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Das Kino von Pascale Ferran ist nah an zeitgenössischen Realitäten, ohne soziologisch zu sein. Im Gegenteil, sie geht immer wieder formale Wagnisse ein und arbeitet auch mit fantastischen Elementen. Häufig geht es um Verwandlungen, den Mut zu Freiheit und Veränderung. Sie hat einen Sinn für feine Psychologie und einen Blick für die Natur. Ihre Filme operieren mit Kapiteln, Zwischenüberschriften, Textinserts, bisweilen ist sogar eine Erzählerstimme aus dem Off zu hören. Die Tonlage ist eher leicht, doch handelt es sich, ähnlich wie bei Jacques Demy, um eine Leichtigkeit, der Verzweiflung nicht unbekannt ist.

BIRD PEOPLE (Pascale Ferran, F 2014, 3.11., in Anwesenheit von Pascale Ferran & 11.11.) Eine Gesellschaft im Transit: Menschenströme an Verkehrsknotenpunkten, Pendler im Vorortzug, Wartende in der Abflughalle, Gäste im Hotel. Gary, ein erfolgreicher Geschäftsmann im Silicon Valley, macht auf dem Weg nach Dubai einen Stopp in Paris. Er checkt im Flughafenhotel ein, absolviert ein Meeting, hat Panikattacken – und beendet kurzentschlossen Karriere und Ehe. Er wird in Europa bleiben. Audrey, eine Studentin, die als Zimmermädchen im gleichen Hotel jobbt, hat ihren Alltag auch satt – unversehens hebt sie ab und schaut sich die Welt, in der wir leben, von oben an. Die neue Perspektive lässt beide aufatmen. BIRD PEOPLE ist ein zutiefst zeitgenössischer, formal kühner Film, der realistisch und fantastisch zugleich ein präzises Zeitbild zeichnet. Drei herausragende Szenen – ein Trennungsgespräch via Skype, ein Nachtflug zu David Bowies „Space Oddity“ und eine veritable Begegnung am Schluss – sagen alle auf ihre Art: Ein anderes Leben ist möglich.

LADY CHATTERLEY (Pascale Ferran, Belgien/F 2006, 4.11. , in Anwesenheit von Pascale Ferran & 12.11.) Constance ist die Gattin von Sir Clifford Chatterley, einem englischen Aristokraten, der ein Bergwerk und stattliche Ländereien besitzt und seit dem Ersten Weltkrieg an den Rollstuhl gebunden ist. Als sie im Wald dem verschlossenen Wildhüter Parkin begegnet, reagiert sie neugierig und scheu zugleich. Ihr Begehren erwacht, sie entdeckt mit Freude die eigene Lust und den anderen Körper. Ganz allmählich entwickelt sich eine nicht standesgemäße Leidenschaft und Liebe, die für beide Beteiligte eine Befreiung bedeutet. Sehr zart, mit großer Sensibilität für die Körper, außergewöhnlichen Sexszenen und vielen Aufnahmen der Natur im Wechsel der Jahreszeiten übersetzt Pascale Ferran die literarische Vorlage von D.H. Lawrence aus dem Jahr 1927 den historischen Kostümen zum Trotz in eine zeitlose Beziehungsstudie von ungemeiner Intensität.

LA SENTINELLE (The Sentinel, Arnaud Desplechin, F 1992 | 5. & 9.11.) Der Sohn eines in Deutschland stationierten Botschafters kehrt zwei Jahre nach dem Fall der Mauer nach Paris zurück, um Gerichtsmedizin zu studieren. Im Zug wird er von der Grenzpolizei hart angegangen und von einem Ermittler verhört, der alles über ihn zu wissen scheint. Im Hotel findet sich in seinem Koffer ein menschlicher Kopf. Er seziert den präparierten Schädel und versucht, ihn zu identifizieren. Dabei deckt er französisch-russische Geheimverbindungen auf und gerät in eine politische Intrige. Gleichzeitig versucht er in der Clique seiner singenden Schwester Fuß zu fassen, junge Leute aus dem Diplomaten- und Kulturmilieu, mit guten Verbindungen zum Geheimdienst. Desplechins doppelbödiger und komplex gebauter erster Langfilm ist Spionagethriller, Familienroman, éducation sentimentale und Reflexion über das Europa des Kalten Krieges gleichermaßen.

