Direkt zum Seiteninhalt springen

Die Retrospektive schlägt "Zwei Wege" (so der Titel von Farockis allererstem Film) durch das Werk vor. Unter dem Stichwort "Nacheinander" sind alle derzeit verfügbaren Kino- und Fernsehproduktionen Farockis in der Reihenfolge ihrer Entstehung zu sehen.
Die zweite, parallel zur chronologischen Abfolge programmierte Reihe heißt "Nebeneinander" und borgt sich damit einen Ausstellungstitel Farockis, um spezifische Bezüge im fast 50 Jahre umspannenden Korpus der Kino- und Fernseharbeiten sichtbar zu machen. Jedes Programm wird von Einführungen oder Gesprächen mit Kolleg*innen, Freund*innen, Mitarbeiter*innen Farockis begleitet.

Nacheinander: 1992–2013
KAMERA UND WIRKLICHKEIT (mit Andrei Ujica, 1992, 21.11.) Farocki und Ujica diskutieren das Bildmaterial der rumänischen Revolution 1989, das sie für Videogramme einer Revolution verwendet haben, in einer Gesprächsrunde mit Andrei Plesu, dem ersten Kulturminister Rumäniens nach der Revolution, und den Medienwissenschaftlern Friedrich Kittler, Manfred Schneider und Peter M. Spangenberg.

EIN TAG IM LEBEN DER ENDVERBRAUCHER (1993, 22.11.) Aus einer Collage aus Werbespots entsteht ein fiktiver Tagesablauf im Leben des deutschen Konsumenten: vom morgendlichen Zähneputzen bis zum nächtlichen Alptraum, nicht ausreichend versichert zu sein.

DIE UMSCHULUNG (1994, 22.11.) zeigt, wie ostdeutsche Angestellte von einem westdeutschen Trainer Verkaufstechniken beigebracht bekommen und führt vor Augen, „was in Ostdeutschland nach 1989 errichtet wurde: ein Trainingscamp der Marktwirtschaft, in dem Selbstinszenierung erlernt wird.“ (Stefan Reinecke)

DIE FÜHRENDE ROLLE (1994, 22.11.) sieht sich die Bilder der Wende an, die vom DDR- und BRD-Fernsehen zwischen dem 10. Oktober und 25. November 1989 ausgestrahlt wurden.

ARBEITER VERLASSEN DIE FABRIK (1995, 22.11.) Eines der ersten Motive des Kinos – Arbeiter verlassen die Fabrik – verfolgt Farocki quer durch die Filmgeschichte. Bilder von Streiks und Ansammlungen von Arbeitslosen vor den Werktoren sprechen von den Arbeitskämpfen der Vergangenheit; in der Gegenwart sind es die Überwachungskameras, die die bestimmenden Bilder liefern.

DER AUFTRITT (1996, 25.11.) Eine Werbeagentur stellt dem Kunden eine Werbekampagne vor. "In der Werbebranche wird ein sprachlicher Ausdruck ausführlicher erörtert als in einem poetologischen Seminar und ein Bildmotiv tiefer ausgelegt als in einer ikonographischen Studie." (HaF)

DIE BEWERBUNG (1997, 25.11.) Schulabgänger, Langzeitarbeitslose, Manager lernen in Kursen, wie man sich dem potentiellen Arbeitnehmer am besten anpreist. In Rollenspielen üben sie, als Darsteller ihrer selbst zu agieren, im Spannungsfeld zwischen Anpassung und Erhaltung der eigenen Persönlichkeit.

STILLLEBEN (1997, 26.11.) Wie werden Gegenstände des täglichen Lebens in Kunst und Werbung inszeniert? Farocki zieht einen Vergleich zwischen der flämischen Stillleben-Malerei des 17. Jahrhunderts und Werbefotos der Gegenwart.

