KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? (Slatan Dudow, D 1932, 1. & 4.6.) Hanns Eislers Publikation "Komposition für den Film" (1947 in den USA zunächst auf Englisch erschienen) gehört zu den wegweisenden filmmusiktheoretischen Schriften. Der Text ist ein Plädoyer für das Komponieren "zum und am" Film und eine Kritik z.B. der klassischen filmmusikalischen Verdopplung der dramaturgischen Ebene und des Bedienens von stimmungsgebenden Musikfloskeln. Eislers so eigenständige wie faszinierende Komposition für KUHLE WAMPE scheint wie ein frühes praktisches Beispiel seiner später formulierten Positionen. Als einer der wenigen kommunistischen Filme der Weimarer Republik zeigt Regisseur Dudow eine Arbeiterfamilie, deren Mitglieder auf ganz unterschiedliche und zum Teil dramatische Weise mit Arbeitslosigkeit und Armut umgehen. Unvergesslich Eislers "Solidaritätslied", gesungen in einem Berliner S-Bahn-Tunnel.
ALEKSANDR NEWSKIJ (Alexander Newski, Sergej M. Eisenstein, UdSSR 1938, 2. & 7.6.) Das Epos über den titelgebenden russischen Nationalhelden, der im 13. Jahrhundert die deutschen Ordensritter zurückdrängte, war der achte Film, der in der lebenslangen künstlerischen Partnerschaft zwischen Eisenstein und Kameramann Eduard Tissé entstand. Für die Arbeit an ALEKSANDR NEWSKIJ fanden die beiden im Komponisten Sergej Prokofjew einen Verbündeten für die Umsetzung ihrer Vorstellung der Einheit von Bild und Ton/Musik. Der Film wurde teilweise nach bereits existierenden Musikskizzen Prokofjews gedreht, spätere Szenen vertonte der Komponist nach ihrer Fertigstellung. Entstanden ist eine "russische, gleichwohl zeitgemäße Musik. Es erschien uns erheblich vorteilhafter, sie nicht in der Gestalt zu bringen, wie sie wirklich zu Zeiten der Schlacht auf dem Eissee geklungen hat, sondern in der Gestalt, wie wir sie uns heute vorstellen" (Sergej Prokofjew).
TAXI DRIVER (Martin Scorsese, USA 1976, 3. & 9.5.) Bernard Herrmann gilt als einer der einflussreichsten Komponisten Hollywoods, der die Musik zu Citizen Kane und anderen Filmen von Orson Welles schrieb, am kontinuierlichsten wohl aber mit Alfred Hitchcock zusammenarbeitete, für den er nicht weniger als neun Filmpartituren entwickelte. Herrmanns letzte Arbeit wiederum ist der atmosphärisch dichte, jazzig-melancholische Score für TAXI DRIVER, in der er zugunsten eines zuweilen dissonanten, bläser-lastigen musikalischen Ächzens und Rumorens auf die klassische und Herrmann-typische Orchestrierung verzichtet. Herrmanns Komposition echot den düsteren und hoffnungslosen Kosmos des taxifahrenden Vietnamveteranen Travis Bickle (Robert De Niro) im nächtlichen New York. Nach einer missglückten Liebesgeschichte mit der Wahlkampfhelferin Betsy steigert er sich in den missionarischen Wahn, eine Kinderprostituierte (Jodie Foster) zu retten und legt sich ein Waffenarsenal zu, um die Stadt von "Unrat" zu befreien.
CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, BRD/I 1968, 5. & 8.6.) Huillet/Straub zeigen Musik als tägliche Arbeit und Anstrengung, die man gegen Widerstände aller Art verteidigen muss. Basierend auf dem (fiktiven) Tagebuch von Bachs zweiter Frau Anna Magdalena, das die Regisseure aus erhaltenen Handschriften, Briefen und zeitgenössischen Berichten zusammengestellt haben, steht im Mittelpunkt die Geschichte einer Ehe unter den Bedingungen der Arbeit. „Ausgangspunkt für unsere CHRONIK war die Idee, einen Film zu versuchen, in dem man nicht Musik als Begleitung, auch nicht als Kommentar, sondern als ästhetische Materie benutzt. Ein Reiz des Films wird darin bestehen, dass wir Leute musizierend zeigen, Leute zeigen, die wirklich vor der Kamera eine Arbeit leisten.“ (Jean-Marie Straub)
ICH BEI TAG UND DU BEI NACHT (Ludwig Berger, D 1932, 6.6.) zählt zu den Höhepunkten der deutschen Tonfilmoperette, eines so spezifischen wie populären Genres am Übergang zwischen Stumm- und Tonfilm. Ohne sich zu kennen, bewohnen der Nachtkellner Hans (Willy Fritsch) und die Maniküre Grete (Käthe von Nagy) dasselbe Zimmer einer geschäftstüchtigen Vermieterin – er bei Tag und sie bei Nacht. „In dieser Situationskomödie um ein armes Liebespaar, das schichtweise im gleichen Bett schläft, ironisiert Berger den pompösen Ausstattungsstil der Ufa. Er konfrontiert die bescheidene Illusion – die beiden Liebenden halten sich gegenseitig für reich – mit dem großen Betrug. Während im Film luxuriöser Ufa-Glamour gezeigt wird und die Comedian Harmonists das schöne Kino besingen, fährt Bergers Kamera über Brandmauern und präsentiert schäbiges Hinterhofmilieu.“ (Hans C. Blumenberg)
MOULIN ROUGE (Baz Luhrmann, USA 2001, 10. & 24.6.) Zwischen Melodrama und Musical, Popgeschichte und Postmoderne: Luhrmanns furios gesampelter Zitatenschatz spannt sich musikalisch zwischen Jacques Offenbach und Elton John, John Lennon und Madonna, Sting und Freddie Mercury auf – um nur einige wenige zu nennen. Einer Perlschnur gleich fügt sich Nummer an Nummer um die tragische Liebesgeschichte zwischen dem mittellosen Schriftsteller Christian (Ewan McGregor) und der Startänzerin und Kurtisane Satine (Nicole Kidman). Die von Kidman und McGregor gekonnt selbst gesungene und getanzte Extravaganza spielt um die Jahrhundertwende im legendären Pariser Nachtclub Moulin Rouge, den Luhrmann als schrille, reizüberflutete, synthetisch-schimmernde Oberfläche inszeniert.
ON CONNAÎT LA CHANSON (Das Leben ist ein Chanson, F/CH/GB/Italien 1997, 11. & 23.6.) Liedzeilenweise brechen die Sehnsüchte aus ihnen heraus: Lippensynchron legt der auch musikalisch experimentierfreudige Resnais im Playback-Verfahren der frustrierten Geschäftsfrau Odile (Sabine Azéma), ihrem Ehemann Claude (Pierre Arditi), Odiles langzeitstudierender Schwester Camille (Agnès Jaoui) und dem Yuppie-Makler Marc (Lambert Wilson) Teile klassischer Chansons oder französischer Popsongs in den Mund. Die spielerische Leichtigkeit dieses Kunstgriffs grundiert ein so komplexes wie amüsantes Beziehungsgeflecht, das, von Missverständnissen und Verwicklungen weiter verkompliziert, seiner Implosion im Zuge einer Wohnungseinweihung entgegensteuert.
FLÜSTERN UND SCHREIEN – EIN ROCKREPORT (Dieter Schumann, DDR 1988, 13.6.) "Dieser Film ist laut zu hören!" heißt es gleich zu Beginn. Eine Referenz an den Musikfilm, der dieser "Report" indes doch nicht (nur) ist. Gezeigt werden vielmehr Positionen der vielfältigen Rockszene in der Endphase der DDR in Form von vier ganz unterschiedlichen Rockbands ("Silly", "Feeling B", "Chicoree" und "Sandow"). Im Mittelpunkt stehen Tourneeaufnahmen, Ausschnitte von Konzerten, Interviews mit den Bandmitgliedern sowie Gespräche mit ihren zumeist jugendlichen Fans, die ihr beengtes Leben in der DDR zum Teil erstaunlich offen und kritisch kommentieren. Regisseur Schumann schreibt: "Rockmusik als Artikulation von Alltagserfahrungen, Träumen, Lebenshaltungen. Der Film beschreibt, wie das funktioniert, und wird selbst zum Mittler von Emotionen und Gedanken."
