SUNSET BOULEVARD (Billy Wilder, USA 1950, 1. & 7.5.) "Psss! Ich passe!" – in diesem Laut, fast tonlos gezischt von dem legendären Stummfilmkomiker Buster Keaton, steckt das Thema des Films: das Scheitern der Stummfilmschauspielerin Norma Desmond (Gloria Swanson),
die den mittellosen Drehbuchautor Joe Gillis (William Holden) an sich bindet und ihn in ihre Abhängigkeit bringt. Eine Studie über die fließenden Grenzen von Traum und Wirklichkeit, nachgezeichnet und kommentiert von Gillis’ Stimme aus dem jenseitigen Off. Wie Norma, der das Zusammenspiel von Bild und Stimme im Film versagt bleibt, existiert auch Gillis letztlich nur als körperlose Stimme. Hamburger Lektionen (Romuald Karmakar, D 2006, 2. & 11.5.) Im Januar 2000 fanden in der Hamburger Al-Quds-Moschee unter der Leitung des dortigen salafistischen Imams Mohammed Fazazi eine Reihe moderierter Fragestunden statt, die auf Video aufgenommen wurden. Der vollständige Wortlaut zweier „Lektionen“ von Fazazi in ihrer deutschen Übersetzung bildet die Grundlage von Karmakars HAMBURGER LEKTIONEN: In neutralem Dekor sitzend trägt Schauspieler Manfred Zapatka die Ausführungen vor – konzentriert, präzise und souverän. Das sparsame Arrangement der filmischen Lesung bietet die Möglichkeit, den Inhalt des Gesagten ohne Ablenkung zu analysieren und gewährt Einblick in die hermetische Binnenlogik einer extremistischen und gewaltbereiten Bewegung. Filme mit Karl Valentin (und natürlich Liesl Karlstadt, 3. & 18.5.). Er brummt, knurrt, granzt, krächzt, grantelt. Keine Stimmmodulation, -höhe, -tönung liegt dem legendären Komiker fern, keine Wortakrobatik ist dem begnadeten Autor zu verschlungen, keine Erzählvignette zu absurd. Präzise, perfekt getimt, bitterböse und dabei hinreißend komisch sind die zahlreichen Kurzfilme mit Karl Valentin und seiner nicht minder einmaligen Theater- und Filmpartnerin Liesl Karlstadt. Wir zeigen eine kleine Auswahl: ORCHESTERPROBE (Carl Lamač, Drehbuch: Karl Valentin, D 1933), DER FIRMLING(Karl Valentin, Liesl Karlstadt, D 1934), DER THEATERBESUCH (Joe Stöckel, Originalszene: Karl Valentin, D 1934), IM SCHALLPLATTENLADEN(Hans H. Zerlett, nach einem Bühnenstück von Karlstadt/Valentin, D 1934) und DER VERHEXTE SCHEINWERFER(Carl Lamač, Vorlage: Karl Valentin, D 1934). LA MAMAN ET LA PUTAIN (Die Mama und die Hure, Jean Eustache, F 1973, 3. & 5.5.) Alexandre (Jean-Pierre Léaud), ein junger Mann, der keinem Beruf nachgeht, lebt mit Marie (Bernadette Lafont) zusammen, kann jedoch seine frühere Geliebte nicht vergessen und versucht, sie durch einen Heiratsantrag zurückzugewinnen. Kurz darauf lernt Alexandre Véronika kennen und er lässt sich auf ein Dreiecksverhältnis ein, das in einen Selbstmordversuch Maries mündet. Jean Eustaches Studie über drei Personen, den Mikrokosmos St.-Germain-des-Prés in Paris und die gesamte französische Gesellschaft nach dem Trauma des Mai 68 ist ein Film, in dem sehr viel gesprochen und qualvoll zerredet wird. Dabei steht der Sprachgebrauch nicht nur quantitativ im Vordergrund, sondern ist auch zentrales Gesprächsthema der Protagonisten. KATZELMACHER (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1969, 4. & 9.5.) Lakonisch bis ausdrucks