DER AUSDRUCK DER HÄNDE (1997, 26.11.) "Die ersten Großaufnahmen der Filmgeschichte richteten sich auf das menschliche Gesicht, die nächsten auf die Hände. Oft sollen die Hände etwas verraten, was der Ausdruck des Gesichts verbergen will: etwa, wenn die Hand ein Glas zerdrückt, ohne dass im Gesicht Erregung abzulesen ist." (HaF)

WORTE UND SPIELE (1998, 26.11.) Ein Blick auf den Apparat hinter den Kulissen von Talkshows. "Der wichtigste Rohstoff dieses Industriezweiges, der so neu ist, dass er seine Kosten und Extrakosten, Profite und Extraprofite noch nicht zuverlässig voraussehen kann, ist der Alltagsmensch. Der ist billig und will sich zur Erscheinung bringen, aber hat er einen Schauwert?" (HaF)

GEFÄNGNISBILDER (2000, 27.11.) verknüpft Überwachungsbilder aus Gefängnissen mit Bildern aus der Filmgeschichte. "Das Kino fühlte sich immer schon von den Gefängnissen angezogen, heute sind die Gefängnisse voll von Videokameras zur Überwachung. Diese Bilder sind ohne Schnitt und Formatwechsel, ohne Verdichtung von Zeit und Raum und deshalb besonders geeignet, die Ereignislosigkeit auszudrücken, in die der Gefangene zur Strafe versetzt sein soll. Die Überwachungsbilder zeigen die Norm und rechnen auf eine Abweichung." (HaF)

DIE SCHÖPFER DER EINKAUFSWELTEN (2001, 27.11.) Um das Einkaufsverhalten der Kunden zu optimieren, werden Supermärkte und Einkaufszentren minutiös geplant. Farocki beobachtet in Diskussionen über Wirkungsästhetik und Profitkalkulation die komplexen Entscheidungsprozesse zwischen Architekten, Bauherren und Analytikern.

ERKENNEN UND VERFOLGEN (2003, 28.11.) Ausgehend von den ersten öffentlichen Bildern, die 1991 von in Waffen eingebauten Kameras zu sehen waren, beleuchtet der Film Zusammenhänge zwischen industrieller Produktion und militärischer Strategie.

NICHT OHNE RISIKO (2004, 28.11.) Eine zweitägige Verhandlung über die Vergabe von Risikokapital: Beim Feilschen hängt alles an der richtigen Performance, dem kultivierten Vortäuschen, Drohen und Provozieren.

AUFSCHUB (2007, 28.11.) besteht aus historischen Aufnahmen des Durchgangslagers Westerbork, die der Häftling Rudolf Breslauer 1944 im Auftrag des Lagerkommandanten machte und die ungeschnittenes Fragment blieben. Eine Reflexion über Wahrheitsgehalt und Intention der Bilder.

ZUM VERGLEICH (2009, 29.11.) zeigt Menschen in Burkina Faso, Indien und Europa bei der Herstellung und Verbauung von Ziegelsteinen. Die kleinste Einheit des Bauens und ihre unterschiedlichen Entstehungsweisen bieten sich kommentarlos zum Vergleich.

EIN NEUES PRODUKT (2012, 29.11.) Vor Flipcharts mit bunten Kritzeleien entwirft eine Unternehmungsberatung für Neubauplanung neue Arbeitswelten. "Ihre Arbeit, das zeigt Farockis Film, besteht neben der Computersimulation von Räumen in der Suche nach neuen Worten, die die beratenen Firmen nutzen können, um sich ihren Mitarbeitern und Kunden als modern darzustellen." (Volker Hummel)

SAUERBRUCH HUTTON ARCHITEKTEN (2013, 29.11.) Beobachtung von Arbeitsprozessen im Berliner Architekturbüro anhand von sechs Projekten in unterschiedlichen Phasen.

Nebeneinander: Agitieren, Lehren, Lernen
Die acht Novemberprogramme von "Nebeneinander" nehmen das seit den frühen 70er Jahren andauernde Interesse Farockis für das Betreiben und das Beschreiben von Lern- und Vermittlungsprozessen in den Fokus. Es geht um Didaktik, Pädagogik, Vermittlung und um Überlegungen zu deren filmischer Konzeption.