PETITS ARRANGEMENTS AVEC LES MORTS (Coming to Terms with the Dead, Pascale Ferran, F 1994, 6. & 8.11.) An einem bretonischen Strand baut ein Mann mit unermüdlicher Hingabe eine Sandburg. Dabei beobachten ihn seine beiden erwachsenen Geschwister, der jüngere Bruder François, ein Insektenforscher, und die ältere Schwester Zaza, eine erschöpfte Krankenschwester, sowie der zehnjährige Jumbo. Alle drei hängen ihren Gedanken nach, die jeweils um den traumatischen Verlust eines nahe stehenden Menschen kreisen. Trauerarbeit an einem Sommernachmittag – jedes der drei Kapitel von Pascale Ferrans Debütfilm erschließt über Rückblenden kunstvoll nicht nur das Innenleben der drei Figuren, sondern auch die Spuren, die der Verlust in ihrem Leben hinterlassen hat. Die den Gezeiten ausgesetzte Burg aus Sand erzählt ihrerseits von Vergänglichkeit und Neubeginn.

L’ÂGE DES POSSIBLES (Crossroads, Pascale Ferran, F 1995, 7. & 10.11.) Straßburg, 1995. Zehn junge Leute um die 25, von A wie Agnès bis J wie Jacques, suchen beruflich und privat ihren Platz in der Welt. Agnès schreibt ihre Abschlussarbeit in Philosophie, Béatrice jobbt bei einer Fast-Food-Kette und verliebt sich in Gérard, Catherine will schwanger werden, Ivan ist dagegen, Denise macht Meinungsumfragen, wäre aber gerne Schauspielerin, Frédéric ist ein Don Juan, Henri studiert Chinesisch und Jacques Malerei. Alle wissen, zwischen Hoffnung, Ängsten und Verzweiflung, Trennung und neuer Liebe, dass bald eine Entscheidung ansteht, wer oder was man sein will im Leben. Im Zentrum des berührenden Ensemblefilms, der als Auftragsarbeit mit Schauspielstudierenden des Théâtre National de Strasbourg entstand, steht eine Party, bei der schließlich alle ein Chanson aus Jacques Demys Peau d’âne singen. Und am Ende gibt es ein Plädoyer für Utopie und Naivität.

MANGE TA SOUPE (Es wird aufgegessen, Mathieu Amalric, F 1997, 6. & 8.11.) Nach einem Auslandsaufenthalt richtet sich ein erwachsener Mann für eine Übergangszeit bei seiner Mutter in Paris ein. Die Wohnung der exzentrischen Literaturkritikerin wird von Büchern beherrscht, sie stehen in ungeheuren Mengen in Regalen, liegen auf dem Boden, versperren stapelweise den Weg – und jeden Tag werden es mehr. Die Mutter-Sohn-Beziehung ist angespannt, und als der geschiedene Journalistenvater und die Schwester mit Baby hinzukommen, drängt die Familiengeschichte ans Tageslicht. Das noch vor seinen großen Erfolgen als Schauspieler entstandene Regiedebüt von Mathieu Amalric ist ein als Burleske inszeniertes Psychodrama, ein tragikomischer Familienfilm mit autobiografischen Elementen.

LA TORTUE ROUGE (Die rote Schildkröte, Michaël Dudok de Wit, F/Japan/Belgien 2016, 7.11.) Ein Schiffbrüchiger strandet auf einer Insel und muss feststellen, dass er hier der einzige Mensch ist. Er baut ein Floß, um Einsamkeit und Gefahren zu entkommen, doch all seine Versuche, in See zu stechen, werden von einer riesigen roten Schildkröte vereitelt. Als das Tier eines Tages an Land kommt, ereignet sich eine wundersame Verwandlung und ein neues Leben beginnt. Ohne Dialoge, mit meditativer Ruhe und überwiegend handgezeichneten Bildern, darunter betörende Landschaftstableaus, erzählt der vom japanischen Studio Ghibli koproduzierte Animationsfilm eine Geschichte über den Kreislauf des Lebens und das Verhältnis des Menschen zur Natur. (bik)

Eine Veranstaltung mit freundlicher Unterstützung des Institut français.

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