los gesprochene Dialoge, Sprechblasen und Sprach-versatzstücke grundieren Fassbinders frühe Verfilmung eines eigenen Theaterstücks. Im Mittelpunkt steht ein Geflecht von Paarbe-ziehungen: "Marie (Schygulla) gehört zu Erich (Hirschmüller), Paul (Brem) schläft mit Helga (Ungerer), Peter (Moland) lässt sich von Elisabeth (Hermann) aushalten, Rosy (Sorbas) treibt es für Geld mit Franz (Baer)" (RWF). Modellhaft stilisiert und konzentriert, gleicht KATZELMACHER einer Studie über eine von Sprachlosigkeit und Langeweile geprägte Gruppe junger Leute, deren Apathie durch das Auftauchen des griechischen Gastarbeiters Jorgos (RWF) aufgebrochen wird. Der Verzicht auf Kamerabewegungen und Tiefenschärfe spiegelt die erstarrte, in Formeln gefangene Kommunikation wider. ANTIGONE (Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, F/D 1991, 10. & 19.5.) Eine antike Freiluft-Theaterruine auf Sizilien, durchflutet von Licht und Wind: Hierhin verlegen Straub/Huillet ihre Inszenierung von Sophokles’ antikem Trauerspiel um Antigone, die ihren in der Schlacht gefallenen Bruder gegen das Verbot des Herrschers von Theben beisetzt und dafür hingerichtet wird. Glasklare Bildkompositionen tragen die Wucht der Geschichte und die Kraft der Sprache wie des Sprechens: „Das rhythmische Stocken, Vers um Vers, kommt aus der beherrschten Aufregung, im Sinne des Goetheschen 'Denn ich sprach nur aus, was in mir aufgeregt, nicht aber, was ich gelesen hatte'; und insbesondere haben die Sprecher, wenn sie ein Geschehen beschreiben oder erzählen, beständig das Bild, die Bilder davon in der Brust, bewahren diese im Reden, das ihnen so aufgeregt wie sachlich folgt und sich derart als Beschwörung anhört, dementsprechend natürlichst in Versform.“ (Peter Handke) POTO AND CABENGO (Jean-Pierre Gorin, USA/BRD 1980, 17. & 23.5.) Die Kinder Gracie und Ginny Kennedy, Zwillingsschwestern aus San Diego, erregten in den 70er Jahren Aufsehen, als sie eine eigene Sprache entwickelten. Dem Unbehagen, das diese geschlossene, von der Umwelt abgekoppelte Sprachgemeinschaft bei Fachleuten ebenso wie in der breiten Öffentlichkeit hervorrief, begegnete man mit einem groß angelegten therapeutischen Eingriff, als dessen Resultat nur die sprachliche und damit soziale Wiedereingliederung der Mädchen gelten konnte. Jean-Pierre Gorin fokussiert in seinem Film die sozialen und politischen Dimensionen von Sprache und Kommunikation, indem er das aufgebauschte Medieninteresse an den Mädchen genauso untersucht wie die Umstände, unter denen das Zwillingspaar aufwuchs. THE PHILADELPHIA STORY (George Cukor, USA 1940, 19. & 21.5.) Die Screwball Comedy mit ihren rasanten Dialogen, schnellem Rhythmus und exzentrischen Charakteren gilt als Prüfung und – bei erfolgreichem Bestehen – Ritterschlag für jeden Drehbuchautor, Regisseur und nicht zuletzt für die Schauspieler*innen. Ein Paradebeispiel für geschliffene Wortduelle und perfektes Timing ist auch Cukors "comedy of remarriage", um die unnahbare Miss "Goddess" Tracy Lord (Katharine Hepburn), Tochter aus vermögendem Hause, die sich am Vorabend ihrer zweiten Hochzeit zwischen drei Männern (u.a. James Stewart und Cary Grant) entscheiden muss. Die Zeit vor der Vermählung gerät dabei zur vergnüglich-sarkastischen Auseinandersetzung über unterschiedliche Lebensorientierungen. Tracy Lord: "A man expects his wife to behave herself. Naturally." C.K. Dexter Haven (Cary Grant), ihr Ex-Mann: "To behave herself naturally." NACHMITTAG (Angela Schanelec, D 2007, 20. & 22.5.) Sommertage und -nächte in einer Villa am See – der strahlenden Sonne, dem glitzernden See, den Verheißungen des Müßiggangs zum Trotz lösen sich an den heiß-flirrenden Sommernachmittagen und lauen Nächten die familiären Bindungen und Liebesbeziehungen auf. Irene besucht in Begleitung ihres Freundes Max ihren depressiven Bruder Alex, bei dem ihr Sohn Konstantin wohnt, der sowohl mit seiner Ambition, Schriftsteller zu werden als auch um die Beziehung zu seiner Freundin Agnes ringt. Frei nach Tschechows Drama "Die Möwe" reihen sich Vorwürfe an Enttäuschungen, Verletzungen an Unnahbarkeit. Den Fliehkräften eines schwindenden Miteinanders kann auch das Miteinandersprechen nichts