Bildersehen lernen: Zeitlebens galt Farockis Interesse der Entwicklung filmischer Formen des Lernens und Lehrens. Die mit Hartmut Bitomsky konzipierte, jedoch nur in zwei Pilotfolgen produzierte Serie über "Audiovisuelle Codes", kurz AUVICO (1970), handelt von den Codes der Filmsprache. Auch der ebenfalls mit Bitomsky realisierte DIE TEILUNG ALLER TAGE (1970) ist ein Lehrfilm. Didaktisch erläutert wird ökonomische Theorie nach Marx. Mitgedacht wird in Farockis Didaktik stets die Konkretion. Wie abstrakte Theorie in filmische Gegenständlichkeit übertragen werden kann, davon handelt auch SCHLAGWORTE – SCHLAGBILDER. EIN GESPRÄCH MIT VILÉM FLUSSER (1986), in dem ein Alltagsgegenstand, die Titelseite der "Bild"-Zeitung, zum Objekt einer philosophisch-technikgeschichtlichen Lektüre wird. (20.11., zu Gast: Tom Holert und Ute Holl)

Vietnam vor Augen: Auf den Vietnamkrieg und dessen Bedeutung ist Farocki seit NICHT LÖSCHBARES FEUER (1969) immer wieder zurückgekommen. Dessen modellhafte Untersuchung der Napalmproduktion wurde zu einem wichtigen Film der Vietnam-Bewegung und gilt vielen als ein Muster von ästhetisch-reflektiertem "politischen Film". Jill Godmilow nimmt dessen Lehre in WHAT FAROCKI TAUGHT (1998) buchstäblich als Vorbild für ein detailgenaues Remake, das den Film knapp 30 Jahre später für nachfolgende politische Kämpfe re-appropriiert. Übertragung von Farockis Modell in die Gegenwart Berliner Mietspekulation betreiben auch Creischer, Siekmann, Strau und von Wulffen in ihrem Knetgummifiguren animierenden DIE KRUMME PRANKE (1997). (23.11., zu Gast: Alice Creischer und Andreas Siekmann).

Die Zeitschrift Filmkritik: Zwischen 1974 und 1984 (als die legendäre Zeitschrift ihr Erscheinen einstellen musste) gehörte Farocki zur Redaktion der "Filmkritik", die der Schriftsteller Rainald Goetz einmal "das Zentralorgan des jungen, harten Denkens" nannte. Eng verbunden war die "Filmkritik" mit der Filmredaktion des WDR, die die Zeitschrift mittels Aufträgen für Fernsehbeiträge querfinanzierte. Im Mai 1981 gestaltet die "Filmkritik" für das Magazin "KINO 81" eine eigene Sendung, 1983 kommentiert sie als Kollektiv "L'ARGENT" VON BRESSON (mit Hartmut Bitomsky und Manfred Blank). Auch Farockis Rezension alter und neuer FILMBÜCHER von 1986 gehört noch zu diesem Produktionszusammenhang. (24.11., zu Gast: Jörg Becker, Manfred Blank, Ralph Eue und Bert Rebhandl).

Kindersendungen: Zwischen 1973 und 1977 produzierte Farocki, teilweise gemeinsam mit Hartmut Bitomsky, Beiträge für das Kinderfernsehen. Das zweiteilige Programm mit kurzen Filmen für die Sendungen "Sesamstraße" und "Sandmännchen" zeigt deren formale Vielfalt. In den Filmen und EINSCHLAFGESCHICHTEN geht es um ökonomische und technische Verkehrsformen, um von Marx abgeleitete Mehrwerttheorie, aber vor allem um Alltagsgegenstände und deren Funktionen: um Schiffe, Brücken, Bahnen, um Hammer, Sägen und Bagger. Miniaturen von einem staunenden, wissbegierigen Blick auf die Welt und ihre Zusammenhänge. (25.11., zu Gast: Anna Faroqhi und Stefanie Schlüter)

