Am Eröffnungsabend sind zwei Filme zu sehen, an deren Digitalisierung die Filmemacher maßgeblich beteiligt waren. Den Auftakt macht Michael Kliers OSTKREUZ (D 1991, 26.10.), der in ein entfärbtes Nachwende-Berlin führt, in dem gestrandete Existenzen ihr Glück suchen. Neben der aufregenden Begegnung mit längst vergangenen Stadtansichten voll Brachen und ruinösen Häusern öffnet der Film außerdem die Augen dafür, dass selbst Filme aus der jüngeren Vergangenheit ins digitale Zeitalter überführt werden müssen. Auch in Wim Wenders' ALICE IN DEN STÄDTEN (BRD 1974, 26.10.) streunen ein Mädchen und ein Mann durch wenig glamouröse Stadtlandschaften, doch endet diese Reise heiter in einer ungewöhnlichen Freundschaft. In den Tagen der gemeinsamen Reise haben der Journalist Philip Winter und die kleine Alice sich gegenseitig das Sehen gelehrt. Ein weiterer Regisseur, der aktiv in die Digitalisierung seines Werks involviert war, ist Peter Fleischmann, für dessen Film DAS UNHEIL (BRD 1972, 29.10.), eine Satire über die deutsche Kleinstadthölle, zwei unterschiedliche Versionen digital erarbeitet wurden. Nach dem preisgekrönten Film Jagdszenen aus Niederbayern geriet das umstrittene Folgewerk Fleischmanns mit seinem Personal aus verlogenen Kirchengängern, Alt-Nazis, Heimatvertriebenen und APO-Aktivisten in Vergessenheit und kann nun dank der Digitalisierung wiederentdeckt werden. Zwei-Versionen-Lösungen bieten sich auch für zensierte oder gekürzte Filme an. So wurde beispielsweise Helmut Käutners Melodram AUF WIEDERSEHN, FRANZISKA! (D 1941, 27.10.) nach dem Ende der NS-Diktatur von seinem propagandistischen Ende bereinigt. Marianne Hoppe spielt die Ehefrau eines Fotojournalisten, der für seine Reportagen durch die Welt reist und darüber seine Familie vernachlässigt. Doch als er sich entschließt, sich mehr um Frau und Kind zu kümmern, drängt Franziska ihn, der Einberufung zu einer Propagandakompanie Folge zu leisten. Eine völlig andere Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg bietet Konrad Wolfs MAMA, ICH LEBE (DDR 1977, 28.10.): Hier entschließen sich vier deutsche Kriegsgefangene, an der Seite sowjetischer Soldaten gegen die Wehrmacht an die Front zu ziehen, geraten dabei aber in Gewissenskonflikte, wie sie sich verorten können, ohne zum Verräter für die eine oder andere Seite zu werden. Konrad Wolfs Kameramann Werner Bergmann hatte in den 60er Jahren den technischen Experimentalfilm DEFA 70 (DDR 1967, 27.10.) gedreht, in dem die Reise zweier Männer im Auto den Vorwand liefert, mit einer 70-mm-Kamera Landschaften, Sonnenuntergänge, Jahrmarktszenen einzufangen. Als Schnittstelle zur derzeit laufenden Harun-Farocki-Retrospektive werden zwei Filme des Regisseurs als digitale Premieren gezeigt: BILDER DER WELT UND INSCHRIFT DES KRIEGES (BRD 1988, 27.10.) reflektiert die Bedeutung und Verwertung von Bildern in Kriegszusammenhängen. Bilder aus Ausschwitz werden zum Ausgangspunkt für eine essayistische Auseinandersetzung mit "blinden Flecken" der Wahrnehmung und der Geschichte. Auch in ETWAS WIRD SICHTBAR (BRD 1982, 28.10.) geht es um die Macht der Bilder, hier um die über den Vietnamkrieg. Eingebettet in eine Spielhandlung über ein Westberliner Paar, geht der Film der Frage nach, wodurch man sich politisiert und welche Nachwirkungen der Krieg und die Proteste hinterlassen. Die Rainer-Werner-Fassbinder-Foundation präsentiert die digitale Premiere von MARTHA (BRD 1974, 28.10). Mit diesem Film über eine sadistische Ehehölle konnte sich Karlheinz Böhm endgültig von seinem Image als Publikumsliebling befreien. Margit Carstensen spielt die von ihm gedemütigte Ehefrau, die in vollständige Abhängigkeit von ihrem despotischen Ehemann gerät. Über die Nachwirkungen des Holocaust geht es Andres Veiel in seinem Dokumentarfilm BALAGAN (D/F 1993, 29.10.): Eine jüdisch-palästinensische Schauspieltruppe inszeniert ein Theaterstück über die NS-Verfolgung und setzt sich mit der Instrumentalisierung des Holocausts für politische Zwecke auseinander. Die jüdische Geschichte ist spätestens seit dem Holocaust als Teil der deutschen Geschichte zu begreifen. In diesem Zusammenhang ist die Entdeckung und Rekonstruktion des polnisch-jüdischen Films MIR KUMEN ON (PL 1936, 28.10.) von Aleksander Ford als kleine Sensation zu verstehen: Der Dokumentarfilm über ein Kinderpflegeheim des jüdischen Arbeiterbundes in der Nähe von Warschau ist vollständig in Jiddisch gedreht. Er wurde in verschiedenen Fassungen in unterschiedlichen Archiven überliefert und konnte nun rekonstruiert und digitalisiert werden. Am letzten Festivaltag führen zwei Filme in das Berlin der 60er Jahre: ZWEI UNTER MILLIONEN (Victor Vicas, Wieland Liebske, BRD 1961, 29.10.) ist die Liebesgeschichte eines jungen Paares, das sich eine gemeinsame Existenz aufbauen will und dabei von Ost- nach West-Berlin wechselt. Die realitätsnahe Inszenierung und die Stadtaufnahmen kurz vor dem Mauerbau machen aus dieser Ost-West-Liebesgeschichte einen einzigartigen Berlin-Film. Aus demselben Jahr stammt Hansjürgen Pohlands semidokumentarischer Film TOBBY (29.10.) über den Jazz-Musiker Toby Fichelscher, der sich durch die kriegsversehrte Stadt mit ihren verrauchten Kneipen treiben lässt. Der Underground-Film bildet den Abschluss des Festivals.
Die Kommunalen Kinos sind bei der Sichtbarmachung des Filmerbes wichtige Partner der Archive. Für dieses Engagement zeichnet der Kinematheksverbund jährlich kommunale Kinos mit dem Kinopreis aus. Die Verleihung des Kinopreises findet im Rahmen von Film:ReStored am UNESCO-Welttag des audiovisuellen Erbes, dem 27.10., statt. (ah)