entgegensetzen: Den Dialogszenen bleibt oft der verbindende Gegenschuss verwehrt, Gesprächspartner bleiben und sprechen minutenlang im Off, bis die Kamera zögernd das Gegenüber in den Blick nimmt. ACCATTONE (Pier Paolo Pasolini, I 1961, 24. & 28.5.) Gedichte in friaulischer, bäuerlich geprägter Mundart, Romane, die vom schroffen Dialekt des römischen „sotto-proletario“ durchzogen sind – es heißt, dass sein Interesse an randständigen Sprachformen Pasolini zum Film gebracht habe. Wie seine beiden ersten Romane ist auch sein Debütfilm eine Hommage an die Bewohner der römischen „borgate“, der tristen Vorstädte der italienischen Hauptstadt, und an ihre Sprache. Hier lebt Vittorio (Franco Citti), der sich selbst "Accattone" (Schmarotzer, Bettler) nennt und sich mit Diebstählen, Gaunereien und Zuhälterei kaum über Wasser halten kann. Seine Frau hat ihn verlassen, seine Freundin, die für ihn anschaffen gegangen ist, sitzt im Gefängnis. Als er sich in die junge Stella verliebt, versucht er – erfolglos –, sein Leben zu ändern. Von der Polizei verfolgt, verunglückt er und stirbt. Mit Laiendarstellern und vor dem Hintergrund einer kargen, neorealistisch anmutenden Vorstadtwüste entwickelt Pasolini eine eindringliche Passionsgeschichte. BEESWAX (Andrew Bujalski, USA 2009, 25. & 27.5.) Jeannie und Lauren sind Zwillingsschwestern und wohnen zusammen. Jeannie betreibt einen Secondhand-Laden. Sie fürchtet, dass ihre Teilhaberin eine Klage gegen sie anstrebt und sucht deshalb Rat bei ihrem Ex-Freund, der gerade sein Jurastudium abschließt. Lauren ist auf der Suche – nach einem Job und nach einem festen Freund. Andrew Bujalskis dritter Film zeigt junge Leute beim Abschied von der Unverbindlichkeit. Bujalski ist einer der Protagonisten der Mumblecore-Bewegung, US-amerikanischer Low-Budget-Produktionen, geprägt durch improvisierende Laiendarsteller, Dialoglastigkeit und eine entdramatisierte Abbildung des Alltags. L'ENFANT SAUVAGE (Der Wolfsjunge, François Truffaut, F 1970, 26. & 29.5.) schildert einen historischen Fall: 1797 wird bei Aveyron ein etwa zwölfjähriger Junge aufgegriffen, der offenbar seit Jahren im Wald gelebt hat und nur unartikulierte Laute ausstößt. Truffauts Drehbuch stützt sich getreu auf den 1806 veröffentlichten Bericht des jungen Doktor Itard, der sich des Jungen annahm. Itard war, anders als seine Arztkollegen, der Meinung, der Junge sei nur durch mangelnden sozialen Kontakt und die geringen kommunikativen Fähigkeiten zurückgeblieben. Truffaut, der zum ersten Mal eine Hauptrolle als Darsteller übernahm, zeigt die peniblen, manchmal schmerzhaften Schritte, die Itard unternimmt, um dem Jungen das Sprechen beizubringen. Die Einführung des Tonfilms setzte der relativen Internationalität des Films Ende der 20er Jahre ein jähes Ende. Ein Versuch, die neu entstandenen Sprachbarrieren zu überwinden, war die Produktion von unterschiedlichen Sprachversionen (deutsch, französisch, englisch) ein- und desselben Films. Bis in die frühen 30er Jahre entstand so eine Reihe von Filmen mit fast identischen Plots, den gleichen Dekors und Technikern, zum Teil mit denselben Schauspielern, nur in unterschiedlichen Sprachen. Zur Illustration dieser gängigen Praxis zeigen wir Josef von Sternbergs berühmte Verfilmung von Heinrich Manns "Professor Unrat" DER BLAUE ENGEL (D 1930, 30.5.) in der deutschen und englisch-deutschen Sprachfassung mit dem Titel THE BLUE ANGEL (31.5.). Im Unterschied zu anderen Produktionen spielten viele der Schauspieler in beiden Sprachfassungen mit, so auch Marlene Dietrich und Emil Jannings, dessen Englisch im Gegensatz zu seiner aufstrebenden Schauspielerkollegin phasenweise unfreiwillig skurrile Züge trägt. (mg)