Agitation: Auf zentrale politische Ereignisse des Jahres 1968 – die Anti-Springer-Kampagne und die US-amerikanischen Kriegsverbrechen in Vietnam – reagiert Farocki in IHRE ZEITUNGEN (1968), einem agitatorischen, für die politische Arbeit gedrehten Film. Helke Sander und Carlos Bustamante, die mit Farocki an der dffb studierten, zeigen ähnliche, interventionistische Mittel der Politisierung. Sanders BRECHT DIE MACHT DER MANIPULATEURE (1968) dokumentiert die Störaktion von Farocki und anderen während des Bundespresseballs in Berlin. Bustamantes DE OPPRESSO LIBER (1968) ist ein in pulsierendem Stakkato geschnittenes Agitprop-Film-Flugblatt. (25.11. zu Gast: Helke Sander und Carlos Bustamante)

Arbeiten – Beim Fernsehen: Das Programm versammelt einige Neuentdeckungen aus Farockis Werk, die direkt oder indirekt mit seiner Arbeit für das Fernsehen zusammenhängen. FAROQHI DREHT (1967) ist ein frühes "Making of" der Regisseurin Irena Vrkljan. AUVICO (1970) hätte bei gelungener Finanzierung eine medienpädagogische TV-Serie werden können. REMEMBER TOMORROW (1972) und MODERATOREN IM FERNSEHEN (1974) zeigen die Spielräume, die das Fernsehen zu dieser Zeit zuließ. Den Magazinbeitrag FILMBÜCHER (1986) sowie die kurze EINFÜHRUNG ZU "KUHLE WAMPE" (1986) und den FILMTIP "TOD DES EMPEDOKLES" (1987) betreute der WDR-Redakteur Werner Dütsch. (26.11. zu Gast: Werner Dütsch)

Brücken bauen/Bücher: Zu den wiederkehrenden Motiven in Farockis Werk gehören Bilder von Brücken und Büchern als Gegenstände der Vermittlung. Beide Motive vereint WIE MAN SIEHT (1986), der essayistisch-konstellative Film zu Bild-, Kriegs- und Verkehrstechnologien und deren zunehmender Computerisierung. Die ihn maßgeblich inspirierenden Bücher (unter anderem Hannah Arendts "Vita activa") erhalten im Abspann wie Mitwirkende eigene "Auftritte"– wie in den für die Kindersendung „Sandmännchen“ produzierten EINSCHLAFGESCHICHTEN: BRÜCKEN (1977), wo die Objekte mittels kindlich-überspringender Typologie den Status von Akteuren bekommen. (30.11., zu Gast: Anselm Franke)

Spielregeln: Seit spätestens "Ein Bild" (1983) betrieb Farocki Gegenwartsbeobachtung im Stil eines zurückgenommenen "Direct Cinema". Untersucht werden gesellschaftliche Transformationen anhand der Betrachtung institutionalisierter Lehr- und Vermittlungspraktiken. DIE SCHULUNG (1987) und DIE UMSCHULUNG (1994) dokumentieren im Abstand von sieben Jahren Seminare für die Optimierung von Angestellten. Farockis Interesse gilt dabei vor allem den Techniken, die vom Seminarleiter auf die eigene Person übertragen werden sollen; im Einstudieren von Körpersprache, Gestik und Mimik finden Psychologie und moderner Kapitalismus zueinander. (30.11., zu Gast: Thomas Elsaesser) (mba/al)

"Harun Farocki: Nacheinander/Nebeneinander" ist ein Programm des Arsenal – Institut für Film und Videokunst und des Harun Farocki Instituts. Es findet statt im Rahmen der Harun Farocki Retrospektive, einem Projekt des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) in Kooperation mit der Harun Farocki GbR, dem silent green Kulturquartier, dem Verlag der Buchhandlung Walther König, Savvy Contemporary und dem Haus der Kulturen der Welt im Rahmen der Berlin Art Week, gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa.

Gefördert durch:

  • Logo des BKM (Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien)

Arsenal on Location wird gefördert vom Hauptstadtkulturfonds