NOWY WAWILON (Das neue Babylon, Grigori Kosinzew, Leonid Trauberg, UdSSR 1929, 15. & 17.6., am Klavier und im Gespräch: Eunice Martins) Der wohl bekannteste Film der FEKS, der Fabrik des Exzentrischen Schauspielers. Gegründet 1921 von Grigori Kosinzew und Leonid Trauberg in Petrograd – von den Enfants terribles der sowjetischen Avantgarde – entwickelten die Fekse den „Exzentrismus“ als neuartiges Ausdrucksmittel. NOWY WAWILON erzählt vor dem Hintergrund der Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 die Liebesgeschichte zwischen Louise, einer Verkäuferin im Kaufhaus "Das Neue Babylon" und überzeugten Kommunardin, und Jean, einem Soldaten, der gezwungen ist, die Kommune zu bekämpfen. Mit einer stark karikaturistischen und pathetischen Überzeichnung der Personen und Dekors, dem furiosen Tempo und der radikalen Montage brachte FEKS eine neue Ästhetik in das sowjetische Filmschaffen.
MAN NO RUN (Claire Denis, F 1989, 18. & 27.6.) Les Têtes brûlées: Das sind Jean Marie, Sansibar, Roger, Martin, Afata, fünf Musiker, die mit kahlrasierten Schädeln, weißer Körperbemalung und bunten Rucksäcken auftreten und traditionelle Bikutsi-Musik in einer wilden, rasanten, punkigen Rock-Variante mit elektrischen Gitarren und Schlagzeug spielen. Claire Denis lernte den Bandleader Jean Marie bereits während der Dreharbeiten zu Chocolat kennen. Ein gemeinsames Projekt entwickelte sich jedoch erst anlässlich der ersten Frankreich-Tournee der aus Kamerun stammenden Band. MAN NO RUN zeigt mitreißende Konzerte, ein begeistertes Publikum, aber auch die Langeweile zwischen den Auftritten und die Konfrontation mit der fremden, kühlen französischen Umgebung, die skurrile Szenen zur Folge hat.
YEAR OF THE HORSE – NEIL YOUNG & CRAZY HORSE LIVE (Jim Jarmusch, USA 1997, 16. & 24.6.) Anlässlich des Soundtracks zu Jarmuschs Dead Man kam es 1995 zur ersten Zusammenarbeit zwischen dem US-amerikanischen Independent-Regisseur und dem kanadischen Rockmusiker Neil Young. Wenige Monate später begleitete Jarmusch als bekennender Young-Fan dessen "Year of the Hors"-Tournee. Die während der Tour auf Super-8 aufgenommenen Konzertszenen und Backstage-Impressionen kombiniert Jarmusch mit Archivmaterial der Band aus den 70er und 80er Jahren sowie mit Gesprächen mit Bandmitgliedern. Ein außergewöhnlich inszenierter Musikfilm, eine Hommage und Liebeserklärung.
ASPHALT (Joe May, D 1929, 28. & 30.6., am Klavier und im Gespräch: Eunice Martins) So rhythmisch wie mühselig wird der dampfende Asphalt von aufgereihten Arbeitern festgestampft, bevor das urbane Leben zwischen Hochglanzkarosserien, abgetakelten Pferdedroschken, Flaneuren und Geschäftigen die Prachtboulevards in Beschlag nimmt. Der junge Polizeiwachtmeister Holk (Gustav Fröhlich) versucht das chaotische Treiben und die unterschiedlichen Strömungen als pflichtbewusster Straßenpolizist in Bahnen zu lenken, während sein Leben unter dem Einfluss der verführerischen Juwelendiebin (Betty Amann) eben aus diesen gerät. Dokumentarische Straßenaufnahmen wie auch riesige, im Atelier geschaffene Straßendekors entwerfen Großstadtszenerien, in der Halbweltmilieu auf biederes Bürgertum stößt.
JALSAGHAR (Das Musikzimmer, Satyajit Ray, Indien 1958, 25. & 29.6.) Hommage an die bengalische Musik, aber auch ein Abgesang auf die Dekadenz der indischen Aristokratie. In einem prächtigen Palast lebt ein einsamer und verarmter alter Adliger. Die Liebe zur Musik ruiniert ihn: Die Reste seines Vermögens verschwendet er für kostspielige Hauskonzerte und Tanzdarbietungen. "Der stolze alte Aristokrat ist schon zu weltfern, zu fossil, um für Ray ein Objekt kritischer Demontage zu sein, er ruht ganz und versinkt in der Musik, deren zärtlich-elegisches Melos entscheidend zur suggestiven Eigenart diese Films gehört." (Urs Jenny) Die Musik stammt von Vilayat Khan, einem der bekanntesten Sitarspieler Indiens. (mg)