren die Kollektivunternehmungen WOCHENSCHAU II (1969) und INFERMENTAL 1 (1981/82). Die erste "Publikation" besteht aus der Begleitung interner Konflikte zwischen Studentenschaft und Direktion, in Zusammenhang gebracht mit den Auseinandersetzungen um den Besuch von US-Präsident Richard Nixon in Berlin: verschiedene, aber miteinander verbundene Schauplätze der Politisierung. Die zweite "Publikation" war ein erstes internationales Videokunst-Magazin. Initiiert wurde INFERMENTAL von Gábor Bódy. Die "Pilotnummer" wurde an der dffb unter der Leitung von Gusztáv Hámos produziert. Wir zeigen die erste Rubrik aus INFERMENTAL 1: THE MIRROR AS MOTIVE. (30.3.)
In ihrem Abschlussfilm WEGE GOTTES (2006) folgt Eva Neymann zwei Straßenkindern in Odessa und begleitet diese in ihrem Alltag. Gedreht auf mittlerweile historischem MiniDV-Material gelingt ihr eine überaus behutsame Annäherung an das harte Leben der Kinder. "Es sind Straßenkinder, die haben keine Zukunft. Warum so? Die Wege Gottes sind unergründlich, das bedeutet vielleicht, dass man auf ein Wunder hoffen darf." (Eva Neymann) Astrid Ofners mittellanger und auf 35 mm gedrehter Dokumentarfilm JETZT UND ALLE ZEIT (1993) über eine Kongregation von Dominikanerinnen übersetzt die Enge des Klosters in eine kondensierte Betrachtung eines Tages. Nicht die Institution Kloster steht dabei im Mittelpunkt, sondern das strukturierte Leben der Schwestern, das durch Arbeit, Gebete, Gesänge und Kontemplation einen lyrischen Rhythmus entwickelt. (30.3.) (hb/re/lf/fl/ft)
Eine Veranstaltung der dffb. Das Programm wird gefördert durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin.